TE Vwgh Erkenntnis 2007/10/24 2004/21/0203

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Veröffentlicht am 24.10.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Rudolf Breuer, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Juni 2004, Zl. Fr 1632/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 8 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Folgender Sachverhalt ist unbestritten:

Der Beschwerdeführer reiste am 3. Mai 2001 illegal ein und stellte einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. März 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 mit einem (negativen) Ausspruch nach § 8 leg. cit. abgewiesen. Das Berufungsverfahren ist (bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des nun mit Beschwerde bekämpften Bescheides) anhängig. Dem Beschwerdeführer wurde ab 16. Mai 2003 Sozialhilfe gewährt.

Am 27. Februar 2004 führten Organe des Zollamtes Wiener Neustadt, Team KIAB, in einem näher bezeichneten Lokal eine Kontrolle durch, bei der der Beschwerdeführer hinter der Theke beim Addieren von Beträgen angetroffen wurde. Bei dieser Amtshandlung wurde Iman P. vernommen, welcher (auszugsweise) folgende niederschriftliche Angaben tätigte:

"(Der Beschwerdeführer) war mit dem Kontrollieren des heutigen Umsatzes beschäftigt. Ich habe ihn gebeten, den heutigen Umsatz zusammenzurechnen. Er kommt zwar jeden Tag, hat mir aber nur heute geholfen, weil ich zum Friseur musste. Er bekommt kein Geld, jedoch darf er hier im Lokal etwas trinken. (Den Beschwerdeführer) kenne ich über seinen Onkel, dessen Schulfreund ich war."

Mit Bescheid vom 8. April 2004 erließ die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt gegen den Beschwerdeführer ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass er sich sehr oft im genannten Lokal aufhalte, weil es sich um einen typischen Treffpunkt türkischer Staatsangehöriger handle. Er könne auch weitere Personen nennen, die bezeugen können, dass er sich dort häufig aufhalte, dort keiner Beschäftigung nachgehe, sondern sich mit Freunden treffe und dass er auf Grund dieser häufigen Anwesenheit mit dem Lokalbesitzer befreundet sei. Damit werde auch plausibel, warum er diesem bei der Abrechnung geholfen habe. Es ergehe der Beweisantrag, bestimmte (mit Namen und Anschrift bekannt gegebene) Zeugen zu befragen.

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde die Erlassung des Aufenthaltsverbotes und begründete dies im Wesentlichen damit, dass sie es als erwiesen annehme, dass der Beschwerdeführer einer Beschäftigung (Kontrollieren des Tagesumsatzes) ohne erforderliche arbeitsmarktrechtliche Bewilligung nachgegangen sei. Diese Annahme stütze sich auf die Sachverhaltsdarstellungen der Beamten des Zollamtes Wiener Neustadt in der Anzeige vom 5. März 2004 und auf die niederschriftlichen Angaben des Iman P. vom 27. Februar 2004. Der Behauptung des Beschwerdeführers, für Iman P. eine unentgeltliche Tätigkeit verrichtet zu haben, werde entgegengehalten, dass er für seine Tätigkeit entgeltwerte Gegenleistungen in Form einer kostenlosen Bereitstellung einer Verpflegung bezogen habe. Die Arbeit sei ihm von Iman P. in Auftrag gegeben worden, woraus folge, dass er in dieser Zeit in der Firma eingebunden und von seinem Arbeitgeber persönlich und wirtschaftlich abhängig gewesen sei. Somit sei die Tätigkeit als Verwendung in einem Arbeitsverhältnis zu qualifizieren. Als bloße Gefälligkeitsdienste würden kurzfristige, freiwillige und unentgeltliche Dienste anerkannt, die vom Leistenden auf Grund spezifischer Bindungen zwischen ihm und dem Leistungsberechtigten erbracht würden. Bedenken seien aber dann angebracht, wenn die Tätigkeit in einem Gewerbebetrieb erfolge, wobei für einen Gefälligkeitsdienst noch die Freiwilligkeit der Arbeitsleistung wesentlich sei. Vom Fehlen einer solchen Freiwilligkeit sei beim Beschwerdeführer aber jedenfalls auszugehen, "da Sie ja quasi einen anderen Beschäftigten im Lokal vertreten" hätten. Dass "eindeutig eine Beschäftigung entgegen den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes vorliegt", ergebe sich aus dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt gegen Iman P. "Die von Ihnen beantragte Einvernahme der angeführten Zeugen war auf Grund des nach Ansicht der erkennenden Behörde ausreichend geklärten Sachverhaltes nicht notwendig."

Gestützt auf diese Ausführungen bejahte die belangte Behörde in der Folge die Prognose nach § 36 Abs. 1 FrG und erachtete das Aufenthaltsverbot als dringend geboten nach § 37 Abs. 1 FrG. Zur Interessenabwägung nach § 37 Abs. 2 FrG führte sie aus, dass der Beschwerdeführer mit seinem Bruder in einem gemeinsamen Haushalt lebe, weil er nach Einbringung des Asylantrages nicht in Bundesbetreuung aufgenommen worden sei. Sein dreijähriger Aufenthalt im Bundesgebiet werde für eine Integration nicht besonders gewichtet. Somit sei mit dem Aufenthaltsverbot nur ein geringer Eingriff in sein Privatleben verbunden und es stehe weder § 37 FrG noch das der Behörde nach § 36 Abs. 1 FrG eingeräumte Ermessen dem Aufenthaltsverbot entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).

Gemäß § 36 Abs. 2 Z 8 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG zu gelten, wenn der Fremde von einem Organ der Zollbehörde, der regionalen Geschäftsstellen oder der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen. Ein bloßer Gefälligkeitsdienst fällt nicht unter die bewilligungspflichtige Beschäftigung im Sinn des AuslBG. Als Gefälligkeitsdienste können aber nur kurzfristige, freiwillige und unentgeltliche Dienste anerkannt werden, die vom Leistenden auf Grund spezifischer Bindungen zwischen ihm und dem Leistungsberechtigten erbracht werden. Der Übergang von einem Gefälligkeitsdienst zu einer kurzfristigen Beschäftigung im Sinn des AuslBG ist fließend. Es ist eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, um einen Gefälligkeitsdienst annehmen zu können (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0009, und vom 30. August 2007, Zl. 2004/21/0091).

Der Beschwerdeführer weist zu Recht auf der belangten Behörde unterlaufene Verfahrensmängel hin. Zum einen verneinte die belangte Behörde die für die Annahme eines (bloßen) Gefälligkeitsdienstes geforderte Freiwilligkeit der Tätigkeit mit der für sich unschlüssigen Begründung, vom Vorliegen einer solchen Verpflichtung sei jedenfalls auszugehen, weil der Beschwerdeführer einen anderen Beschäftigten im Lokal "vertreten" habe; dieser Annahme einer "Vertretung" liegt aber die zitierte Aussage zu Grunde, dass der Beschwerdeführer "geholfen" habe, weil Iman P. zum Frisör habe gehen müssen. Dieser Aussage lässt sich entgegen der Auffassung der belangten Behörde auch nicht ein "Auftrag" im Sinn einer weisungsgebundenen Tätigkeit entnehmen. Zum anderen hat der Beschwerdeführer - wie zitiert - in der Berufung vorgebracht, dass er sich in dem genannten Lokal, einem Treffpunkt türkischer Staatsangehöriger, häufig aufhalte, dort keiner Beschäftigung nachgehe und auf Grund dieser häufigen Anwesenheit mit dem Lokalbesitzer befreundet sei, weshalb er diesem bei der Abrechnung geholfen habe. Dieser behauptete Sachverhalt könnte rechtlich als Gefälligkeitsdienst gewertet werden, weshalb die belangte Behörde durch die Unterlassung der Vernehmung der beantragten Zeugen mit der Begründung, der Sachverhalt sei ausreichend geklärt, den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet hat.

Entgegen ihrer Ansicht bestand im vorliegenden Aufenthaltsverbotsverfahren keine Bindung an die rechtskräftige Bestrafung des Iman P. (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis Zl. 2004/21/0091), weshalb auch diese Bescheidbegründung am vorgeworfenen Verfahrensmangel nichts ändert.

Somit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Oktober 2007

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2004210203.X00

Im RIS seit

26.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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