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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Ausreichend präzise Festlegung der Behördenzuständigkeit im Sinne des Legalitätsprinzips und des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Regelung über die Führung des Vorsitzes und der Kanzleigeschäfte der paritätischen Schiedskommission im ASVG und in der Schiedskommissionsverordnung; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Zurückweisung einer zu Unrecht an die Oö Gebietskrankenkasse adressierten und von dieser erst nach Ablauf der Berufungsfrist an die Ärztekammer weitergeleiteten Berufung als verspätetSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Die Parteien des Einzelvertrags können an diese Behörde Anträge stellen (§344 Abs1 ASVG). Gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die - dauerhaft errichtete (§345 Abs1 ASVG) - Landesberufungskommission des betreffenden Landes erhoben werden (§344 Abs4 ASVG).
Nach §347 Abs6 dritter Satz ASVG werden die Kanzleigeschäfte der paritätischen Schiedskommission kalenderjährlich abwechselnd von der Ärztekammer und der Gebietskrankenkasse jenes Landes geführt, in dem die betreffende Kommission im Einzelfall einzurichten ist.
Die §§4 und 5 der - auf §347 Abs4 ASVG gestützten - Schiedskommissionsverordnung des (damaligen) Bundesministers für Arbeit und Soziales (SchKV, BGBl. Nr. 128/1991) lauten auszugsweise wie folgt:
"Vorsitz
§4. (1) Den Vorsitz in der paritätischen Schiedskommission hat in Jahren mit gerader Jahreszahl ein Beisitzer der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretung, in den anderen Jahren ein Beisitzer des in Betracht kommenden Versicherungsträgers zu führen. Dies gilt auch für Verfahren, die vor einem Jahreswechsel anhängig geworden sind.
(2) ...
Führung der Kanzleigeschäfte
§5. (1) Die Kanzleigeschäfte der paritätischen Schiedskommission sind in sinngemäßer Anwendung des §4 Abs1 kalenderjährlich abwechselnd von der örtlich in Betracht kommenden Ärztekammer und der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse zu führen.
(2)-(4) ..."
II. 1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin in Oberösterreich.
2. Mit Schriftsatz vom 2. November 2001 begehrte der Beschwerdeführer, die paritätische Schiedskommission für Oberösterreich möge feststellen, daß die Bestimmung der Honorarordnung Pkt. G.2.b., wonach die Vertragsärzte der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse ein Pflichtkonto bei der OÖ Landesbank AG zu führen haben, auf das sämtliche Honorarzahlungen zu überweisen sind, dem Beschwerdeführer gegenüber rechtsunwirksam sei.
3. Mit Bescheid der paritätischen Schiedskommission für Oberösterreich vom 29. April 2002 wurde dieses Begehren als unzulässig zurückgewiesen. Der Kopf dieses Bescheides bezeichnet die bescheiderlassende Behörde wie folgt:
"Paritätische Schiedskommission für OÖ
Ärztekammer für OÖ als derzeitige Geschäftsstelle
Dinghoferstraße 4, 4010 Linz"
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer - zu Handen seines Rechtsvertreters - am 3. Juli 2002 zugestellt.
4. Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2002 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung an die Landesberufungskommission für Oberösterreich. Dieser Schriftsatz war an die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse adressiert, wo er am 17. Juli 2002 eingelangt ist. Am 18. Juli 2002 wurde die Berufung an die Ärztekammer für Oberösterreich - als (damalige) Geschäftsstelle der Landesberufungskommission für Oberösterreich - weitergeleitet.
5. Die Landesberufungskommission für Oberösterreich wies die Berufung mit Bescheid vom 24. September 2002 als verspätet zurück. Begründend wird dazu im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Berufung an die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse adressiert, obwohl aus dem Bescheid der paritätischen Schiedskommission "eindeutig erkennbar ist, dass die derzeitige
Geschäftsstelle der Paritätischen Schiedskommission ... die Ärztekammer f. OÖ ... und nicht die OÖ Gebietskrankenkasse ist". Da
die OÖ Gebietskrankenkasse die Berufung erst nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist an die Ärztekammer für Oberösterreich weitergeleitet habe, sei die Berufung als verspätet eingebracht anzusehen und damit unzulässig.
6. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, worin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 Abs1 B-VG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§347 Abs6 ASVG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
7. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt sowie eine Gegenschrift erstattet, worin die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides verteidigt wird.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Zu den Bedenken gegen §347 Abs6 ASVG:
1.1. Nach Art83 Abs2 B-VG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Diese Verfassungsnorm bindet nicht nur die Vollziehung, sondern auch die Gesetzgebung. Das bedeutet, daß die sachliche Zuständigkeit einer Behörde - wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat (VfSlg. 2909/1955, 3156/1957, 6675/1972) - im Gesetz selbst festgelegt sein muß. Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG verpflichtet den Gesetzgeber zu einer - strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden - präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (vgl. auch VfSlg. 3994/1961, 5698/1968, 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994).
1.2. Nach §347 Abs6 ASVG sind die Kanzleigeschäfte der paritätischen Schiedskommission kalenderjährlich abwechselnd von der Ärztekammer sowie von der Gebietskrankenkasse des betreffenden Landes zu führen. Wie sich aus §5 Abs1 iVm §4 Abs1 SchKV ergibt, werden die Kanzleigeschäfte in Jahren mit gerader Jahreszahl von der Ärztekammer geführt, in Jahren mit ungerader Jahreszahl von der Gebietskrankenkasse.
Welche Stelle als Geschäftsstelle der paritätischen Schiedskommission gilt, kann dem Gesetz sowie der SchKV sohin mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden. Diese Vorschriften begegnen somit keinen Bedenken aus dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgebots.
Die Beschwerde übersieht überdies, daß §347 Abs6 ASVG und die hiezu ergangenen Bestimmungen der SchKV keineswegs die Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission (oder der Landesberufungskommission) regeln, sondern bloß die zuständige Geschäftsstelle dieser Behörden festlegen. Es ist somit ausgeschlossen, diese Bestimmungen an Art83 Abs2 B-VG zu messen.
1.3. Diese Vorschriften erwecken auch nicht etwa insofern verfassungsrechtliche Bedenken, als - wie die Beschwerde vertritt - durch den jährlichen Wechsel der Geschäftsstelle eine für den Bürger "unerträgliche Situation" geschaffen werde, weil während eines laufenden Verfahrens eine Änderung der Zuständigkeit eintreten und es so zu einer Fristversäumnis kommen könne. Es kann offenbleiben, ob eine Berufung auch dann als rechtzeitig erhoben gilt, wenn ein Bescheid der paritätischen Schiedskommission am Ende eines Kalenderjahres zugestellt wird, sich die Geschäftsstelle während der offenen Berufungsfrist ändert, das Rechtsmittel aber innerhalb der Berufungsfrist bei der im Kopf des angefochtenen Bescheides bezeichneten - bei Erlassung des Bescheides noch zuständigen - Stelle eingebracht wird. Ein solcher Fall liegt hier nämlich nicht vor: Der Bescheid der paritätischen Schiedskommission ist dem Beschwerdeführer am 3. Juli 2002 zugestellt worden, weshalb es während der Berufungsfrist zu keinem Wechsel der Geschäftsstelle gekommen ist.
2. Zu den behaupteten Vollzugsmängeln:
2.1. Das durch Art83 Abs2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992, 15.873/2000).
2.2. Davon kann hier aber nicht die Rede sein:
2.2.1. Nach §33 Abs3 AVG (§347 Abs4 ASVG) werden die Tage des Postenlaufes in die Berufungsfrist nicht eingerechnet. Wird jedoch ein Schriftstück mit der Post an eine unrichtige Stelle gesendet, so ist der Postenlauf in die Frist einzurechnen (vgl. VwSlg. 6999 A/1966). Nur wenn in einem solchen Fall das Schriftstück noch innerhalb der Frist von der unzuständigen an die zuständige Stelle weitergeleitet wird, sind die Tage dieses Postenlaufes nicht in die Frist einzurechnen. Wird somit ein Rechtsmittel bei der unzuständigen Behörde eingebracht, so ist die Frist nur gewahrt, wenn die unzuständige Behörde das Rechtsmittel zur Weiterleitung an die zuständige Stelle spätestens am letzten Tag der Frist zur Post gibt (vgl. VwSlg. 9563 A/1978) oder der zuständigen Stelle übergibt (s. auch VfSlg. 14.931/1997 mwN).
2.2.2. Im vorliegenden Fall ist die Berufungsfrist gegen den Bescheid der paritätischen Schiedskommission am 17. Juli 2002 abgelaufen. Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat die zu Unrecht an sie adressierte Berufung des Beschwerdeführers am 18. Juli 2002, somit nach Ablauf der Berufungsfrist, per Boten an die Ärztekammer für Oberösterreich weitergeleitet.
2.3. Die Beschwerde meint, es könne lediglich darauf ankommen, ob ein Schriftstück an die zuständige Behörde gerichtet sei; eine unrichtige Bezeichnung der Geschäftsstelle dieser Behörde sei dagegen unbeachtlich.
Dem ist nicht zuzustimmen: Die Tage des Postenlaufes werden nur dann nicht in die Frist eingerechnet, wenn das Schriftstück an die zuständige Behörde richtig adressiert ist, dh. mit der zutreffenden Anschrift dieser Behörde versehen ist. Etwas anderes könnte bloß gelten, wenn ein - an die zuständige Behörde gerichtetes - Schriftstück zwar bei einer unzuständigen Behörde eingebracht wird, beide Behörden aber über eine gemeinsame Einlaufstelle verfügen (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1994, Z94/02/0076). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor: §347 Abs6 ASVG bestimmt vielmehr, daß die paritätische Schiedskommission über zwei verschiedene - kalenderjährlich wechselnde - Geschäftsstellen verfügt.
2.4. Die belangte Behörde hat die Berufung somit zu Recht als verspätet zurückgewiesen.
3. Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Bei diesem Ergebnis ist es aber auch ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt wurde.
4. Es hat sich auch nicht ergeben, daß der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hätte. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
5. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).
Schlagworte
Behördenzuständigkeit, Determinierungsgebot, Sozialversicherung, Ärzte, Verwaltungsverfahren, Fristen, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B1638.2002Dokumentnummer
JFT_09969775_02B01638_00