TE OGH 2008/9/9 10Ob76/08m

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Veröffentlicht am 09.09.2008
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Anna Helena S*****, geboren am 12. Juli 2007, *****, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Graz, Kaiserfeldgasse 25, 8011 Graz), infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 5. Mai 2008, GZ 2 R 102/08x-U17, womit infolge Rekurses des Bundes der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 6. März 2008, GZ 232 P 1129/07z-U6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die am 12. Juli 2007 in Graz geborene Anna Helene S***** ist Staatsbürgerin der Tschechischen Republik. Sie lebt seit ihrer Geburt bei ihrer Mutter, die ebenfalls Staatsbürgerin der Tschechischen Republik ist, in Graz. Der Vater Jörg H*****, ein österreichischer Staatsbürger mit dem Wohnsitz in Wien, hat am 30. Oktober 2007 die Vaterschaft anerkannt. Aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 4. Februar 2008 (ON U4) ist der Vater verpflichtet, seiner Tochter ab 12. Juli 2007 einen monatlichen Geldunterhaltsbeitrag von 100 EUR zu leisten.

Das Erstgericht bewilligte der Minderjährigen für die Zeit von 1. März 2008 bis 28. Februar 2011 gemäß § 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe.Das Erstgericht bewilligte der Minderjährigen für die Zeit von 1. März 2008 bis 28. Februar 2011 gemäß Paragraph 4, Ziffer eins, UVG Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe.

Das Rekursgericht gab dem auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Vorschussantrags gerichteten Rekurs des Bundes nicht Folge. Im Hinblick darauf, dass der geldunterhaltspflichtige Vater österreichischer Staatsbürger sei und in Österreich lebe, sei nicht darauf abzustellen, ob er in den Geltungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung falle, sondern darauf, ob ein österreichisches Kind unter den gegebenen Voraussetzungen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse habe. Da dies der Fall sei, habe das Erstgericht der Minderjährigen zu Recht Unterhaltsvorschüsse gewährt.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil es für die vorliegende Konstellation - ausländisches Kind in Österreich, österreichischer Vater mit inländischem Wohnsitz - an höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass der Vorschussantrag abgewiesen wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Minderjährige beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Revisionsrekurswerber stützt sich in seinem Rechtsmittel darauf, dass der bloße Umstand, dass die Minderjährige EU-Bürgerin sei, noch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem österreichischen UVG bewirke; ein solcher Anspruch setze bei einem Kind, das Staatsangehöriger der Tschechischen Republik sei und damit nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 erster Satz UVG erfülle, vielmehr die Begünstigung durch die Wanderarbeitnehmerverordnung voraus: Das vorschusswerbende Kind müsse Familienangehöriger einer Person sein, die als Arbeitnehmer oder Selbständiger im Sinne der Wanderarbeitnehmerverordnung zu qualifizieren sei. In diesem Zusammenhang knüpfe die jüngere Judikatur des Obersten Gerichtshofs an die Rechtsstellung des Unterhaltsschuldners an, in dessen Haushalt das Kind nicht lebe und der den ihm aufgetragenen Geldunterhalt als Familienlast nicht tragen könne oder wolle. Da der Vater seit spätestens 7. Dezember 2007 nicht mehr die Voraussetzungen für den Arbeitnehmerbegriff der Wanderarbeitnehmerverordnung erfülle, sei ein Vorschussanspruch des Kindes zu verneinen.1. Der Revisionsrekurswerber stützt sich in seinem Rechtsmittel darauf, dass der bloße Umstand, dass die Minderjährige EU-Bürgerin sei, noch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem österreichischen UVG bewirke; ein solcher Anspruch setze bei einem Kind, das Staatsangehöriger der Tschechischen Republik sei und damit nicht die Voraussetzungen des Paragraph 2, Absatz eins, erster Satz UVG erfülle, vielmehr die Begünstigung durch die Wanderarbeitnehmerverordnung voraus: Das vorschusswerbende Kind müsse Familienangehöriger einer Person sein, die als Arbeitnehmer oder Selbständiger im Sinne der Wanderarbeitnehmerverordnung zu qualifizieren sei. In diesem Zusammenhang knüpfe die jüngere Judikatur des Obersten Gerichtshofs an die Rechtsstellung des Unterhaltsschuldners an, in dessen Haushalt das Kind nicht lebe und der den ihm aufgetragenen Geldunterhalt als Familienlast nicht tragen könne oder wolle. Da der Vater seit spätestens 7. Dezember 2007 nicht mehr die Voraussetzungen für den Arbeitnehmerbegriff der Wanderarbeitnehmerverordnung erfülle, sei ein Vorschussanspruch des Kindes zu verneinen.

Dazu wurde erwogen:

2. Anspruch auf Vorschüsse haben nach § 2 Abs 1 Satz 1 UVG „minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind".2. Anspruch auf Vorschüsse haben nach Paragraph 2, Absatz eins, Satz 1 UVG „minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind".

Im Gefolge des EuGH-Urteils vom 15. März 2001, Rs C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261, hat der Bundesminister für Justiz in einem Erlass vom 20. Juni 2001, JMZ 4.589/358-I 1/2001 (ÖA 2001, 227), darauf hingewiesen, dass die Verordnung (EWG) 1408/71 (Wanderarbeitnehmerverordnung) Vorrang gegenüber der österreichischen Gesetzeslage genieße; § 2 Abs 1 UVG sei daher so zu lesen, als ob anstelle des Begriffs „österreichische Staatsbürger" der Begriff „EWR-Bürger" stehen würde. Dies bedeute, dass alle in Österreich wohnenden EWR-Bürger unter den selben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf Unterhaltsvorschuss hätten.Im Gefolge des EuGH-Urteils vom 15. März 2001, Rs C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261, hat der Bundesminister für Justiz in einem Erlass vom 20. Juni 2001, JMZ 4.589/358-I 1/2001 (ÖA 2001, 227), darauf hingewiesen, dass die Verordnung (EWG) 1408/71 (Wanderarbeitnehmerverordnung) Vorrang gegenüber der österreichischen Gesetzeslage genieße; Paragraph 2, Absatz eins, UVG sei daher so zu lesen, als ob anstelle des Begriffs „österreichische Staatsbürger" der Begriff „EWR-Bürger" stehen würde. Dies bedeute, dass alle in Österreich wohnenden EWR-Bürger unter den selben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf Unterhaltsvorschuss hätten.

3. Die vom Revisionsrekurswerber aufgeworfene Frage, ob der geldunterhaltspflichtige Vater dem Arbeitnehmerbegriff der Wanderarbeitnehmerverordnung unterliege, stellt sich im vorliegenden Fall gar nicht:

3.1. Art 12 EG verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Für den Bereich der Sozialrechtskoordinierung wird dieses allgemeine Diskriminierungsverbot durch Art 3 der VO (EWG) 1408/71 umgesetzt. Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, haben im Geltungsbereich der VO die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 [2005] 20 f). Jede unmittelbare oder mittelbare Vorzugsstellung der Angehörigen des leistungspflichtigen Staats gegenüber den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten wird dadurch unterbunden (Eichenhofer in Oetker/Preis, EAS B 1200 Rz 108; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union2 [2003] Rz 96 ff).3.1. Artikel 12, EG verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Für den Bereich der Sozialrechtskoordinierung wird dieses allgemeine Diskriminierungsverbot durch Artikel 3, der VO (EWG) 1408/71 umgesetzt. Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, haben im Geltungsbereich der VO die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 [2005] 20 f). Jede unmittelbare oder mittelbare Vorzugsstellung der Angehörigen des leistungspflichtigen Staats gegenüber den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten wird dadurch unterbunden (Eichenhofer in Oetker/Preis, EAS B 1200 Rz 108; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union2 [2003] Rz 96 ff).

3.2. Nun ist richtig, dass die Gleichstellungsbestimmung des Art 3 Abs 1 der VO (EWG) 1408/71 eine Einschränkung auf den persönlichen Geltungsbereich der VO (Art 2) enthält und damit hinsichtlich der Anspruchsberechtigung auf die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft nach Art 1 lit a der VO verweist. Allerdings enthält das österreichische UVG keine Bestimmung, die die Anspruchsberechtigung an die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft des Vaters binden würde. Wenn aufgrund des Wohnsitzes des Vaters (bzw seines möglichen Beschäftigungsortes) im Rahmen der Sozialrechtskoordinierung nur die Anwendung der österreichischen Vorschriften in Betracht kommt - und nicht wie in den im Rechtsmittel angeführten Entscheidungen 4 Ob 4/07b und 6 Ob 121/07y auch die Anwendung der Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats -, würde die ebenfalls in Österreich wohnhafte Antragstellerin im Vergleich zu einem Kind in der gleichen Lage, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, unmittelbar diskriminiert, würde man ihr den Vorschussanspruch unter Berufung auf § 2 Abs 1 Satz 1 UVG versagen (in diesem Sinn auch Barth, Geltendmachung von Unterhaltsforderungen im EU-Ausland durch den österreichischen Jugendwohlfahrtsträger, ÖA 2004, 4). Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, dass bei einem Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft unter den gegebenen Umständen ein Vorschussanspruch bejaht würde, weil eben die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft des geldunterhaltspflichtigen Elternteils für den Vorschussanspruch nicht vorausgesetzt wird.3.2. Nun ist richtig, dass die Gleichstellungsbestimmung des Artikel 3, Absatz eins, der VO (EWG) 1408/71 eine Einschränkung auf den persönlichen Geltungsbereich der VO (Artikel 2,) enthält und damit hinsichtlich der Anspruchsberechtigung auf die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft nach Artikel eins, Litera a, der VO verweist. Allerdings enthält das österreichische UVG keine Bestimmung, die die Anspruchsberechtigung an die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft des Vaters binden würde. Wenn aufgrund des Wohnsitzes des Vaters (bzw seines möglichen Beschäftigungsortes) im Rahmen der Sozialrechtskoordinierung nur die Anwendung der österreichischen Vorschriften in Betracht kommt - und nicht wie in den im Rechtsmittel angeführten Entscheidungen 4 Ob 4/07b und 6 Ob 121/07y auch die Anwendung der Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats -, würde die ebenfalls in Österreich wohnhafte Antragstellerin im Vergleich zu einem Kind in der gleichen Lage, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, unmittelbar diskriminiert, würde man ihr den Vorschussanspruch unter Berufung auf Paragraph 2, Absatz eins, Satz 1 UVG versagen (in diesem Sinn auch Barth, Geltendmachung von Unterhaltsforderungen im EU-Ausland durch den österreichischen Jugendwohlfahrtsträger, ÖA 2004, 4). Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, dass bei einem Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft unter den gegebenen Umständen ein Vorschussanspruch bejaht würde, weil eben die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft des geldunterhaltspflichtigen Elternteils für den Vorschussanspruch nicht vorausgesetzt wird.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher zu bestätigen.

Textnummer

E88752

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0100OB00076.08M.0909.000

Im RIS seit

09.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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