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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der D in H, vertreten durch Dr. Martin Salcher und Mag. Richard Salzburger, Rechtsanwälte in 6330 Kufstein, Kreuzgasse 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 24. Mai 2007, Zl. uvs-2007/17/1111-1, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 19. April 2007 wurde die der Beschwerdeführerin am 6. November 2000 erteilte Lenkberechtigung für die Klasse B gemäß §§ 24 Abs. 1 Z 1 iVm 25 Abs. 2 des Führerscheingesetzes (FSG) und § 7 Abs. 1 FSG-GV "bis zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens" über ihre gesundheitliche Eignung entzogen. Unter einem wurde der Beschwerdeführerin für denselben Zeitraum gemäß § 32 Abs. 1 FSG das Lenken von Motorfahrrädern und vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen verboten und ihr gemäß § 30 Abs. 1 FSG das Recht aberkannt, von einer ausländischen Lenkberechtigung Gebrauch zu machen. Überdies wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung aberkannt.
In der Begründung stützte sich die Behörde auf das amtsärztliche Gutachten vom 12. April 2007, demzufolge der Beschwerdeführerin die gesundheitliche Eignung fehle, und zwar laut vorgelegtem fachärztlichen Gutachten allein schon wegen des klinischen Bildes im Rahmen der Untersuchung, weshalb eine zusätzliche Austestung "zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr erforderlich" sei. Das amtsärztliche Gutachten stützte sich seinerseits auf eine fachärztliche Stellungnahme Dris. F., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, vom 9. April 2007, deren als "Beurteilung" bezeichneter Teil wie folgt lautet (auszugsweise):
"Bei Frau (Beschwerdeführerin) liegt ein vordiagnostiziertes, seit langem bekanntes, depressives Syndrom mit Somatisierungsneigung vor, zusätzlich liegt eine spezifische Persönlichkeitsstörung mit zum Teil dysphorisch bis aggressiven Reaktionsmöglichkeiten, bei bestimmten Themen 'ausrasten' laut Angaben der Patientin, vor.
Zum Untersuchungszeitpunkt besteht eine objektivierbare Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Aufgrund dessen sollte eine spezifische verkehrspsychologische Leistungsbeurteilung vorgenommen werden, da rein aufgrund des klinischen Bildes eine Fahrtauglichkeit zum Untersuchungszeitpunkt nicht gegeben ist."
Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (UVS) vom 24. Mai 2007 wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen. Begründend führte der UVS nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens, insbesondere der Beurteilung Dris. F. und des oben erwähnten amtsärztlichen Gutachtens aus, es stehe fest, dass die Beschwerdeführerin "derzeit" zum Lenken eines Fahrzeuges nicht geeignet sei. Die von den Ärzten "erstellten Ausführungen" erwiesen sich als schlüssig und nachvollziehbar. Die subjektive Einschätzung der Beschwerdeführerin gehe in dieser Hinsicht fehl.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift, beantragt aber die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1.1. Die maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
...
Gesundheitliche Eignung
§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.
(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.
(3) Das ärztliche Gutachten hat abschließend auszusprechen:
'geeignet', 'bedingt geeignet', 'beschränkt geeignet' oder 'nicht geeignet'. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund
1. gesundheitlich zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen ohne Einschränkung geeignet, so hat das Gutachten 'geeignet' für diese Klassen zu lauten;
...
4. zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nicht geeignet, so hat das Gutachten 'nicht geeignet' für die entsprechenden Klassen zu lauten.
...
(6) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der medizinischen und psychologischen Wissenschaft und der Technik entsprechend, durch Verordnung die näheren Bestimmungen festzusetzen über:
1. die ärztliche Untersuchung und die Erstellung des ärztlichen Gutachtens (Abs. 1 und 2); hiebei ist auch festzusetzen, unter welchen Auflagen oder Beschränkungen Personen, bei denen bestimmte Leiden oder Gebrechen vorliegen, als zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet zu gelten haben (Abs. 3 Z 2 und 3);
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
...
(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu
entziehen. ... Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb
der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.
...
Dauer der Entziehung
§ 25.
...
(2) Bei einer Entziehung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist die Dauer der Entziehung auf Grund des gemäß § 24 Abs. 4 eingeholten Gutachtens für die Dauer der Nichteignung festzusetzen.
...
Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer ausländischer
Lenkberechtigungen
§. 30 (1) Besitzern von ausländischen Lenkberechtigungen kann das Recht, von ihrem Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen, aberkannt werden, wenn Gründe für eine Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, vom Führerschein Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot entsprechend § 32 auszusprechen. ... .
...
Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen
§ 32. (1) Personen, die ... nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges
1. ausdrücklich zu verbieten,
..."
1.2. Weiters sind folgende Bestimmungen der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV) von Bedeutung:
"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen
§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
... und
4. aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verfügt.
Kraftfahrzeuglenker müssen die für ihre Gruppe erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen gemäß den nachfolgenden Bestimmungen erfüllen. Um die gesundheitliche Eignung nachzuweisen, ist der Behörde ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 Abs. 1 oder 2 FSG vorzulegen.
...
(3) Ergibt sich aus der Vorgeschichte oder anlässlich der Untersuchung der Verdacht auf das Vorliegen eines Zustandes, der die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen einschränken oder ausschließen würde, so ist gegebenenfalls die Vorlage allfälliger fachärztlicher oder verkehrspsychologischer Stellungnahmen zu verlangen. Diese Stellungnahmen sind bei der Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen und im Gutachten in geeigneter Weise zu bewerten, wobei die zusätzlichen Risiken und Gefahren, die mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 verbunden sind, besonders zu berücksichtigen sind.
...
Gesundheit
§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:
...
3. Erkrankungen, bei denen es zu unvorhersehbaren Bewußtseinsstörungen oder -trübungen kommt
4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:
...
Psychische Krankheiten und Behinderungen
§ 13. (1) Als ausreichend frei von psychischen Krankheiten im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 gelten Personen, bei denen keine Erscheinungsformen von solchen Krankheiten vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht einer psychischen Erkrankung ergibt, der die psychische Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine psychiatrische fachärztliche Stellungnahme beizubringen, die die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt.
..."
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1. Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid die Entziehung der Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin "bis zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens" über ihre gesundheitliche Eignung verfügt. Gleiches gilt für das Lenkverbot nach § 32 FSG und die Aberkennung nach § 30 FSG. Diese Vorgangsweise widerspricht § 25 Abs. 2 FSG, demzufolge die Entziehungsdauer wegen Fehlens der gesundheitlichen Eignung für die Dauer der Nichteignung festzusetzen ist (Gleiches gilt wegen der Verweise auf § 25 FSG auch für das Lenkverbot und die Aberkennung).
2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin die Lenkberechtigung wegen der Annahme des Fehlens der gesundheitlichen Eignung infolge Vorliegens einer psychischen Krankheit entzogen. Bei Verdacht einer psychischen Erkrankung sieht § 13 Abs. 1 FSG-GV die Einholung einer psychiatrischen fachärztlichen Stellungnahme vor, welche die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit (§ 3 Abs. 1 Z 4 FSG-GV) mitbeurteilt.
Psychische Krankheiten und Behinderungen im Sinne des § 13 FSG-GV schließen nicht schlechthin die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen aus, sondern nur dann, wenn sie auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr, somit auf das Fahrverhalten, von Einfluss sein könnten. Ob die festgestellte psychische Krankheit eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lässt, hat der Amtsarzt bei Erstattung des Gutachtens gemäß § 8 Abs. 2 FSG unter Berücksichtigung der psychiatrischen fachärztlichen Stellungnahme zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 2002/11/0039, mwN).
Im Beschwerdefall enthält das "Gutachten" des Amtsarztes nach § 8 FSG keine eigenständige Begründung, es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der amtsärztliche Sachverständige vollinhaltlich der Einschätzung in der psychiatrischen fachärztlichen Stellungnahme anschließen wollte. Gleichwohl fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung:
Macht sich der amtsärztliche Sachverständige die im Vorbefund und -gutachten vertretene Ansicht zu Eigen, die er in sein eigenes Gutachten integriert, stellt das Fehlen von näheren Ausführungen im Gutachten selbst keinen Verfahrensmangel dar, wenn das Vorgutachten schlüssig ist und den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestellten Anforderungen entspricht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2004, Zl. 2003/11/0256). Für die Überprüfbarkeit der Schlüssigkeit eines Gutachtens ist es notwendig, dass der Befund all jene Grundlagen und die Art ihrer Beschaffung nennt, die für das Gutachten verwendet wurden. Fehlt es daran, belastet dies das Sachverständigengutachten mit einem wesentlichen Mangel (vgl. die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 151f zu § 52 AVG zitierte hg. Judikatur).
In der oben wiedergegebenen fachärztlichen Stellungnahme fehlt eine Begründung für die Annahme, warum das bei der Beschwerdeführerin festgestellte Zustandsbild Einfluss auf ihr Fahrverhalten haben könnte, warum also "rein auf Grund des klinischen Bildes die Fahrtauglichkeit zum Untersuchungszeitpunkt nicht gegeben" sei. Im Übrigen übersieht die belangte Behörde, dass die fachärztliche Stellungnahme ihre Einschätzung vorbehaltlich einer Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit im Rahmen einer verkehrspsychologischen Leistungsbeurteilung trifft, diese - nach § 13 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV erforderliche - Mitbeurteilung aber nicht vornimmt. Auch der bloße Hinweis auf eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie auf mögliche aggressive Reaktionen entbehrt einer näheren Darlegung, ob und inwieweit damit eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens einherginge.
Die Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides, die Gutachten seien "schlüssig und nachvollziehbar", haben daher den Charakter einer bloßen Leerformel.
2.3. Der angefochtene Bescheid war deshalb wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 20. November 2007
Schlagworte
Gutachten Verwertung aus anderen VerfahrenBesondere RechtsgebieteAnforderung an ein GutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007110127.X00Im RIS seit
07.02.2008Zuletzt aktualisiert am
31.03.2011