TE OGH 2008/10/30 2Ob198/08v

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Veröffentlicht am 30.10.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Unterbringungssache des Gerhard A*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Abteilungsleiters der 2. Psychiatrischen Abteilung des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe, Otto-Wagner-Spital, Prim. Dr. Ernst Jörg F*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Mai 2008, GZ 42 R 236/08d-17, womit der Rekurs des Abteilungsleiters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 26. März 2008, GZ 32 Ub 1147/07p-9, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gerhard A***** befand sich in der Zeit vom 25. 12. bis 29. 12. 2007 in stationärer Behandlung der 2. Psychiatrischen Abteilung des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe, Otto-Wagner-Spital, und war dabei ohne eigenes Verlangen untergebracht. Vom 27. 12., 15:45 Uhr, bis 28. 12. 2007, 8:00 Uhr, war er mit vier Unterbrechungen in der Dauer von jeweils 10 bis 15 Minuten durch Verlegung in das Netzbett in seiner Bewegungsfreiheit innerhalb der Abteilung beschränkt.

Der Patientenanwalt beantragte die Überprüfung der Zulässigkeit dieser Beschränkung.

Am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 26. 3. 2008 verkündete das Erstgericht den Beschluss, dass die Beschränkung des Patienten im Netzbett vom 27. 12. bis 28. 12. 2007 nicht zulässig gewesen sei. Der Abteilungsleiter erklärte in der Verhandlung, gegen den Beschluss Rekurs zu erheben.

Das Rekursgericht wies den Rekurs des Abteilungsleiters zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs werde in Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz (UbG) ein Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters an der sachlichen Klärung der Zulässigkeit der Unterbringung regelmäßig verneint, wenn die freiheitsbeschränkende Maßnahme bereits wieder aufgehoben sei. In Verfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) habe der Oberste Gerichtshof zuletzt allerdings das Rechtsschutzinteresse des Leiters der Einrichtung an der Bekämpfung solcher erstinstanzlicher Entscheidungen mehrfach bejaht. Zwar rechtfertige der Umstand, dass dem Leiter der Einrichtung in § 11 Abs 1 HeimAufG, nicht aber dem Abteilungsleiter in § 33 Abs 3 UbG ein Antragsrecht zugestanden werde, auch eine differenzierende Betrachtung der Rechtsmittellegitimation. Im Hinblick auf die „dargelegte Judikaturdivergenz" sei aber der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.Das Rekursgericht wies den Rekurs des Abteilungsleiters zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs werde in Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz (UbG) ein Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters an der sachlichen Klärung der Zulässigkeit der Unterbringung regelmäßig verneint, wenn die freiheitsbeschränkende Maßnahme bereits wieder aufgehoben sei. In Verfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) habe der Oberste Gerichtshof zuletzt allerdings das Rechtsschutzinteresse des Leiters der Einrichtung an der Bekämpfung solcher erstinstanzlicher Entscheidungen mehrfach bejaht. Zwar rechtfertige der Umstand, dass dem Leiter der Einrichtung in Paragraph 11, Absatz eins, HeimAufG, nicht aber dem Abteilungsleiter in Paragraph 33, Absatz 3, UbG ein Antragsrecht zugestanden werde, auch eine differenzierende Betrachtung der Rechtsmittellegitimation. Im Hinblick auf die „dargelegte Judikaturdivergenz" sei aber der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Abteilungsleiter erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig. Die vermeintliche „Judikaturdivergenz" liegt nicht vor; auch der Abteilungsleiter zeigt in seinem Rechtsmittel keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf.Der vom Abteilungsleiter erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß Paragraph 71, Absatz eins, AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des Paragraph 62, Absatz eins, AußStrG nicht zulässig. Die vermeintliche „Judikaturdivergenz" liegt nicht vor; auch der Abteilungsleiter zeigt in seinem Rechtsmittel keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf.

Nach der ständigen, trotz der Kritik der Lehre (Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz [1993] § 28 Anm 8a; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 [2005] Rz 352) bis zuletzt aufrecht erhaltenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum UbG mangelt es nach Aufhebung der Unterbringungsmaßnahmen und Ablauf der Frist, für die die strittigen Maßnahmen als zulässig erklärt worden waren, an einer aufrechten Beschwer des Abteilungsleiters durch die die Unterbringungsmaßnahmen für nicht zulässig erklärende Entscheidung (8 Ob 46/08k mwN; RIS-Justiz RS0007806, RS0075954). Dies wird damit begründet, dass sich die verfahrensrechtliche Stellung des Abteilungsleiters im Unterbringungsverfahren auf die Verfolgung der Interessen des Patienten beschränkt, während ihm etwa die Wahrung der Interessen des Krankenhausträgers oder der behandelnden Ärzte nicht zukommt. Auch sein Rekursrecht dient nicht der Abwehr des durch eine gerichtliche Sachentscheidung gegen die Anstalt gerichteten Vorwurfs gesetzwidriger Vorgangsweise gegenüber einem Kranken (10 Ob 38/08y; 1 Ob 70/08p; vgl RIS-Justiz RS0076089 [T2 und T3]). Wurde die Unterbringung bereits aufgehoben, könnte in Erledigung des Rechtsmittels des Anstaltsleiters bzw Abteilungsleiters lediglich ausgesprochen werden, dass eine nicht mehr aktuelle Unterbringung zulässig gewesen wäre. Eine solche Feststellung erfordern jedoch die richtig verstandenen Interessen des Kranken nicht. Die Entscheidung wäre rein theoretischer Natur, sodass das Rechtsmittelrecht des Anstaltsleiters bzw Abteilungsleiters bei einer solchen Sachlage zu verneinen ist (5 Ob 61/07t; 10 Ob 38/08y; 7 Ob 77/08m; RIS-Justiz RS0076104). Diese Rechtsprechung ist - wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - auch in jenen Fällen anzuwenden, in denen die Zulässigkeit während der Unterbringung angeordneter, aber nicht mehr aufrechter weitergehender Beschränkungen und Behandlungen (§§ 33 ff UbG) zu prüfen ist (4 Ob 576/94 = SZ 67/230 = RdM 1995/12 [Kopetzki]; 7 Ob 17/97v; 6 Ob 198/02i; 1 Ob 70/08p).Nach der ständigen, trotz der Kritik der Lehre (Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz [1993] Paragraph 28, Anmerkung 8a; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 [2005] Rz 352) bis zuletzt aufrecht erhaltenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum UbG mangelt es nach Aufhebung der Unterbringungsmaßnahmen und Ablauf der Frist, für die die strittigen Maßnahmen als zulässig erklärt worden waren, an einer aufrechten Beschwer des Abteilungsleiters durch die die Unterbringungsmaßnahmen für nicht zulässig erklärende Entscheidung (8 Ob 46/08k mwN; RIS-Justiz RS0007806, RS0075954). Dies wird damit begründet, dass sich die verfahrensrechtliche Stellung des Abteilungsleiters im Unterbringungsverfahren auf die Verfolgung der Interessen des Patienten beschränkt, während ihm etwa die Wahrung der Interessen des Krankenhausträgers oder der behandelnden Ärzte nicht zukommt. Auch sein Rekursrecht dient nicht der Abwehr des durch eine gerichtliche Sachentscheidung gegen die Anstalt gerichteten Vorwurfs gesetzwidriger Vorgangsweise gegenüber einem Kranken (10 Ob 38/08y; 1 Ob 70/08p; vergleiche RIS-Justiz RS0076089 [T2 und T3]). Wurde die Unterbringung bereits aufgehoben, könnte in Erledigung des Rechtsmittels des Anstaltsleiters bzw Abteilungsleiters lediglich ausgesprochen werden, dass eine nicht mehr aktuelle Unterbringung zulässig gewesen wäre. Eine solche Feststellung erfordern jedoch die richtig verstandenen Interessen des Kranken nicht. Die Entscheidung wäre rein theoretischer Natur, sodass das Rechtsmittelrecht des Anstaltsleiters bzw Abteilungsleiters bei einer solchen Sachlage zu verneinen ist (5 Ob 61/07t; 10 Ob 38/08y; 7 Ob 77/08m; RIS-Justiz RS0076104). Diese Rechtsprechung ist - wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - auch in jenen Fällen anzuwenden, in denen die Zulässigkeit während der Unterbringung angeordneter, aber nicht mehr aufrechter weitergehender Beschränkungen und Behandlungen (Paragraphen 33, ff UbG) zu prüfen ist (4 Ob 576/94 = SZ 67/230 = RdM 1995/12 [Kopetzki]; 7 Ob 17/97v; 6 Ob 198/02i; 1 Ob 70/08p).

Das Rekursgericht hat im Einklang mit diesen Grundsätzen die Beschwer des Abteilungsleiters verneint und dessen Rechtsmittel zurückgewiesen. Mit seinen Überlegungen zur Rechtsmittelbefugnis des Leiters der Einrichtung in Verfahren nach dem seit 1. 7. 2005 in Geltung stehenden HeimAufG zeigt es keine Gründe auf, die zu einer abweichenden Beurteilung Anlass geben könnten, geht es doch selbst von einer gesetzlichen Grundlage für eine „differenzierende Betrachtung" aus.

Es trifft wohl zu, dass der Oberste Gerichtshof in nach dem HeimAufG zu beurteilenden Fällen das Rechtsschutzinteresse des Leiters der Einrichtung an der Bekämpfung einer erstinstanzlichen Entscheidung, mit der eine freiheitsbeschränkende Maßnahme für unzulässig erklärt worden war, bejahte, obwohl die Maßnahme zur Zeit der rekursgerichtlichen Entscheidung über das Rechtsmittel (zufolge § 15 Abs 3 HeimAufG) nicht mehr aufrecht war (7 Ob 226/06w; 8 Ob 121/06m). Er berief sich dabei jeweils auf einschlägige Lehrmeinungen (Barth/Engel, Heimrecht [2004] § 16 HeimAufG Anm 8 mwN; Zierl, Heimrecht [2004] 165 f; Klaushofer, Heimaufenthaltsgesetz [HeimAufG]: ein erster Überblick, ZfV 2004/1229, 590 [605]; Barth, Spezielle Fragen zum Gerichtsverfahren nach HeimAufG, RZ 2006, 2 [9]; vgl nunmehr auch Strickmann, Heimaufenthaltsrecht [2008] 157 f) und hob das dem Einrichtungsleiter in § 11 Abs 1 HeimAufG eingeräumte Antragsrecht hervor.Es trifft wohl zu, dass der Oberste Gerichtshof in nach dem HeimAufG zu beurteilenden Fällen das Rechtsschutzinteresse des Leiters der Einrichtung an der Bekämpfung einer erstinstanzlichen Entscheidung, mit der eine freiheitsbeschränkende Maßnahme für unzulässig erklärt worden war, bejahte, obwohl die Maßnahme zur Zeit der rekursgerichtlichen Entscheidung über das Rechtsmittel (zufolge Paragraph 15, Absatz 3, HeimAufG) nicht mehr aufrecht war (7 Ob 226/06w; 8 Ob 121/06m). Er berief sich dabei jeweils auf einschlägige Lehrmeinungen (Barth/Engel, Heimrecht [2004] Paragraph 16, HeimAufG Anmerkung 8 mwN; Zierl, Heimrecht [2004] 165 f; Klaushofer, Heimaufenthaltsgesetz [HeimAufG]: ein erster Überblick, ZfV 2004/1229, 590 [605]; Barth, Spezielle Fragen zum Gerichtsverfahren nach HeimAufG, RZ 2006, 2 [9]; vergleiche nunmehr auch Strickmann, Heimaufenthaltsrecht [2008] 157 f) und hob das dem Einrichtungsleiter in Paragraph 11, Absatz eins, HeimAufG eingeräumte Antragsrecht hervor.

Die Grundlage dieser Beurteilung bildeten jedoch ausschließlich die speziellen Verfahrensvorschriften des HeimAufG, weshalb aus den zitierten Entscheidungen für den Anwendungsbereich des UbG keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen sind.

Dies gilt ebenso für die zu diesem Thema jüngst ergangene Entscheidung 8 Ob 46/08k, in welcher der Oberste Gerichtshof in einer Heimaufenthaltssache die an ihn herangetragene Frage, ob die Rechtsprechung zum fehlenden Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters nach dem UbG auf die Rekurslegitimation des Einrichtungsleiters nach dem HeimAufG übertragbar sei, aus verfahrensrechtlichen Erwägungen unbeantwortet ließ.

Auch in der vorliegenden Unterbringungssache ist es nicht von Bedeutung, ob in Heimaufenthaltssachen eine analoge Anwendung der erörterten Rechtsprechung zum UbG geboten oder ob - wie dies der Oberste Gerichtshof schon zweimal bejahte - aufgrund der Verfahrensbestimmungen des HeimAufG eine davon abweichende Beurteilung möglich ist. Angesichts der unveränderten Rechtslage nach dem UbG, die hier allein maßgeblich ist, besteht kein Anlass, von der ständigen Rechtsprechung zur Rechtsmittellegitimation des Abteilungsleiters abzugehen. Die gegenteilige Rechtsansicht des Abteilungsleiters, die sich im Wesentlichen auf die bereits (zumindest implizit) abgelehnte Lehrmeinung Kopetzkis (aaO Rz 352) stützt, wirft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG auf.Auch in der vorliegenden Unterbringungssache ist es nicht von Bedeutung, ob in Heimaufenthaltssachen eine analoge Anwendung der erörterten Rechtsprechung zum UbG geboten oder ob - wie dies der Oberste Gerichtshof schon zweimal bejahte - aufgrund der Verfahrensbestimmungen des HeimAufG eine davon abweichende Beurteilung möglich ist. Angesichts der unveränderten Rechtslage nach dem UbG, die hier allein maßgeblich ist, besteht kein Anlass, von der ständigen Rechtsprechung zur Rechtsmittellegitimation des Abteilungsleiters abzugehen. Die gegenteilige Rechtsansicht des Abteilungsleiters, die sich im Wesentlichen auf die bereits (zumindest implizit) abgelehnte Lehrmeinung Kopetzkis (aaO Rz 352) stützt, wirft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des Paragraph 62, Absatz eins, AußStrG auf.

Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen. Von der Zurückweisung ist auch der Antrag auf Ersatz der Kosten des Revisionsrekurses umfasst.

Textnummer

E89072

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00198.08V.1030.000

Im RIS seit

29.11.2008

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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