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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des S, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den am 8. März 2004 verkündeten und am 3. Juni 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 213.754/0-VII/20/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 27. März 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 29. März 1999 einen Asylantrag. Bei seiner Erstbefragung gab er an, Moslem zu sein und aufgrund seiner Religion verfolgt zu werden. Bei seinen drei weiteren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt nannte er ausschließlich politische Gründe als Fluchtursache, indem er vorbrachte als Sympathisant der "Nehzat-e Melli"- Partei, die für die Rückkehr des Schah eintrete, im Osten Teherans Flugblätter verteilt zu haben, dabei Ende August 1998 von Beamten des Nachrichtendienstes betreten und anschließend verfolgt worden zu sein.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Die belangte Behörde führte am 11. Oktober 2002, 22. Jänner 2004 sowie 8. März 2004 eine Berufungsverhandlung durch, wobei der Beschwerdeführer die in erster Instanz (zuletzt) vorgebrachten Fluchtgründe wiederholte und überdies beim ersten Verhandlungstermin als Nachfluchtgrund geltend machte, er sei vor zweieinhalb Jahren vom moslemischen Glauben zum evangelischen Christentum übergetreten und in Österreich mittlerweile getauft worden, woraus religiöse Probleme bei seiner Rückkehr in den Iran resultieren könnten. Beim folgenden Verhandlungstermin gab der als Zeuge einvernommene Pfarrer Mag. Chang, der den Beschwerdeführer im Jahr 2000 getauft hatte, in Bezug auf die mehrmonatige Taufvorbereitung des Beschwerdeführers an, dass er "als Pfarrer nicht einfach so taufe", sondern zuvor "ganz genau ermittle, ob er wirklich einen Glauben hat oder nicht", und führte zu den religiösen Aktivitäten des Beschwerdeführers aus, dass dieser auch nach der Taufe "ohne Unterlass immer an Gottesdiensten" und öfter an Bibelstunden teilgenommen habe, wobei er "sehr aktiv war". Die Schwächen des Beschwerdeführers bei der Beantwortung einfacher Fragen zur Bibel erklärte der Zeuge damit, dass dieser einen diesbezüglichen Unterricht nicht schon seit der Kindheit erhalten und nach seiner Unterbringung im Flüchtlingsheim St. Johann im Pongau "keine richtige Gemeinde gefunden habe, wo er Gläubigen begegnete", und deswegen "im Glaubensweg die Bibelkenntnisse nicht weiter entwickeln habe können". Der beim Verhandlungstermin am 8. März 2004 als Zeuge einvernommene Pfarrer Spiegl, der den Beschwerdeführer als evangelischen Gasthörer im Zuge des Religionsunterrichtes am Gymnasium St. Johann im Pongau kennengelernt hatte, bezeichnete diesen als "wirklich interessierten Schüler", der "ein sehr gutes Gefühl für die Gefahren von autoritär missbrauchter Religion hat". Zum Vorhalt des mangelnden Grundwissens des Beschwerdeführers zum Christentum erklärte dieser Zeuge, dass im Religionsunterricht und den Gesprächen mit dem Beschwerdeführer "das Christentum zunächst einmal als Gefühlsangelegenheit" vermittelt worden sei und der Beschwerdeführer "des Deutschen sehr unsicher war".
In weiterer Folge gab der Beschwerdeführer bei jenem Verhandlungstermin auch an, im Iran seinen verpflichtenden Militärdienst nicht abgeleistet zu haben. Laut Verhandlungsschrift wurde am Ende der Berufungsverhandlung am 8. März 2004 "das Länderdokumentationsmaterial" verlesen, in der Folge das Beweisverfahren geschlossen und der nunmehr angefochtene Bescheid verkündet.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie erachtete - aus näher dargestellten Gründen - das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Verfolgung wegen seiner politischen Betätigung für nicht glaubwürdig und traf insoweit (wie auch zur Existenz der von ihm genannten Partei im Iran) negative Feststellungen. Weiters stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer in Österreich zum Schein vom Islam zum Christentum konvertiert sei, er habe seine Meldepflicht für die iranische Armee verletzt und sei dreimal vorbestraft (wozu drei Verurteilungen in Österreich wegen Körperverletzungs-, Diebstahls- bzw. Drogendelikten - zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten - angeführt werden). Den iranischen Behörden seien keinerlei Daten über die Verurteilungen des Beschwerdeführers bekannt gegeben worden und würden auch im Zuge einer Abschiebung nicht bekannt gegeben werden.
Darüber hinaus stellte die belangte Behörde zur "Situation im Iran" fest, dass aus der Sicht der iranischen Machthaber ein Glaubensübertritt vom Islam zum Christentum nicht möglich sei. Ein im Ausland vollzogener Glaubenswechsel werde prinzipiell als "technische", auf die Asylanerkennung ausgerichtete Handlung angesehen, sofern nicht ein wirklicher Glaubenswechsel vorliege, sodass der Betreffende, wenn er in sein Heimatland zurückgeschickt werde, nicht Gefahr laufe, ernsthaft beeinträchtigt zu werden. Die im Iran weit verbreitete Praxis der "Taqieh", nach der die Täuschung zur Erreichung eines Zwecks erlaubt sei, zeige sich sehr großzügig gegenüber einer Täuschung, um zum Beispiel in einem westlichen Land Asyl zu bekommen. Iranische Staatsangehörige, die also bloß zum Schein vom Islam zu einer anderen Religion konvertieren würden, hätten mit keinen Problemen im Falle ihrer Rückkehr zu rechnen.
Weiters wurde unter anderem festgestellt, dass in Ausnahmefällen Fahnenflüchtige zu sechs Monaten Gefängnis und/oder einer Körperstrafe verurteilt werden. Zusätzlich zu der Haftstrafe müsse ein Wehrpflichtiger außerdem mit einer Verlängerung des Wehrdienstes rechnen. Im Übrigen entsprächen die Haftbedingungen im Iran zwar nicht westlichen Standards, seien aber nicht menschenrechtswidrig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Soweit die Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde in Bezug auf den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgrund der Betätigung für die "Nehzat-e Melli"-Partei bekämpft, ist sie nicht erfolgreich. Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, eine nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes relevante Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufzuzeigen.
2. Hingegen bemängelt die Beschwerde hinsichtlich des geltend gemachten Nachfluchtgrundes zu Recht die Beweiswürdigung zur Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei in Österreich nur zum Schein vom Islam zum Christentum konvertiert, und kritisiert im Ergebnis zutreffend die Einschätzung, die vom Beschwerdeführer vollzogene Taufe würde auch von den iranischen Behörden als Scheinkonversion betrachtet werden und führe daher nicht zu asylrelevanter Verfolgungsgefahr.
Der belangten Behörde ist einzuräumen, dass der von ihr herangezogene Gesichtspunkt eines mangelnden Grundwissens zum christlichen Glauben tatsächlich für das Vorliegen einer sogenannten "Scheinkonversion" sprechen kann. Angesichts der oben wiedergegebenen Zeugenaussagen der beiden Pfarrer in der mündlichen Berufungsverhandlung lässt sich damit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes aber noch nicht schlüssig begründen, dass das im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehende Engagement des Beschwerdeführers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden sei und er dieses nach einer Rückkehr in seine Heimat nicht mehr an den Tag legen würde. Für eine solche Einschätzung vermochte auch der Hinweis auf die vom Beschwerdeführer in Österreich begangenen Delikte nichts beizutragen. Um zu einer schlüssigen Gesamtbeurteilung zu kommen, hätte es vielmehr einer näheren Befragung des Beschwerdeführers zu seinen religiösen Aktivitäten und einer konkreteren Auseinandersetzung mit den Angaben der dazu einvernommenen Zeugen bedurft, von denen der Beschwerdeführer als "wirklich interessierter Schüler", der "ein sehr gutes Gefühl für die Gefahren von autoritär missbrauchter Religion hat", bezeichnet wurde, sowie als jemand, der auch nach der Taufe "ohne Unterlass immer an Gottesdiensten" und öfter an Bibelstunden teilgenommen habe, wobei er "sehr aktiv war".
Weiters ist zu bemängeln, dass sich die belangte Behörde zur Stützung der Feststellungen über die Folgenlosigkeit einer bloß zum Zwecke der Asylerlangung vorgenommenen Konversion lediglich ganz allgemein auf näher angeführte Länderberichte stützte, ohne die konkreten Stellen in den umfangreichen Konvoluten näher zu bezeichnen oder deren Inhalt wiederzugeben. Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, das "angeführte Länderdokumentationsmaterial" weise in Bezug auf die "gegenständlich entscheidende Frage der Konvertierung" keine Widersprüche auf, ist an Hand der vorliegenden Bescheidbegründung nicht überprüfbar. Überdies erfolgte auch der diesbezügliche Vorhalt gegenüber dem Beschwerdeführer in der mündlichen Berufungsverhandlung am 8. März 2004 nur ganz allgemein unter Hinweis auf das "Länderdokumentationsmaterial" und ohne Protokollierung einer diesbezüglichen Erklärung des Beschwerdeführers (vgl. das Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0531; siehe allgemein zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Verfolgungsgefahr im Iran wegen Glaubenswechsels auch die Nachweise in diesem Erkenntnis und im Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2003/20/0544).
3. Jede Begründung bleibt die belangte Behörde aber vor allem auch dafür schuldig, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass auch die iranischen Behörden den Glaubenswechsel des Beschwerdeführers als bloße "Scheinkonversion" ansehen würden. Davon, dass die iranischen Behörden vom Glaubenswechsel des Beschwerdeführers und seinem christlichen Engagement bei einer Rückkehr in den Iran keine Kenntnis erlangen werden, ist die belangte Behörde aber nicht ausgegangen.
4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Falle der Verneinung einer "Scheinkonversion" auch zu berücksichtigen wäre, ob der Beschwerdeführer wegen seiner religiösen Einstellung im Zusammenhang mit der Nichtableistung des Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer asylrelevanten Verfolgung im Iran zu rechnen hätte.
5. Der angefochtene Bescheid leidet somit an Begründungsmängeln und war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 14. November 2007
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2004200215.X00Im RIS seit
05.12.2007Zuletzt aktualisiert am
28.10.2008