TE OGH 2008/10/21 1Ob88/08k

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Veröffentlicht am 21.10.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin Romana H*****, vertreten durch Hildegard H***** als Sachwalterin, beide *****, wider den Antragsgegner Karl H*****, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft (KEG) in Mistelbach, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 4. März 2008, GZ 23 R 51/08k-43, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 18. Dezember 2007, GZ 1 Fam 3/07b-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die durch ihre Mutter (in allen Angelegenheiten) als Sachwalterin vertretene 42-jährige Antragstellerin ist geistig behindert. Sie lebt im Haushalt der Mutter und bezieht erhöhte Kinderbeihilfe und Pflegegeld. Ihr Vater (der Antragsgegner) hat den Haushalt im April 2005 verlassen. Die Antragstellerin begehrte von ihm für die Zeit von April 2005 bis Jänner 2007 an Unterhalt insgesamt 6.930 EUR und ab Februar 2007 einen monatlichen Unterhalt von 330 EUR.

Der Vater wendete ein, die Antragstellerin sei erwerbsfähig; sie sei in der Lage, ein Einkommen von rund 600 EUR monatlich ins Verdienen zu bringen. Unter Berücksichtigung des Pflegegelds von 226 EUR monatlich und der (erhöhten) Familienbeihilfe von 193,80 EUR sei sie selbsterhaltungsfähig. Sie gehe nur deshalb keiner Erwerbstätigkeit nach, weil sich ihre Mutter gegen eine solche ausgesprochen habe.

Im erstinstanzlichen Verfahren wurde zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ein berufskundliches Sachverständigengutachten eingeholt. In seinem Gutachten zitiert der berufskundliche Sachverständige aus dem im Akt 10 P 59/06d des Bezirksgerichts Scheibbs (Sachwalterschaftsverfahren) befindlichen gerichtsärztlichen Untersuchungsergebnis wie folgt:

„Die Betroffene ... ist von früher Kindheit an intellektuell entwicklungsverzögert. Es besteht derzeit das Zustandsbild einer leichten intellektuellen Behinderung, des weiteren das Bild einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstruktur. Diese beiden Behinderungen verstärken einander in der Auswirkung. Aus der Sicht der heutigen Untersuchung kann ich mir keine Angelegenheiten vorstellen, die die Betroffene ohne Hilfestellung selbst zu ihrem Vorteil wahrnehmen kann ... ."

Der berufskundliche Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - auch bei Anspannung aller Kräfte - als chancenlos zu bewerten sei. Dies sei im Ausbildungsverlauf, in den gesundheitlich-psychischen Arbeitsleistungsdefiziten, im Lebensalter, den Lebensumständen sowie darin begründet, dass die Antragstellerin noch niemals dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert gewesen war. Im Hinblick auf das übermächtige Angebot an wesentlich gesünderen, nicht besachwalteten, berufs- und arbeitsmarkterfahrenen und weniger psychosozial beeinträchtigten Stellenbewerbern bestünden keine Arbeitsplatzfindungsmöglichkeiten. Lediglich der Besuch einer Behindertenwerkstätte - im Sinne einer Beschäftigungstherapie - liege im Bereich des Möglichen.

Dieses Gutachten stellte das Erstgericht dem Vater zur Äußerung zu.

Nach Einlangen seiner Stellungnahme verpflichtete das Erstgericht den Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 330 EUR ab 1. April 2005. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf das Erstgericht noch folgende wesentliche Feststellungen:

Die Antragstellerin besuchte die Sonderschule und ein Jahr die Hauswirtschaftsschule. Sie ist von Montag bis Freitag in einer geschützten Werkstätte beschäftigt und erhält dafür ein Taschengeld von 50 EUR monatlich. Weiters bezieht sie monatlich an Pflegegeld 226 EUR und an Kinderbeihilfe 193,80 EUR. Sie ist am allgemeinen Arbeitsmarkt völlig chancenlos, ein arbeitsleistungsbezogenes Gehalt zu erlangen. Der Vater bezieht ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 1.948,47 EUR.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Antragstellerin nicht selbsterhaltungsfähig sei; sie sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - auch bei Anspannung all ihrer Kräfte - nicht in der Lage, ein auf den Unterhaltsanspruch anrechenbares Eigeneinkommen zu erzielen. Der festgesetzte Unterhaltsbeitrag entspreche der Leistungsfähigkeit des Vaters.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach letztlich aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens liege nicht vor, weil der berufskundliche Sachverständige die Tätigkeit der Antragstellerin im Rahmen der geschützten Werkstätte in seine Gesamtbetrachtung einbezogen habe. Eine derartige Tätigkeit lasse keine Schlussfolgerung darauf zu, dass eine Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben sei. Eine Ergänzung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich gewesen. Weder der Taschengeldanspruch noch das Pflegegeld oder die Familienbeihilfe könnten den Unterhaltsanspruch mindern.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Antragsgegners ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts - nicht zulässig.

1. In seinem Revisionsrekurs rügt der Vater (erstmals) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Diese soll darin liegen, dass er keine Gelegenheit gehabt habe, eine Stellungnahme zu dem im Verfahren 10 P 59/06d des Bezirksgerichts Scheibbs (Sachwalterschaftsverfahren) eingeholten gerichtsärztlichen Gutachten abzugeben. Dieses Gutachten sei ihm im vorliegenden Verfahren niemals zur Kenntnis gebracht und ihm keine Möglichkeit eingeräumt worden, sich dazu zu äußern. Auch von sich aus habe er in dieses Gutachten keinen Einblick nehmen können, da ihm der Akt 10 P 59/06d des Bezirksgerichts Scheibbs mangels Parteistellung nicht zugänglich gewesen sei. Das Gericht hat den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekannt zu geben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen (6 Ob 302/98z; SZ 69/20 mwN). Wie aus der Wiedergabe des Akteninhalts ersichtlich, könnte sich der Vater lediglich dadurch in seinem rechtlichen Gehör verletzt erachten, dass ihm das im Sachwalterschaftsakt befindliche psychiatrische Gutachten nicht vollständig, sondern nur in seinem Ergebnis- soweit es dem berufskundlichen Gutachten als Grundlage diente - zur Kenntnis gebracht wurde. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ist aber nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich, dass einer Partei der Inhalt aller Erhebungen detailliert zur Kenntnis gebracht wird (SZ 69/20 mwN; 7 Ob 100/00g; 1 Ob 203/05t uva). Es reicht aus, wenn (zumindest) die Ergebnisse der Erhebungen den Parteien vor der Beschlussfassung zur Kenntnis gebracht werden und ihnen eine Stellungnahme hiezu möglich ist (RIS-Justiz RS00866121 Ob 81/08f). Im vorliegenden Fall stand dem Vater die Möglichkeit offen, sich vor der Beschlussfassung zum Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens zu äußern. Der Umstand, dass ihm dieses Gutachten nicht in vollständiger Version bekannt war, stellt jedenfalls keinen Nichtigkeitsgrund dar, allenfalls könnte dies als Verfahrensmangel qualifiziert werden. Eine aus diesem Grund vorliegende etwaige Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Vater jedoch in seinem Rekurs nicht geltend gemacht. Vor dem Obersten Gerichtshof kann eine im Rekurs unterlassene Verfahrensrüge aber nicht mehr mit Erfolg erhoben werden (RIS-Justiz RS0043111).

Der Revisionsrekursgrund des § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG liegt somit nicht vor.Der Revisionsrekursgrund des Paragraph 66, Absatz eins, Ziffer eins, AußStrG in Verbindung mit Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer eins, AußStrG liegt somit nicht vor.

2. Der vom Revisionsrekurswerber erhobene Vorwurf, die Vorinstanzen hätten sich nicht damit beschäftigt, ob bzw wann die Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerin eingetreten sei bzw eintrete, geht ins Leere, sind doch dazu eindeutige - aufgrund des berufskundlichen Sachverständigengutachtens getroffene - Feststellungen vorhanden. Ein Unterhaltsberechtigter verliert den Unterhaltsanspruch nur dann, wenn er die Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt (SZ 70/36 mwN). Im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt kann dieser Vorwurf gegenüber der Antragstellerin nicht erhoben werden.

3. Bei der Festsetzung von Geldunterhalt ist stets auf die Verhältnisse in einer intakten Familie Bedacht zu nehmen (1 Ob 177/02i). Stellt man auf eine intakte Familie ab, ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin ihr geringes Einkommen aus ihrer Tätigkeit in der Behindertenwerkstätte als Taschengeld belassen bliebe, ohne dass deshalb ihr Unterhalt gekürzt würde. Dies muss auch ein zu Geldunterhaltszahlungen verpflichteter Vater gegen sich gelten lassen. Die von der Antragstellerin monatlich bezogenen 50 EUR führen deshalb nicht zu einer Reduzierung der vom Vater zu erbringenden Unterhaltszahlungen (vgl 1 Ob 50/03i).3. Bei der Festsetzung von Geldunterhalt ist stets auf die Verhältnisse in einer intakten Familie Bedacht zu nehmen (1 Ob 177/02i). Stellt man auf eine intakte Familie ab, ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin ihr geringes Einkommen aus ihrer Tätigkeit in der Behindertenwerkstätte als Taschengeld belassen bliebe, ohne dass deshalb ihr Unterhalt gekürzt würde. Dies muss auch ein zu Geldunterhaltszahlungen verpflichteter Vater gegen sich gelten lassen. Die von der Antragstellerin monatlich bezogenen 50 EUR führen deshalb nicht zu einer Reduzierung der vom Vater zu erbringenden Unterhaltszahlungen vergleiche 1 Ob 50/03i).

4. Da weder die vom Rekursgericht dargelegte Rechtsfrage eine solche von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG darstellt, noch der Revisionsrekurswerber eine solche Rechtsfrage aufzuzeigen vermag, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.4. Da weder die vom Rekursgericht dargelegte Rechtsfrage eine solche von erheblicher Bedeutung im Sinne des Paragraph 62, Absatz eins, AußStrG darstellt, noch der Revisionsrekurswerber eine solche Rechtsfrage aufzuzeigen vermag, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Textnummer

E89057

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0010OB00088.08K.1021.000

Im RIS seit

20.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

31.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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