Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Falmbigl als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang S***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 7 HR 49/08g des Landesgerichts Wels, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 24. Juni 2008, AZ 7 Bs 231/08g (ON 24 der HR-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Wolfgang S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Gegen Wolfgang S***** wurde im Verfahren AZ 7 Ur 67/07b des Landesgerichts Wels am 4. April 2007 die Voruntersuchung wegen des Verdachts der Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 (zweiter Fall) StGB sowie des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 (Z 1) und Abs 3 StGB und jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 13 sowie § 33 Abs 2 lit a FinStrG eingeleitet und über ihn aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a, b und c StPO aF die Untersuchungshaft verhängt (ON 16 in ON 2). Diese wurde am 13. April 2007 zum Vollzug einer dreijährigen Freiheitsstrafe aus dem Verfahren AZ 13 Hv 39/03v des Landesgerichts Wels unterbrochen (§ 180 Abs 4 StPO aF; ON 22 in ON 2). Die Untersuchungshaft dauerte also zunächst neun Tage, nämlich vom 4. bis zum 13. April 2007.Gegen Wolfgang S***** wurde im Verfahren AZ 7 Ur 67/07b des Landesgerichts Wels am 4. April 2007 die Voruntersuchung wegen des Verdachts der Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 (zweiter Fall) StGB sowie des schweren Betrugs nach Paragraphen 146,, 147 Abs 1 (Z 1) und Abs 3 StGB und jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 13 sowie § 33 Abs 2 lit a FinStrG eingeleitet und über ihn aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a, b und c StPO aF die Untersuchungshaft verhängt (ON 16 in ON 2). Diese wurde am 13. April 2007 zum Vollzug einer dreijährigen Freiheitsstrafe aus dem Verfahren AZ 13 Hv 39/03v des Landesgerichts Wels unterbrochen (§ 180 Abs 4 StPO aF; ON 22 in ON 2). Die Untersuchungshaft dauerte also zunächst neun Tage, nämlich vom 4. bis zum 13. April 2007.
Aufgrund der mit einem Aufschubsantrag (§ 5 Abs 1 StVG) verbundenen Hemmung des Strafvollzugs (§ 7 Abs 3 StVG) befand sich Wolfgang S***** ab 21. Dezember 2007 wieder in Untersuchungshaft, deren Fortsetzung das Landesgericht Wels zuletzt am 27. Mai 2008 (ON 18) beschloss. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 30. Mai 2008 wurde der Beschwerde gegen die Ablehnung des Aufschubsantrags nicht Folge gegeben (ON 21). Seit diesem Tag ist Wolfgang S***** wieder zur Verbüßung der erwähnten Freiheitsstrafe - mit errechnetem Strafende am 12. August 2010 - im Strafvollzug (s den Strafantrittsbericht ON 22; § 173 Abs 4 StPO). Die Untersuchungshaft dauerte somit weitere fünf Monate und neun Tage.
Der gegen den Haftfortsetzungsbeschluss des Landesgerichts Wels vom 27. Mai 2008 vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Linz mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge. Es entschied - zu Recht (vgl 13 Os 149/01) - noch zu einem Zeitpunkt meritorisch, zu dem sich der Genannte in Strafhaft befand.Der gegen den Haftfortsetzungsbeschluss des Landesgerichts Wels vom 27. Mai 2008 vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Linz mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge. Es entschied - zu Recht vergleiche 13 Os 149/01) - noch zu einem Zeitpunkt meritorisch, zu dem sich der Genannte in Strafhaft befand.
Die Grundrechtsbeschwerde macht Unverhältnismäßigkeit durch eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) geltend, die vor allem in Säumigkeit bei Einholung des Gutachtens eines Buchsachverständigen gelegen sei. Weiters wird eingewendet, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz „keine berechtigten Gründe für eine Fortführung der Untersuchungshaft" vorgelegen seien und dass die Untersuchungshaft länger als sechs Monate gedauert habe, ohne dass besondere Schwierigkeiten oder ein besonderer Umfang der Ermittlungen (§ 178 Abs 2 StPO) vorgelegen seien. Die „Beendigungsvoraussetzungen der Untersuchungshaft" lägen auch deshalb vor, weil die Staatsanwaltschaft nicht binnen 14 Tagen nach Schließung der Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter im September 2007 eine Anklageschrift eingebracht habe (§ 112 Abs 1 StPO aF).
Rechtliche Beurteilung
Die Grundrechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Ist bei Haftbeschwerden die Einhaltung aller die Haft betreffenden, vom Gericht zu beachtenden Vorschriften Prozessgegenstand (14 Os 43/07s, EvBl 2007/101, 552; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 182 aF Rz 9; vgl 13 Os 16/93, EvBl 1993/86) und bildet die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde (jüngst 14 Os 31/08b), kann - auch im Licht der aktuellen Ausweitung des Grundrechtsschutzes in strafgerichtlichen Verfahren (13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832 = AnwBl 2007, 501 = JSt 2007/46/47, 173 = EuGRZ 2007, 584 = JBl 2008, 62 = JBl 2008, 23 [Rieder]) - die Ansicht nicht aufrecht erhalten werden, einer nach (endgültigem oder allenfalls nur vorübergehendem) Wegfall der Untersuchungshaft (hier: zufolge § 173 Abs 4 StPO) prüfenden Haftentscheidung des Oberlandesgerichts komme keine Grundrechtsbedeutung zu (aM noch 13 Os 149/01, ÖJZ-LSK 2002/73 = EvBl 2002/69, 271 = JUS St3165). Die Grundrechtsbeschwerde ist demnach zulässig.1. Ist bei Haftbeschwerden die Einhaltung aller die Haft betreffenden, vom Gericht zu beachtenden Vorschriften Prozessgegenstand (14 Os 43/07s, EvBl 2007/101, 552; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 182 aF Rz 9; vergleiche 13 Os 16/93, EvBl 1993/86) und bildet die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde (jüngst 14 Os 31/08b), kann - auch im Licht der aktuellen Ausweitung des Grundrechtsschutzes in strafgerichtlichen Verfahren (13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832 = AnwBl 2007, 501 = JSt 2007/46/47, 173 = EuGRZ 2007, 584 = JBl 2008, 62 = JBl 2008, 23 [Rieder]) - die Ansicht nicht aufrecht erhalten werden, einer nach (endgültigem oder allenfalls nur vorübergehendem) Wegfall der Untersuchungshaft (hier: zufolge § 173 Abs 4 StPO) prüfenden Haftentscheidung des Oberlandesgerichts komme keine Grundrechtsbedeutung zu (aM noch 13 Os 149/01, ÖJZ-LSK 2002/73 = EvBl 2002/69, 271 = JUS St3165). Die Grundrechtsbeschwerde ist demnach zulässig.
2. Gegen eine - hier der Sache nach angesprochene - Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen im Bereich der Staatsanwaltschaft, der es im neu geregelten Ermittlungsverfahren (unter anderem) grundsätzlich obliegt, Sachverständige zu bestellen (§ 126 Abs 3 StPO) und erforderlichenfalls die Erstattung von Befund und Gutachten zu urgieren (vgl § 127 Abs 5 StPO), kann gerichtlicher Rechtsschutz erreicht werden, indem - mit Blick auf das über den weit reichenden Prozessgegenstand von Haftentscheidungen schon Gesagte (14 Os 43/07s) - ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots gestützter Antrag „auf Enthaftung" oder - bedeutungsgleich -„auf Freilassung" gestellt wird (dessen auf die häufigste Beschwerdeintention, nämlich Beendigung der Haft, abgestellte gesetzliche Bezeichnung [§ 174 Abs 3 Z 8, § 176 Abs 1 Z 2 StPO] nichts daran ändert, dass damit auch gezielt bloß die Einhaltung haftrelevanter Vorschriften begehrt werden kann) und nötigenfalls gegen die darüber ergangene Entscheidung Beschwerde geführt wird: Erfordert auch die Verletzung des Beschleunigungsgebots für sich allein noch keine Freilassung (vgl demgegenüber § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO), wohl aber - selbstverständlich - das konzentrierte Hinwirken auf eine (jedenfalls von da an) in ganz besonderem Maß vorrangige Verfahrensführung, kann auf diesem Weg ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen durch (nötigenfalls vom Gericht näher zu bezeichnende) Maßnahmen Rechnung zu tragen. Diese Bindung der Staatsanwaltschaft an Aufträge des Gerichts aufgrund der Verletzung eines subjektiven Rechts lässt sich aus den Bestimmungen über den Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO ableiten. Gibt das Gericht dem Einspruch statt, hat die Staatsanwaltschaft, sofern sie diesem nicht schon entsprochen hat (§ 106 Abs 4 StPO), den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 107 Abs 4 StPO). Für den Fall der Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Staatsanwaltschaft, mit dem das Gericht im Weg eines - auf Prüfung der Einhaltung einer die Haft betreffenden Vorschrift zielenden - Antrags auf Freilassung befasst wird, kann (per analogiam) nichts anderes gelten (vgl auch Pilnacek/Pscheidl, Das Strafverfahren und seine Grundsätze, ÖJZ 2008, 629 [631]).2. Gegen eine - hier der Sache nach angesprochene - Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen im Bereich der Staatsanwaltschaft, der es im neu geregelten Ermittlungsverfahren (unter anderem) grundsätzlich obliegt, Sachverständige zu bestellen (§ 126 Abs 3 StPO) und erforderlichenfalls die Erstattung von Befund und Gutachten zu urgieren vergleiche § 127 Abs 5 StPO), kann gerichtlicher Rechtsschutz erreicht werden, indem - mit Blick auf das über den weit reichenden Prozessgegenstand von Haftentscheidungen schon Gesagte (14 Os 43/07s) - ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots gestützter Antrag „auf Enthaftung" oder - bedeutungsgleich -„auf Freilassung" gestellt wird (dessen auf die häufigste Beschwerdeintention, nämlich Beendigung der Haft, abgestellte gesetzliche Bezeichnung [§ 174 Abs 3 Z 8, § 176 Abs 1 Z 2 StPO] nichts daran ändert, dass damit auch gezielt bloß die Einhaltung haftrelevanter Vorschriften begehrt werden kann) und nötigenfalls gegen die darüber ergangene Entscheidung Beschwerde geführt wird: Erfordert auch die Verletzung des Beschleunigungsgebots für sich allein noch keine Freilassung vergleiche demgegenüber § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO), wohl aber - selbstverständlich - das konzentrierte Hinwirken auf eine (jedenfalls von da an) in ganz besonderem Maß vorrangige Verfahrensführung, kann auf diesem Weg ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen durch (nötigenfalls vom Gericht näher zu bezeichnende) Maßnahmen Rechnung zu tragen. Diese Bindung der Staatsanwaltschaft an Aufträge des Gerichts aufgrund der Verletzung eines subjektiven Rechts lässt sich aus den Bestimmungen über den Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO ableiten. Gibt das Gericht dem Einspruch statt, hat die Staatsanwaltschaft, sofern sie diesem nicht schon entsprochen hat (§ 106 Abs 4 StPO), den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 107 Abs 4 StPO). Für den Fall der Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Staatsanwaltschaft, mit dem das Gericht im Weg eines - auf Prüfung der Einhaltung einer die Haft betreffenden Vorschrift zielenden - Antrags auf Freilassung befasst wird, kann (per analogiam) nichts anderes gelten vergleiche auch Pilnacek/Pscheidl, Das Strafverfahren und seine Grundsätze, ÖJZ 2008, 629 [631]).
Somit ist das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot (nach wie vor) wirksamer gerichtlicher Kontrolle und Abhilfemöglichkeit unterstellt.
Im gegebenen Fall einer bei Beschlussfassung in erster Instanz, aber (zufolge § 173 Abs 4 StPO) nicht mehr bei der Beschwerdeentscheidung aktuellen Untersuchungshaft ist dem Oberlandesgericht, das in der Begründung seines Beschlusses die Säumigkeit der Staatsanwaltschaft in Ansehung der Betreibung des Gutachtens als das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzend beanstandete (BS 9), eine Grundrechtsverletzung demnach nicht vorzuwerfen.
3. Der Einwand, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts „keine berechtigten Gründe für eine Fortführung der Untersuchungshaft" vorgelegen seien, entzieht sich mangels Substantiierung einer argumentationsbezogenen Erwiderung.
4. Zur irrigen Annahme einer Dauer der Untersuchungshaft von mehr als sechs Monaten gelangt der Beschwerdeführer aufgrund der unzutreffenden Annahme, es komme für die Maßnahme nach § 173 Abs 4 StPO nicht auf die Rechtskraft der Entscheidung des Oberlandesgerichts, sondern auf deren Zustellung an.
5. Dass die Überschreitung der Mahnfrist des § 112 Abs 1 StPO aF für sich allein zu einer Beendigung der Untersuchungshaft führen sollte, wie der Beschwerdeführer begründungslos behauptet, ist aus dem Gesetz nicht ableitbar.
6. Die keine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war demnach ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Textnummer
E88469European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0130OS00122.08B.0827.000Im RIS seit
26.09.2008Zuletzt aktualisiert am
25.03.2011