Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Dr. Valerie S*****, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dipl. Ing. Vladim S*****, vertreten durch Dr. Daniel Charim und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 25. April 2007, GZ 23 R 119/07h-15, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Tulln vom 13. März 2007, GZ 1 C 228/06p-11, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:
Die einstweilige Verfügung vom 4. 12. 2006, GZ 1 C 228/06p-5, des Bezirksgerichtes Tulln, gilt bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien zu AZ 1 C 253/06i des Bezirksgerichtes Tulln anhängigen Scheidungsverfahrens.
Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit EUR 732,86 (darin EUR 122,14 USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Mit Telefax vom 5. 3. 2007 (Sendezeit: 11.43 Uhr) und dem am 7. 3. 2007 beim Erstgericht eingelangten Originalantrag beantragte die gefährdete Partei (neben einer neuen EV) unter anderem auch, die auf drei Monate „ab dem Datum der Erlassung" festgesetzte (Geltungs-)Dauer der einstweiligen Verfügung nach § 382b EO, die das Erstgericht den Parteien am 4. 12. 2006 (aufgrund einer „vereinbarten Regelung") mündlich verkündet hatte, bis zum rechtskräftigen Abschluss des zwischen den Parteien (nunmehr) anhängigen Scheidungsverfahrens „bzw" eines innerhalb eines Jahres danach eingeleiteten Aufteilungsverfahrens zu verlängern.
Das Erstgericht wies den Verlängerungsantrag mit Beschluss vom 13. 3. 2007 zurück. Infolge Fristablaufes (am 4. 3. 2007 um 24.00 Uhr) sei der am 5. 3. 2007 (Montag) eingelangte Antrag, der noch innerhalb der Laufzeit der „ersten EV" hätte gestellt werden müssen, nicht rechtzeitig und fristwahrend. Solange über einen Verlängerungsantrag noch nicht entschieden sei, dürfe eine einstweilige Verfügung wegen Zeitablaufs aber nicht aufgehoben werden. Bevor über den „berechtigterweise" auf Zeitablauf gestützten (ebenfalls am 5. 3. 2007 eingelangten) Aufhebungsantrag des Gegners der gefährdeten Partei entschieden werden könne, sei daher zunächst der verspätete Verlängerungsantrag zurückzuweisen. „Sodann" werde im Ehescheidungsverfahren über den (weiteren) Antrag auf Erlassung einer „neuen EV" zu entscheiden sein.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss mit der Maßgabe, dass der Verlängerungsantrag abgewiesen werde und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Verlängerungsantrag sei tatsächlich verspätet, weil die „materielle Verbotsfrist" bis Sonntag 4. 3. 2007, 24.00 Uhr gedauert habe und daher am Montag, dem 5. 3. 2007, bereits abgelaufen gewesen sei. Durch die verspätete Antragstellung habe die Antragstellerin nicht nur eine Frist versäumt, sondern ihr Recht, eine Verlängerung der einstweiligen Verfügung zu erwirken, also letztlich auch einen materiellen Anspruch verloren. Der Verlängerungsantrag sei aber nicht zurück- sondern abzuweisen.
Da der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht eindeutig zum Charakter der „Verfügungsfrist" der einstweiligen Verfügungen nach § 382b EO Stellung genommen habe, stellten sich hier die erheblichen Fragen, ob es sich dabei um eine richterliche Frist im Sinn des § 124 ZPO handle, wann hier die Dreimonatsfrist des § 382b Abs 4 EO zu laufen beginne und ob sie sich „gemäß § 126 Abs 2 ZPO" verlängere, wenn ihr Ende auf einen Sonn- oder Feiertag falle.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der gefährdeten Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss zu beheben und meritiorisch über den Antrag auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung zu entscheiden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Gegner der gefährdeten Partei beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung erlischt eine einstweilige Verfügung nicht schon mit dem Ablauf der Frist, für die sie bewilligt wurde, sondern es bedarf einer ausdrücklichen Aufhebung durch das Gericht (Heller-Berger-Stix4 2842; Kodek in Angst § 399 EO Rz 11 mwN). Das bedeutet aber nur, dass für Zuwiderhandlungen vor Ablauf des Endigungstermins auch nachträglich noch die Exekution bewilligt werden kann, solange die einstweilige Verfügung nicht aufgehoben wurde. Bei anderer Auffassung wäre die Fristsetzung in der einstweiligen Verfügung sinnlos und irreführend. Das ausgesprochene Verbot endet mit dem in der einstweiligen Verfügung bestimmten Zeitpunkt (1 Ob 210/01s mwN; Heller-Berger-Stix aaO; Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, § 391 EO Rz 4). Es ist nämlich zwischen der einstweiligen Verfügung an sich und den angeordneten Sicherungsmaßnahmen zu unterscheiden (Zechner aaO Rz 6; Konecny, Zur Wirksamkeit einstweiliger Verfügungen nach Ablauf der Verfügungsfrist, ÖBA 1997, 987 [988 f]). Wie bereits zu 1 Ob 210/01s ausgesprochen wurde, ist daher der einhelligen und von der Lehre gebilligten Judikatur zu folgen, wonach die Verlängerung einer einstweiligen Verfügung nach Ablauf der Verfügungsfrist unzulässig ist, der Verlängerungsantrag also innerhalb der Verfügungsfrist gestellt werden muss (so bereits RIS-Justiz RS0005566 [T1] = 1 Ob 210/01s und 2 Ob 247/01i jeweils mwN; für die EV nach § 382b EO: RIS-Justiz RS0109194 [T2] = 10 Ob 426/01x; Sailer in Burgstaller/Deixler § 382b EO Rz 18).
Davon ausgehend vertreten das Rekursgericht und auch der Revisionsrekurs offenbar den Standpunkt, der Nichtanwendbarkeit der (im Übrigen gemäß § 78 EO grundsätzlich auch in exekutionsrechtlichen Verfahren anzuwendenden) Regelungen der §§ 123 ff ZPO und § 89 Abs 1 GOG einschließlich jener über Samstage, Sonntage, Feiertage und Karfreitage auf materiell-rechtliche Fristen (Gitschthaler in Rechberger³ § 123 ZPO Rz 4 und 6 mwN) komme entscheidende Bedeutung für die Lösung des vorliegenden Falles zu, wobei hier der verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Charakter der Frist nach § 382b Abs 4 EO im Zusammenhang mit einem - innerhalb dieser Frist zu stellenden - Verlängerungsantrag zu beurteilen sei.
Diese Frage ist hier jedoch nicht abschließend zu beantworten, weil der Verlängerungsantrag im vorliegenden Fall auch dann rechtzeitig gestellt wurde, wenn man davon ausgeht, dass die materiell-rechtliche Bedeutung dieser Frist eine Anwendung der zitierten Bestimmungen ausschließt (so zB bei der Leistungsfrist gemäß § 409 ZPO, die als materiell-rechtliche Frist [Gitschthaler in Rechberger³ § 123 ZPO Rz 1 mwN] oder als eine solche mit materiell-rechtlichem und prozessualen Charakter [Fasching Lehrbuch Rz 548 und ihm folgend: Buchegger in Fasching/Konecny² II/2 § 123 ZPO Rz 11] angesehen wird, wobei selbst Buchegger, auf den sich der Revisionsrekurs - zu Unrecht - beruft, für derartige Fristen, die eine doppelfunktionelle Bedeutung haben, ausdrücklich die Anwendbarkeit der §§ 123 bis 129 ZPO im Hinblick die materiell-rechtliche Bedeutung der Leistungsfrist verneint, „zumal der Richter gemäß § 409 ZPO in eingeschränktem Maß die Möglichkeit hat, die Leistungsfrist den gegebenen Verhältnissen anzupassen" [Buchegger aaO mwN]):
Die Vorinstanzen haben nämlich übersehen, dass (ebenso wie nach § 126 Abs 2 ZPO im Bereich der verfahrensrechtlichen Fristen) auch für alle materiell-rechtlichen Fristen des Privatrechts nach § 903 Satz 3 ABGB und Art 5 des Europäischen Übereinkommens über die Berechnung von Fristen, BGBl 1983/254 (EuFrÜb), das innerstaatlich unmittelbar wirksam ist (Bollenberger in KBB² § 902 Rz 1) eine Ablaufhemmung gilt (Bollenberger aaO § 903 Rz 3 mwN). Demnach wird eine Frist, vor deren Ablauf eine Handlung vorzunehmen ist und deren letzter Tag auf einen Samstag, Sonntag gesetzlichen Feiertag oder einen Tag fällt, der wie ein gesetzlicher Feiertag behandelt wird, dahin verlängert, dass sie den nächstfolgenden Werktag einschließt (Reischauer in Rummel³ § 903 ABGB Rz 6; Bollenberger aaO). Zwar müssen Erklärungen innerhalb materiell-rechtlicher Fristen zugehen, sodass die Absendung im Gegensatz zu prozessualen Fristen (§ 89 Abs 1 GOG) - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - nicht genügt (Reischauer aaO § 902 ABGB Rz 9). Insoweit ist beim Fernkopieren (Telefax) aber die Besonderheit zu beachten, dass die Eingabe direkt vom Sendegerät des Einreichers an das Empfangsgerät übermittelt wird, sodass Postaufgabe und Einlangen bei Gericht zusammenfallen. Sowohl verfahrensrechtliche als auch materiell-rechtliche Fristen sind daher gewahrt, wenn die Telefaxeingabe am letzten Tag bei Gericht einlangt, ohne dass eine Übernahme durch die Einlaufstelle notwendig ist.
Da die Telefaxeingabe der gefährdeten Partei am Montag, dem 5. 3. 2007 bei Gericht eingelangt ist, wurde sie von den Vorinstanzen somit zu Unrecht als verspätet behandelt; fiel doch der letzte Tag der vom Erstgericht gemäß § 382b Abs 4 EO im (Höchst-)Ausmaß von drei Monaten „ab dem Datum der Erlassung" (hier also der Verkündung) festgelegten Befristung der einstweiligen Verfügung auf den 4. 12. 2007 und damit auf einen Sonntag, weshalb die Frist jedenfalls auf den Montag als nächstfolgenden Werktag verlängert wurde.
Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben. Die einstweilige Verfügung ist bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien (nunmehr) anhängigen Scheidungsverfahrens antragsgemäß zu verlängern, weil der dafür allein maßgebende Umstand, dass sich die für die Erlassung der einstweiligen Verfügung wesentlichen Umstände nicht nachträglich geändert haben (SZ 71/13 mwN), im vorliegenden Fall bereits den im Beschluss des Erstgerichtes festgehaltenen - unstrittigen - weiteren Entwicklungen in Bezug auf die Trennung der Parteien zu entnehmen ist (Klage und Widerklage im Ehescheidungsverfahren; Besitzstörungsklage wegen Schlössertausches und Privatanklage des Gegners der gefährdeten Partei jeweils gegen die Antragstellerin, Waffenverbotsverfahren gegen den Antragsgegner). Diese hat das Erstgericht nämlich zutreffend dahin zusammenfasst, dass die Situation bzw das Verhältnis zwischen den Parteien [weiterhin] als „durchaus brisant" bezeichnet werden könne, sodass Vorfälle wie jene, welche die einstweilige Verfügung auslösten, nicht ausgeschlossen werden können. Weitere Bescheinigungen sind somit nicht erforderlich.
Dem wohl ohnehin nur als Eventualantrag (arg: „bzw") zu verstehenden, darüber hinausgehenden Verlängerungsbegehren ist hingegen nicht stattzugeben; wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist nämlich die Tatfrage, ob die Einleitung eines Aufteilungsverfahrens nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zur Befürchtung weiterer Gewalttätigkeiten oder Drohungen des ausgewiesenen Ehegatten sein kann, erst in einem auf Antrag einzuleitenden Verlängerungsverfahren zu klären und nicht schon vorweg bei der Entscheidung über einen vor oder - wie hier - im Scheidungsverfahren gestellten Sicherungs-[Verlängerungs-]antrag (RIS-Justiz RS0116471 [T2] = 9 Ob 41/06d mit Hinweis auf 6 Ob 180/02t; 7 Ob 253/03m).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 2 EO, §§ 41, 50 ZPO. Die Verlängerung der einstweiligen Verfügung wurde im Rahmen eines Ehescheidungsverfahrens beantragt. Nach § 10 Z 4a RATG beträgt die Bemessungsgrundlage daher EUR 4.360 (3 Ob 293/99f; Obermaier, Das Kostenhandbuch Rz 373 E 27 = 3 Ob 166/02m).
Textnummer
E85456European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2007:0070OB00157.07Z.0926.000Im RIS seit
26.10.2007Zuletzt aktualisiert am
26.11.2010