TE OGH 2008/6/10 4Ob71/08g

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Veröffentlicht am 10.06.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Raphael T*****, geboren am *****, wegen Unterhalt, im Verfahren über den ordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Wolfgang T*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Mag. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 11. Juli 2007, GZ 2 R 120/07g-U22, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Leoben vom 16. Mai 2007, GZ 2 P 26/99f-U17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, einen Kollisionskurator für den Antragsteller zu bestellen. Der Kurator ist unter Setzung einer angemessenen Frist zu befragen, ob er die bisherige Verfahrensführung durch die Mutter des Antragstellers genehmigt.

2. Die Akten sind dem Obersten Gerichtshof nach Rechtskraft der Kuratorbestellung und Vorliegen der Genehmigung oder ungenutztem Ablauf der dafür gesetzten Frist wieder vorzulegen.

Text

Begründung:

Die Mutter des Antragstellers hatte in einem Scheidungsvergleich mit dem Vater vereinbart, dass sie für zehn Jahre in dessen Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Antragsteller eintrete und neben Pflege und Erziehung auch sämtlichen finanziellen Unterhaltsaufwand tragen werde. Dieser Teil des Scheidungsvergleichs wurde nicht pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Antragsteller, vertreten durch seine Mutter, vom Vater monatlichen Unterhalt von 650 EUR von Dezember 2003 bis Dezember 2006 und von 720 EUR ab Jänner 2007. Der Antragsgegner wandte ein, dass er aufgrund des Scheidungsvergleichs nicht zur Zahlung verpflichtet sei. Die Verhältnisse hätten sich seit dessen Abschluss nicht geändert; der Kindesunterhalt sei insgesamt nicht gefährdet. Die Mutter sei wegen einer Interessenkollision nicht zur Vertretung des Kindes befugt.

Das Erstgericht setzte den monatlichen Unterhalt wie folgt fest: 490 EUR für Dezember 2003 bis Dezember 2004; 410 EUR für 2005; 480 EUR für 2006; 530 EUR ab Jänner 2007. Der Vater habe nach § 140 ABGB zum Unterhalt des Antragstellers beizutragen; die Mutter leiste ihren Beitrag durch Pflege und Erziehung. Die Höhe des Unterhalts ergebe sich nach der Prozentsatzmethode aus der Leistungsfähigkeit des Vaters. Ob er ihn aufgrund des Vergleichs von der Mutter zurückverlangen könne, sei nicht Gegenstand des Pflegschaftsverfahrens.Das Erstgericht setzte den monatlichen Unterhalt wie folgt fest: 490 EUR für Dezember 2003 bis Dezember 2004; 410 EUR für 2005; 480 EUR für 2006; 530 EUR ab Jänner 2007. Der Vater habe nach Paragraph 140, ABGB zum Unterhalt des Antragstellers beizutragen; die Mutter leiste ihren Beitrag durch Pflege und Erziehung. Die Höhe des Unterhalts ergebe sich nach der Prozentsatzmethode aus der Leistungsfähigkeit des Vaters. Ob er ihn aufgrund des Vergleichs von der Mutter zurückverlangen könne, sei nicht Gegenstand des Pflegschaftsverfahrens.

Das nur vom Vater angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Ein Kollisionskurator sei nicht zu bestellen gewesen, da kein Widerstreit der Interessen des Antragstellers und seiner Mutter vorliege. Der strittige Teil des Scheidungsvergleichs sei nicht pflegschaftsgerichtlich genehmigt worden; vielmehr habe sich die Genehmigung nur auf die Obsorgeregelung bezogen. Es liege daher ein bloßer „Entlastungsvertrag" vor, der nur im Innenverhältnis der Eltern wirke und die Ansprüche des Kindes nicht berühre.

Aufgrund einer Zulassungsvorstellung des Vater ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu. Als Begründung führte es an, dass nach der Entscheidung 1 Ob 571/95 (= SZ 68/146) ein Kollisionsfall vorliege, wenn ein Elternteil, der vereinbarungsgemäß die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils übernommen habe, namens des Kindes Unterhaltsansprüche geltend mache. Folge man dieser Entscheidung, könne das zur Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses führen.

Rechtliche Beurteilung

Über den Revisionsrekurs des Vaters kann derzeit nicht inhaltlich entschieden werden.

1. Widerstreiten einander in einer bestimmten Angelegenheit die Interessen einer minderjährigen oder sonst nicht voll handlungsfähigen Person und jene ihres gesetzlichen Vertreters, so hat das Gericht der Person nach § 271 ABGB zur Besorgung dieser Angelegenheiten einen besonderen Kurator zu bestellen. Der Bestellung eines Kurators bedarf es nicht, wenn eine Gefährdung der Interessen des Vertretenen nicht zu besorgen ist und diese Interessen vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden können. Dies gilt nach § 271 Abs 2 Satz 2 ABGB im Allgemeinen ua in Verfahren zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, auch wenn das Kind vom betreuenden Elternteil vertreten wird.1. Widerstreiten einander in einer bestimmten Angelegenheit die Interessen einer minderjährigen oder sonst nicht voll handlungsfähigen Person und jene ihres gesetzlichen Vertreters, so hat das Gericht der Person nach Paragraph 271, ABGB zur Besorgung dieser Angelegenheiten einen besonderen Kurator zu bestellen. Der Bestellung eines Kurators bedarf es nicht, wenn eine Gefährdung der Interessen des Vertretenen nicht zu besorgen ist und diese Interessen vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden können. Dies gilt nach Paragraph 271, Absatz 2, Satz 2 ABGB im Allgemeinen ua in Verfahren zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, auch wenn das Kind vom betreuenden Elternteil vertreten wird.

2. Diese Fassung des § 271 ABGB gilt seit dem KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135. Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ergibt sich, dass damit nur die „bisherige Lehre und Rechtsprechung zu den §§ 271 und 272 ABGB" kodifiziert werden sollte; insbesondere sollte das in der Rechtsprechung entwickelte Erfordernis einer materiellen Interessenkollision (vgl RIS-Justiz RS0058177) im Gesetz festgeschrieben werden (296 BlgNR 21. GP, zu Z 73 [§§ 271 und 272 ABGB]).2. Diese Fassung des Paragraph 271, ABGB gilt seit dem KindRÄG 2001 BGBl römisch eins 2000/135. Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ergibt sich, dass damit nur die „bisherige Lehre und Rechtsprechung zu den Paragraphen 271 und 272 ABGB" kodifiziert werden sollte; insbesondere sollte das in der Rechtsprechung entwickelte Erfordernis einer materiellen Interessenkollision vergleiche RIS-Justiz RS0058177) im Gesetz festgeschrieben werden (296 BlgNR 21. GP, zu Ziffer 73, [§§ 271 und 272 ABGB]).

Die Möglichkeit einer materiellen Interessenkollision besteht, wenn ein betreuender Elternteil, der aufgrund einer Vereinbarung mit dem anderen Elternteil zum Tragen des gesamten Unterhalts verpflichtet ist, als gesetzlicher Vertreter des Kindes Ansprüche gegen den anderen Elternteil geltend macht (1 Ob 571/95 = SZ 68/146; Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 I §§ 271, 272 Rz 8). Denn er könnte - wegen seiner potentiellen Rückersatzpflicht - geneigt sein, nicht alle Ansprüche des Kindes durchzusetzen. Das könnte sich insbesondere im Unterlassen von Rechtsmitteln gegen (teil-)abweisende Beschlüsse äußern. Dabei genügt nach allgemeinen Grundsätzen schon die Gefahr einer Interessenkollision (arg: „zu besorgen"). Ein Kurator ist also schon dann zu bestellen, wenn aufgrund eines objektiv gegebenen Interessenwiderspruchs eine Gefährdung der Interessen des Minderjährigen bloß möglich ist; dass sich diese Gefahr schon verwirklicht hätte, ist nicht erforderlich (vgl in anderem Zusammenhang 2 Ob 102/97g).Die Möglichkeit einer materiellen Interessenkollision besteht, wenn ein betreuender Elternteil, der aufgrund einer Vereinbarung mit dem anderen Elternteil zum Tragen des gesamten Unterhalts verpflichtet ist, als gesetzlicher Vertreter des Kindes Ansprüche gegen den anderen Elternteil geltend macht (1 Ob 571/95 = SZ 68/146; Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 römisch eins Paragraphen 271,, 272 Rz 8). Denn er könnte - wegen seiner potentiellen Rückersatzpflicht - geneigt sein, nicht alle Ansprüche des Kindes durchzusetzen. Das könnte sich insbesondere im Unterlassen von Rechtsmitteln gegen (teil-)abweisende Beschlüsse äußern. Dabei genügt nach allgemeinen Grundsätzen schon die Gefahr einer Interessenkollision (arg: „zu besorgen"). Ein Kurator ist also schon dann zu bestellen, wenn aufgrund eines objektiv gegebenen Interessenwiderspruchs eine Gefährdung der Interessen des Minderjährigen bloß möglich ist; dass sich diese Gefahr schon verwirklicht hätte, ist nicht erforderlich vergleiche in anderem Zusammenhang 2 Ob 102/97g).

3. Aufgrund dieser Erwägungen hätte im vorliegenden Fall schon das Erstgericht nach § 5 Abs 2 Z 1 lit a AußStrG 2005 einen Kollisionskurator bestellen müssen. Zwar ergeben sich aus dem Akteninhalt keine Hinweise, dass sich die Gefahr eines Interessenwiderstreits tatsächlich verwirklicht hätte. Das ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit einer Kuratorbestellung. Denn schon aus Gründen der Rechtssicherheit kann die Wirksamkeit der Vertretung durch die Mutter und damit die mögliche Nichtigkeit des Verfahrens nicht davon abhängen, ob die Mutter - ex post betrachtet - die Interessen des Kindes gewahrt hat oder nicht. Das Kind war daher im bisherigen Verfahren nicht wirksam vertreten.3. Aufgrund dieser Erwägungen hätte im vorliegenden Fall schon das Erstgericht nach Paragraph 5, Absatz 2, Ziffer eins, Litera a, AußStrG 2005 einen Kollisionskurator bestellen müssen. Zwar ergeben sich aus dem Akteninhalt keine Hinweise, dass sich die Gefahr eines Interessenwiderstreits tatsächlich verwirklicht hätte. Das ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit einer Kuratorbestellung. Denn schon aus Gründen der Rechtssicherheit kann die Wirksamkeit der Vertretung durch die Mutter und damit die mögliche Nichtigkeit des Verfahrens nicht davon abhängen, ob die Mutter - ex post betrachtet - die Interessen des Kindes gewahrt hat oder nicht. Das Kind war daher im bisherigen Verfahren nicht wirksam vertreten.

4. Nach § 5 Abs 1 AußStrG hat das Gericht das Erforderliche zu veranlassen, um den Mangel der gesetzlichen Vertretung zu beseitigen. Diese Sanierung kann im vorliegenden Fall durch die Genehmigung des Verfahrens durch einen Kollisionskurator erfolgen. Dessen Bestellung obliegt - ungeachtet der nicht zwischen Erst- und Rechtsmittelgerichten unterscheidenden Formulierung in § 5 Abs 2 Z 1 lit a AußStrG - dem Erstgericht (vgl 10 ObS 2168/96p). Der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz; daher fehlt ihm - anders als allenfalls einem Gericht zweiter Instanz (5 Ob 298/68 = EvBl 1969/164) - die funktionelle Zuständigkeit für die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen zur Auswahl eines Kurators.4. Nach Paragraph 5, Absatz eins, AußStrG hat das Gericht das Erforderliche zu veranlassen, um den Mangel der gesetzlichen Vertretung zu beseitigen. Diese Sanierung kann im vorliegenden Fall durch die Genehmigung des Verfahrens durch einen Kollisionskurator erfolgen. Dessen Bestellung obliegt - ungeachtet der nicht zwischen Erst- und Rechtsmittelgerichten unterscheidenden Formulierung in Paragraph 5, Absatz 2, Ziffer eins, Litera a, AußStrG - dem Erstgericht vergleiche 10 ObS 2168/96p). Der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz; daher fehlt ihm - anders als allenfalls einem Gericht zweiter Instanz (5 Ob 298/68 = EvBl 1969/164) - die funktionelle Zuständigkeit für die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen zur Auswahl eines Kurators.

Aufgrund dieser Erwägungen sind dem Erstgericht die aus dem Spruch ersichtlichen Aufträge zu erteilen. Über den Revisionsrekurs wird nach Genehmigung des Verfahrens durch den Kollisionskurator oder nach ungenutztem Ablauf der dafür vom Erstgericht gesetzten Frist zu entscheiden sein.

Textnummer

E87706

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0040OB00071.08G.0610.000

Im RIS seit

10.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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