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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §303 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 2/20 gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 3. Mai 2006, Zl. RV/1998- W/05, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 2004 (mitbeteiligte Partei: B GmbH in Liquidation, vertreten durch die Steuerberatung Dr. Alfred Sorger GmbH in 8010 Graz, Steyrergasse 89), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 396,48 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Februar 2005 übermittelte die mitbeteiligte Partei dem beschwerdeführenden Finanzamt den Jahresabschluss zum 31. Dezember 2004. Gemäß den vorgelegten Verwaltungsakten waren ua. die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2004 sowie Beilagen dazu angeschlossen. In der Steuererklärung wurde ausschließlich die Gutschrift von Vorsteuern in Höhe von 10.149,97 EUR geltend gemacht. Bei den Beilagen handelte es sich einerseits um Kopien von acht Rechnungen der T. KEG aus dem Zeitraum 30. Oktober 1997 bis 10. Februar 1998, die insgesamt - noch in Schillingbeträgen - Umsatzsteuer von (umgerechnet) 10.149,97 EUR ausweisen, und andererseits um die Kopie eines mit Rechtskraftvermerken versehenen Versäumungsurteils des Bezirksgerichtes Hernals vom 9. November 2004, demzufolge die beklagten Parteien schuldig seien, die acht Rechnungen vom 30. Oktober 1997 bis zum 10. Februar 1998 jeweils um einen näher umschriebenen Leistungszeitraum zu ergänzen, wobei die Ergänzung mit Rechtskraft des Urteils mit Feststellungswirkung bewirkt werde.
Mit Bescheid vom 1. April 2005 erließ das Finanzamt den Umsatzsteuerjahresbescheid 2004 erklärungsgemäß. In der Folge berief sich die mitbeteiligte Partei in einem hier nicht näher darzustellenden Antrag vom 27. April 2005 an das Finanzamt auf diesen Bescheid. Sie brachte vor, dass die Vorsteuern aus Rechnungen der T. KEG aus 1997 und 1998 seinerzeit nicht anerkannt worden seien, weil der Leistungszeitraum nicht ausgewiesen gewesen sei. Mittlerweile habe durch das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals insofern eine Ergänzung bewirkt werden können, als dieser Rechnungsmangel mit Rechtskraft des Urteils behoben worden sei. Der daraus erfließende Umsatzsteuerbetrag sei bereits mit dem Umsatzsteuerbescheid 2004 gutgeschrieben worden.
Hierauf veranlasste das Finanzamt eine Außenprüfung der Umsatzsteuer 2004. In seinem Bericht vom 14. Oktober 2005 stellte der Prüfer fest, dass sich die in der Umsatzsteuererklärung 2004 geltend gemachte Vorsteuer auf Rechnungen der T. KEG aus den Jahren 1997 und 1998 beziehe. Der Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen sei (gemeint: seinerzeit) versagt worden, da den Rechnungen erforderliche Bestandteile (Angabe des genauen Leistungszeitraumes bzw. des Lieferdatums) gefehlt hätten. Ein Vorsteuerabzug sei - so heißt es im Bericht weiter - nur auf Grund von dem § 11 UStG 1994 entsprechenden Rechnungen möglich. Das auf Grund einer Klage auf "Rechnungsergänzung" ergangene Gerichtsurteil könne "die fehlenden Rechnungen nicht ersetzen, weil das Vorliegen einer Rechnung iSd § 11 als eine materiellrechtliche Voraussetzung des Vorsteuerabzuges nicht durch andere Beweismittel ersetzt werden kann". Die erklärte Vorsteuer sei daher nicht anzuerkennen und unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorzunehmen.
Unter Verweis auf die Prüferfeststellungen nahm das Finanzamt mit Bescheiden vom 18. Oktober 2005 das Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2004 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ einen entsprechenden Sachbescheid. Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Berufung.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung Folge. Es könne - so die belangte Behörde im Ergebnis - nicht davon ausgegangen werden, dass der Abgabenbehörde erster Instanz die Tatsache, auf die die Betriebsprüfung die Wiederaufnahme stütze (uzw., dass die geltend gemachten Vorsteuern aus nicht ordnungsgemäßen Rechnungen der Jahre 1997 und 1998 stammten), bei Erlassung des Jahresumsatzsteuerbescheides für 2004 nicht bekannt gewesen sei. Die Betriebsprüfung im Oktober 2005 lediglich die Umsatzsteuer 2004 betreffend lasse darauf schließen, dass der unterlaufene Fehler durch eine amtswegige Wiederaufnahme habe saniert werden sollen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Finanzamtes hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften seitens der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des § 303 Abs. 1 lit. a und lit. c BAO und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Tatsachen im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 1998, 95/15/0108). Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist daher dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (siehe aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2006, 2003/15/0016).
Das beschwerdeführende Finanzamt bringt vor, es sei bei Erlassung des (ursprünglichen) Umsatzsteuerbescheides für 2004 nicht bekannt gewesen, dass den geltend gemachten Vorsteuern die Rechnungen der T. KEG aus den Jahren 1997 und 1998 zu Grunde gelegen seien. Aus der Steuererklärung selbst, die keine erläuternden Beilagen enthalten habe, habe sich das nicht ableiten lassen. Erst durch den von der mitbeteiligten Partei eingebrachten Antrag vom 27. April 2005 sei darauf aufmerksam gemacht worden, dass die in der Steuererklärung 2004 geltend gemachten Vorsteuern aus Rechnungen der T. KEG der Jahre 1997 und 1998 stammten. Dabei sei allerdings noch ungewiss gewesen, ob die Rechnungsausstellerin die seinerzeit festgestellten Mängel behoben habe. Im Rahmen der Außenprüfung sei dann festgestellt worden, dass derartige Ergänzungen der Rechnungen durch die Rechnungsausstellerin nicht vorgenommen worden seien. Da das Finanzamt auf Grund der Aktenlage bei Erlassung des Umsatzsteuerjahresbescheides für 2004 nicht habe erkennen können, dass die geltend gemachten Vorsteuern aus Rechnungen der T. KEG stammten und selbst dann, wenn ihm dieser Umstand bekannt gewesen wäre, nicht ohne weitere Ermittlungen davon hätte ausgehen können, dass die Rechnungen nicht nachträglich ergänzt worden seien, erweise sich der bekämpfte Bescheid als rechtswidrig.
Dieses Vorbringen steht mit der Aktenlage insoweit im Widerspruch, als der beim Finanzamt eingereichten Steuererklärung einerseits Kopien der fraglichen Rechnungen der T. KEG und andererseits eine Kopie des mit Rechtskraftvermerken versehenen Versäumungsurteils des Bezirksgerichtes Hernals vom 9. November 2004 angeschlossen waren. Darauf weisen sowohl die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Partei in ihren jeweiligen Gegenschriften hin, ohne dass dies seitens der Amtsbeschwerdeführerin Erwiderung gefunden hätte. Davon ausgehend ist zunächst nicht zu sehen, warum erst aus Anlass des Antrags der mitbeteiligten Partei vom 27. April 2005 zur Kenntnis gelangt sein soll, dass die geltend gemachten Vorsteuern aus den Rechnungen der T. KEG aus den Jahren 1997 und 1998 stammten, verbietet sich doch die Annahme, die Rechnungen wären zu einem anderen Zweck vorgelegt worden als zu jenem, den geltend gemachten Vorsteuerabzug zu erläutern. Insoweit kann daher - vergleichbar dem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1992, 91/15/0152, zu Grunde lag - bezogen auf die Grundlage des in der Umsatzsteuererklärung ausgewiesenen Guthabens nicht davon die Rede sein, es seien Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen. Dass aber diese Rechnungen die nunmehr von der Betriebsprüfung gerügten Mängel aufwiesen, ergab sich gleichfalls selbstredend, und es kann demnach der Gesichtspunkt, dass bei der Betriebsprüfung außer dem erwirkten Versäumungsurteil vom 9. November 2004 keine andere Form der "Mängelbehebung" festgestellt wurde, ebenso wenig die Wiederaufnahme begründen, weil der Umstand, dass "nichts Neues gefunden" wurde, keine die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigende neu hervorgekommene Tatsache darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 2007, 2002/14/0155).
Im Ergebnis haftet dem bekämpften Bescheid daher keine Rechtswidrigkeit an, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 21. November 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006130107.X00Im RIS seit
20.12.2007Zuletzt aktualisiert am
18.03.2013