Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Helga L*****, 2. Gerald L*****, vertreten durch Dr. Reinhard Pitschmann, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. Daniela F*****, 2. Eva Margarethe F*****, 3. G***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, alle vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen (Erstklägerin) 31.898,93 EUR sA sowie (Zweitkläger) 53.855,19 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Februar 2008, GZ 2 R 263/07d-38, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 9. Oktober 2007, GZ 38 Cg 92/06m-31, teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am 12. 2. 2006 ereignete sich in Feldkirch ein Verkehrsunfall, bei dem die Kläger verletzt wurden. Die Erstklägerin erlitt eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine Brustkorbprellung und eine Prellung der Brustwirbelsäule. Der Zweitkläger erlitt eine Zerrung der Halswirbelsäule. Die Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen ist nicht strittig.
Die Kläger begehren unter anderem (über bereits bezahlte Teilbeträge hinaus weiteres) Schmerzengeld aufgrund der durch den Unfall erlittenen psychischen Beeinträchtigungen, die die Kläger (insbesondere die Erstklägerin durch depressive Verstimmungen) dadurch erlitten hätten, dass sie aufgrund des hausärztlichen Rates, aufgrund der durch den Unfall erlittenen Verletzungen ihren eineinhalbjährigen Sohn nicht hochzuheben, diesen für einige Zeit in Fremdbetreuung geben hätten müssen. Gegenstand des Klagebegehrens sind weiters (über einen bereits bezahlten Teilbetrag hinaus weitere) Babysitterkosten, die in den ersten Monaten nach dem Unfall entstanden seien. Die Erstklägerin begehrt auch den Ersatz der Kosten für eine Psychotherapie, die sie wegen der unfallkausalen Anpassungsstörung in Anspruch genommen habe.
Die Beklagten entgegneten dazu, eine Mutter-Kind-Krise werde nicht dadurch hervorgerufen, dass ein Kind nicht hochgehoben werden könne, es gebe unzählige andere Möglichkeiten, die Nähe zum Kind zu suchen und auszudrücken. Auch eine Halswirbelzerrung schließe nicht aus, dass ein Kind hochgehoben und weiter betreut werde. Keinesfalls sei erforderlich, aufgrund dieser Umstände das Kind wegzugeben.
Das Erstgericht gab den Klagebegehren beider Kläger (mit 17.060,14 EUR bzw 10.046,93 EUR sA) teilweise statt, teilweise wies es die Klagebegehren (mit 14.838,79 EUR bzw 43.808,26 EUR sA) ab. Es stellte unter anderem Folgendes fest:
Aufgrund der unfallkausalen Verletzungen hatten die Erstklägerin komprimiert vier Tage starke, zehn Tage mittelstarke und 14 Wochen leichte Schmerzen, der Zweitkläger komprimiert zwei Tage starke, acht Tage mittelstarke und sechs Wochen leichte Schmerzen zu leiden. Spät- und Dauerfolgen aus den unfallkausalen Verletzungen sind auszuschließen.
Der Hausarzt der Kläger riet ihnen, keine Lasten zu heben, insbesondere auch ihren eineinhalbjährigen Sohn nicht zu heben, sondern von Dritten betreuen zu lassen. Die Kläger befolgten diesen Ratschlag strikt und nahmen für die ersten drei Wochen nach dem Unfall eine 24-Stunden-Kinderbetreuung in Anspruch, in den darauffolgenden Wochen zumindest eine ganztägige Babysitterbetreuung von zwölf Stunden täglich, fallweise auch nachts. Insgesamt überließen die Kläger ihr Kind fünfeinhalb Monate ab dem Unfallereignis einer Fremdbetreuung und wendeten für die Babysitterbetreuung 35.907,70 CHF auf.
Bei der Erstklägerin entwickelte sich als Folge der Fremdbetreuung des Kindes eine Anpassungsstörung in Form einer mäßiggradigen reaktiven Depression. Die Klägerin nahm bis Februar 2007 antidepressive Medikamente ein und nahm aufgrund der dargestellten psychischen Probleme psychotherapeutische Hilfe in Anspruch, wofür sie 861 EUR aufwendete. Auch der Zweitkläger erlitt unter anderem wegen der Fremdbetreuung des Sohnes eine leichte Anpassungsstörung bzw reaktiv-depressive Verstimmung.
Der Ratschlag des Hausarztes, den Sohn in Fremdbetreuung zu geben, war nicht sinnvoll und indiziert. Die Fremdbetreuung des Kindes aufgrund der erlittenen Verletzungen war daher nicht notwendig.
Der drittbeklagte Versicherer zahlte an Schmerzengeld der Erstklägerin 3.500 EUR, dem Zweitkläger 3.000 EUR, für diverse Rechnungen und Kosten 615,40 EUR sowie für Babysitterkosten 4.121,40 EUR.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, wenn auch die Ursache der Depressionen aufgrund der Fremdbetreuung des Kindes auf einem sachlich unrichtigen Ratschlag des Hausarztes beruht habe, seien diese Beschwerdezustände doch ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen und daher ebenso wie die dadurch entstandenen Kosten für die Fremdbetreuung des Kindes sowie die der Erstklägerin entstandenen Psychotherapiekosten ersatzfähig.
Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab beiden Berufungen Folge und hob das Ersturteil in seinem klagsstattgebenden und hinsichtlich der Erstklägerin im Betrag von 258,81 EUR sA sowie hinsichtlich des Zweitklägers im Betrag von 17.746,91 EUR sA klagsabweisenden Teil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung auf. Ein ärztlicher Kunstfehler bei der Behandlung einer Körperverletzung schließe die Adäquanz des Geschehensablaufs grundsätzlich nicht aus. Eine ärztliche Fehlbehandlung möge zwar nicht gerade wahrscheinlich sein, sie liege aber nicht außerhalb der menschlichen Erfahrung. Auskünfte und Ratschläge, die ein Arzt im Zuge einer Heilbehandlung erteile, seien Teil der Behandlung. Ein Ratschlag, der nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, sei daher ein Behandlungsfehler. Daher sei ein Vermögensschaden, der durch den unrichtigen Rat eines Arztes bewirkt werde, auch noch adäquat (vom Erstschädiger, hier von der am Unfall allein schuldigen Erstbeklagten) verursacht, weshalb der erste Schädiger dafür hafte. Die von den Klägern aufgrund der Fremdbetreuung des Kindes erlittene depressive Verstimmung gehöre daher noch zum adäquat verursachten Unfallschaden. Dies gelte allerdings nur unter der Voraussetzung eines unrichtig erteilten ärztlichen Rates. Welchen Rat der Hausarzt den Klägern aber im Einzelnen erteilt habe, sei unerhoben geblieben und nicht festgestellt worden. Insbesondere sei nicht erhoben worden, ob der Hausarzt den Klägern von einer persönlichen Betreuung des Kindes für eine bestimmte Dauer, gegebenenfalls für welche, abgeraten habe, und ob er ihnen tatsächlich zu einer fünfeinhalb Monate dauernden Fremdbetreuung des Kindes geraten habe. Weiters sei nicht erhoben worden, ob sich die Kläger nach Auftreten ihrer depressiven Verstimmungen an ihren Hausarzt gewandt hätten, um weitere Ratschläge einzuholen, insbesondere um ihn zu fragen, ob die Fremdbetreuung des Kindes nach wie vor erforderlich sei. Dies sei im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Schadensminderungspflicht der Kläger von Bedeutung.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, da eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Kosten, die durch einen unrichtigen ärztlichen Rat bei der Behandlung der Körperverletzung verursacht worden seien, noch unter die Haftung dessen fielen, der die Körperverletzung zu verantworten habe.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer gänzlichen Klagsabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung liegt ein adäquater Kausalzusammenhang auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazugetreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt. An der Adäquanz fehlt es, wenn die Möglichkeit eines bestimmten Schadenseintritts so weit entfernt war, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte (RIS-Justiz RS0022918 [T17]). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs ist objektiv und nicht danach zu beurteilen, was dem Schädiger subjektiv vorhersehbar war. Das Hinzutreten einer gewollten, rechtswidrigen Handlung eines Dritten ist adäquat, wenn diese nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (RIS-Justiz RS0022940).
Ein ärztlicher Kunstfehler bei der Behandlung einer Körperverletzung schließt die Adäquanz des Geschehensablaufs grundsätzlich nicht aus; mag eine ärztliche Fehlbehandlung auch nicht gerade wahrscheinlich sein, so liegt sie dennoch nicht außerhalb der menschlichen Erfahrung und fällt unter die Haftung dessen, der die Körperverletzung zu verantworten hat (RIS-Justiz RS0022618).
Was nach der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung für ärztliche Kunstfehler gilt, muss in gleicher Weise für unrichtige ärztliche Ratschläge gelten. Ein falscher ärztlicher Rat liegt nämlich genauso wenig außerhalb der Lebenserfahrung wie ein ärztlicher Kunstfehler. Ein unrichtiger ärztlicher Rat im Gefolge einer von einem Dritten verschuldeten Körperverletzung schließt somit die Adäquanz des Geschehensablaufs nicht aus; die Folgen eines unrichtigen ärztlichen Rates fallen daher grundsätzlich unter die Haftung dessen, der die Körperverletzung zu verantworten hat.
Die grundsätzliche Bejahung der Adäquanz bedeutet aber für den vorliegenden Fall noch nicht, dass den Beklagten alle geltend gemachten Schäden zuzurechnen sind. So sind etwa allfällige (die diesbezügliche Beweisrüge der Beklagten in der Berufung wurde vom Berufungsgericht nicht erledigt) psychische Beeinträchtigungen der Kläger aufgrund der Fremdbetreuung des Sohnes angesichts der festgestellten atypischen Kausalkette nach Ansicht des erkennenden Senats solcher Art, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte (RIS-Justiz RS0022918 [T17]), weshalb diesbezüglich die Adäquanz zu verneinen ist. Gleiches gilt somit auch für die von der Klägerin allenfalls (die diesbezügliche Beweisrüge der Beklagten in der Berufung wurde vom Berufungsgericht ebenfalls nicht erledigt) getätigten Aufwendungen für die Psychotherapie von 861 EUR.
Für die Babysitterkosten ist die Adäquanz nicht für die gesamten fünfeinhalb Monate zu bejahen, sondern nur für einen Teil dieses Zeitraums. Der schon dargestellte, unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht der Kläger dem Erstgericht erteilte Auftrag des Berufungsgerichts, weitere Feststellungen zu treffen, ist offenbar Ausdruck der schon beim Berufungsgericht bestehenden Zweifel an der Adäquanz der Schadensverursachung durch die Erstbeklagte hinsichtlich einzelner eingetretener Schäden. Inwieweit Adäquanz hinsichtlich der Babysitterkosten besteht, wird erst nach Vorliegen der vom Berufungsgericht aufgetragenen weiteren Feststellungen zu beurteilen sein.
Es hat somit - nach Maßgabe der obigen Ausführungen - beim berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss zu bleiben.
Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.Der Kostenvorbehalt gründet auf Paragraph 52, ZPO.
Textnummer
E89601European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00113.08V.1113.000Im RIS seit
13.12.2008Zuletzt aktualisiert am
05.11.2010