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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §56 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des A A in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 19. Juli 2006, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-8947, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der im Bezug von Notstandshilfe stehende Beschwerdeführer nahm am 27. Februar 2006 ein vollversichertes Dienstverhältnis bei der E GmbH auf, welches noch am selben Tag beendet wurde. Vom 1. März bis zum 23. März 2006 stand er beim selben Unternehmen in einem geringfügigen Dienstverhältnis.
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien, regionale Geschäftsstelle Schönbrunnerstraße, vom 2. Mai 2006 wurde die Zahlung von Notstandshilfe für den Zeitraum vom 1. März bis zum 23. März 2006 mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit eingestellt. Dies deshalb, da zwischen dem vollversicherten und dem geringfügigen Arbeitsverhältnis beim selben Dienstgeber keine Unterbrechung von mindestens einem Monat vorgelegen sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass der Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG die Hintanhaltung von Missbräuchen zugrunde liege. Es sei lediglich an einem Tag ein vollversichertes Beschäftigungsverhältnis vorgelegen und dem Beschwerdeführer vom selben Arbeitgeber die Ausübung eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses innerhalb eines Monats angeboten worden. Ein Anwendungsfall des Ausschlusstatbestandes des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG sei nicht gegeben.
Im Akt befindet sich ein Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 14. Juni 2006. Aus diesem ergibt sich, dass der Ausschuss für Leistungsangelegenheiten gegen die Stimme des Vertreters des Arbeitsmarktservice für die Stattgabe der Berufung stimmte.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2006 ersuchte daraufhin das Arbeitsmarktservice Wien - Landesgeschäftsstelle das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit um Weisung in der gegenständlichen Angelegenheit. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Berufung dem Ausschuss für Leistungsangelegenheiten am 14. Juni 2006 zur Entscheidung vorgelegt worden sei, wobei im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG um Abweisung dieser Berufung ersucht worden sei. Diesem Ansuchen sei vom Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter im Ausschuss jedoch nicht nachgekommen worden, sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmervertreter hätten dafür gestimmt, der Berufung stattzugeben. Ein entsprechender Berufungsbescheid sei von der Landesgeschäftsstelle jedoch (noch) nicht ausgefertigt worden. Da die Ausschussentscheidung nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche, ersuche die Landesgeschäftsstelle um Weisung, wie in diesem Fall und in sachlich gleichgelagerten Fällen vorzugehen sei.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2006 erteilte das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten die gewünschte Weisung, welche im Wesentlichen wie folgt lautete:
"Gemäß § 12 Abs. 3 lit. h AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos, wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge (Geringfügigkeitsgrenze) nicht übersteigt, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.
Der klare Wortlaut des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG lässt keine Interpretation im Sinne der Berufungsausführungen des Herrn A, die im Wesentlichen auf die Ermittlung des Motivs für den Wechsel von einem vollversicherten in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis abzielen, zu und räumt der Behörde auch keinen Ermessensspielraum bei ihrer Entscheidung ein.
Der zuständige Leistungsausschuss des Arbeitsmarktservice Wien wird daher angewiesen, die Berufungsentscheidung unter Zugrundelegung der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung zu treffen."
In dem im Akt befindlichen Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten vom 14. Juli 2006 ist festgehalten, dass sich "AG+AN - Vertreter" unter Hinweis auf die Entscheidung vom 14. Juni 2006 geweigert hätten, über den Fall abzustimmen. Der Erlass vom 29. Juni 2006 sei verlesen worden. Nunmehr sei eine Abweisung nur mit der Stimme des Arbeitsmarktservice erfolgt, "alle" seien anwesend gewesen.
Mit der vorliegenden Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 56 AlVG lautet auszugsweise:
"(1) Gegen Bescheide der regionalen Geschäftsstelle ist die Berufung an die Landesgeschäftsstelle zulässig. Gegen die Entscheidung der Landesgeschäftsstelle ist keine weitere Berufung zulässig.
...
(3) Die Landesgeschäftsstelle trifft die Entscheidung in einem Ausschuss des Landesdirektoriums.
(4) Das Landesdirektorium bei jeder Landesgeschäftsstelle hat einen Ausschuss zur Behandlung von Berufungen gemäß Abs. 1 einzurichten (Ausschuss für Leistungsangelegenheiten).
(5) Der Ausschuss für Leistungsangelegenheiten besteht aus folgenden drei Mitgliedern:
1.
dem Vorsitzenden,
2.
einem Arbeitnehmervertreter und
3.
einem Arbeitgebervertreter.
(6) Den Vorsitz des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten hat der Landesgeschäftsführer oder ein von ihm damit beauftragter Bediensteter der Landesgeschäftsstelle zu führen.
(7) Der Arbeitnehmervertreter wird durch die Arbeitnehmervertreter des Landesdirektoriums, der Arbeitgebervertreter durch die Arbeitgebervertreter des Landesdirektoriums entsendet. Die Entsendung erfolgt durch einstimmigen Beschluss der jeweiligen Kurie und für die Dauer von sechs Jahren. Die neuerliche Entsendung ist möglich. Für den Arbeitnehmer- und den Arbeitgebervertreter ist die erforderliche Anzahl von Stellvertretern in gleicher Weise zu entsenden. Die Ausschussmitglieder und deren Stellvertreter müssen nicht Mitglieder des Landesdirektoriums sein.
(8) Stimmberechtigt sind die Mitglieder (Stellvertreter) des Ausschusses. Der Ausschuss ist beschlussfähig, wenn alle drei Mitglieder anwesend sind. Der Ausschuss fasst seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen."
§ 58 AlVG lautet:
"Auf das Verfahren in Angelegenheiten der Notstandshilfe ist dieser Artikel mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes die Notstandshilfe tritt."
Der Beschwerdeführer bestreitet, dass es sich bei der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Beschlussfassung vom 14. Juli 2006 um eine solche des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten handelt. Vielmehr liege eine monokratische Entscheidung des Vorsitzenden des Ausschusses vor. Dies widerspreche der Bestimmung des § 56 Abs. 8 AlVG, welche eine kollegiale Willensbildung normiere, und belaste daher den in Beschwerde gezogenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde.
Wenn zwei Mitglieder des Leistungsausschusses dem Beratungsprotokoll zufolge im Hinblick auf die Entscheidung vom 14. Juni 2006 eine neuerliche Abstimmung verweigert haben, dann haben sie sich insoweit keineswegs der Stimme enthalten: der ausdrücklich geäußerte Wille der Mehrheit des Ausschusses ging vielmehr inhaltlich dahin, die Entscheidung vom 14. Juni 2006 aufrecht zu erhalten. Der der Sache nach offenbar für eine Revotierung der Entscheidung vom 14. Juni 2006 zugunsten einer Abweisung der Berufung eintretende Referent der Landesgeschäftstelle blieb mit seinem Anliegen tatsächlich in der Minderheit. Somit lag aber dem von der Beschlussfassung am 14. Juni 2006 im Ergebnis abweichenden, tatsächlich ausgefertigten Bescheid ein dafür erforderlicher Beschluss des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten im Sinne des § 56 Abs. 3 und 8 AlVG nicht zugrunde. Beruht aber der erlassene Bescheid entgegen § 56 Abs. 3 AlVG nicht auf einem Beschluss des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten, dann kann er diesem nicht zugerechnet werden; er wurde daher von einer unzuständigen Behörde erlassen (vgl. die ausführliche Darstellung der Rechtsprechung zu diesem Fragenkreis im Erkenntnis vom 21. Juni 2000, Zl. 98/08/0351).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers findet in den genannten Vorschriften keine Deckung. Die Umsatzsteuer ist in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt.
Wien, am 21. November 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006080251.X00Im RIS seit
07.02.2008