Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §1 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs, Herrengasse 23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Mai 2006, Zl. Fr-3114/04, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1985 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 11. März 2002 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Mai 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen; gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 leg. cit. zulässig sei. Eine dagegen erhobene Berufung ist nach der Aktenlage bislang noch nicht erledigt.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 2. Mai 2006 (der erstinstanzliche Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten stammt vom 23. September 2004) erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht St. Pölten vom 27. Mai 2004 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB (idF der Strafgesetznovelle 1989, BGBl. Nr. 242) zu einer (unter Anwendung des § 5 Z. 4 JGG) bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 13. Oktober 2002 in Linz eine Person mit Gewalt zur Duldung einer (näher beschriebenen) dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt habe.
Der Beschwerdeführer habe am 9. August 2003 die österreichische Staatsangehörige P. geehelicht. Am 20. Juli 2004 habe er einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreich, § 49 Abs. 1 FrG" eingebracht.
Auf Grund der Begehung eines besonders verwerflichen Verbrechens gegen die Sittlichkeit könne die Gefährlichkeitsprognose auch angesichts der erstmaligen Delinquenz getroffen werden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung, dass dadurch das Doppelverwertungsverbot verletzt werde, sei zu entgegnen, dass es sich bei einem Rückkehrverbot nicht um eine Strafe, sondern um eine fremdenpolizeiliche Maßnahme handle.
Die besondere Hartnäckigkeit und Energie, mit der die durch brutales Vorgehen gekennzeichnete Straftat trotz heftiger Gegenwehr des Opfers ausgeführt worden sei, lasse keine positive Zukunftsprognose zu. Es sei bekannt, dass die Begehung eines derartigen Deliktes beim Opfer, auch noch nach Jahren, schwere psychische Schäden hervorrufen könne. Daran ändere auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf sein nunmehr erfülltes Sexualleben nichts, weil auch dieses keine Garantie für ein künftiges Wohlverhalten darstelle. Vielmehr zeige das Fehlverhalten seine Gleichgültigkeit und die von ihm ausgehende massive Gefahr in Bezug auf die körperliche Integrität anderer sowie die mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten. Daraus folge, dass im Blick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Prognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation. Somit sei das Rückkehrverbot auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
Da die Ehefrau des Beschwerdeführers in Österreich lebe, bewirke die Entscheidung einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben. Jedoch habe er durch sein Fehlverhalten dokumentiert, nicht gewillt zu sein, die zum Schutz der Rechte und Freiheiten dritter Personen aufgestellten Normen zu beachten. Das Rückkehrverbot sei zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz "der Rechte und der Gesundheit Anderer" zulässig und dringend geboten. Auf Grund des Vorliegens des dargestellten Verbrechens könne trotz der vierjährigen Aufenthaltsdauer in Österreich nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer "besonders integriert" wäre. Die Integration setze nämlich auch ein gewisses Maß an Rechtstreue voraus. Den privaten Interessen des Beschwerdeführers stehe das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen entgegen, das höher zu gewichten sei als seine Privatinteressen. Im Übrigen stünde es seiner Ehefrau frei, im Fall der Bestätigung der erstinstanzlichen Asylentscheidung mit dem Beschwerdeführer in sein Heimatland zu ziehen.
Die Verhängung eines auf die Dauer von zehn Jahren erlassenen Rückkehrverbotes sei notwendig, "zumal ein positiver Gesinnungswandel (des Beschwerdeführers) wegen der durch (sein) Verhalten gezeigten äußerst negativen Einstellung zur
österreichischen Rechtsordnung ... nicht vor Ablauf von zehn
Jahren prognostiziert werden" könne.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass gegen den Beschwerdeführer, ungeachtet dessen, dass sein Asylverfahren auf Grund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 iVm § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997 weiter nach den Bestimmungen des letztgenannten Gesetzes idF vor der AsylG-Novelle 2003 zu führen ist, kein Aufenthaltsverbot, sondern nur ein Rückkehrverbot erlassen werden kann (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0164).
Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die - wie das vorliegende - bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Dementsprechend hat die belangte Behörde zutreffend im vorliegenden Fall die Bestimmungen des FPG angewendet, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer als Asylwerber für unzulässig angesehen und das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Rückkehrverbot geprüft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0033).
Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 5, 8 bis 10 und 12 bis 14 FPG.
Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn Letztere ihr (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0106).
Der im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche § 86 Abs. 1 FPG, der auch für die Erlassung eines Rückkehrverbotes entsprechend anzuwenden ist, lautet (auszugsweise) samt Überschrift:
"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen
§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig."
Bei der Beurteilung, ob die angeführten Voraussetzungen der zitierten Bestimmung gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0132, mwN). Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die dritte Alternative dieses Tatbestandes ist im gegenständlichen Fall ausgehend von der vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten strafgerichtlichen Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen einjährigen Freiheitsstrafe erfüllt. Die Beschwerde wendet sich allerdings gegen die (darauf gegründete) Ansicht der belangten Behörde, es sei die im § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass er seine als Jugendlicher begangene Straftat bereue, gereift sei, sein Sexualleben nach der Eheschließung erfüllt sei und er sich seither wohlverhalten habe. Darüber hinaus gehe er einer geregelten Beschäftigung nach. Die Einschätzung der belangten Behörde betreffend seine besondere Gefährlichkeit sei daher unzutreffend.
Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht die Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat, doch ist bei der Prüfung am Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer lediglich eine schon im Oktober 2002 begangene Jugendstraftat zur Last liegt, die zur Verhängung einer - zur Gänze bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe geführt hat. Danach hat er sich durch dreieinhalb Jahre wohlverhalten, eine österreichische Staatsangehörige geheiratet, mit der er zusammenlebt, und ist beruflich sowie sozial integriert. Zumal § 86 Abs. 1 Satz 3 und 4 FPG ausdrücklich anordnen, dass strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthalts- oder Rückkehrverbot begründen können, und dass vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig seien, besteht kein genügender Anlass mehr für eine negative Prognosebeurteilung in dem Sinn, dass das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers nach wie vor die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde.
Da dies die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides unberücksichtigt gelassen hat, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. Oktober 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210155.X00Im RIS seit
29.11.2007Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011