TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/13 2007/09/0228

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Veröffentlicht am 13.12.2007
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Abs2 lita;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Abs2 litb;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Abs2 litc;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art23;
ABGB §40;
ABGB §42;
AuslBG §1 Abs2 litm idF 2005/I/101;
AuslBG §15 Abs1 Z3 idF 2005/I/101;
AVG §66 Abs4;
EURallg;
FrG 1997 §47 Abs3 Z2;
FrG 1997 §49 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs2 idF 2005/I/157;
NAG 2005 §81 Abs2;
NAGDV 2005 §11 Abs1 litA Z3 Fallb;
VwGG §35 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des BD, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 21. September 2007, Zl. 3/08115/148 0633, betreffend Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 21. September 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z. 3 AuslBG abgelehnt.

Die belangte Behörde stellte als relevanten Sachverhalt im angefochtenen Bescheid offenbar den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebrachten (und in der Beschwerde im Wesentlichen wiederholten) Sachverhalt fest.

Danach sei der Beschwerdeführer im Besitz einer Niederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger (offenkundig gemäß § 49 Abs. 1 FrG) gewesen, weil er mit seiner Großmutter, einer österreichischen Staatsbürgerin, im gemeinsamen Haushalt lebe und diese für seinen Unterhalt aufkomme. Die Gültigkeit der Niederlassungsbewilligung sei zuletzt bis zum 12. Juli 2007 verlängert worden. Über einen weiteren Verlängerungsantrag sei bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht entschieden worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier wesentlichen Bestimmungen des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997, aufgehoben durch BGBl. I Nr. 100/2005 (NAG), lauteten:

"§ 47.

...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1.

Ehegatten;

2.

Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;

              3.              Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.

...

§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. ..."

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975 (AuslBG), lauten:

§ 1 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 157/2005:

"(1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§ 2) im Bundesgebiet.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

...

l) Freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind;

m) EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie die drittstaatsangehörigen Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist.

..."

§ 15 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2005:

"(1) Einem Ausländer, der noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt hat (§ 17), ist auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn er

...

3. bisher gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m nicht dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes unterlegen und weiterhin rechtmäßig niedergelassen ist ..."

Die hier relevanten Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Fremdenrechtspaket 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 (NAG), lauten:

§ 24 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 157/2005:

"...

(2) ... Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der

Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig."

§ 81 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 99/2006:

"...

(2) ... Das Recht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bedarf

jedenfalls der Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach diesem Bundesgesetz, sofern dies nicht bereits nach dem Fremdengesetz 1997 möglich war. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach diesem Bundesgesetz und dem Fremdenpolizeigesetz weiter gelten."

§ 11 lit. A Z. 3 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 451/2005 (NAG-DV), sieht zu

§ 81 Abs. 2 NAG hinsichtlich der Weitergeltung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen Folgendes vor:

"(1) Die vor dem In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75 in der Fassung der FrG-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 126 und zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, gelten nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz oder als Berechtigungen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, wie folgt weiter:

...

A. Niederlassungsbewilligungen nach dem FrG

...

3. Niederlassungsbewilligung begünstigter Drittstaat - Ö, § 49 Abs. 1 FrG"

(nach dem NAG als)

"b) Kinder über 18 Jahre: 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt'."

Die belangte Behörde wies den Antrag ausschließlich mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer sei nie unter die Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 lit. l in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Gesetzeslage sowie § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG in der geltenden Fassung gefallen, weshalb er auch nicht von der Anwendung des AuslBG ausgenommen gewesen sei. Denn er falle als Enkelkind nicht unter den Begriff "Kind" der genannten Gesetzesstellen.

Diese Begründung der belangten Behörde ist rechtlich verfehlt:

Die durch die Nov. BGBl. I Nr. 101/2005 normierte Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG diente nach den Erläuterungen (RV 948 Blg. NR 22. GP, S. 1 und 4) ua. der Umsetzung der "Unionsbürgerrichtlinie" (RL 2004/38/EG vom 29. April 2004, in der Folge RL).

Im gegenständlichen Fall geht es - wie ausgeführt - um die Stellung des (drittstaatsangehörigen) Enkels einer österreichischen Staatsbürgerin.

Nach den Begriffsbestimmungen des Art. 2 der RL bezeichnet der Ausdruck

"1. 'Unionsbürger' jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2. 'Familienangehöriger'

a)

den Ehegatten;

b)

den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

              c)              die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

..."

Nach Art. 23 dieser RL sind

"die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem

Mitgliedstaat genießen, ... ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit

berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen."

Nach den genannten Bestimmungen der RL kann (nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt des Verbotes der Inländerdiskriminierung) kein Zweifel daran bestehen, dass der Gesetzgeber in Umsetzung der genannten RL unter "Kinder" in der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG Verwandte in gerader absteigender Linie versteht, was ua. auch den §§ 40 und 42 des ABGB entspricht.

Klargestellt wird dies nicht zuletzt auch durch die Wortfolge "Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird" des hier eine Grundlage des Aufenthaltsrechtes des Beschwerdeführers bildenden und deshalb im Hinblick auf das Verständnis des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG bedeutsamen § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG, weil diese Wortfolge inhaltlich der Wortfolge der RL entspricht und lediglich anstelle des Wortes "Kinder" die dem § 42 ABGB entsprechende Umschreibung dieses Begriffes enthält.

Die belangte Behörde beruft sich in ihrer Stellungnahme vom 7. Dezember 2007 auf die Definition des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG. Damit verkennt sie, dass diese Bestimmung der Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung von Drittstaatsangehörigen (also nicht der Zusammenführung von Unionsbürgern und drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern) dient und es dementsprechend im Beschwerdefall dahingestellt bleiben kann, was "Kernfamilie" iSd § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG bedeutet.

Die dem Beschwerdeführer mit Gültigkeit zuletzt bis 12. Juli 2007 erteilte Niederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger nach dem FrG galt infolge § 11 Abs. 1 lit. A Z. 3 Fall b) der gemäß § 81 Abs. 2 dritter Satz NAG erlassenen NAG-DV als "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" nach dem In-Kraft-Treten des NAG (1. Jänner 2006) als "entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung" nach dem NAG weiter. Der Verlängerungsantrag bewirkte nach § 24 Abs. 2 zweiter Satz NAG, dass der Beschwerdeführer bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten Niederlassungsbewilligung "weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig" ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 22. März 2007, Zl. 2006/09/0167 (auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG hingewiesen wird), ausgeführt hat, bedeutet das, dass dem Antragsteller bei rechtzeitiger Antragstellung bis zur Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag dieselbe Rechtsposition eingeräumt werden soll, die er nach dem Inhalt des letzten Aufenthaltstitels innehatte.

War aber der Beschwerdeführer als (Enkel-)Kind einer österreichischen Staatsbürgerin zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt, so fällt er (weiterhin) unter die Ausnahme des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG; das AuslBG ist auf ihn nicht anzuwenden. Damit fehlt es an der notwendigen Voraussetzung zur Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z. 3 AuslBG, nämlich dass er nunmehr dem Geltungsbereich des AuslBG unterliege; die Ausstellung eines Befreiungsscheines kommt sohin nicht in Betracht.

Die belangte Behörde hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung den Bescheid der Behörde erster Instanz aufzuheben gehabt, weil die Behörde erster Instanz eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, anstatt richtigerweise den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Befreiungsscheines zurückzuweisen, und in Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG den Antrag des Beschwerdeführers zurückweisen müssen.

Schon aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass die in der Beschwerde behauptete Rechtsverletzung vorliegt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 35 Abs. 2 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 13. Dezember 2007

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007090228.X00

Im RIS seit

29.01.2008

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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