Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft KG in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. August 2007, Zl. Fr 471/07, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der damals siebenjährige Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, reiste im Jahre 1992 gemeinsam mit seinen Eltern und seinem 1983 geborenen Bruder nach Österreich ein; ihm wurden in der Folge zur Niederlassung berechtigende Aufenthaltstitel erteilt. Zuletzt verfügte er über einen am 21. Juni 2005 ausgestellten Niederlassungsnachweis. Auch seine Angehörigen besitzen zum langfristigen Aufenthalt in Österreich berechtigende Bewilligungen.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 6. August 2007 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren.
Die belangte Behörde stellte dazu fest, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. April 2004 wegen des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 und 4 zweiter Satz StGB, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und wegen des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden. Dem liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 25. Dezember 2003 mit einem Beteiligten zwei Mobiltelefone in der Kenntnis, dass diese von zwei anderen Personen durch einen Raub erlangt worden seien, einem Dritten verkauft habe. Am darauffolgenden Tag habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei Mittätern einem Dritten ein Mobiltelefon gestohlen. Außerdem sei der Beschwerdeführer am 26. Dezember 2003 im Besitz einer verbotenen Waffe (Schlagring) gewesen.
Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 9. August 2004 sei der Beschwerdeführer dann wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr (davon acht Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden. Dem Schuldspruch zufolge habe sich der Beschwerdeführer am 21. Juni 2004 ein ihm anvertrautes Paket mit 20 Mobiltelefonen im Wert von EUR 6.000,-- und zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt drei ihm auch anvertraute Pakete, die unter anderem ein ADSL-Modem und einen Telefonadapter beinhaltet hätten, zugeeignet.
Mit weiterem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Juni 2006 sei der Beschwerdeführer schließlich wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren verurteilt worden. Diesem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 12. März 2006 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei Mittätern einem Taxifahrer mit Gewalt gegen seine Person und unter Verwendung einer Waffe (Gaspistole) einen Geldbetrag von EUR 70,-- und ein Mobiltelefon mit Bereicherungsvorsatz weggenommen hätten. Dabei habe A. die Waffe gegen das Opfer gerichtet, während es der Beschwerdeführer und B. aus dem PKW gezerrt hätten. In der Folge hätten alle vier Täter auf das Opfer eingeschlagen und vereinbarungsgemäß versucht, es im Kofferraum seines Fahrzeuges einzusperren.
Einem Sozialversicherungsdatenauszug sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer seit September 2000 bis zu seiner Inhaftierung (abgesehen von einigen Monaten Arbeitslosigkeit) durchgehend einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Er habe im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seinem Bruder gelebt.
In der weiteren Begründung ging die belangte Behörde im Hinblick auf die erwähnten Verurteilungen des Beschwerdeführers erkennbar von der Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG aus und sie hielt die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme (Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder anderer im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter öffentlicher Interessen) für gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer sei dreimal wegen innerhalb von zwei Jahren begangener Straftaten gegen fremdes Vermögen gerichtlich verurteilt worden, wobei er die beiden letzten Straftaten jeweils während offener Probezeit unter raschem Rückfall begangen habe. Insbesondere habe die wegen Veruntreuung verhängte teilbedingte Freiheitsstrafe den Beschwerdeführer nicht davon abhalten können, einen sorgfältig geplanten Raub zu begehen. So habe der Beschwerdeführer nach einer Taxifahrerin "Ausschau" gehalten und sich "in Ermangelung einer solchen" für einen älteren männlichen Lenker entschieden, den der Beschwerdeführer (und seine Mittäter) auf einen entlegenen Parkplatz einer an diesem Tag geschlossenen Diskothek dirigiert hätten, um ihn dort auszurauben. Der Raub sei überdies unter Verwendung einer Waffe begangen worden, wobei auch beabsichtigt gewesen sei, das Opfer im Kofferraum seines Fahrzeuges einzusperren, was aber an dessen massiver Gegenwehr gescheitert sei. Für die belangte Behörde sei aus den drei Straftaten, insbesondere dem beschriebenen schweren Raub, ableitbar, dass vom Beschwerdeführer eine massive Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung derartiger Kriminalitätsformen ausgehe und angesichts des raschen Rückfalls trotz offener Probezeit eine große Wiederholungsgefahr bestehe. Von einem künftigen Wohlverhalten nach der Haftentlassung könne auch unter Bedachtnahme auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe dann eine Wohn- und Arbeitsmöglichkeit, nicht ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer auch zu den Zeitpunkten der Begehung der Straftaten im Familienverband gelebt habe und erwerbstätig gewesen sei. Im Übrigen "dürfte" auch die viermonatige Haft aufgrund der zweiten Verurteilung auf den Beschwerdeführer "nicht erzieherisch gewirkt" haben.
Die vom Beschwerdeführer beantragte Einholung eines aktuellen Berichtes der Justizanstalt Sonnberg und eines kriminalpsychologischen Gutachtens sei schon deshalb entbehrlich, weil ein Wohlverhalten des Beschwerdeführers in der Haft nichts an der negativen Zukunftsprognose ändern könne. Der begehrten Einvernahme der Eltern zum Vorhandensein einer Wohn- und Arbeitsmöglichkeit komme keine Relevanz zu, weil diese günstigen Rahmenbedingungen den Beschwerdeführer - wie erwähnt - auch bisher nicht von der Begehung von Straftaten hätten abhalten können.
Das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK, vor allem zum Schutz der Rechte und der Gesundheit anderer, dringend geboten. Die in § 61 FPG (iVm § 55 FPG) angeführten Tatbestände kämen angesichts der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren nicht zum Tragen. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer nicht im Sinne des § 61 Z 4 FPG "von klein auf im Inland aufgewachsen", weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon keine Personen erfasst seien, die im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist seien. Der erst kurz vor seinem achten Geburtstag eingereiste Beschwerdeführer habe sich vielmehr mit dem sozialen Gefüge in seinem Heimatland "in einem gewissen Maß" vertraut machen können; diese Zeit umfasse immerhin die gesamte Kindergartenzeit und die halbe Volksschulzeit, somit eine für das Kennenlernen der Sprache, Kultur und sonstigen Verhältnisse wichtige Lebensphase.
Mit dem Aufenthaltsverbot werde - so begründete die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG - ohne Zweifel in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Die Beziehungen zu seinen Eltern und zu seinem Bruder, die im Übrigen durch Besuche in Mazedonien aufrecht erhalten werden könnten, seien jedoch durch die Volljährigkeit relativiert. Das Gewicht der aus dem langjährigen Aufenthalt und der Erwerbstätigkeit ableitbaren Integration werde durch die Begehung der erwähnten gravierenden Straftaten, deren Schwere sich im Verlauf der Zeit sogar noch gesteigert habe, entscheidend gemindert. Außerdem habe der Beschwerdeführer in Mazedonien durch seine dort lebende Großmutter zumindest einen familiären Anknüpfungspunkt. Demnach könnten die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Davon ausgehend erachtete die belangte Behörde die Erlassung eines mit zehn Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes für zulässig und eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers nicht für gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn der Fremde von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die Beschwerde tritt den Feststellungen der belangten Behörde zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers nicht entgegen und bestreitet - zu Recht - nicht, dass demzufolge der erste, zweite und vierte Fall des genannten Tatbestandes verwirklicht worden sei.
Gegen die darauf gegründete Prognose im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG führt die Beschwerde ins Treffen, der Beschwerdeführer befinde sich erstmals in Haft und die nunmehr dort bereits verbrachte Zeit habe ihm das Unrecht seiner Taten und die deshalb drohende Folge einer "Ausweisung" klar vor Augen geführt, weshalb nach der Haftentlassung eine günstige Zukunftsprognose zu erstellen sei. Nach der Haft sei er auch wohnversorgt und werde wieder eine Arbeit aufnehmen.
Dem zuletzt genannten Argument hat aber bereits die belangte Behörde zutreffend entgegen gehalten, dass den Beschwerdeführer auch in der Vergangenheit weder seine familiäre noch berufliche Integration von der Begehung der beschriebenen Straftaten habe abhalten können. Es trifft auch nicht zu, dass sich der Beschwerdeführer erstmals in Haft befindet. Vielmehr war er aufgrund der zweiten Verurteilung einem viermonatigen Freiheitsentzug ausgesetzt, ohne dass das Verspüren des Haftübels - wie die belangte Behörde formulierte - "erzieherisch wirkte", zumal er ungeachtet der Haftverbüßung und ungeachtet der offenen Probezeit hinsichtlich des Strafrestes und der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe aus der ersten Verurteilung durch Begehung eines schweren Raubes im Zusammenwirken mit Mittätern neuerlich einschlägig und in massive Gewaltmomente aufweisender Art rückfällig wurde. Aufgrund dieses unbelehrbaren und an krimineller Energie zunehmend gesteigerten Verhaltens des Beschwerdeführers durfte die belangte Behörde aber zu Recht eine negative Gefährdungsprognose erstellen.
Die in diesem Zusammenhang in der Beschwerde auch geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor, weil die vom Beschwerdeführer beantragten Beweisaufnahmen von der belangten Behörde mit zutreffender Begründung - mangels Relevanz der Beweisthemen - für nicht erforderlich gehalten wurden. Weder ein Wohlverhalten während der Haft noch die Verbüßung einer Strafhaft an sich können die nur aus fremdenrechtlicher Sicht vorzunehmende Gefährdungsprognose entscheidend vermindern (vgl. etwa Punkt II.2.2. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisse vom 5. September 2006, Zl. 2006/18/0174, und daran anschließend das Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0504). Insbesondere wird aber auch in der Beschwerde nicht dargetan, welche konkreten, von der belangten Behörde nicht einbezogenen und für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Umstände die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers und die seiner Eltern sowie die Einholung eines kriminalpsychologischen Gutachtens erbracht hätten (vgl. dazu das Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 2001/21/0030, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 2000/21/0031).
In der Beschwerde wird darauf verwiesen, dass sich der mittlerweile 23-jährige Beschwerdeführer seit dem achten Lebensjahr gemeinsam mit seinen Angehörigen in Österreich aufhalte, den wesentlichen Teil seiner (Schul-)Ausbildung hier absolviert habe und sich aus dem sozialen Gefüge in seinem Heimatland gänzlich entfernt habe. Er entbehre dort jeglicher Mittel und es wäre unmöglich, eine Existenz zu gründen, zumal er seine gesamte Ausbildung in Österreich absolviert habe und hier aufgewachsen sei. Er könne "einem rechtmäßigen Erwerb in seinem Heimatland nicht nachgehen bzw. sind die Voraussetzungen hiefür nicht gegeben."
Dieser letzte, nicht weiter durch die Darstellung allfälliger (rechtlicher) Hindernisse konkretisierte Einwand ist in dieser Form nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ist den Beschwerdeausführungen nicht zu entnehmen, weshalb der Beschwerdeführer die in Österreich erworbene Ausbildung und Berufserfahrung nicht auch in seinem Heimatland verwerten könnte. Immerhin verfügt er mit seiner Großmutter auch über einen nahen Verwandten in Mazedonien, worauf auch die belangte Behörde schon hingewiesen hat. Mit der Anmerkung in der Beschwerde, zu dieser bestehe lediglich sporadischer Kontakt, wird nicht dargetan, dass dessen Intensivierung nicht möglich wäre. Im Übrigen wird auch nicht releviert, dass der Beschwerdeführer etwa nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügte, was bei einem fast achtjährigen Aufenthalt als Kind in Mazedonien auch nicht unterstellt werden kann.
Den sich aus der bisherigen Integration des Beschwerdeführers ergebenden privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich steht das massive öffentliche Interesse an der Unterbindung von strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen und die körperliche Integrität in der Art, wie sie vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit gesetzt wurden, entgegen. Der belangten Behörde, die ohnehin auf die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen ausreichend Bedacht genommen hat, kann somit nicht entgegen getreten werden, wenn sie trotzdem die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im besagten öffentlichen Interesse für zulässig erachtete. Der Verwaltungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken gegen die von der belangten Behörde im Grunde des § 66 (iVm § 60 Abs. 6) FPG vorgenommene Interessenabwägung.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 24. Oktober 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007210369.X00Im RIS seit
26.11.2007Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009