TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/12 2006/19/0239

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Veröffentlicht am 12.12.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Mag. Nedwed und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des E, vertreten durch Mag. Rainer Hessenberger, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Alter Markt 7, gegen den am 12. Dezember 2003 verkündeten und am 26. Februar 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 224.347/6-II/04/03, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides (Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan) gemäß § 8 Asylgesetz 1997 bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte im Juli 2001 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24. August 2001 gab er an, der tadschikischen Volksgruppe anzugehören, in Mazar-e Sharif aufgewachsen zu sein und vor einer Verfolgung durch die Taliban, die nach der Eroberung seiner Heimatstadt seinen Vater getötet hätten, geflohen zu sein. Seine Frau und sein Kind befänden sich in Afghanistan. Sein Bruder, der ein Geschäft für Autoersatzteile leite, komme für den Unterhalt seiner Angehörigen auf.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 19. September 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I) und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II).

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde unter Beiziehung des Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. Max Klimburg am 12. Dezember 2003. In dieser Berufungsverhandlung begutachtete der Sachverständige auch noch die Fälle fünf weiterer afghanischer Asylwerber (unter ihnen ein als BW I bezeichneter Berufungswerber). Der Beschwerdeführer brachte vor, er habe seinerzeit aus den vor dem Bundesasylamt angegebenen Gründen seine Heimatstadt Mazar-e Sharif verlassen. Jetzt befürchte er keine Gefährdung durch die Taliban mehr, sondern Racheakte von Personen, denen er geschadet haben könnte, als er gezwungen gewesen sei, für die Taliban Verkehrskontrollen durchzuführen. Diese Verkehrskontrollen habe er auf Befehl eines lokalen Mullahs ohne Entgelt im Jahr 2001 durchgeführt. Manche der Insassen der von ihm aufgehaltenen Fahrzeuge seien anschließend von den Taliban verhaftet, wohl auch misshandelt oder gar getötet worden. Das Geschäft für Autoersatzteile habe mittlerweile verkauft werden müssen. Seine Mutter lebe zusammen mit seinem Bruder nun bei seiner Schwester im Iran. Seine Frau und sein Kind seien bei seinen Schwiegereltern in Kabul, welche dort einen Lebensmittel-Gemischtwarenladen betrieben.

Der Sachverständige äußerte sich hiezu wie folgt:

"Wie bei BW I halte ich auch die seinerzeitigen Gründe dieses (Beschwerdeführers), Mazar-e Sharif zu verlassen, für durchaus nachvollziehbar. Auch das heutige Vorbringen, von den Taliban verpflichtet worden zu sein, Verkehrskontrollen durchzuführen, steht mit meiner Kenntnis der damaligen Situation in Einklang.

Die nunmehr geltend gemachte spezifische Gefährdung halte ich jedoch für unwahrscheinlich: Zunächst hat (der Beschwerdeführer) ja, seinem eigenen Vorbringen zufolge, keinesfalls selbst Personen misshandelt oder gar getötet. Dazu kommt jedoch noch, dass auch die Opfer der Taliban und deren Verwandte wissen, dass, derartige Zwangsverpflichtete keineswegs selbst auf Seiten der Taliban standen. Daher nehme ich an, dass sich allfällige Racheakte gegen die wirklichen Täter, nicht aber gegen Personen wie den (Beschwerdeführer), richten würden. Auch für diesen (Beschwerdeführer) gilt jedoch, bezogen auf Mazar-e Sharif, das oben zu BW I Ausgeführte. Dieser (Beschwerdeführer) hat jedoch ausdrücklich angegeben, dass seine Ehefrau und sein Kind bei seinen Schwiegereltern in Kabul lebten und dass diese Schwiegereltern einen kleinen Laden betrieben. Meiner Kenntnis nach ist nun der familiäre Zusammenhalt in Afghanistan jedenfalls so eng, dass der (Beschwerdeführer) damit rechnen könnte, von seinen Schwiegereltern aufgenommen zu werden und damit eine genügende wirtschaftliche Versorgung zu finden.

Wenn überhaupt irgendwo in Afghanistan die Sicherheitslage ausreichend ist, dann in Kabul, wo die Zentralregierung sitzt und von einer internationalen Schutztruppe nicht nur deren Sicherheit, sondern auch jene der Bevölkerung versucht wird, diese zu gewährleisten. Dies heißt nicht, dass nicht auch in Kabul vereinzelte Anschläge vorkämen, die Lage ist jedoch dort so, dass die Zivilbevölkerung ein halbwegs normales Leben führen kann (diese Einschätzung beruht auf meinem unmittelbaren Eindruck im November 2003)."

Zu den Verfolgungsbehauptungen eines weiteren Berufungswerbers, dessen Berufung ebenfalls in dieser Berufungsverhandlung behandelt wurde ("BW I"), führte der Sachverständige ua. aus:

"Der BW hat jedoch recht, wenn er die gegenwärtig prekäre Sicherheitslage anspricht. So schreibt das deutsche auswärtige Amt in einer 'dhoc Information' mit Stand vom 5.5.2003 wörtlich:

'Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist trotz intensiver internationaler Bemühungen und institutioneller Fortschritte (wie z.B. der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission) noch nicht überwunden. Praktisch sichtbar wird er etwa an der Vielzahl meist unbekannt bleibender Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen (Opfer sind typischerweise Auslandsafghanen/Rückkehrer, häufige Vorfälle im Nordwesten und Kabul)'.

Auch nach Bettina Scholdan habe sich die Sicherheitslage gerade auch im 'Nordwesten' (worunter sie gerade auch die Gegend um Mazar-e Sharif versteht) 'neuerlich zum Schlechteren entwickelt' ...".

Der Beschwerdeführer äußerte sich zum Gutachten, seine Schwiegereltern könnten sich mit Mühe um seine Frau und sein Kind kümmern, nicht jedoch um den Beschwerdeführer. Er habe alles, was er in Afghanistan besessen habe, verloren. Es sei auch möglich, dass seine Schwiegereltern von ihm für die Zeit, in der er sich nicht um seine Frau und sein Kind habe kümmern können, finanziellen Ausgleich verlangten. Der Sachverständige erklärte hiezu, er bleibe bei seiner Auffassung. Auf Grund des in Afghanistan üblichen familiären Zusammenhalts werde der Beschwerdeführer, auch wenn er mittellos von Europa nach Afghanistan zurückkehren sollte, von seinen Schwiegereltern nicht zurückgewiesen werden, auch wenn diese möglicherweise erwarten würden, dass der Beschwerdeführer aus Europa Geld mitbringe. Hierauf antwortete der Beschwerdeführer, seine Frau werde von ihm erwarten, dass er für sie sorge. Er habe in Afghanistan gegenwärtig keine beruflichen Perspektiven, da er alles verloren habe.

Im Verwaltungsakt befindet sich ua. auch der von Bettina Scholdan verfasste "Reisebericht Afghanistan 13. - 24. Juli 2003". Aus dem Akteninhalt ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer hiezu rechtliches Gehör gewährt worden wäre.

Die belangte Behörde verkündete den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 AsylG abwies.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Begründung des angefochtenen Bescheides - soweit hier wesentlich - lautet:

"Auch in diesem Verfahren ist Gegenstand der heutigen Beurteilung nicht, ob der Berufungswerber zum Zeitpunkt seiner Flucht aus Mazar-e Sharif im August 1998 die Voraussetzungen für eine Gewährung von Asyl erfüllt hätte, sondern ausschließlich, welche Gefahr dem Berufungswerber, im Falle seiner nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan, gegenwärtig noch drohte.

Diesbezüglich hat nun der aufgenommene Sachverständigenbeweis zunächst schon keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem Berufungswerber die nunmehr - nach dem Fall des Taliban-Regimes - befürchtete Gefahr auch tatsächlich drohte; auch der Berufungswerber selbst ist dieser Beurteilung nicht entgegengetreten.

Nachdem nun auch - jedenfalls bei Anlegung des vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten, strengen Maßstabes (vgl. dessen Erkenntnis vom 16.7.2003, Zl. 2003/01/0059) - die vom Berufungswerber für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan geltend gemachte wirtschaftliche Notlage jedenfalls in Kabul, wo der Berufungswerber nach den auch von ihm nicht bestrittenen Darlegungen des Sachverständigen Aufnahme bei seinen Schwiegereltern, welche in Kabul einen 'Lebensmittel- bzw. Gemischtwarenladen betreiben', finden könnte, nicht die maßgebliche Schwelle des Art. 3 EMRK erreicht und in Kabul auch, den diesbezüglichen Darlegungen des Sachverständigen zufolge, die Sicherheitslage 'so (ist), dass die Zivilbevölkerung ein halbwegs normales Leben führen kann', war die Berufung spruchgemäß vollinhaltlich abzuweisen."

Die Erwägungen, aus denen die belangte Behörde den Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe nicht gefolgt ist, halten der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof stand. In der Beschwerde wird die Relevanz behaupteter Verfahrensmängel zur Frage der - asylrelevanten - Verfolgung nicht dargetan. Insbesondere wird nicht behauptet, dass eine von der Beurteilung des Sachverständigen abweichende Berichtslage zur Frage der Verfolgung von Personen vorliegt, die von den Taliban zu Hilfeleistungen verpflichtet wurden, ohne selbst Personen misshandelt oder getötet zu haben (vgl. hiezu etwa auch das im erwähnten Reisebericht von Bettina Scholdan, Rz 127, angeführte Positionspapier des UNHCR vom Juli 2003). Insoweit sich die Beschwerde gegen die gemäß § 7 AsylG erfolgte Bestätigung des Spruchpunktes I des erstinstanzlichen Bescheides richtet, kann sie daher - mangels tauglicher Hinweise auf dem Beschwerdeführer drohende und mit einem Konventionsgrund zusammenhängende Verfolgungsgefahren - nicht erfolgreich sein.

In Bezug auf die Ansicht der belangten Behörde, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan könne gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt werden, ist die Begründung des angefochtenen Bescheides hingegen nicht ausreichend. Die Beschwerde verweist zutreffend auf die nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringenden Ausführungen des Sachverständigen zur Sicherheitslage in Kabul betreffend den Berufungswerber "BW I" einerseits und den Beschwerdeführer anderseits. Auf Ergänzungen in der Gegenschrift sowie eine erst nach Einbringung der Beschwerde eingeholte ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen hiezu ist nicht einzugehen. Die Beschwerde verweist auch zutreffend darauf, dass die Begründung im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe die Darlegungen des Sachverständigen, er könne für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan bei seinen Schwiegereltern Aufnahme finden, nicht bestritten, nicht zutreffend ist. Trotz der Vorhalte des Verhandlungsleiters hat der Beschwerdeführer sein Bestreitungsvorbringen nicht zurückgenommen. Hiezu ist auch darauf zu verweisen, dass es Verantwortung der belangten Behörde ist, eine für die betroffene Partei mit so schwerwiegenden Konsequenzen verbundene Entscheidung auf ausreichend breite Grundlagen zu stützen (vgl. zuletzt hg. Erkenntnis vom 24. August 2007, Zl. 2006/19/0156 mwN). Dazu ist zu berücksichtigen, dass Bettina Scholdan in dem bereits erwähnten Reisebericht (dort Rz 99 und 100) anführte, man könne sich nicht darauf verlassen, dass die Familie einen Rückkehrer in allen Fällen bei sich aufnehmen, schützen und unterstützen könne. Ob Unterstützung der Familie erwartet werden könne, müsste in jedem Einzelfall abgeklärt werden. Eine Auseinandersetzung mit dieser - aktenkundigen - Berichtslage erfolgte weder durch den Sachverständigen noch im angefochtenen Bescheid.

Der angefochtene Bescheid war daher insoweit, als darin - durch Bestätigung des entsprechenden Teils des erstinstanzlichen Bescheides - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für zulässig erklärt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben und die Beschwerde im Übrigen - nämlich hinsichtlich der Bestätigung der Abweisung des Asylantrages - gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 303.

Wien, am 12. Dezember 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190239.X00

Im RIS seit

18.02.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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