TE Vfgh Erkenntnis 2003/2/27 G93/02

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Veröffentlicht am 27.02.2003
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Index

56/01 Verstaatlichung
56/03 ÖBB

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
BundesbahnG 1992 §19 Abs6
BundeshaushaltsG §49a
VfGG §17 Abs2

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit der Möglichkeit einer rechtlichen Beratung und Vertretung der ÖBB durch die Finanzprokuratur nach dem Bundesbahngesetz 1992; keine wettbewerbsrechtlichen Vorteile für die ÖBB

Spruch

§19 Abs6 des Bundesgesetzes zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Bundesbahnen (Bundesbahngesetz 1992), BGBl. Nr. 825/1992, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten wies als Berufungsbehörde mit Bescheid vom 23.2.2001 den Antrag der nunmehr zu B621/01 beim Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Österreichischen Bundesbahnen auf Feststellung einer Eigenjagd nach Bestimmungen des Kärntner Jagdgesetzes 2000 ab und verpflichtete sie zum Ersatz betragsmäßig festgesetzter Sachverständigengebühren. Die dagegen erhobene Beschwerde nach Art144 B-VG wurde in Vertretung der Beschwerdeführerin von der Finanzprokuratur eingebracht, die hinsichtlich ihres Einschreitens auf §19 Abs6 Bundesbahngesetz 1992, BGBl. 825, (im folgenden kurz: BundesbahnG) und auf ein entsprechendes Ersuchen der beschwerdeführenden Partei verweist.

Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Sonderbestimmungen

§19.

...

(6) Die Gesellschaft sowie die Gesellschaften, die mittelbar oder unmittelbar im Mehrheitseigentum der Gesellschaft stehen, können sich von der Finanzprokuratur gemäß dem Prokuraturgesetz, StGBl. Nr. 172/1945 in der jeweils geltenden Fassung, unbeschadet der Rechte und Pflichten der Gesellschaftsorgane rechtlich beraten und vertreten lassen."

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 2.3.2002 ein Gesetzesprüfungsverfahren des §19 Abs6 BundesbahnG unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot eingeleitet, da diese Bestimmung innerhalb des folgenden legislativen Umfeldes zu sehen sei:

"Gemäß §17 Abs2 VfGG sind insbesondere (verfassungsgerichtliche) Beschwerden (wenn sie nicht unter die [hier nicht bedeutsame] Bestimmung des §24 Abs1 fallen) durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen. §24 Abs3 VfGG räumt der Finanzprokuratur die Befugnis ein, im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die im Prokuraturgesetz, StGBl. 172/1945 (im folgenden kurz: ProkG), näher genannten Rechtsträger zu vertreten und zum Schutz öffentlicher Interessen gemäß §1 Abs3 ProkG einzuschreiten, soweit sie von den zuständigen Verwaltungsorganen oder der zuständigen Aufsichtsbehörde damit betraut ist. In grundsätzlich gleicher Weise ermächtigt §7 Abs1 ProkG idF BGBl. 20/1949 die Finanzprokuratur zur Vertretung (insbesondere) im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof."

3. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung folgende Bedenken:

"Die Bedenken gegen den in Prüfung gezogenen Absatz 6 des §19 BundesbahnG gehen dahin, daß keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen ist, die Österreichischen Bundesbahnen in bezug auf die rechtliche Beratung und Vertretung durch die Finanzprokuratur in Verfahren (insbesondere) vor den ordentlichen Gerichten, dem Arbeits- und Sozialgericht Wien und den ordentlichen Gerichten als Arbeits- und Sozialgericht sowie dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof (s. §4 Abs1 und §7 Abs1 ProkG) anders als andere Unternehmungen zu behandeln. Im Gegensatz zu den Österreichischen Bundesbahnen dürfen sich Unternehmungen, denen weder aufgrund des ProkG noch eines anderen Gesetzes die Möglichkeit der Vertretung durch die Finanzprokuratur eingeräumt wurde, sowohl zur rechtlichen Beratung als auch zur Vertretung lediglich der Leistungen rechtsberatender Berufe, insbesondere von Rechtsanwälten, bedienen und in Verfahren mit Anwaltszwang ausschließlich durch Rechtsanwälte vertreten lassen.

Die von der Finanzprokuratur vertretenen Rechtsträger sind gemäß §8 Abs1 ProkG allein zum Ersatz der durch die Vertretung entstandenen Barauslagen verpflichtet, sodaß die rechtliche Vertretung durch die Finanzprokuratur in den oben genannten Verfahren ansonsten kostenfrei erfolgt. Auch die rechtliche Beratung durch die Finanzprokuratur dürfte mit einer weitaus geringeren Kostenbelastung als durch die Inanspruchnahme von Leistungen rechtsberatender Berufe, insbesondere von Rechtsanwälten, verbunden sein. Hinzu kommt, daß eine Ablehnung oder Kündigung des Mandates seitens der Finanzprokuratur ausgeschlossen ist, ferner daß im Falle einer etwaigen Fehlleistung der uneingeschränkte Haftungsfonds des Bundes als Rechtsträger der Finanzprokuratur offen steht, daß nach §9 ProkG Gerichte und Verwaltungsbehörden zudem zur Hilfestellung gegenüber der Finanzprokuratur verpflichtet sind und daß wohl ein hoher Spezialisierungsgrad in der Finanzprokuratur anzunehmen ist (vgl. dazu Ziehensack, Nochmals: Zur Frage der Vertretung von Universitätsinstituten im Bereich der Drittmittelforschung vor den ordentlichen Gerichten, ÖJZ 2001, 1 [3]).

Die Berechtigung, sich von der Finanzprokuratur rechtlich beraten und vertreten zu lassen, bedeutet daher gegenüber anderen Unternehmungen eine Bevorzugung, für welche der Verfassungsgerichtshof vorläufig keinen sachlichen Grund zu erkennen vermag. Auch die Gesetzesmaterialien bieten keinen Anhaltspunkt für die Rechtfertigung der gegebenen Bevorzugung; in der Regierungsvorlage des nachmaligen BundesbahnG war nämlich eine Bestimmung, die den Österreichischen Bundesbahnen die Inanspruchnahme der Finanzprokuratur gestattete, nicht enthalten, und es wurde dort vielmehr darauf hingewiesen, daß die Österreichischen Bundesbahnen nicht mehr unter die Regelung nach §2 ProkG fallen (652 BlgNR 18. GP 15; vgl. ferner den [die Einfügung des §15 Abs2 nicht begründenden] Bericht des Verkehrsausschusses 828 BlgNR 18. GP 1 ff.).

... Der Gerichtshof braucht im gegebenen Zusammenhang nicht zu beurteilen, ob es sachlich gerechtfertigt ist, (allen) in §2 Abs1 ProkG genannten Rechtsträgern das Recht einzuräumen, sich von der Finanzprokuratur rechtlich beraten und vertreten zu lassen. Dies scheint jedoch für den Wirtschaftskörper 'Österreichische Bundesbahnen' seit seiner rechtlichen Umgestaltung von einem Betriebsverwaltungszweig des Bundes in eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit nicht mehr zuzutreffen. In diesem Zusammenhang sei auf die - zur Aufhebung von Gesetzesvorschriften abgabenrechtlichen Inhalts führende - Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 14.805/1997; 15.271/1998; VfGH 22.6.2001, G128, 129/00) hingewiesen, in der eine unterschiedslose Behandlung der Unternehmensbereiche 'Absatz' (in dem Aufwendungen durch eigene Einnahmen zu decken und bloß gemeinschaftliche Leistungen abzugelten sind) und 'Eisenbahninfrastruktur' (für den der Bund die Kosten zu tragen habe) als gleichheitswidrig gewertet wurde."

4. Die Bundesregierung sowie die beteiligten ÖBB erstatteten jeweils eine Äußerung, in der sie die Nichtaufhebung der in Prüfung gezogenen Vorschrift begehren.

II. Das eingeleitete Prüfungsverfahren erweist sich als zulässig:

1. Während die Bundesregierung implizit vom Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen ausgeht, verneinen die beteiligten ÖBB der Sache nach die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens mit der fehlenden Präjudizialität des §19 Abs6 BundesbahnG.

Sie bringen dazu folgendes vor:

"Sollte nämlich der Verfassungsgerichtshof zum Schluss gelangen, dass §19 Abs6 BundesbahnG wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben ist, so wird im fortgesetzten Beschwerdeverfahren gemäß §18 VerfGG der beschwerdeführenden Partei der Auftrag zur Mängelbehebung durch Beibringung der Unterschrift eines Rechtsanwaltes zu erteilen sein. Wird diesem Auftrag entsprochen, so ist das Beschwerdeverfahren ohne jede Änderung der materiellen Rechtslage fortzusetzen, die Präjudizialität der Vertretungsregelung würde während des Verfahrens entfallen."

Diese Ausführungen vermögen jedoch keinen Mangel an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung aufzuzeigen, da eine Rechtssache auch insofern eine "anhängige Rechtssache" im Sinne des Art140 B-VG ist, als die prozeßrechtlichen Voraussetzungen dieses Rechtsfalles betroffen sind.

2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verfahren insgesamt zulässig.

3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich indes nicht als zutreffend erwiesen:

Die Finanzprokuratur wurde durch §30 des Behörden-Überleitungsgesetzes, StGBl. Nr. 94/1945 wieder errichtet; ihre Rechtsstellung ist im Prokuraturgesetz, StGBl. Nr. 172/1945 idgF näher geregelt. Zu den Aufgaben der Finanzprokuratur zählen nach diesem Gesetz im wesentlichen die Beratung und Vertretung der in §2 leg. cit. genannten Rechtsträger (z.B. die Republik Österreich oder Unternehmen, die von staatlichen Organen unmittelbar verwaltet werden). Die ÖBB sind in §2 weder ausdrücklich genannt, noch sind sie ein von staatlichen Organen unmittelbar verwaltetes Unternehmen. Die Vertretung durch die Finanzprokuratur ist eine ausschließliche, wenn gesetzlich nicht anderes verfügt ist (§1 Abs2 ProkG). Die Beratung und Vertretung der ÖBB durch die Finanzprokuratur erfolgt aufgrund der in §19 Abs6 BundesbahnG normierten fakultativen Ermächtigung der ÖBB, sich von der Finanzprokuratur vertreten zu lassen. Gem. ArtXXXII EGZPO sind die Bestimmungen der ZPO über Rechtsanwälte und deren Stellvertreter auf die Finanzprokuratur sinngemäß anzuwenden.

§49a Bundeshaushaltsgesetz, BGBl. Nr. 213/1986 idF BGBl. I Nr. 26/2000 (im folgenden: BHG), lautet:

"Leistungen von Organen des Bundes an Dritte

§49a. Organe des Bundes haben für Leistungen an Dritte ein Entgelt unter Zugrundelegung mindestens des gemeinen Wertes (§305 ABGB) zu vereinbaren, wobei §49 Abs1 zweiter und dritter Satz sowie Abs3 zweiter Satz sinngemäß anzuwenden ist. §§15, 63 und 64 bleiben unberührt."

§49 Abs1 und 3 leg. cit. lauten:

"§49. (1) Organe des Bundes (§1 Abs1) haben für Leistungen (§859 ABGB), die sie von einem anderen Organ des Bundes empfangen, eine Vergütung zu entrichten. Ausnahmen davon können nach Maßgabe der Eigenart oder des Umfanges der Leistung im Interesse der Verwaltungsvereinfachung zugelassen werden. Die näheren Bestimmungen, insbesondere über die Voraussetzungen, unter denen Vergütungen zu entfallen haben oder vom Bundesminister für Finanzen Ausnahmen von der Vergütungspflicht genehmigt werden können, sind vom Bundesminister für Finanzen durch Verordnung festzulegen. [Der vierte Satz ist im gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung.]

(2) ...

(3) Eine Vergütung gemäß Abs1 ist unter Zugrundelegung des gemeinen Wertes (§305 ABGB) zu vereinbaren, wobei für ständig wiederkehrende gleichartige Leistungen Pauschbeträge (Tarife o. dgl.) vorzusehen sind. Von diesem Bewertungsgrundsatz kann das haushaltsleitende Organ, in dessen Wirkungsbereich die betreffende Leistung erbracht wird, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen abgehen, wenn und soweit dies die Eigenart der Leistung und der damit verbundenen Aufgabenerfüllung erfordert.

..."

Gem. §15 BHG hat der jeweils zuständige Bundesminister mit dem Bundesminister für Finanzen vor Inkraftsetzen bestimmter Regelungen das Einvernehmen herzustellen, wenn es sich hiebei z.B. um die Festsetzung von Entgelten (insbesondere Tarifen) für Leistungen des Bundes oder um die Änderung solcher Entgelte handelt.

Die §§63 und 64 BHG betreffen Verfügungen über sonstige Bestandteile des beweglichen bzw. Bestandteile des unbeweglichen Bundesvermögens.

4. Wie das Gesetzesprüfungsverfahren ergeben hat, erlaubt es §49a BHG nicht, daß die Finanzprokuratur unentgeltliche Leistungen für die ÖBB erbringt: Nach dieser Bestimmung haben Organe des Bundes für Leistungen an Dritte eine Vergütung zu vereinbaren. Wie sich aus von der ÖBB vorgelegten Unterlagen und Verrechnungen ergibt, wird §49a BHG auch so verstanden und gehandhabt, daß zwischen den ÖBB und der Finanzprokuratur eine Einzelabgeltung in Anlehnung an das RATG erfolgt. Die Vertretungs- und Beratungstätigkeit der Finanzprokuratur für die ÖBB erfolgt somit nicht unentgeltlich.

Der Verfassungsgerichtshof kann aber auch nicht finden, daß die Möglichkeit der ÖBB, sich von der Finanzprokuratur vertreten zu lassen, aus anderen Gründen gegen den Gleichheitssatz verstieße: Die Möglichkeit einer Vertretung der ÖBB durch die Finanzprokuratur ist aufgrund der Stellung des Bundes als Anteilseigentümer und Träger des Gebarungsabganges bzw. Träger wesentlicher Teile der Kosten des Betriebes sachlich gerechtfertigt, zumal sich daraus - wie das Gesetzesprüfungsverfahren ergeben hat - wettbewerbsrechtliche Vorteile für die ÖBB nicht ergeben.

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

6. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen.

Schlagworte

Bundesbahnen, Finanzverfassung, Kreditwesen, Haushaltsrecht, VfGH / Präjudizialität, Vertreter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G93.2002

Dokumentnummer

JFT_09969773_02G00093_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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