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50 GewerberechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der Parteistellung der Nachbarn im vereinfachten Betriebsanlagengenehmigungsverfahren auch hinsichtlich der Beurteilung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren infolge verfassungswidriger GesetzesauslegungSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann
i. Pg. vom 7. November 2001 wurden die Anträge der Beschwerdeführer (als Nachbarn einer mit Bescheid vom 5. November 2001 im vereinfachten Verfahren genehmigten gastgewerblichen Betriebsanlage) auf Feststellung, dass diese Betriebsanlage nicht die Beschaffenheit einer Anlage gemäß §359b GewO 1994 aufweise, mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen.
b) Die dagegen erhobenen Berufungen, in denen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens mit näherer Begründung (neuerlich) bestritten worden war, wies der Landeshauptmann von Salzburg gemäß §66 Abs4 AVG iZm §359b Abs1 GewO 1994 idF BGBl. I 88/2000 mit dem angefochtenen Bescheid als unzulässig zurück und begründete dies wie folgt:
"Wie die Erstbehörde völlig zu Recht ausführt, kommt Nachbarn im Rahmen der Durchführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach der Bestimmung des §359 b Abs1 GewO 1994 i.d.F. BGBl I 88/2000, bereits ex lege keine Parteistellung zu. Dies bedeutet, dass den Berufungswerbern in ihrer Rechtsstellung als Nachbarn ... keine Parteistellung zukommt, was zur rechtlichen Folge hat, dass sie auch kein Antragsrecht, ob ein Verfahren in einem ordentlichen oder vereinfachten Genehmigungsverfahren durchzuführen ist, haben.
...
... [D]ie Zurückweisung der Anträge [ist] aus den aufgezeigten Überlegungen zu Recht erfolgt ..."
2. Gegen diesen Bescheid, den der Verfassungsgerichtshof dahin versteht, dass damit die von der ersten Instanz ausgesprochene Zurückweisung mangels Parteistellung bestätigt und die Berufung abgewiesen wird, richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. In ihr wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
3. Der Landeshauptmann von Salzburg hat als belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der unter Hinweis darauf, dass die - von den Beschwerdeführern u.a. als verfassungswidrig gerügte - Bestimmung des §359b Abs4 GewO 1994 idF BGBl. I 88/2000 zum Zeitpunkt der Erlassung des in Beschwerde gezogenen Bescheides dem Rechtsbestand (noch) angehört habe, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. §359b Abs1 GewO 1994, in der für die Entscheidung der belangten Behörde maßgeblichen Fassung BGBl. I 88/2000, hat folgenden Wortlaut:
"(1) Ergibt sich aus dem Genehmigungsansuchen und dessen Beilagen (§353), daß
1. jene Maschinen, Geräte und Ausstattungen der Anlage, deren Verwendung die Genehmigungspflicht begründen könnte, ausschließlich solche sind, die in Verordnungen gemäß §76 Abs1 oder Bescheiden gemäß §76 Abs2 angeführt sind oder die nach ihrer Beschaffenheit und Wirkungsweise vornehmlich oder auch dazu bestimmt sind, in Privathaushalten verwendet zu werden, oder
2. das Ausmaß der der Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und sonstigen Betriebsflächen insgesamt nicht mehr als 1 000 m² beträgt und die elektrische Anschlußleistung der zur Verwendung gelangenden Maschinen und Geräte 100 kW nicht übersteigt, so hat die Behörde (§§333, 334, 335) das Projekt durch Anschlag in der Gemeinde und durch Anschlag in den der Anlage unmittelbar benachbarten Häusern mit dem Hinweis bekanntzugeben, daß die Projektsunterlagen innerhalb eines bestimmten, vier Wochen nicht überschreitenden Zeitraumes bei der Behörde zur Einsichtnahme aufliegen und daß die Nachbarn innerhalb dieses Zeitraumes von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch machen können; die Eigentümer der betroffenen Häuser haben derartige Anschläge in ihren Häusern zu dulden; statt durch Hausanschlag kann das Projekt aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit durch persönliche Verständigung der Nachbarn bekannt gegeben werden; nach Ablauf der im Anschlag oder in der persönlichen Verständigung angeführten Frist hat die Behörde unter Bedachtnahme auf die eingelangten Äußerungen der Nachbarn die die Anwendung des vereinfachten Verfahrens begründende Beschaffenheit der Anlage mit Bescheid festzustellen und erforderlichenfalls Aufträge zum Schutz der gemäß §74 Abs2 sowie der gemäß §77 Abs3 und 4 wahrzunehmenden Interessen zu erteilen; dieser Bescheid gilt als Genehmigungsbescheid für die Anlage. Die Behörde hat diesen Bescheid binnen drei Monaten nach Einlangen des Genehmigungsansuchens und der erforderlichen Unterlagen zum Genehmigungsansuchen (§353) zu erlassen. §356b gilt sinngemäß. Nachbarn (§75 Abs2) haben keine Parteistellung. In der Anlage 3 zu diesem Bundesgesetz angeführte Betriebsanlagen sind nicht dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen."
2. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.
a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann vorliegen, wenn die belangte Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt (vgl. zB VfSlg. 12.107/1989, 13.730/1994, 15.691/1999).
b) Die belangte Behörde begründet ihre Entscheidung damit, dass den Beschwerdeführern als Nachbarn in einem vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß §359b Abs1 GewO 1994 eine Parteistellung nicht zukomme.
c) Im Erkenntnis VfSlg. 16.103/2001 betreffend §359b Abs4 GewO 1994, in der Fassung BGBl. I 63/1997, führte der Verfassungsgerichtshof zur Frage der Parteistellung der Nachbarn gemäß §359b Abs1 GewO 1994 wörtlich Folgendes aus:
"Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung ... die Auffassung, daß grundsätzlich keine Verfassungsnorm besteht, die Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert. Den Umfang der Parteirechte in einem Verwaltungsverfahren bestimmt der einfache Gesetzgeber. Das die Parteirechte bestimmende Gesetz könnte allerdings aus dem Grunde mangelnder Determinierung oder wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot verfassungswidrig sein.
Der Gerichtshof bezweifelt nicht, daß nach dem Konzept des §359b Abs1 GewO 1994 bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein vereinfachtes Betriebsanlagengenehmigungsverfahren den Nachbarn keine Parteistellung, sondern prinzipiell nur Anhörungsrechte zukommen sollen (die erwähnte Ergänzung des Abs1 durch die Novelle BGBl. I 88/2000 hat dies nunmehr ausdrücklich klargestellt). Andernfalls wäre in der Tat die mit dieser Variante des Genehmigungsverfahrens intendierte Verfahrensbeschleunigung von vornherein nicht zu erreichen. Der Gerichtshof ist jedoch in seinem Prüfungsbeschluß - mit ausführlicher, oben bereits wiedergegebener Begründung - (vorläufig) davon ausgegangen, daß es verfassungsrechtlich bedenklich sei, den Nachbarn Parteistellung auch bei Beurteilung der Frage zu versagen, ob die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren überhaupt vorliegen, und diese Beurteilung allein der Behörde zu überlassen. Diese Bedenken, die sich letztlich gegen eine unsachliche Ungleichbehandlung gleicher Fälle richten (nämlich jener Nachbarn, die im Rahmen eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens Parteistellung besitzen, einerseits und jener, die diese Parteistellung nur deswegen nicht besitzen, weil die Behörde zu Unrecht die Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens angenommen oder behauptet hat, andererseits) sind im Verfahren nicht zerstreut worden; die Bundesregierung hat ihnen nichts entgegengehalten."
Der Verfassungsgerichtshof vertrat in diesem Erkenntnis sodann die Auffassung, dass es der Text des §359b Abs1 GewO 1994 durchaus zulasse, den Nachbarn eine beschränkte Parteistellung hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren überhaupt vorliegen, zuzugestehen. Wenn nämlich in §359b GewO 1994 angeordnet werde, dass die Behörde unter Bedachtnahme auf die eingelangten Äußerungen der Nachbarn die die Anwendung des vereinfachten Verfahrens begründende Beschaffenheit der Anlage mit Bescheid festzustellen habe, so werde damit eine bescheidmäßige Reaktion der Behörde auf das Vorbringen der Nachbarn angeordnet, die unverständlich wäre, wenn sie einer weiteren Überprüfung im Rechtswege nicht zugänglich wäre. Eine solche Anordnung könne daher jedenfalls auch so verstanden werden, dass damit den Nachbarn ein rechtliches Interesse an einer Überprüfung der Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens - und damit eine auf diese Frage beschränkte Parteistellung - zugebilligt werde (der Ausschluss der Parteistellung sich somit auf die Durchführung des vereinfachten Verfahrens selbst beziehe). Da eine gegenteilige Auslegung des §359b Abs1 GewO 1994 ein verfassungswidriges Ergebnis zur Folge hätte, weil dann die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für das vereinfachte Bewilligungsverfahren in unsachlicher Weise allein der Behörde obläge, sei - so der Verfassungsgerichtshof zusammenfassend - eine verfassungskonforme Interpretation im dargelegten Sinn nicht nur zulässig, sondern geboten.
Der Gerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser - durch das hg. zu §359b GewO 1994 idF BGBl. I 88/2000 ergangene Erkenntnis vom 24. September 2001, G98/01, bekräftigten - Rechtsprechung abzugehen.
d) Da die belangte Behörde den Beschwerdeführern auch die Parteistellung hinsichtlich der Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Verfahren vorliegen, vorenthalten hat, ist sie von einem gleichheitswidrigen Inhalt des §359b Abs1 GewO 1994 ausgegangen. Sie hat die Beschwerdeführer dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- und eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 180,-- enthalten.
III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Gewerberecht, Betriebsanlagen, Nachbarrechte, Parteistellung GewerberechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B131.2002Dokumentnummer
JFT_09969776_02B00131_00