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E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des G K in W, geboren 1990, vertreten durch Mag. Banu Kurtulan, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Marc Aurel-Straße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. März 2007, Zl. SD 1123/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. März 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von acht Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren, jedoch im Alter von zwei oder drei Jahren mit seinen Großeltern in die Türkei gezogen, wo er drei Jahre lang zur Schule gegangen sei. Im Jahr 1998 sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Schwester wieder nach Österreich zu seinem mittlerweile geschiedenen Vater gekommen. Seitdem lebe er beim Vater, der auch für seinen Lebensunterhalt aufkomme. Nach der bei den Verwaltungsakten erliegenden Kopie des Reisepasses wurde ihm am 15. Mai 2001 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" erteilt.
Im Weiteren listet die belangte Behörde die Verurteilungen des Beschwerdeführers auf, trifft detaillierte Feststellungen zu den zu Grunde liegenden Straftaten und führt aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt, die in § 60 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt und das Aufenthaltsverbot im Grund des § 66 Abs. 1 und Abs. 2 leg. cit. zulässig sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Begehren, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
4. Mit Note vom 3. August 2007 teilte der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde mit, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers handeln dürfte, der die Genehmigung zum Nachzug erhalten habe. Demnach dürfte der Beschwerdeführer die Rechtsstellung nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB) erworben haben. Dies würde nach der hg. Judikatur zur Folge haben, dass über die gegenständliche Berufung der unabhängige Verwaltungssenat zu entscheiden gehabt hätte.
Die belangte Behörde äußerte in der am 28. August hg. eingelangten Stellungnahme Bedenken, ob der Vater des Beschwerdeführers dem regulären Arbeitsmarkt angehört habe. Dazu sei eine Anfrage an die Pensionsversicherungsanstalt über die Versicherungszeiten gestellt worden, die nach ihrem Einlangen nachgereicht werde.
Am 8. Oktober legte die belangte Behörde den Versicherungsdatenauszug der Pensionsversicherungsanstalt betreffend den Vater des Beschwerdeführers, einen türkischen Staatsangehörigen, vor.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0183, mit eingehender Begründung ausgeführt hat, ist die Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG, wonach über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate zu entscheiden haben, auch auf türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung gemäß Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, anzuwenden.
Für die - auch ohne Geltendmachung durch den Beschwerdeführer aufzugreifende (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 581, zitierte hg. Judikatur) - Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde ist es daher wesentlich, ob dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung gemäß Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt.
2. Gemäß Art. 7 ARB haben Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, (erster Gedankenstrich) vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben; (zweiter Gedankenstrich) freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Nach den behördlichen Feststellungen lebt der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1998 bei seinem Vater in Österreich. Die dem Beschwerdeführer erteilte Niederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft" stellt jedenfalls eine Genehmigung des Nachzuges im Sinn von Art. 7 ARB dar. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer in Österreich keinen "ordnungsgemäßen Wohnsitz" im Sinn dieser Bestimmung hätte, ergeben sich aus dem Akteninhalt nicht.
Nach dem von der belangten Behörde vorgelegten Versicherungsdatenauszug der Pensionsversicherungsanstalt stand der Vater des Beschwerdeführers von Oktober 1986 bis Februar 1991 in einem Lehrverhältnis und hat anschließend bei mehreren Dienstgebern - immer wieder unterbrochen durch Zeiten der Beschäftigungslosigkeit - gearbeitet. Das längste Dienstverhältnis währte von Oktober 1992 bis Februar 1994. Im Jahr 1998, in dem der Beschwerdeführer nachgezogen ist, weist der Vater insgesamt drei Monate auf, in denen er nicht beschäftigt war. Damit gehörte der Vater des Beschwerdeführers jedenfalls dem regulären Arbeitsmarkt an.
3. Da der Beschwerdeführer die Genehmigung erhalten hat, zu seinem dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehörenden Vater zu ziehen, und seit mehr als fünf Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich hat, kommt ihm die Rechtsstellung gemäß Art. 7 zweiter Gedankenstrich ARB zu. Wie oben 1. dargestellt, hätte daher über die gegenständliche Berufung nicht die belangte Behörde, sondern der unabhängige Verwaltungssenat zu entscheiden gehabt.
4. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 11. Dezember 2007
Schlagworte
sachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenInstanzenzugBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007180262.X00Im RIS seit
22.01.2008Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009