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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des E, vertreten durch die Sachwalterin Dr. Margit Niederleitner, Rechtsanwältin in 9500 Villach, Moritschstraße 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 12. Juni 2007, Zl. 2Fr-404/06, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Villach vom 31. Mai 2006 wurde gegen den am 6. August 1980 geborenen Beschwerdeführer, einen im Jahre 1992 im Alter von zwölf Jahren nach Österreich gekommenen bosnischen Staatsangehörigen, im Hinblick auf mehrere strafgerichtliche Verurteilungen ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dessen Zustellung an den Beschwerdeführer erfolgte mittels RSa-Sendung (nach zwei erfolglosen Zustellversuchen) durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt am 7. Juni 2006 (Beginn der Abholfrist).
Nachdem die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers am 18. August 2006 Akteneinsicht genommen hatte, stellte sie mit Schriftsatz vom 22. August 2006 für ihn einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und verband damit die Berufung. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer habe keine Kenntnis von der Hinterlegung des Aufenthaltsverbotsbescheides erlangt; einen "Zustellnachweis" (gemeint: die Hinterlegungsanzeige) habe er "nicht bekommen und auch nie gesehen" Im "letzten halben Jahr" habe er sich nämlich in einem "Zustand der Unzurechnungsfähigkeit und Handlungsunfähigkeit" befunden. Er habe sich "von der Welt zurückgezogen", tagelang seine Wohnung nicht verlassen; ihn habe nichts außerhalb seines Zimmers interessiert. Er habe Angst "vor der Welt draußen" gehabt und sei, wenn überhaupt, nur abends aus der Wohnung gegangen. Er habe Dinge getan, an die er sich später nicht mehr erinnert habe. Der Beschwerdeführer habe seine Post nicht angesehen und auf Grund seines psychischen Zustandes Briefe nicht gelesen.
Der Beschwerdeführer habe sich gerade in der Zeit der Zustellung des Bescheides vom 31. Mai 2006 in einem psychischen Ausnahmezustand befunden, wobei sich dieses Krankheitsbild ständig während der folgenden Monate verschlechtert habe, sodass er am 27. Juli 2007 in das LKH Villach (Neurologie) eingewiesen und danach am 5. August 2006 in das Zentrum für seelische Gesundheit des LKH Klagenfurt überstellt worden sei. Dort sei der Beschwerdeführer bis 17. August 2006 nach dem UnterbringungsG untergebracht gewesen, weil man eine akute Psychose diagnostiziert habe. Laut dieser Diagnose habe der Beschwerdeführer seit längerer Zeit Halluzinationen, es bestehe eine akute Selbst- und Fremdgefährdung und der Beschwerdeführer sei derzeit nicht urteils- und einsichtsfähig.
Diese Psychose habe aber - so die weitere Antragsbegründung - schon im Zeitpunkt der Hinterlegung des Aufenthaltsverbotsbescheides bestanden. Der Beschwerdeführer sei also Anfang Juni 2006 unzurechnungsfähig und nicht im Stande gewesen, irgendwelche Handlungen zu setzen, insbesondere eine Berufung zu erheben. Diese Krankheit sei unvorhersehbar und unabwendbar gewesen, sodass er dadurch nicht im Stande gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten. Vom Aufenthaltsverbot habe der Beschwerdeführer erst Kenntnis erlangt, als er aus dem LKH Klagenfurt entlassen und in Schubhaft genommen werden sollte. Durch die verabreichten Medikamente habe er erst jetzt erkannt, was ein Aufenthaltsverbot für ihn und seine Familie bedeute. Seine Schwester und seine Eltern hätten sich dann an die Rechtsvertreterin gewandt.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war unter anderem das Protokoll über die in der Unterbringungssache vom Bezirksgericht Klagenfurt am 8. August 2006 durchgeführte Verhandlung angeschlossen, dem sich die im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachte Diagnose einer Ärztin des LKH Klagenfurt entnehmen lässt. In dem auch vorgelegten ärztlichen "Begleitschein" für die Einweisung in das LKH Villach vom 27. Juli 2006 ist als Diagnose angeführt, "Bipolare Störung, akuter Schub, Aggressionstendenz im Wechsel mit depressivem Zustandsbild".
Mit dem am 20. November 2006 bei der Erstbehörde eingelangten Schriftsatz legte der Beschwerdeführer ergänzend das von der Sachverständigen im Unterbringungsverfahren (Dr. R.) am 17. August 2006 erstattete Gutachten vor. In diesem Gutachten sind zwei durch jeweils andere Ärzte davor vorgenommene Diagnosen in Richtung paranoide Schizophrenie bzw. paranoide Psychose erwähnt. Die Sachverständige kommt in ihrer eigenen Beurteilung zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer "primär eine Persönlichkeitsstörung mit aggressivem Verhalten, in der Vorgeschichte kurze psychotische Episode" bestehe. Das psychotische Geschehen sei im Zeitpunkt der Untersuchung bereits wieder im Abklingen.
Die Bundespolizeidirektion Villach hatte den Wiedereinsetzungsantrag bereits mit Bescheid vom 16. November 2006 gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen. Die Begründung, in der von der Rechtswirksamkeit der Zustellung des Aufenthaltsverbotes ausgegangen wurde, lässt sich dahin zusammenfassen, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, im maßgeblichen Zeitraum psychisch krank gewesen zu sein, nicht als Wiedereinsetzungsgrund zu "werten" sei, zumal "kein Nachweis einer Handlungsbzw. Dispositionsunfähigkeit" vorliege.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, in der er wiederholte, die paranoide Schizophrenie dauere schon seit längerem an und sei "jedenfalls mit Sicherheit" schon ab Mai 2006 gegeben gewesen, weshalb er die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen das Aufenthaltsverbot versäumt habe. Wegen seiner Geisteskrankheit sei er nicht in der Lage gewesen, die Bedeutung des Aufenthaltsverbotes zu erkennen. Vom Bestehen einer paranoiden Schizophrenie habe er erst durch seine Krankenhausaufenthalte im Sommer 2006 Kenntnis erlangt. Zur Bescheinigung dieses Vorbringens legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen vor, insbesondere das im (mittlerweile eingeleiteten) Sachwalterschaftsverfahren erstattete Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie (Dr. S.) vom 14. November 2006. Auch diesem Gutachten lässt sich die Diagnose entnehmen, der Beschwerdeführer leide an einer paranoiden Schizophrenie. Der Sachverständige erachtete es (u.a.) für erforderlich, dass der zu bestellende Sachwalter klären lasse, ob die den strafrechtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Handlungen des Beschwerdeführers unter Krankheitseinfluss passiert seien. Vor allem auf diese Passage gründete der Beschwerdeführer in der Berufung seine Auffassung, es sei davon auszugehen, dass er schon seit längerer Zeit und nicht erst seit Ende Juli 2006 an paranoider Schizophrenie leide. Weiters legte der Beschwerdeführer eine offenbar von einem Arzt ausgestellte Bestätigung des Psychosozialen Dienstes Villach vom 27. November 2006 vor, wonach der Beschwerdeführer seit seinem siebzehnten Lebensjahr an einer psychischen Krankheit leide und seitdem "unter Unzurechnungsfähigkeit viele Schulden gemacht, Unfälle gebaut und einige Gewaltdelikte begangen" habe.
Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2006 teilte die im Verwaltungsverfahren eingeschrittene Rechtsvertreterin schließlich mit, sie sei vom Bezirksgericht Villach für den Beschwerdeführer zum Sachwalter zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt worden. Auch diesem Beschluss sei zu entnehmen, dass sich die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers im Laufe der Zeit verstärkt habe und somit nicht erst vor kurzem aufgetreten sei.
Mit dem angefochtenen, ohne weiteres Ermittlungsverfahren erlassenen Bescheid vom 12. Juni 2007 gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Die belangte Behörde ging in ihrer Begründung - nach einer kurzen Darstellung des Verfahrensganges - zunächst davon aus, dem Beschwerdeführer sei der Bescheid der Bundespolizeidirektion Villach am 7. Juni 2006 durch Hinterlegung "rechtswirksam" zugestellt worden. Daran anschließend vertrat sie die Auffassung, bei dem im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachten Umstand, der Beschwerdeführer habe sich für die Vorkommnisse der Außenwelt nicht interessiert und deshalb keine Kenntnis von der Hinterlegung erlangt, handle es sich keinesfalls um ein unvorhergesehenes oder/und unabwendbares Ereignis, durch das er gehindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten. Unter Bezugnahme auf einen vorgelegten Arztbrief vom 24. August 2006 stellte die belangte Behörde dazu fest, der Beschwerdeführer habe sich erst ab 28. Juli 2006 in stationärer Krankenhausbehandlung befunden und nach seiner Entlassung werde er seit Anfang September 2006 in einer näher bezeichneten Einrichtung regelmäßig nachbetreut. Aus dem Gutachten von Dr. R. gehe hervor, dass der Beschwerdeführer bei der Untersuchung am 16. August 2006 angegeben habe, seit einer Woche Stimmen zu hören, was davor noch nie der Fall gewesen sei. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe sich bei der Zustellung und während der Berufungsfrist in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, sei für die Berufungsbehörde daher nicht nachvollziehbar, weil er sich (damals) weder in ärztlicher Behandlung befunden habe, noch - wie in solchen Fällen üblich - ein Sachwalter bestellt worden sei. Das sei erst mit gerichtlichem Beschluss vom 30. November 2006 der Fall gewesen. Da der Beschwerdeführer grundsätzlich verpflichtet sei, die österreichischen Gesetze zu beachten, hätte er einem "schriftlich angekündigten bzw. postalisch hinterlegten behördlichen Schriftstück von vornherein Bedeutung beimessen und dieser Einsicht gemäß handeln müssen".
Für die Berufungsbehörde sei es - so begründete die belangte Behörde die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages auch noch - nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer keine Kenntnis von einem behördlichen Schriftstück bekommen habe, zumal er mit seinen Eltern und erwachsenen Geschwistern im gemeinsamen Haushalt wohne. Es wäre sogar an seiner Familie gelegen, den Beschwerdeführer auf die in den Briefkasten eingelegten "Ankündigungen" bzw. auf die Hinterlegung eines behördlichen Schriftstückes aufmerksam zu machen. Außerdem habe der Beschwerdeführer auf Grund der bei der Niederschrift am 13. Februar 2006 erfolgten Ankündigung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mit der Zustellung eines solchen Bescheides rechnen müssen. Es sei ihm aber nicht gelungen aufzuzeigen, dass ihm auf Grund seines Zustandes die Dispositionsfähigkeit soweit gefehlt habe, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, einen Bevollmächtigten zur Wahrung seiner Interessen zu bestellen. Es werde "auf Grund der Rechtsprechung des VwGH" darauf hingewiesen, dass die psychische Verfassung nur dann als unvorhergesehenes oder/und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten gewesen wäre, wenn dadurch seine "Dispositionsfähigkeit zur Gänze ausgeschlossen" und der Beschwerdeführer "solcherart" außer Stande gewesen wäre, die nach der Sachlage erforderlichen Maßnahmen zu setzen. Gründe, den Wiedereinsetzungsantrag "im Berufungswege" zu bewilligen, lägen demnach nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht dahin verstanden, dass damit nur die Unwirksamkeit der Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides - darauf wird noch zurückzukommen sein - geltend gemacht wurde, und sie haben demzufolge darauf auch nicht die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages gegründet. Vielmehr haben sie das Vorbringen - ungeachtet der Behauptung einer "Unzurechnungsfähigkeit" im Zustellzeitpunkt die Wirksamkeit des Zustellvorganges unterstellend - dahin verstanden, der Beschwerdeführer berufe sich auf eine durch seine damalige psychische Verfassung gegebene Einschränkung seiner Dispositionsfähigkeit, und sie haben davon ausgehend inhaltlich geprüft, ob das im vorliegenden Fall die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist rechtfertigen könnte (vgl. zu einer insoweit ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0346). Darauf ist zunächst einzugehen:
§ 71 Abs. 1 Z 1 AVG lautet:
"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, ..."
Die Bedachtnahme auf einen "minderen Grad des Versehens" in § 71 Abs. 1 Z 1 (ursprünglich: lit. a) AVG geht auf die Novelle BGBl. Nr. 357/1990 zurück. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung hatte in der bis dahin geltenden Fassung der Bestimmung vorausgesetzt, dass die Partei "ohne ihr Verschulden" verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Aus der Zeit vor der Änderung des Gesetzes stammt auch die von der belangten Behörde im vorliegenden Fall angesprochene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge eine Erkrankung nur dann als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht komme, wenn sie die "Dispositionsunfähigkeit des Erkrankten" zur Folge gehabt habe.
Beim - direkten oder indirekten - Rückgriff auf ältere Entscheidungen zur Frage der "Dispositionsunfähigkeit" wäre aber zu beachten gewesen, dass es das geltende Recht, anders als die Gesetzeslage zurzeit der Entstehung dieser Judikatur, für die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausreichen lässt, wenn die Partei durch den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund (durch die Erkrankung) so weitgehend beeinträchtigt war, dass ihr das Unterbleiben der für die Fristwahrung erforderlichen Schritte nicht mehr als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorgeworfen werden kann. Das Erfordernis völliger Dispositionsunfähigkeit im Sinne der von der belangten Behörde ins Treffen geführten, zur früheren Rechtslage ergangenen (zum Teil aber auch neueren) Rechtsprechung kann nach dem geltenden Gesetz - anders als nach der früheren Fassung der genannten Bestimmung des AVG - nicht dahingehend verstanden werden, dass der Grad der Beeinträchtigung das Unterbleiben der fristwahrenden Handlung als unverschuldet erscheinen lassen müsse. Der nach wie vor gültige Kern der in der Annahme eines solchen Erfordernisses liegenden Aussage ist darin zu sehen, dass es für die Wiedereinsetzung nicht ausreicht, wenn die Partei daran gehindert war, die fristwahrende Handlung selbst zu setzen. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nur vor, wenn die Partei auch daran gehindert war, der Fristversäumung durch andere geeignete Dispositionen - im Besonderen durch Beauftragung eines Vertreters - entgegen zu wirken (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis vom 26. April 2001, Zl. 2000/20/0336, und daran anschließend das ausführlich begründete Erkenntnis vom 22. Juli 2004, Zl. 2004/20/0122).
Das hat die belangte Behörde verkannt, indem sie ihre Entscheidung auf die Auffassung gründete, die psychische Verfassung des Beschwerdeführers wäre nur dann als unvorhergesehenes oder/und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten, wenn dadurch seine "Dispositionsfähigkeit zur Gänze ausgeschlossen" und der Beschwerdeführer "solcherart" außer Stande gewesen wäre, die nach der Sachlage erforderlichen Maßnahmen zu setzen. Bei dem von der belangten Behörde herangezogenen Maßstab für die Verneinung eines den minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschuldens handelt es sich in Wahrheit um jenen für die Verneinung jedweden Verschuldens, was - wie oben dargestellt - nicht dem Gesetz entspricht. Entscheidend wäre vielmehr gewesen, ob dem Beschwerdeführer auf Grund seines damaligen Gesundheitszustandes und der sich daraus ergebenden Beeinträchtigungen der Vorwurf zu machen ist, mit der Unterlassung einer Reaktion auf die Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides durch postamtliche Hinterlegung bzw. mit der Unterlassung präventiver Dispositionen (wie etwa einer Vertreterbestellung) zur Sicherstellung der Wahrnehmung seiner Interessen im Aufenthaltsverbotsverfahren habe er das unter den konkreten Umständen zumutbare Maß an Aufmerksamkeit und Mühe so krass unterschritten, dass sich darauf das Urteil auffallender Sorglosigkeit gründen lässt (vgl. zu diesem Maßstab das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2004/01/0558).
Zur Vornahme einer solchen Beurteilung hätte es aber einer nachvollziehbaren Prüfung der Frage bedurft, ob der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - zumindest bereits Ende Mai 2006 an einer paranoiden Schizophrenie gelitten und ob sich das Vorhandensein der psychischen Krankheit in der im Wiedereinsetzungsantrag behaupteten Weise einschränkend auf seine Wahrnehmungs- und Einsichtsfähigkeit ausgewirkt hat. Die diesbezüglichen Behauptungen des Beschwerdeführers ließen sich aber mit dem von der belangten Behörde vorgenommenen Hinweis auf die erst Ende Juli 2006 einsetzende stationäre Behandlung des Beschwerdeführers und auf die Sachwalterbestellung erst Ende des Jahres 2006 nicht schlüssig entkräften. Dabei wird nämlich der wiederholt ins Treffen geführte Gesichtspunkt außer Acht gelassen, der Beschwerdeführer habe (wie seine Angehörigen) die damals schon bestehenden Krankheitssymptome als solche nicht erkannt, er sei vom Bestehen einer paranoiden Schizophrenie erst nach deren Diagnose im Juli 2006 in Kenntnis gewesen.
In diesem Zusammenhang macht die Beschwerde geltend, die belangte Behörde hätte insbesondere auf Grund des Inhaltes des vorgelegten Gutachtens des Sacherverständigen Dr. S., worin das Bestehen einer akuten paranoiden Schizophrenie attestiert worden sei, "beim Amtsarzt nachzufragen" gehabt, welchen Verlauf eine paranoide Schizophrenie nehme, ob diese Krankheit schon zum Zeitpunkt der Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides gegeben gewesen sei und welche Auswirkungen sie auf das Verhalten der erkrankten Person haben könne. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bestehe eine paranoide Schizophrenie Wochen bis Monate, bevor sie akut ausbreche. Typisches Symptom der Krankheit sei aber die Teilnahmslosigkeit des Patienten, weshalb den Beschwerdeführer der Bescheid schon im Mai 2006 nicht interessiert habe bzw. er dessen Wichtigkeit nicht habe erkennen können.
Mit dieser Rüge ist der Beschwerdeführer insofern im Recht, als die belangte Behörde angesichts des Inhaltes der vorgelegten Bescheinigungsmittel zur näheren Prüfung der Richtigkeit des zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages erstatteten Vorbringens über die (auf Grund der bereits vorhandenen psychischen Erkrankung) eingeschränkte Wahrnehmungs- und Einsichtsfähigkeit des Beschwerdeführers - und zwar in Bezug auf den Zeitpunkt der Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides und für die Zeit während des Laufs der Berufungsfrist, aber auch (unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages) hinsichtlich der Zeit bis Mitte August 2006 - weitere Ermittlungen anzustellen gehabt hätte. Diese waren keinesfalls deshalb entbehrlich, weil der Beschwerdeführer in einer Befragung am 16. August 2006 das Bestehen von Halluzinationen erst seit einer Woche angegeben hatte. Das wäre schon deshalb nicht tragfähig, weil der Beschwerdeführer - von der belangten Behörde unbeachtet - gegenüber dem Sachverständigen Dr. S. am 9. November 2006 dazu im Widerspruch geäußert hatte, er fühle sich oft angesprochen, habe Angstzustände und sehe sonderbare Bilder, und zwar eigentlich schon seit vielen Jahren, er habe gedacht, das sei normal. Vor allem hat die Behörde aber verkannt, dass die hier maßgeblichen Tatfragen hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers nur nach dem Vorliegen - allenfalls über behördliche Aufforderung vom Beschwerdeführer beizubringender - ergänzender ärztlicher Atteste und erforderlichenfalls nach einer - im Wiedereinsetzungsantrag ausdrücklich beantragten - Befragung des Beschwerdeführers und seiner Eltern zu beantworten gewesen wären (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2001, Zl. 2000/20/0495). Zur Vermeidung weiterer Verfahrensfehler wird im Übrigen angemerkt, dass es für die Beurteilung der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund seines damaligen Gesundheitszustandes auch wesentlich sein könnte, ob ihm die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Hinterlegungsanzeige zur Kenntnis gelangt sind und ob er die nicht im Akt befindliche Sendung behoben hat bzw. aus welchen Gründen das nicht der Fall war.
Für das weitere Verfahren wird aber vor allem noch auf Folgendes hingewiesen:
Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht nur die Behauptung einer eingeschränkten Dispositionsfähigkeit, sondern auch einer völligen Handlungsunfähigkeit entnehmen. Das hätte die Behörden primär aber veranlassen müssen, die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen vorzunehmende (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 117 ffzu § 9 AVG) - Prüfung der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Hinterlegung des Aufenthaltsverbotsbescheides (durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens) in die Wege zu leiten und nicht ohne weiteres die Wirksamkeit der Zustellung zu unterstellen. Hätte diese - bisher unterlassene - Prüfung ergeben, dass dem Beschwerdeführer damals die prozessuale Handlungsfähigkeit fehlte, dann wäre der eingangs erwähnte Bescheid der Bundespolizeidirektion Villach vom 31. Mai 2006 überhaupt noch nicht wirksam zugestellt. Das hätte nicht nur zur Folge (gehabt), dass dem Wiedereinsetzungsantrag der Boden entzogen wäre, sondern auch dass auf den genannten Bescheid gegründete Maßnahmen zu seiner Durchsetzung (Schubhaft, Abschiebung) unzulässig wären.
Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das offenbar auf gesonderte Zuerkennung von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren ist vom dafür zugesprochenen Pauschalbetrag (EUR 991,20) bereits erfasst und war daher abzuweisen.
Wien, am 29. November 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007210308.X00Im RIS seit
11.12.2007