Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde L*****, vertreten durch Dr. Martin Prokopp und Mag. Arno Pajek, Rechtsanwälte in Baden, wider die beklagten Parteien 1. Land Niederösterreich, St. Pölten, Landhausplatz 1, vertreten durch Urbanek/Linz/Schmied/Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, und 2. Ö***** AG, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Februar 2008, GZ 12 R 86/07s-40, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10. Juli 2008, AZ 12 R 86/07s, womit infolge der Berufungen der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 28. Februar 2007, GZ 2 Cg 191/05g-34, aufgehoben wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die klagende Partei hat der erstbeklagten Partei die mit 1.187,28 EUR (darin 197,88 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Entscheidung über die weiteren Kosten des Rekursverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Begründung:
Die klagende Marktgemeinde, das erstbeklagte Bundesland und das zweitbeklagte Eisenbahnunternehmen schlossen im Jahr 1990 einen Vertrag über die Errichtung und Erhaltung eines Parkdecks für 575 Pkw und rund 300 einspurige Fahrzeuge. Die erstbeklagte Partei verpflichtete sich zur Übernahme von 20 % der Baukosten, die klagende Partei zur Übernahme von 20 % der Grundkosten. 80 % der Gesamtkosten hatte die zweitbeklagte Partei zu tragen. Das Übereinkommen wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Der zweitbeklagten Partei wurde ein Auflösungsrecht bei Wegfall des Bedarfs an Abstellplätzen für Bahnbenützer und Bestehen eines Eigenbedarfs eingeräumt. Die klagende Partei verpflichtete sich zur „Erneuerung, Erhaltung, Beleuchtung (laufende Erhaltung und Energiekosten) und winterliche Betreuung der Neuherstellung auf ihre Kosten". Das Parkdeck wurde errichtet. Die klagende Partei kündigte mit Schreiben vom 19. Dezember 2002 den Vertrag per 30. Juni 2003 auf.
Sie begehrte nun mit ihrer am 27. Oktober 2003 beim Erstgericht eingelangten Klage die Feststellung, dass das vertragliche Rechtsverhältnis zwischen den Parteien seit 1. Juli 2003 nicht mehr bestehe. Die klagende Partei stützte sich dabei auf eine im Vertrag nicht ausgeschlossene ordentliche Kündigung. Überdies lägen auch wichtige Gründe für die Vertragsauflösung vor (insbesondere wegen erheblicher Baumängel). Die beklagten Parteien bestritten ein ordentliches Kündigungsrecht der klagenden Partei und das Vorliegen wichtiger Auflösungsgründe.
Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren mit der wesentlichen Begründung statt, dass anlässlich der Vertragsgespräche nie über eine Kündigungsmöglichkeit gesprochen worden sei. Das unbefristete Gesellschaftsverhältnis einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts könne unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist von der klagenden Partei aufgekündigt werden. Der Kündigung allenfalls entgegenstehende Gründe der Arglist oder der Unzeit iSd § 1212 ABGB lägen nicht vor. Ein Kündigungsverzicht sei nicht vereinbart worden. Im Übrigen gingen undeutliche Vertragsbestimmungen gemäß § 915 ABGB zu Lasten der beklagten Parteien, deren Vertragsmuster verwendet worden sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien Folge und hob das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Es verneinte ein Recht der klagenden Partei auf ordentliche Kündigung des Dauerschuldverhältnisses. Der Ausschluss des Kündigungsrechts sei zwar im Vertrag nicht vereinbart worden, ergebe sich aber aus dem von den Parteien verfolgten Zweck der Vereinbarung, der in der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs bestehe. Dieser Zweck könne bei einer grundlosen vorzeitigen Kündigung durch die klagende Partei nicht erreicht werden. Nach dem zu unterstellenden Parteiwillen sei eine längerfristige Bindung der klagenden Partei gewollt gewesen. Ob die klagende Partei während der gesamten kalkulierten Abschreibungsdauer des Gebäudes von 50 Jahren an den Vertrag gebunden sei, müsse nicht beurteilt werden. Jedenfalls stehe der ordentlichen Kündigung derzeit, nach einer bloß achtjährigen Betriebsdauer des Parkdecks, der Vertragszweck entgegen.Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren mit der wesentlichen Begründung statt, dass anlässlich der Vertragsgespräche nie über eine Kündigungsmöglichkeit gesprochen worden sei. Das unbefristete Gesellschaftsverhältnis einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts könne unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist von der klagenden Partei aufgekündigt werden. Der Kündigung allenfalls entgegenstehende Gründe der Arglist oder der Unzeit iSd Paragraph 1212, ABGB lägen nicht vor. Ein Kündigungsverzicht sei nicht vereinbart worden. Im Übrigen gingen undeutliche Vertragsbestimmungen gemäß Paragraph 915, ABGB zu Lasten der beklagten Parteien, deren Vertragsmuster verwendet worden sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien Folge und hob das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Es verneinte ein Recht der klagenden Partei auf ordentliche Kündigung des Dauerschuldverhältnisses. Der Ausschluss des Kündigungsrechts sei zwar im Vertrag nicht vereinbart worden, ergebe sich aber aus dem von den Parteien verfolgten Zweck der Vereinbarung, der in der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs bestehe. Dieser Zweck könne bei einer grundlosen vorzeitigen Kündigung durch die klagende Partei nicht erreicht werden. Nach dem zu unterstellenden Parteiwillen sei eine längerfristige Bindung der klagenden Partei gewollt gewesen. Ob die klagende Partei während der gesamten kalkulierten Abschreibungsdauer des Gebäudes von 50 Jahren an den Vertrag gebunden sei, müsse nicht beurteilt werden. Jedenfalls stehe der ordentlichen Kündigung derzeit, nach einer bloß achtjährigen Betriebsdauer des Parkdecks, der Vertragszweck entgegen.
Das Berufungsgericht sprach ohne Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei. Mit ihrem Rekurs beantragt die klagende Partei die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die beklagten Parteien beantragten jeweils, dem Rekurs nicht Folge zu geben, das erstbeklagte Land allerdings primär die Zurückweisung des Rekurses mangels erheblicher Rechtsfragen.
Mit dem über Auftrag des Obersten Gerichtshofs nachgeholten Bewertungsausspruch bewertete das Berufungsgericht den Wert des Entscheidungsgegenstands mit über 20.000 EUR.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der klagenden Partei ist infolge dieser Bewertung nicht jedenfalls unzulässig, das Rechtsmittel ist aber entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig:Der Rekurs der klagenden Partei ist infolge dieser Bewertung nicht jedenfalls unzulässig, das Rechtsmittel ist aber entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (Paragraph 526, Absatz 2, ZPO) mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig:
Grundsätzlich stellen sich bei der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Vertragsauslegung keine erheblichen Rechtsfragen, es sei denn, das Berufungsgericht hätte in Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt (RIS-Justiz RS0042936; RS0042776 uva). Wohl gilt mangels einer gegenteiligen Vereinbarung die freie Kündbarkeit eines auf unbestimmte Zeit eingegangenen Dauerschuldverhältnisses, entscheidend ist aber immer die nach der Auslegungsregel des § 914 ABGB zu erforschende Parteienabsicht, die nach den Umständen des Einzelfalls auch darauf gerichtet sein kann, die freie Kündbarkeit ohne Angabe von Gründen nicht ohne weiteres zuzulassen (RIS-Justiz RS0018924). Der Ausschluss der freien Kündbarkeit kann sich auch aus dem Gesellschaftszweck (Vertragszweck) ergeben (4 Ob 119/07i). Der Vertragszweck kann für eine von den Parteien beabsichtigte längerfristige Bindung sprechen (1 Ob 629/85 = SZ 58/171 = JBl 1986, 310). Für die Beurteilung der Absicht der Parteien iSd § 914 ABGB kommt es maßgeblich auf den Zweck der Vereinbarung an (3 Ob 125/05m = SZ 2005/190 ua). Die angefochtene Berufungsentscheidung steht mit diesen Grundsätzen im Einklang, führte doch eine sofortige ordentliche Kündigung durch die klagende Partei zu einer Überwälzung der sie treffenden Erhaltungspflicht auf die beklagten Parteien, also zu einem eklatanten Missverhältnis der wechselseitigen Leistungen der Vertragsparteien bei der Erreichung des Vertragszwecks. Das von der klagenden Partei bekämpfte, aber nicht zu beanstandende Auslegungsergebnis fußt schon auf den Auslegungsregeln des § 914 ABGB, sodass sich die Rekurswerberin nicht mehr auf die Unklarheitenregel des § 915 zweiter Halbsatz ABGB berufen kann (RIS-Justiz RS0017752; RS0109295).Grundsätzlich stellen sich bei der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Vertragsauslegung keine erheblichen Rechtsfragen, es sei denn, das Berufungsgericht hätte in Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt (RIS-Justiz RS0042936; RS0042776 uva). Wohl gilt mangels einer gegenteiligen Vereinbarung die freie Kündbarkeit eines auf unbestimmte Zeit eingegangenen Dauerschuldverhältnisses, entscheidend ist aber immer die nach der Auslegungsregel des Paragraph 914, ABGB zu erforschende Parteienabsicht, die nach den Umständen des Einzelfalls auch darauf gerichtet sein kann, die freie Kündbarkeit ohne Angabe von Gründen nicht ohne weiteres zuzulassen (RIS-Justiz RS0018924). Der Ausschluss der freien Kündbarkeit kann sich auch aus dem Gesellschaftszweck (Vertragszweck) ergeben (4 Ob 119/07i). Der Vertragszweck kann für eine von den Parteien beabsichtigte längerfristige Bindung sprechen (1 Ob 629/85 = SZ 58/171 = JBl 1986, 310). Für die Beurteilung der Absicht der Parteien iSd Paragraph 914, ABGB kommt es maßgeblich auf den Zweck der Vereinbarung an (3 Ob 125/05m = SZ 2005/190 ua). Die angefochtene Berufungsentscheidung steht mit diesen Grundsätzen im Einklang, führte doch eine sofortige ordentliche Kündigung durch die klagende Partei zu einer Überwälzung der sie treffenden Erhaltungspflicht auf die beklagten Parteien, also zu einem eklatanten Missverhältnis der wechselseitigen Leistungen der Vertragsparteien bei der Erreichung des Vertragszwecks. Das von der klagenden Partei bekämpfte, aber nicht zu beanstandende Auslegungsergebnis fußt schon auf den Auslegungsregeln des Paragraph 914, ABGB, sodass sich die Rekurswerberin nicht mehr auf die Unklarheitenregel des Paragraph 915, zweiter Halbsatz ABGB berufen kann (RIS-Justiz RS0017752; RS0109295).
Die Kostenentscheidung beruht in Ansehung der erstbeklagten Partei auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO, in Ansehung der zweitbeklagten Partei auf § 52 ZPO. Da nur das erstbeklagte Land die Zulässigkeit des Rekurses bestritt, ist nur diese Partei als in einem Zwischenstreit obsiegend und damit kostenersatzberechtigt anzusehen.Die Kostenentscheidung beruht in Ansehung der erstbeklagten Partei auf den Paragraphen 41 und 50 Absatz eins, ZPO, in Ansehung der zweitbeklagten Partei auf Paragraph 52, ZPO. Da nur das erstbeklagte Land die Zulässigkeit des Rekurses bestritt, ist nur diese Partei als in einem Zwischenstreit obsiegend und damit kostenersatzberechtigt anzusehen.
Anmerkung
E887953Ob103.08fEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0030OB00103.08F.0903.000Zuletzt aktualisiert am
09.01.2009