TE OGH 2008/7/10 8ObS3/08m

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat Dr. Spenling und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Univ.-Prof. DI Hans Lechner und Franz Stanek als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Theresia W*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Insolvenz-Entgelt-Fonds-Service GmbH (IEF-Service GmbH), Geschäftsstelle *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 18.323 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2008, GZ 7 Rs 102/07k-12, womit über Berufung der Klägerin das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. August 2007, GZ 24 Cgs 81/07b-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von „IAF-Service GmbH" auf die im Kopf ersichtliche neue Bezeichnung zu berichtigen war (Art 4 Z 2 BGBl I 2008/82, in Kraft getreten mit 1. 7. 2008; § 235 Abs 5 ZPO).

Die Klägerin war ab 1. 1. 1980 zunächst bei einem Einzelunternehmer und in der Folge bei einer GmbH beschäftigt, die den Betrieb übernommen hatte. Über das Vermögen der früheren Dienstgeberin der Klägerin wurde am 27. 1. 2004 Konkurs eröffnet.

Am 16. 10. 2003 wurde dieser Betrieb auf die am 9. 9. 2003 errichtete und am 18. 10. 2003 in das Firmenbuch eingetragene G***** GmbH (in der Folge immer: GmbH) übertragen, deren Alleingesellschafterin die Klägerin war.

Die Klägerin ging ursprünglich davon aus, dass ihr Dienstverhältnis nicht auf die GmbH übergegangen sei, sondern gegenüber der früheren Dienstgeberin fortbestünde. Sie beantragte für Ansprüche aus diesem Dienstverhältnis erfolglos Insolvenz-Ausfallgeld (8 ObS 17/06t).

Über das Vermögen der GmbH wurde am 1. 6. 2005 Konkurs eröffnet. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. 3. 2007 den Antrag der Klägerin, ihr aufgrund der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH Insolvenz-Ausfallgeld zuzuerkennen, ab.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin nach einer Einschränkung, die Beklagte zur Zahlung von 18.323 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld (laufendes Entgelt von 1. 8. 2003 bis 15. 10. 2003; Weihnachtsremuneration 1. 1. 2003 bis 15. 10. 2003; neun Monatsentgelte Abfertigung; Urlaubsersatzleistung für 84 Werktage; Zinsen und Kosten) zu verpflichten. Die GmbH sei „für eine juristische Sekunde" Arbeitgeberin der Klägerin geworden. Die Ansprüche der Klägerin gegen ihre frühere Dienstgeberin könnten infolge des Betriebsübergangs gegenüber der GmbH im vollen Umfang geltend gemacht werden. Es handle sich ausschließlich um Ansprüche, die die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Angestellte gegenüber der früheren Dienstgeberin erworben habe.

Die Beklagte wendet ein, dass die Klägerin über einen Zeitraum von fast zwei Jahren die Geltendmachung ihrer Forderung gegen die GmbH unterlassen habe, obwohl sie aufgrund ihrer Position als Alleingesellschafterin die Geschäftsführerin der GmbH jederzeit hätte anweisen können, die offenen Entgelte auszuzahlen. Die Klägerin habe der GmbH somit ein Darlehen gewährt. Das könne nicht zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds gehen. Es sei nicht Aufgabe des Fonds, Forderungen von Mehrheits- oder Alleingesellschaftern zu sichern, die es selbst in der Hand gehabt hätten, für die Befriedigung ihrer Ansprüche zu sorgen. Der Klägerin gebühre überdies auch deshalb kein Insolvenz-Ausfallgeld, weil sie zum Zeitpunkt der Beendigung ihres Dienstverhältnisses Alleingesellschafterin der GmbH gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Frage der Sicherung von Ansprüchen von Arbeitnehmern, die die Stellung eines Alleingesellschafters einer arbeitgeberischen GmbH im Rahmen eines Betriebsübergangs erlangt hätten, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig; an den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (Paragraph 502, Abs 1 ZPO) nicht zulässig; an den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (Paragraph 508 a, &, #, 160 ;, A, b, s, 1 ZPO).

Unstrittig ist, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zunächst im Zuge des Betriebsübergangs auf die GmbH überging und dass die Stellung der Klägerin als Arbeitnehmerin dieser GmbH unmittelbar danach endete, weil durch Erlangung der Alleingesellschafterstellung an der GmbH die persönliche Abhängigkeit der Klägerin, die bestimmend für die Qualifikation als Arbeitnehmer ist (RIS-Justiz RS0021332; 8 ObA 68/02m = DRdA 2003, 178), wegfiel. Bereits in dem zwischen den Parteien geführten Vorverfahren, in welchem die Klägerin die Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld wegen der Konkurseröffnung über das Vermögen ihrer früheren Dienstgeberin beantragt hatte, wurde darauf verwiesen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch den Betriebsübergang auf die GmbH überging. Darauf aufbauend hat der Senat unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung ausgesprochen, dass das Bestehen der Solidarschuldnerschaft des Übergebers mit dem Übernehmer (hier: frühere Dienstgeberin der Klägerin und GmbH) den Anspruch der Klägerin auf Insolvenz-Ausfallgeld ausschließt (8 ObS 17/06t = ZIK 2007/189).

Im hier zu beurteilenden Fall macht nun die Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld für Ansprüche geltend, die ihr gegen die frühere Dienstgeberin zustanden und für die die GmbH als Betriebsübernehmerin gemäß § 6 Abs 1 AVRAG haftet. Ob solche Ansprüche grundsätzlich auch dann nach dem IESG gesichert sind, wenn der Arbeitnehmer Alleingesellschafter der Betriebsübernehmerin wurde, wodurch nicht nur aus den bereits dargelegten Gründen seine Arbeitnehmereigenschaft endete, sondern er auch unter den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 6 Z 4 IESG idF vor der Novelle BGBl I 2005/102 fiel, bedarf hier jedoch aus folgenden Überlegungen keiner Prüfung:Im hier zu beurteilenden Fall macht nun die Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld für Ansprüche geltend, die ihr gegen die frühere Dienstgeberin zustanden und für die die GmbH als Betriebsübernehmerin gemäß § 6 Absatz eins, AVRAG haftet. Ob solche Ansprüche grundsätzlich auch dann nach dem IESG gesichert sind, wenn der Arbeitnehmer Alleingesellschafter der Betriebsübernehmerin wurde, wodurch nicht nur aus den bereits dargelegten Gründen seine Arbeitnehmereigenschaft endete, sondern er auch unter den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 6 Z 4 IESG in der Fassung vor der Novelle BGBl I 2005/102 fiel, bedarf hier jedoch aus folgenden Überlegungen keiner Prüfung:

Die geltend gemachten arbeitsrechtlichen Ansprüche beziehen sich auf Entgeltansprüche bis zum 15. 10. 2003 und die Abfertigung. Die Konkurseröffnung über das Vermögen der GmbH erfolgte am 1. 6. 2005, also rund 20 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Zweck des IESG ist nach ständiger Rechtsprechung eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS-Justiz RS0076409). Hingegen ist es nicht Zweck des IESG, dem Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung das Finanzierungsrisiko abzunehmen (RIS-Justiz RS0018227). Nun kann nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 3a Abs 1 IESG idF der Novelle BGBl I 2000/142 allein aus der Komponente des „Stehenlassens" von Ansprüchen nicht mehr darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer das Finanzierungsrisiko missbräuchlich auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds überwälzen wollte. Nur dann, wenn zu dem „Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret den Vorsatz erschließen lassen, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, kann die Geltendmachung eines Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld missbräuchlich sein (RIS-Justiz RS0119679; RS0116935; 8 ObS 16/06w; 8 ObS 18/06i = ecolex 2007/93). Ob ein solcher Vorsatz zu bejahen ist, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 ObS 12/07h; 8 ObS 22/07d). Die auf den konkreten Umständen des Einzelfalls aufbauende Eventualbegründung des Berufungsgerichts, dass ein Vorsatz der Klägerin, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, vorlag, ist zumindest vertretbar: Zwar fehlt es hier an dem Tatbestandsmerkmal des unentgeltlichen Weiterarbeitens der Klägerin, das im Zusammenhang mit weiteren Umständen des Einzelfalls auf einen auf Überwälzung des Finanzierungsrisikos gerichteten Vorsatz schließen lässt (8 ObS 22/07d); andererseits aber wäre es an der Klägerin als Alleingesellschafterin gelegen, ihre schon längst fälligen Arbeitnehmerforderungen (ein Hinausschieben der Fälligkeit wurde nicht einmal behauptet) geltend zu machen. Die zeitliche Komponente in Verbindung mit dem Umstand, dass die Klägerin als Alleingesellschafterin (und somit wirtschaftliche Eigentümerin der GmbH) ihre Ansprüche erst nach Konkurseröffnung geltend machte, spricht in der Tat für einen Vorsatz der Klägerin, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen. Dieser Beurteilung steht auch die Insolvenz-Richtlinie 80/987/EWG (geändert durch die Richtlinie 2002/74/EG) nicht entgegen: Art 10 der RL legt in lit a und b unter anderem fest, dass die Richtlinie nicht notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Missbräuchen oder der Ablehnung der Zahlung entgegensteht, wenn sich herausstellt, dass die Erfüllung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist (vgl dazu 8 ObS 18/06i).Zweck des IESG ist nach ständiger Rechtsprechung eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS-Justiz RS0076409). Hingegen ist es nicht Zweck des IESG, dem Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung das Finanzierungsrisiko abzunehmen (RIS-Justiz RS0018227). Nun kann nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 3a Absatz eins, IESG in der Fassung der Novelle BGBl I 2000/142 allein aus der Komponente des „Stehenlassens" von Ansprüchen nicht mehr darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer das Finanzierungsrisiko missbräuchlich auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds überwälzen wollte. Nur dann, wenn zu dem „Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret den Vorsatz erschließen lassen, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, kann die Geltendmachung eines Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld missbräuchlich sein (RIS-Justiz RS0119679; RS0116935; 8 ObS 16/06w; 8 ObS 18/06i = ecolex 2007/93). Ob ein solcher Vorsatz zu bejahen ist, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 ObS 12/07h; 8 ObS 22/07d). Die auf den konkreten Umständen des Einzelfalls aufbauende Eventualbegründung des Berufungsgerichts, dass ein Vorsatz der Klägerin, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, vorlag, ist zumindest vertretbar: Zwar fehlt es hier an dem Tatbestandsmerkmal des unentgeltlichen Weiterarbeitens der Klägerin, das im Zusammenhang mit weiteren Umständen des Einzelfalls auf einen auf Überwälzung des Finanzierungsrisikos gerichteten Vorsatz schließen lässt (8 ObS 22/07d); andererseits aber wäre es an der Klägerin als Alleingesellschafterin gelegen, ihre schon längst fälligen Arbeitnehmerforderungen (ein Hinausschieben der Fälligkeit wurde nicht einmal behauptet) geltend zu machen. Die zeitliche Komponente in Verbindung mit dem Umstand, dass die Klägerin als Alleingesellschafterin (und somit wirtschaftliche Eigentümerin der GmbH) ihre Ansprüche erst nach Konkurseröffnung geltend machte, spricht in der Tat für einen Vorsatz der Klägerin, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen. Dieser Beurteilung steht auch die Insolvenz-Richtlinie 80/987/EWG (geändert durch die Richtlinie 2002/74/EG) nicht entgegen: Art 10 der RL legt in Litera a und b unter anderem fest, dass die Richtlinie nicht notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Missbräuchen oder der Ablehnung der Zahlung entgegensteht, wenn sich herausstellt, dass die Erfüllung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist (vgl dazu 8 ObS 18/06i).

Da das Berufungsgericht das Klagebegehren auch wegen eines zumindest vertretbar bejahten Missbrauchsvorsatzes der Klägerin abgewiesen hat, bedarf es somit keiner Auseinandersetzung dazu, ob - im Sinne der vom Berufungsgericht für erheblich erachteten Rechtsfrage - ehemalige Arbeitnehmeransprüche des späteren Alleingesellschafters der Dienstgeber-GmbH überhaupt nach dem IESG gesichert sein können.

Textnummer

E88170

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:008OBS00003.08M.0710.000

Im RIS seit

09.08.2008

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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