Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pulker als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung der Ingrid S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Korneuburg vom 24. Oktober 2007, GZ 711 Hv 1/07t-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde auf Unterbringung der Ingrid S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB erkannt, weil sie am 7. Jänner 2007 in Maria Gugging unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhenden Zustandes (§ 11 StGB), nämlich einer paranoiden Schizophrenie, Maria St***** durch Versetzen von zahlreichen Stichen mit einem Fixiermesser mit einer Klingenlänge von 7 cm gegen den Halsbereich, wodurch diese mehr als ein halbes Dutzend Stich- und Schnittwunden in der Hals- und Schlüsselbeinregion mit Eröffnung des Schlagaderastes sowie eine Schnittwunde am linken Handgelenk erlitt, vorsätzlich zu töten versuchte und dadurch eine Tat beging, die ihr außerhalb dieses Zustands als das Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zugerechnet würde.
Zum Zeitpunkt der Tat war die Betroffene bereits aufgrund des Urteiles des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Mai 1999, GZ 8a Hv 1233/99-70, in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB untergebracht.
Rechtliche Beurteilung
Die aus Z 13 des § 345 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen verfehlt ihr Ziel.
Die Beschwerde bringt unter Bezugnahme auf den Gesetzestext („..., dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.") vor, das Geschworenengericht habe seine Strafbefugnis überschritten, weil es anlässlich der im § 21 Abs 1 StGB vorgesehenen Gefährlichkeitsprognose die Erforderlichkeit der Unterbringung an einer „Belassung auf freiem Fuß", und nicht an der „Alternativprognose eines funktionierenden Maßnahmenvollzuges" gemessen habe.
Diesem Vorbringen zuwider stellt das Wort „sonst" in § 21 Abs 1 letzter Halbsatz StGB aber nicht auf den Vergleich von Behandlungsmöglichkeiten, somit auf die (medizinische) Erforderlichkeit einer Maßnahme ab, sondern abstrakt auf deren gesetzliche Rechtfertigung, also auf eine normativ verstandene Gefährlichkeit, wie sie sich nach den gesetzlich abgegrenzten Erkenntnisquellen darstellt (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 21-25 Rz 7).Diesem Vorbringen zuwider stellt das Wort „sonst" in § 21 Abs 1 letzter Halbsatz StGB aber nicht auf den Vergleich von Behandlungsmöglichkeiten, somit auf die (medizinische) Erforderlichkeit einer Maßnahme ab, sondern abstrakt auf deren gesetzliche Rechtfertigung, also auf eine normativ verstandene Gefährlichkeit, wie sie sich nach den gesetzlich abgegrenzten Erkenntnisquellen darstellt vergleiche Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 21-25 Rz 7).
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist die Anordnung einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme nach den §§ 21 bis 23 StGB bei Zutreffen der entsprechenden Gefährlichkeitsprognose sowie der übrigen materiellen Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben (arg: „..., so hat ihn das Gericht ... einzuweisen"). Daraus folgt, dass in allen Fällen, in welchen die gesetzlich normierten Einweisungsvoraussetzungen erfüllt sind, die in concreto in Betracht kommende vorbeugende Maßnahme nach §§ 21 bis 23 StGB angeordnet werden muss, ohne dass es darauf ankäme, ob eine gleichartige Maßnahme an der Betroffenen bereits vollzogen wird oder nicht, ebensowenig wie es eine Rolle spielen kann, ob die Anlasstat während des Maßnahmenvollzuges oder außerhalb dieses begangen wurde (SSt 57/71). Für eine Differenzierung danach, ob die besondere Gefährlichkeit „im Rahmen eines gesetzeskonformen Maßnahmenvollzugs" zu verneinen (gewesen) wäre, bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Die von der Beschwerde penibel aufgelisteten „Sorgfaltswidrigkeiten der Verantwortlichen des Maßnahmenvollzugs" vermögen daher keine andere Einschätzung der Sachlage herbeizuführen.
Soweit die Rüge schließlich vorbringt, das Gesamtbild stütze den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad für die akute Befürchtung der Begehung einer strafbaren Tat mit schweren Folgen nicht, bringt sie inhaltlich lediglich einen Berufungsgrund vor (RIS-Justiz RS0113980).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 Z 2 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO).
Textnummer
E86884European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0150OS00159.07G.0218.000Im RIS seit
19.03.2008Zuletzt aktualisiert am
24.03.2011