TE Vwgh Erkenntnis 2007/11/8 2006/19/0341

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Veröffentlicht am 08.11.2007
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde der CM, geboren am 9. Dezember 1982, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Oktober 2004, Zl. 227.907/0-VIII/22/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine georgische Staatsangehörige, gelangte am 4. November 2001 gemeinsam mit ihrem Sohn nach Österreich. Sie stellte am 19. März 2002 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. April 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Georgien zulässig sei.

Die gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 7 AsylG ab. Mit den Spruchpunkten II. und III. erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Georgien gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG für nicht zulässig und erteilte ihr gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Nach ausführlicher Wiedergabe der Aktenlage stellte die belangte Behörde "zur Person der Berufungswerberin" folgenden - in den wesentlichen Punkten weitgehend dem Vorbringen der Beschwerdeführerin entsprechenden - Sachverhalt fest:

"Die (Beschwerdeführerin) wurde am 09. Dezember 1982 in Tbilisi in Georgien geboren und gehört der jezidischen (kurdischen) Volksgruppe an. Sie erhielt die georgische Staatsangehörigkeit und wurde ihr diese nicht formell entzogen. Ihr Vater war Gepäckträger am Bahnhof. Das Einkommen reichte gerade, um die Familie zu ernähren. Ihre Mutter war nicht berufstätig. Nach der Pflichtschule besuchte sei einen Frisörkurs und heiratete bereits mit 16 Jahren am 01. Mai 1999.

Bereits einen Monat später reiste sie mit ihrem Ehemann in die Ukraine aus, wo sie sich bis Oktober 2001 aufhielt. Am 24. April 2001 wurde ihr älterer Sohn Slojan Robert geboren. In der Ukraine kam sie mit den Zeugen Jehovas in Berührung und wurde eine sogenannte 'ungetaufte Verkünderin'. Als sie nach Georgien zurückkehrte, wurde ihrem Schwiegervater gedroht, dass 'man den Enkelkindern etwa antun würde'. Sie selbst war jedoch in Georgien keinen persönlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt, weder vor ihrem Aufenthalt in der Ukraine, noch danach. Ihr Schwiegervater wurde in Georgien erpresst und bedroht.

Nach ca. einem Monat flog sie mit ihrem Ehemann, ihrem Schwiegervater und dem Kleinkind nach Österreich, wo sie am 04. November 2001 einlangte. Am 09. November 2001 stellte sie zunächst einen Asylerstreckungsantrag hinsichtlich ihres Ehegatten SA. Am 19. März 2002 stellte sie einen eigenen Asylantrag, nachdem ihr Ehemann zunächst abgängig war und nach einem (kurzen) Aufenthalt in der Schweiz und dem negativen Ausgang seines Asylverfahrens in Österreich nach Georgien zurückgeschoben wurde. Am 22. Oktober 2002 ist ihr jüngerer Sohn SG zur Welt gekommen.

Sie ist auch in Österreich aktive Anhängerin der Zeugen Jehovas, jedoch (zumindest bis Juli 2004) noch nicht getauft, sondern weiter 'ungetaufte Verkünderin'."

Danach traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage der Zeugen Jehovas in Georgien. Sie lauten wie folgt:

"In Georgien soll es etwa 14.000 Zeugen Jehovas geben. Die georgische Bevölkerung steht Sekten und neuen religiösen Gemeinschaften sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die Zeugen Jehovas werden vor allem deswegen angefeindet, weil sie sehr offen und mitunter aggressiv missionieren.

Seit 1999 ist es immer wieder zu progromartigen Überfällen durch extremistische Angehörige georgischer orthodoxer Kirchen auf Zeugen Jehovas gekommen, ohne dass die Täter zunächst zur Rechenschaft gezogen wurden. Die Zeugen Jehovas haben sich schon mehrmals an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wegen Verletzung der Religionsfreiheit in Georgien gewandt. Derartige extremistische Gruppen stehen im Zusammenhang mit dem exkommunizierten orthodoxen Priester Basil Mkalaschvili, deren Anhänger zwischen tausend und viertausend geschätzt werden, wobei auch viele ältere Frauen zu seinen Anhängern zählen. Mkalaschvili ist am 04. Juni 2003 zu drei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die georgische Bevölkerung verhält sich gegenüber Mkalaschvili weitgehend neutral. Von einer aktiven breiten Unterstützung in der Bevölkerung kann nicht gesprochen werden. In letzter Zeit, seit Anfang des Jahres 2003, ist es um ihn und seine Anhänger ruhiger geworden. Der georgische Staat ist - auch unter internationalem Druck - bestrebt, die Aktivitäten von Mkalaschvili und seinen Anhängern einzuschränken bzw. zu unterbinden.

Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Polizei den Zeugen Jehovas generell keinen Schutz gewährt. Insgesamt sind religiös motivierte Gewalttaten seit dem Jahre 2003 zurückgegangen."

Hinsichtlich der Situation der yezidischen/kurdischen Minderheit in Georgien traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

"Die in Georgien lebenden Jeziden sind größtenteils in den Jahren 1915 bis 1918 aus der Türkei gekommen, zumeist über die Zwischenstation Armenien. Grund für die Ausreise war die Forderung der Türkei, dass alle Bewohner zum Islam konvertieren sollten, was die Jeziden strikt ablehnten. Einige Jeziden waren bereits während des russisch-osmanischen Krieges im 18. Jahrhundert in das damalige russische Zarengebiet gekommen, heute leben Jeziden noch in Georgien und Armenien, während in Aserbeidschan nur muslimische Kurden beheimatet sind.

Nach der letzten, noch zu Zeiten der Sowjetunion durchgeführten Volkszählung in Georgien im Jahre 1999 gab es 34.000 Jeziden und Kurden, deren Zahl sich jedoch durch Emigration vermindert haben dürfte. 99 % der Jeziden leben in Tiflis. Bis in die 70er-Jahre lebten die Jeziden in der Altstadt in der Gegend des Woronzof-Platzes in alten verfallenen Häusern. Ende der 60er Jahre begann der Bau der Trabantenstadt, in dem ehemaligen Dorf Gldani (auch Gldansky Massiv), wo viele Kurden und Jeziden neue Wohnungen erhielten. Während der Sowjetzeit befanden sich hier vielen Fabriken, die heute zerstört und verfallen sind, was eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hat.

Die Jeziden in Georgien werden auf Grund ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit nicht gezielt verfolgt. Es hat sich jedoch die Situation in Georgien für alle Bewohner verschlechtert und die Jeziden haben auch kein eigenes kulturelles und religiöses Zentrum erhalten und gibt es auch keine Gotteshäuser der Jeziden, sondern finden ihre religiösen Feierlichkeiten in den Privatwohnungen der Scheichs statt."

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde nach Darstellung der maßgeblichen Gesetzesstellen und dazu in der Judikatur entwickelter Rechtssätze aus, die Beschwerdeführerin bringe vor, in Georgien wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Yeziden, der Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas sowie letztlich wegen ihres Schwiegervaters verfolgt zu sein. Nach den vorliegenden unbedenklichen Quellen und der eigenen Aussage der Beschwerdeführerin sei eine gezielte staatliche Verfolgung von Yeziden/Kurden auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer Religion in Georgien nicht erfolgt. Auch liege keine Gruppenverfolgung vor.

Hinsichtlich der Situation der Anhänger der Zeugen Jehovas sei festzuhalten, dass es seit dem Jahre 1999 immer wieder zu pogromartigen Aktionen gegen diese in Georgien gekommen sei. In jüngster Zeit sei jedoch eine Beruhigung der Situation eingetreten. Der georgische Staat sei bemüht, vor allem durch strafrechtliche Verfolgung des exkommunizierten orthodoxen Priesters Basil Mkalaschvili und der so genannten Jvari-Gruppe zielführende Maßnahmen betreffend die Anführer gewalttätiger Aktionen gegen die Zeugen Jehovas zu setzen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr aller Anhänger der Zeugen Jehovas in Georgien nicht gegeben. Auch die Beschwerdeführerin führe lediglich indirekte - gegenüber ihrem Schwiegervater geäußerte - Drohungen an. Somit seien weder von staatlichen Autoritäten noch von Privaten direkte Verfolgungshandlungen gegen die Beschwerdeführerin in Georgien erfolgt.

Im Zusammenhang mit ihrer Entscheidung zu § 8 AsylG verwies die belangte Behörde auf die persönliche Situation der Beschwerdeführerin. Es handle sich dabei um eine allein stehende, für zwei Kleinkinder sorgepflichtige Frau yezidischer Volksgruppenzugehörigkeit ohne Berufsausbildung, die nur wenig georgisch spreche, bekennende Zeugin Jehovas sei und über keine Familienangehörigen verfüge, die sie finanziell unterstützen könnten. Wenn sich auch ihr Ehemann derzeit vermutlich in Georgien befinde, so gebe es doch gewichtige Indizien dafür, dass dieser an einer Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit der Beschwerdeführerin kein Interesse mehr habe. Auf Grund der finanziellen Situation ihrer Eltern habe die Beschwerdeführerin von diesen auch keine finanzielle Unterstützung zu erwarten. Der Beschwerdeführerin würde es bei einer Rückkehr nach Georgien an der erforderlichen Existenzgrundlage fehlen. Auf Grund der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage der Yeziden in Georgien und der besonderen bei der Beschwerdeführerin vorliegenden persönlichen Umstände sei daher ein Refoulementverbot auszusprechen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Gewährung von Refoulementschutz stützt die belangte Behörde auf den Mangel an der erforderlichen Existenzgrundlage bei einer Rückkehr nach Georgien. Sie begründet dies weiter mit der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage der Yeziden in Georgien und den bei der Beschwerdeführerin "vorliegenden persönlichen" Umständen. Diese persönlichen Umstände umfassen nach Ansicht der belangten Behörde bei der Beschwerdeführerin auch ihre yezidische Volksgruppenzugehörigkeit ohne Berufsausbildung und die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin "bekennende Zeugin Jehovas" ist.

Die belangte Behörde stellt fest, dass die Beschwerdeführerin in Georgien selbst "keinen persönlichen Verfolgungshandlungen" ausgesetzt gewesen sei. Auch würden Yeziden in Georgien auf Grund ihrer "Volks- und Religionszugehörigkeit" nicht gezielt verfolgt. Zur Lage der Zeugen Jehovas wird festgestellt, dass religiös motivierte Gewalttaten seit dem Jahre 2003 zurückgegangen seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Polizei den Zeugen Jehovas generell keinen Schutz gewähre. Dies veranlasst die belangte Behörde zur Annahme, die Beschwerdeführerin sei in Georgien nicht aktuell asylrelevant bedroht. Dabei übersieht die belangte Behörde, dass auch wirtschaftliche Benachteiligung einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, grundsätzlich asylrelevant sein kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 1997, Zl. 95/01/0529).

Die belangte Behörde sieht als Grund für die Gewährung von Refoulementschutz den Verlust der Existenzgrundlage an, der durch die persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin zu der sie auch die yezidische Volksgruppenzugehörigkeit und das Bekenntnis zu den Zeugen Jehovas zählt, bedingt ist. Damit ist jedoch ein Bezug zu einem Konventionsgrund nicht ausgeschlossen.

Die Ausführungen der belangten Behörde zur Gewährung von Refoulementschutz sind daher mit ihrer Annahme, die Beschwerdeführerin sei in ihrem Herkunftsstaat nicht aktuell asylrelevant bedroht, nicht in Einklang zu bringen.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 8. November 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190341.X00

Im RIS seit

12.12.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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