Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Maria V*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei T***** RestaurantbetriebsgmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Graz, wegen EUR 1.810,66 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2006, GZ 8 Ra 34/06s-19, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Februar 2006, GZ 9 Cga 144/05b-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 300,09 (darin EUR 50,01 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war zunächst seit 1. 4. 1974 bei der W***** als Buffetkassiererin in einem Bahnhofskiosk beschäftigt. Anfang Dezember 2000 erhielt sie ein Schreiben, mit welchem ihr Dienstverhältnis unter Einhaltung der 14-tägigen Kündigungsfrist zum 31. 12. 2000 gekündigt wurde. Anlässlich der Weihnachtsfeier im Dezember 2000 teilte ein bisheriger Angestellter der W***** der Klägerin mit, dass er unter anderem ab 1. 1. 2001 den Kioskbetrieb weiterführen werde und fragte die Klägerin, ob sie an einer Weiterbeschäftigung interessiert sei, was diese bejahte. Die Klägerin focht die Kündigung - trotz des erkennbaren Betriebsübergangs - nicht an. Sie akzeptierte auch einen neuen Dienstvertrag mit dem Betriebsübernehmer, in welchem eine Probezeit von 14 Tagen vereinbart und überdies nur ein Urlaubsanspruch von fünf Wochen (gegenüber bisher sechs Wochen) gewährt wurde.
Der neue Arbeitgeber führte das Unternehmen zunächst kurzfristig als Einzelunternehmen und brachte es in der Folge in die Beklagte ein, deren Geschäftsführer er ist. Am 1. 4. 2005 vereinbarten die Streitteile, dass „das am 1. 4. 2001 begründete Arbeitsverhältnis mit 30. 4. 2005 einvernehmlich aufgelöst wird". Die Klägerin erhielt eine Abfertigung, allerdings nur den Differenzbetrag, der sich daraus ergibt, dass man von einem seit 1. 4. 1974 bis 30. 4. 2005 durchgehenden Arbeitsverhältnis ausgeht und die vom ursprünglichen Arbeitgeber bereits bezahlte Abfertigung in Abzug bringt. Die Klägerin vertritt den Standpunkt, dass zwei getrennte Dienstverhältnisse vorlägen und sie daher aus dem neuen, mit der Beklagten abgeschlossenen Dienstverhältnis Anspruch auf zwei Monatsgehälter an Abfertigung habe, ohne dass eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des früheren Dienstverhältnisses zu erfolgen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Klägerin als Arbeitnehmerin, zu deren Gunsten die Schutzbestimmung des § 3 AVRAG wirke, nicht gezwungen werden könne, die an sich unwirksame Kündigung nicht zu akzeptieren. Vielmehr müsse ihr das Recht zustehen, die Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Veräußerer zu akzeptieren und mit dem Übernehmer einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen. Demgegenüber könne sich die Beklagte, deren Geschäftsführer und Rechtsvorgänger gegen § 3 AVRAG verstoßen habe, nicht aus dem Grunde der für sie günstigeren Abfertigungsberechnung auf den Betriebsübergang berufen.
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin bejaht. Insoweit kann auf die zutreffende Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ASGG).
Rechtliche Beurteilung
Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Regelungen des AVRAG insoferne relativ zwingend, als nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers davon abgewichen werden kann. Hingegen kann der Arbeitnehmer auf den durch die Eintrittsautomatik bzw das Verbot einer nicht richtlinienkonformen Kündigung gewährleisteten Schutz verzichten und anstelle der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung Ansprüche aus der ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend machen (RIS-Justiz RS0111017). Ebenso wird einheitlich judiziert, dass der Arbeitnehmer sein Recht - dessen Geltendmachung ihm freisteht -, die Beendigungserklärung als unwirksam anzufechten, im Hinblick auf die synallagmatische Arbeitsrechtsbeziehung in angemessener Zeit geltend zu machen hat. Können doch sonst dem anderen Vertragspartner - dem Arbeitgeber -, der auf die Wirksamkeit der von ihm getroffenen Rechtsgestaltung (Kündigung) vertraut, Nachteile entstehen. Eine Verletzung der „Aufgriffsobliegenheit" des Arbeitnehmers führt zum Verlust seiner Ansprüche (RIS-Justiz RS0028233). Es wäre wertungswidersprüchlich wollte man demgegenüber dem Arbeitgeber gestatten, sich Jahre nachdem er (bzw sein Rechtsvorgänger) durch Abschluss eines verschlechternden Arbeitsvertrags die Wirkungen des Betriebsübergangs negiert hat, zu Lasten des Arbeitnehmers nun auf die Bestimmung des § 3 AVRAG zu berufen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E85574European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2007:009OBA00105.06S.1022.000Im RIS seit
21.11.2007Zuletzt aktualisiert am
01.12.2010