Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Falmbigl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Valeriu M***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 FPG, AZ 26 Hv 20/08g des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde der Angeklagten Valeriu M*****, Maxim B*****, Boris M*****, Vasile D***** und Valentin M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Einspruchs- und Beschwerdegericht vom 25. April 2008, AZ 7 Bs 209/08f, 226/08f, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Valeriu M*****, Maxim B*****, Boris M*****, Vasile D***** und Valentin M***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Über die moldawischen Staatsangehörigen Valeriu M*****, Maxim B*****, Boris M*****, Vasile D***** und Valentin M***** wurde am 31. März 2008 die Untersuchungshaft verhängt.
Mit Beschluss vom 25. April 2008 wies das Oberlandesgericht Innsbruck zum einen Einsprüche der Genannten gegen die am 4. April 2008 erhobene Anklageschrift teilweise ab und erklärte damit die Anklageschrift in diesem Umfang für rechtswirksam, zum anderen ordnete es - bezüglich Maxim B***** dessen Beschwerde gegen den Haftbeschluss der Einzelrichterin verwerfend, bezüglich der weiteren Angeklagten amtswegig gemäß § 214 Abs 3 StPO - an, dass die über sämtliche Angeklagte verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO fortzudauern haben.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung über die Haft richtet sich die von den fünf Angeklagten gemeinsam erhobene Grundrechtsbeschwerde; sie schlägt fehl.
Inhaltlich der Entscheidung des Oberlandesgerichts sind die Angeklagten dringend verdächtigt, am 28. März 2008 in Musau als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung wissentlich die rechtswidrige Einreise von Fremden nach Österreich und Durchreise durch Österreich mit dem Vorsatz gefördert zu haben, sich oder einen Dritten durch das dafür geleistete Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem sie sich gemeinsam mit Mittätern zu einer kriminellen Vereinigung zusammenschlossen und als Fahrer von Kleinbussen 31 moldawische Staatsangehörige, welche im Besitz erschlichener Visa für den Schengen-Raum, ausgestellt durch die luxemburgische Botschaft in Moskau waren, von Luxemburg über Deutschland nach Österreich brachten und dafür von den Geschleppten ein Entgelt von jeweils zwischen 4.300 und 4.500 Euro verlangten und bezahlt erhielten (§ 114 Abs 2 und 5 FPG).
Nach den - von der Grundrechtsbeschwerde nicht in Frage gestellten - tatsächlichen Annahmen zum dringenden Tatverdacht waren die Angeklagten als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung darauf spezialisiert, ausreisewillige moldawische Staatsangehörige in die Länder des Schengen-Raums zu schleppen, wobei durch Vorspiegelung falscher Tatsachen Schengen-Visa erschlichen wurden. In den Visaanträgen wurde vorgetäuscht, dass ausschließlich eine Rund- oder Studienreise stattfinde und die Visawerber danach nach Moldawien zurückkehren würden. Tatsächlich erfolgte jedoch nach der Rundreise die Schleppung der Personen in die eigentlichen Zielländer. Die Reisepässe der Geschleppten wurden zurück nach Moldawien genommen und von bestochenen Grenzkontrollorganen mit moldawischen Einreisestempeln versehen, wodurch die Rückkehr der Reisegruppe vorgetäuscht wurde, während die geschleppten Personen im Zielland verblieben. Im gegenständlichen Fall wurden bei der luxemburgischen Botschaft in Moskau für die geschleppten Personen durch Vorlage eines Rundreiseprogramms mit mehrtägigem Aufenthalt in Luxemburg Schengen-Visa erschlichen. Ziel der Reise war jedoch, diese Personen nach Frankreich und Italien zu bringen, eine Rückkehr nach Moldawien war nicht vorgesehen.
Die Grundrechtsbeschwerde behauptet, die Einreise der moldawischen Staatsangehörigen nach Österreich könne nicht rechtswidrig im Sinn des § 114 Abs 1 und 2 FPG gewesen sein, weil alle Reisenden über gültige luxemburgische Visa für den Schengen-Raum verfügt hätten. Die Ungültigerklärung eines luxemburgischen Visums durch eine österreichische Behörde sei aber gemäß § 26 FPG nicht vorgesehen. Die Beurteilung der Gültigkeit bleibe den luxemburgischen Behörden vorbehalten. Weiters definiere § 15 FPG die Rechtmäßigkeit einer Einreise und verlange in diesem Zusammenhang (nur) das Vorliegen eines gültigen Visums, wobei § 20 Abs 2 FPG jedes von einem Vertragsstaat des SDÜ ausgestellte Visum, dessen Geltungsbereich Österreich umfasst, als Einreisetitel gelten lasse.
Dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist der Begriff „rechtswidrige Einreise" in § 114 Abs 1 und 2 FPG innerhalb der Grenzen des möglichen Wortsinns (vgl Höpfel in WK² § 1 Rz 51) weit auszulegen. In diesem Sinn hat schon die bisherige Rechtsprechung zu § 104 Abs 1 FrG zum Ausdruck gebracht, dass jede Einreise als rechtswidrig anzusehen ist, die gegen eine (verwaltungsbehördliche) Rechtsvorschrift verstößt (RIS-Justiz RS0118058). Ist die Einreise eines Fremden durch Falschangaben im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zur Erlangung des Einreisetitels erschlichen, so ist die mit dem erschlichenen Einreisetitel bewirkte Einreise „rechtswidrig" (11 Os 153/03). An dieser kriminalpolitisch notwendigen weiten, auch für die Interpretation der nun geltenden Bestimmung des § 114 Abs 1 FPG sachgerechten Sicht vermag - der Grundrechtsbeschwerde zuwider - auch weder der Umstand, dass es sich im vorliegenden Fall um einen von einem anderen Staat ausgestellten Einreisetitel handelt, noch die Bestimmung des § 15 FPG über die Voraussetzungen für die rechtmäßige Einreise in das Bundesgebiet etwas zu ändern.Dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist der Begriff „rechtswidrige Einreise" in § 114 Abs 1 und 2 FPG innerhalb der Grenzen des möglichen Wortsinns vergleiche Höpfel in WK² § 1 Rz 51) weit auszulegen. In diesem Sinn hat schon die bisherige Rechtsprechung zu § 104 Abs 1 FrG zum Ausdruck gebracht, dass jede Einreise als rechtswidrig anzusehen ist, die gegen eine (verwaltungsbehördliche) Rechtsvorschrift verstößt (RIS-Justiz RS0118058). Ist die Einreise eines Fremden durch Falschangaben im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zur Erlangung des Einreisetitels erschlichen, so ist die mit dem erschlichenen Einreisetitel bewirkte Einreise „rechtswidrig" (11 Os 153/03). An dieser kriminalpolitisch notwendigen weiten, auch für die Interpretation der nun geltenden Bestimmung des § 114 Abs 1 FPG sachgerechten Sicht vermag - der Grundrechtsbeschwerde zuwider - auch weder der Umstand, dass es sich im vorliegenden Fall um einen von einem anderen Staat ausgestellten Einreisetitel handelt, noch die Bestimmung des § 15 FPG über die Voraussetzungen für die rechtmäßige Einreise in das Bundesgebiet etwas zu ändern.
§ 15 FPG nennt als eine der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Einreise eines Fremden in das Bundesgebiet lediglich das Vorliegen eines Visums, ohne eine nähere Aussage über dessen Beschaffenheit oder Zustandekommen zu machen. Es muss daher jedenfalls den Kriterien des § 21 FPG entsprechen, somit unter den dort genannten Bedingungen rechtmäßig erlangt worden sein. § 20 Abs 2 FPG stellt alle von einem Vertragsstaat des SDÜ ausgestellten Visa, deren Geltungsbereich Österreich umfasst, österreichischen Einreisetiteln gleich. Eine Legaldefinition derart, dass jede Einreise mit einem (wie auch immer beschaffenen oder zustande gekommenen) Visum (jedes SDÜ-Vertragsstaats) rechtmäßig sei, wird damit nicht gegeben.
Die somit zu prüfende Vorfrage, ob das Visum des Großherzogtums Luxemburg im konkreten Fall unrechtmäßig, weil unter Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen erlangt wurde, obliegt der selbstständigen Beurteilung der österreichischen Strafgerichte (§ 15 erster Satz StPO), zumal die Erteilung eines Visums keine verwaltungsbehördliche Entscheidung rechtsgestaltender Natur darstellt, an die das Strafgericht gebunden wäre (§ 15 letzter Satz StPO).
Auf Basis der dargestellten Sachlage durfte das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgehen, dass die Visa unrechtmäßig erlangt worden waren, weil im entsprechenden verwaltungsbehördlichen Verfahren über die für die Erteilung jedes Schengen-Visums wesentlichen Kriterien, nämlich das Hauptreiseziel, den Einreisezweck, die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts sowie die Sicherstellung der Wiederausreise (Art 5 Abs 1 lit c SDÜ) Falschangaben gemacht worden waren, wodurch die Visa erschlichen worden sind. Ausgehend davon, dass Hauptreiseziel der Geschleppten - nach den tatsächlichen Annahmen des angefochtenen Beschlusses - nicht Luxemburg, sondern ein anderes Land war, wäre Luxemburg im Übrigen zur Visumserteilung gar nicht zuständig gewesen (s Art 12 Abs 2 SDÜ, wonach für die Erteilung des Sichtvermerks grundsätzlich die Vertragspartei zuständig ist, in deren Hoheitsgebiet das Hauptreiseziel liegt).Auf Basis der dargestellten Sachlage durfte das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgehen, dass die Visa unrechtmäßig erlangt worden waren, weil im entsprechenden verwaltungsbehördlichen Verfahren über die für die Erteilung jedes Schengen-Visums wesentlichen Kriterien, nämlich das Hauptreiseziel, den Einreisezweck, die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts sowie die Sicherstellung der Wiederausreise (Art 5 Abs 1 Litera c, SDÜ) Falschangaben gemacht worden waren, wodurch die Visa erschlichen worden sind. Ausgehend davon, dass Hauptreiseziel der Geschleppten - nach den tatsächlichen Annahmen des angefochtenen Beschlusses - nicht Luxemburg, sondern ein anderes Land war, wäre Luxemburg im Übrigen zur Visumserteilung gar nicht zuständig gewesen (s Art 12 Abs 2 SDÜ, wonach für die Erteilung des Sichtvermerks grundsätzlich die Vertragspartei zuständig ist, in deren Hoheitsgebiet das Hauptreiseziel liegt).
Ungeachtet des Vorliegens formal gültiger luxemburgischer Visa hat das Oberlandesgericht daher die Einreise zutreffend als „rechtswidrig" im Sinn des § 114 Abs 1 und 2 FPG beurteilt.
Soweit die Grundrechtsbeschwerde darüber hinaus auch noch rügt, dass sich das Oberlandesgericht nicht damit auseinandergesetzt habe, ob der Haftgrund der Fluchtgefahr durch gelindere Mittel im Sinn des § 173 Abs 5 StPO abgewendet werden könne, vernachlässigt sie zum einen S 13 zweiter Absatz letzter Satz des angefochtenen Beschlusses, zum anderen entbehrt sie jeglicher inhaltlicher Argumentation zur behaupteten Substituierbarkeit.
Da die behauptete Grundrechtsverletzung somit nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Textnummer
E88106European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0150OS00077.08Z.0710.000Im RIS seit
09.08.2008Zuletzt aktualisiert am
12.10.2010