TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/13 2007/09/0187

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Veröffentlicht am 13.12.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §68 Abs2;
AVG §68 Abs4;
AVG §69 Abs2;
OFG §1 Abs1 lite;
OFG §1 Abs4;
OFG §1;
OFG §11 Abs13;
OFG §11 Abs2;
OFG §11 Abs5;
OFG §3 Abs1;
OFG §3 Abs3;
OFG §4 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des RS in I, vertreten durch Dr. Dieter Altenburger, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz vom 30. April 2007, Zl. BMSG-241122/0001-IV/5/2007, betreffend Zurückweisung eines Antrages in einer Angelegenheit nach dem Opferfürsorgegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 15. Mai 1928 in Wien geborene, zunächst hier aufgewachsene Beschwerdeführer und seine Eltern wurden am 1. Oktober 1942 wegen ihrer jüdischen Abstammung nach Theresienstadt deportiert und von dort im September 1944 nach Auschwitz überstellt, wo die Eltern des Beschwerdeführers ums Leben kamen. Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge nach Dachau verlegt und am 2. Mai 1945 bei Bad Tölz von US-Soldaten befreit. Er lebt seit 1946 in Israel.

Am 4. September 1953 langten beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 12, Referat Opferfürsorge, sowohl ein mit 28. August 1953 datierter Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Haftentschädigung als auch ein mit 1. September 1953 datierter "Wahrungsantrag" auf Zuerkennung der ihm "nach dem Opferfürsorgegesetz 1947 zustehenden Begünstigungen (Opferausweis, Amtsbescheinigung, Rentenfürsorge)" ein.

Mit Bescheid des Landeshauptmanns vom 21. November 1955 wurde dem Ansuchen des Beschwerdeführers "um Anerkennung als Opfer im Sinne des Opferfürsorgegesetzes" keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe durch den Erwerb der israelischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft verloren, weshalb seinem "Antrage um Ausstellung einer AB (gemeint: Amtsbescheinigung) oder eines OA (gemeint: Opferausweises) der Erfolg zu versagen" sei. Über seinen Antrag auf Haftentschädigung werde gesondert entschieden werden.

Auf den Antrag des Beschwerdeführers, ihm "Rentenfürsorge" zu gewähren, wurde in dieser Erledigung nicht eingegangen.

Der damalige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers übernahm diesen Bescheid - zusammen mit zwei weiteren Bescheiden vom selben Tag, die sich auf die Haftentschädigung bezogen - am 29. November 1955 und verzichtete auf Rechtsmittel.

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 23. Dezember 1958 wurde über die Haftentschädigung des Beschwerdeführers als Hinterbliebener seiner - in der Zwischenzeit für tot erklärten - Eltern abgesprochen.

Mit Schriftsatz vom 9. August 1963 ersuchte der Beschwerdeführer "um Gewährung der erhöhten Haftentschädigung und um eine Entschädigung für Einkommensminderung bzw. für Abbruch der Berufsausbildung".

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 13. Mai 1964 wurde über die dem Beschwerdeführer nach dem Opferfürsorgegesetz, BGBl. Nr. 183/1947 (OFG), in der Fassung einer näher genannten Novelle noch zustehende Haftentschädigung abgesprochen.

Dem Antrag auf Gewährung von Entschädigung für Einkommensminderung (§ 14b OFG) und für Abbruch der Berufsausbildung (§ 14c OFG) wurde mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 23. Dezember 1965 keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, Voraussetzung für diese Leistungen seien eine Amtsbescheinigung oder ein Opferausweis. Gemäß § 1 Abs. 4 OFG könnten diese aber nur für Personen, die im Zeitpunkt der Anspruchsanmeldung österreichische Staatsbürger seien, ausgestellt werden. Auf den Beschwerdeführer treffe dies nicht zu, weil er israelischer Staatsbürger sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im Wesentlichen vorbrachte, es sei nicht berücksichtigt worden, dass die Bundesregierung ihm eine Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft erteilen könne.

Mit Bescheid vom 15. Februar 1966 gab der Bundesminister für Soziale Verwaltung der Berufung keine Folge. Er bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid "aus seinen zutreffenden, durch die Berufungsausführungen nicht widerlegten Gründen".

Über die vom Beschwerdeführer angestrebte Nachsichterteilung wurde ihm am 16. Mai 1966 mitgeteilt, die Opferfürsorgekommission beim Bundesministerium für Soziale Verwaltung habe sein darauf gerichtetes Ansuchen in ihrer Sitzung am 13. Mai 1966 "in Verhandlung gezogen und keine Veranlassung gefunden, eine Nachsichterteilung bei der Bundesregierung zu beantragen".

Mit einem am 24. Jänner 1977 beim Amt der Wiener Landesregierung eingelangten Schreiben ersuchte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Zeitungsberichte um eine "Wiedergutmachungsentschädigung", die ihm "ungerechterweise untersagt" worden sei.

In einem Aktenvermerk vom 25. Jänner 1977 wurde dazu festgehalten, der Antrag werde als solcher auf "Aufstockung" der Haftentschädigung gewertet. "Sonst" könne der Beschwerdeführer "keine Leistung nach OFG erhalten". Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 17. März 1977 wurde ihm eine ihm nach einer näher genannten Novelle zum Opferfürsorgegesetz noch zustehende Haftentschädigung gewährt.

Mit einem am 12. April 1977 eingelangten Schreiben erneuerte der (in Israel als Hilfskrankenpfleger tätige) Beschwerdeführer sein "schon vor Jahren" geltend gemachtes Ansuchen um Gewährung einer Entschädigung "für Schulunterbrechung und dadurch auch gestörte Berufsausbildung".

Mit Schreiben vom 9. Oktober 1977 gab er - einer diesbezüglichen Aufforderung entsprechend - bekannt, dass er weiterhin israelischer Staatsbürger und es ihm nicht gelungen sei, die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu erlangen.

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 24. Oktober 1977 wurde der Antrag des Beschwerdeführers "auf Gewährung einer Entschädigung gemäß § 14c OFG ... wegen Abbruch der Schulbildung" gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Da der Beschwerdeführer "noch immer israelischer Staatsbürger" sei, habe sich gegenüber dem mit Bescheid vom 15. Februar 1966 abgeschlossenen Verfahren keine entscheidungswesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage ergeben.

Der Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid wurde mit Bescheid des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 1. Dezember 1977 keine Folge gegeben.

Mit Schreiben vom 3. Februar 1986 teilte der Beschwerdeführer der erstinstanzlichen Behörde mit, sein Gesundheitszustand habe sich radikal verschlechtert. Er wisse, dass gesundheitlich geschädigten ehemaligen KZ-Insassen in Deutschland Renten ausbezahlt würden, er als "damaliger Österreicher" werde aber von den deutschen Behörden abgewiesen und bitte um Hilfe.

Mit Antwortschreiben vom 13. Februar 1986 wurde dem Beschwerdeführer dazu mitgeteilt, dass "die Gewährung von Rentenleistungen primär von der Innehabung einer Amtsbescheinigung abhängt, die jedoch nur an derzeitige Besitzer der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgestellt wird. Wie aus dem Vorakt hervorgeht, sind Sie im Besitz der israelischen Staatsbürgerschaft und haben Sie sohin die gesetzlichen Voraussetzungen nicht."

Mit Schreiben vom 20. März 1994 teilte der Beschwerdeführer unter Anschluss von Beilagen mit, er habe gemäß § 58c des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 i.d.F. der Novelle BGBl. Nr. 521/1993 am 29. Oktober 1993 die österreichische Staatsbürgerschaft wiedererworben und ersuche um Ausstellung eines Opferausweises bzw. einer Amtsbescheinigung.

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 12. April 1994 wurde diesem Antrag stattgegeben, "die Anspruchsberechtigung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e und Abs. 4 Opferfürsorgegesetz (OFG) anerkannt" und dem Beschwerdeführer gemäß § 4 Abs. 1 OFG eine Amtsbescheinigung ausgestellt. In einem Begleitschreiben vom 13. April 1994 wurde er darüber informiert, dass er mit Rücksicht darauf, dass er "nunmehr Inhaber einer Amtsbescheinigung" sei, unter jeweils näher genannten Voraussetzungen Anspruch auf eine Teilunterhaltsrente oder eine Opferrente habe.

Mit Schreiben vom 12. Mai 1994 beantragte der Beschwerdeführer im Hinblick auf insbesondere im Dezember 1944 und im Jänner 1945 sowie zuletzt bei Fußmärschen im April 1945 erlittene Gesundheitsschäden die Zuerkennung einer Opferrente. Nachdem er schon in den Jahren 1977 und 1985 um eine Opferrente angesucht und sich auch wiederholt um den Wiedererwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft bemüht habe, aber immer abgelehnt worden sei, "hoffe" er "diesmal eine positive Antwort zu erhalten, und mein Ansuchen rückwirkend von 1977 zu befürworten".

Mit Schreiben vom 24. Mai 1995 erneuerte der Beschwerdeführer auch ein weiteres Mal sein Ansuchen um eine Entschädigung für die Unterbrechung seiner Berufsausbildung.

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 12. Juni 1995 wurde ihm gemäß § 14c OFG diese Entschädigung in der Höhe von S 6.000,- zuerkannt.

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 21. Juni 1995 wurde dem Beschwerdeführer unter Anerkennung bestimmter Leiden als haft- bzw. verfolgungsbedingt für die Zeiträume ab 1. Mai 1994 bis 31. Dezember 1994 sowie ab 1. Jänner 1995 bis auf weiteres eine Opferrente gemäß § 11 Abs. 2 und 4 OFG in näher genannter Höhe zuerkannt.

In einem Begleitschreiben vom 23. Juni 1995 wurde ihm auf eine Eingabe vom 15. Juni 1995, in der er sich auf die Ablehnung seiner früheren Anträge bezogen und u.a. angeführt hatte, die israelische Staatsbürgerschaft habe er "1948 mit der Staatsgründung automatisch" erhalten, geantwortet, die nunmehr zuerkannte Opferrente gebühre nur Inhabern einer Amtsbescheinigung, deren Innehabung wiederum an die derzeitige österreichische Staatsbürgerschaft gebunden sei und "ab Antrag gewährt" werde, sodass "früher keine Anspruchsberechtigung gegeben" sei. Dem Beschwerdeführer stehe es aber frei, gegen den Bescheid vom 21. Juni 1995 zu berufen.

Der Beschwerdeführer erhob kein Rechtsmittel gegen den Bescheid vom 21. Juni 1995 und bezog in weiterer Folge bis heute die ihm zuerkannte, nach einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 30. November 1999 erhöhte Opferrente. Einen Antrag vom April 2001 auf Gewährung einer Unterhaltsrente zog er im Oktober 2001 zurück.

Mit einem am 23. August 2006 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Schreiben teilte der Beschwerdeführer mit, die Österreichische Botschaft Tel Aviv habe ihm mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 bestätigt, dass er immer Österreicher gewesen sei und der Bescheid über den Wiedererwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige gemäß § 58c Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 i.d.F. der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1993 daher keine Rechtswirkung erzeugt habe. Er sei seit dem zehnten Lebensjahr der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt gewesen und erst im Mai 1945 beim "Todesmarsch von Dachau nach Tirol" befreit worden. Andere ehemalige Zwangsarbeiter, mit denen er zusammen in den Konzentrationslagern gewesen sei, erhielten in Israel seit den Fünfzigerjahren monatliche Zahlungen aus Deutschland. Ihm sei dies versagt geblieben, weil er "nach Österreich gehöre", wo man ihm aber den Staatsbürgerschaftsnachweis verweigert habe. Er glaube, dass wegen dieses "bürokratischen Irrtums", der ihm ohne sein Verschulden ungeheuren Schaden zugefügt habe, der Zeitpunkt gekommen sei, darum zu ersuchen, eine gerechte Entschädigung in Betracht zu ziehen.

Dieses Schreiben beantwortete die Behörde erster Instanz zunächst mit Schreiben vom 19. September 2006 dahingehend, dass die Zuerkennung einer Opferrente erst dadurch möglich geworden sei, dass der Beschwerdeführer im April 1994 "als österr. Staatsbürger Inhaber einer Amtsbescheinigung geworden" sei. Der Bezug einer Opferrente durch Nichtösterreicher sei erst später durch eine Gesetzesänderung ermöglicht worden. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer eine neuerliche Erhöhung der Rente beantragen wolle, werde um Vorlage von Attesten gebeten.

Der Beschwerdeführer antwortete darauf mit einem am 25. Oktober 2006 eingelangten Schreiben, seine in den Jahren "1965- 1977-1986" gestellten Anträge auf Zuerkennung einer Opferrente seien mit der Begründung abgewiesen worden, er sei nicht österreichischer Staatsbürger und könne daher keine Amtsbescheinigung erhalten. Schließlich habe er die Staatsbürgerschaft wiedererlangt und in weiterer Folge eine Opferrente zuerkannt erhalten. Mit Rücksicht auf das Botschaftsschreiben vom 16. Dezember 2005, wonach er die Staatsbürgerschaft nie verloren habe, sei aber anzunehmen, dass die "abweisenden Bescheide" in den "vergangenen Jahren" auf "bürokratischem Irrtum" beruht hätten. Er ersuche, seinen "Amtsausweis als im Jahr 1965 ausgestellt anzusehen, um" seinem "Antrag auf eine Opferrente nachzukommen".

Die Behörde erster Instanz holte nun zu der - jeweils durch die Beilage des von ihm zitierten Botschaftsschreibens untermauerten - Behauptung des Beschwerdeführers, die österreichische Staatsbürgerschaft nie verloren zu haben, eine Auskunft der für Staatsbürgerschaftsangelegenheiten zuständigen Magistratsabteilung 35 der Bundeshauptstadt Wien ein. Diese teilte mit Schreiben vom 29. November 2006 mit, mit Rücksicht auf das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0202, werde nicht mehr davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer durch den Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 5. Dezember 2006 traf die Behörde erster Instanz daraufhin - ohne weiteren diese Eingaben betreffenden Schriftverkehr mit dem Beschwerdeführer - folgende Entscheidung:

"Der Antrag von Herrn ... vom 23.8.2006 und 25.10.2006 auf Wiederaufnahme des Verfahrens betr. Opferrente gemäß § 11 Abs. 2 Opferfürsorgegesetz (OFG) wird gemäß § 69 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) zurückgewiesen."

Die Begründung lautete - im Anschluss an eine Wiedergabe des § 69 AVG - wie folgt:

     "Herr ... beantragte am 23.8.2006 die rückwirkende Gewährung

seiner Opferrente bzw. Umdatierung seiner Amtsbescheinigung.

     Herrn ... wurde mit Bescheid ... vom 12.4.1994 eine

Amtsbescheinigung WNr. ... ausgestellt und  mit Bescheid ... vom

21.6.1995 ab 1.5.1994 eine Opferrente gewährt. Rechtsgrundlage

dafür war der Bescheid ... über den Wiedererwerb der österr.

Staatsbürgerschaft vom 16.12.1993.

     Herr ... hat nun am 23.8.2006 ein Schreiben der österr.

Botschaft Tel Aviv vom 16.12.2005 vorgelegt und am 25.10.2006 in seinem Schreiben noch einmal angegeben, dass er im Dezember 2005 informiert worden ist, niemals die österr. Staatsbürgerschaft verloren zu haben. Diese Auskunft wurde von der MA 35- Staatsbürgerschaftsangelegenheiten mit Mitteilung vom 29.11.2006 bestätigt.

Die ha. Entscheidungen im Jahr 1994 und 1995 waren (wie in Abs. 1 Zi. 3 angeführt) von Vorfragen abhängig.

Es wurde jedoch erhoben, dass Herr ... nicht in der gesetzlich vorgesehenen Frist von 2 Wochen nach Kenntnisnahme der veränderten Sachlage einen entsprechenden Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt hat. Demnach steht fest, dass er die gesetzliche Frist versäumt hat.

Weiters sind seit der Erlassung der Bescheide mehr als 3 Jahre verstrichen, weshalb auch aus diesem Grund dem Antrag nicht entsprochen werden konnte.

Der Antrag (zu ergänzen: war) daher spruchgemäß zurückzuweisen."

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wiederholte der Beschwerdeführer, er habe "in den Jahren 1965, 1977, 1986" die Zuerkennung einer Rente beantragt, seine Anträge seien aber - bis 1994 - jeweils mit der Begründung abgelehnt worden, er besitze nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Dies widerspreche der Mitteilung des Amtes der Wiener Landesregierung, die er durch die Österreichische Botschaft erhalten habe. Er ersuche nochmals, ihm eine Opferrente für den Zeitraum 1965 bis 1994 zuzusprechen, da sie ihm ungerechterweise vorenthalten worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid traf die belangte Behörde folgende Entscheidung über die Berufung:

"Der Landeshauptmann von Wien hat mit Bescheid vom 5. Dezember 2006, Zl. ..., den Antrag des Herrn ... auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Opferrente gemäß § 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes (OFG) gemäß § 69 Abs. 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) zurückgewiesen.

Über die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Berufung entscheidet der Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz wie folgt:

Der Berufung wird

keine Folge

gegeben und der angefochtene Bescheid aus seinen zutreffenden und durch die Berufungseinwände nicht widerlegten Gründen bestätigt.

Rechtsgrundlagen der Entscheidung:

§§ 11 Abs. 2 und 16 Abs. 1 OFG; §§ 69 Abs. 2 und 66 Abs. 4 AVG."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer (vom Beschwerdeführer mit einer Replik beantworteten) Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht - zusammengefasst - geltend, es sei verfehlt gewesen, seine Schreiben vom August und Oktober 2006 als Wiederaufnahmeantrag zu werten, zumal ein solcher Antrag schon wegen der gesetzlichen Frist von drei Jahren nach Erlassung des verfahrensbeendenden Bescheides, auf die im erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid u.a. Bezug genommen worden sei, nur zurückgewiesen werden können. Der Antrag des Beschwerdeführers sei vielmehr auf direkte Sacherledigung im Sinne der rückwirkenden Gewährung der in der Vergangenheit erfolglos beantragten Opferrente gerichtet gewesen. Dadurch, dass die belangte Behörde dies nicht erkannt und die falsche Auslegung der Eingaben des Beschwerdeführers nicht zum Anlass für eine Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides genommen habe, habe sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Da der Beschwerdeführer der Staatsbürgerschaft nie verlustig geworden sei, habe er "folgerichtig" begehrt, "dass seinen Anträgen auf Erteilung einer Leistung nach dem OFG aus dem Jahr 1965 stattzugeben ist, weil die Anträge damals basierend auf einer falschen Entscheidungsgrundlage zurück- bzw. abgewiesen" worden seien. Diese "Bescheidgrundlage" sei "durch die Bestätigung des Nichtverlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft nachträglich verändert" worden. "Allenfalls" könnten die Eingaben des Beschwerdeführers "auch als Neuantrag, der aufgrund der Nichtigkeitsdrohung des § 16 Abs. 2 Opferfürsorgegesetz idgF eine ex-tunc-Wirkung auslösen muss, gesehen werden".

Im Zweifel wäre ein Verbesserungsauftrag zu erteilen und der Beschwerdeführer über die ihm offen stehenden Antragsmöglichkeiten zu belehren gewesen, zumal Ansuchen des Beschwerdeführers als Inhaber einer Amtsbescheinigung gemäß § 4 Abs. 2 OFG "begünstigt" zu behandeln seien.

Die belangte Behörde hält dem in der Gegenschrift u. a. entgegen, für den Beschwerdeführer wäre auch dann "nichts gewonnen worden", wenn seine Eingaben nicht als Antrag auf Wiederaufnahme gewertet worden wären. Dies folge daraus, dass "die bestehende Gesetzeslage ... in diesem Fall nur Entscheidungen pro futuro zulässt (§ 51 Abs. 1 KOVG 1957)".

Auch die Abänderung eines rechtskräftigen Bescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG - auf die im Übrigen kein Rechtsanspruch bestünde -

würde nur für die Zukunft wirken. Leistungen könnten selbst auf Grund der "an sich günstigeren Bestimmungen im Opferfürsorge- bzw. Kriegsopferversorgungsgesetz (§§ 16 Abs. 1 OFG bzw. 86 Abs. 5 KOVG 1957)" längstens für einen Zeitraum von drei Jahren nachgezahlt werden, wobei maßgebender Zeitpunkt für die Bemessung dieses Zeitraums die Erlassung des Abänderungsbescheides wäre.

1. Mit diesen zuletzt erwähnten Ausführungen bezieht sich die belangte Behörde auf die Ergebnisse einer Rechtsentwicklung, die indirekt auch die von ihr zuvor zitierte Vorschrift des § 51 Abs. 1 Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, BGBl. Nr. 152 (KOVG 1957), berührt. In seiner frühen Nachkriegsjudikatur hatte der Verwaltungsgerichtshof wiederholt betont, die behördliche Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides könne außer im Falle der Wiederaufnahme nur ex nunc erfolgen (vgl. in diesem Sinn die Beschlüsse vom 2. Dezember 1948, Slg. Nr. 612/A, vom 4. Oktober 1949, Slg. Nr. 999/A, und vom 10. Juni 1950, Slg. Nr. 1512/A). Im Beschluss vom 23. September 1953, Zl. 571/53, der ein Beschwerdeverfahren im Zusammenhang mit einem Versorgungsanspruch nach dem (später wiederverlautbarten) Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG) betraf, hatte der Verwaltungsgerichtshof daran ausdrücklich festgehalten. Zugleich war er aber der Ansicht, die Versorgung könne im weiteren Verfahren erst ab dem Wirksamkeitsbeginn des Aufhebungsbescheides zuerkannt werden, mit dem Hinweis, der Beginn eines allfälligen Versorgungsanspruches richte sich nach den §§ 51 und 52 KOVG, entgegengetreten. Dieser Beschluss hatte "bei Behörden Verwirrung gestiftet", weil "man glaubte, dass der VwGH darin - unter Abgehen von seiner bisherigen, ständigen Rechtsprechung - eine Wirkung der Verfügung gemäß § 68 (2) AVG. ex tunc anerkannt habe" (Grüner, JBl 1955, 116).

Durch die Novelle vom 6. Juli 1954, BGBl. Nr. 169, wurde § 86 KOVG um eine Nichtigkeitssanktion für Verstöße gegen materiellrechtliche Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erweitert, um den Bund - wie es in der Regierungsvorlage hieß - "von einer nicht zu rechtfertigenden Dauerbelastung" durch rechtswidrige Bescheide zu Gunsten von Versorgungswerbern "zu befreien" (286 BlgNR VII. GP 8). Zugleich wurde neu angeordnet, dass "im Falle der Abänderung oder Behebung eines Bescheides von Amts wegen gemäß den Vorschriften des § 68 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ... weder eine Nachzahlung von Leistungen an den Berechtigten noch ein Rückersatz von Leistungen durch den Empfänger" stattfinde. Zu dieser Regelung wurde in der Regierungsvorlage ausgeführt, sie stelle "außer Zweifel", dass eine solche Änderung "stets nur für die Zukunft wirkt". Im Ausschussbericht hieß es, die Regelung entspreche "der ständigen Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes" (349 BlgNR VII. GP 2). Tatsächlich war damit aber der erwähnte hg. Beschluss vom 23. September 1953 "für den Bereich des KOVG bedeutungslos geworden" (Grüner, a.a.O.).

Diese - von der vorherigen Rechtslage, in deren Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof, zum Nachteil der Versorgungswerber abweichende - Regelung wurde mit der Novelle BGBl. Nr. 21/1969 nur dahingehend zum Teil zurückgenommen, dass nunmehr die Nachzahlung bis zum Höchstausmaß von drei Jahren, gerechnet ab der Erlassung des Abänderungs- oder Behebungsbescheides, ermöglicht wurde. In der Regierungsvorlage wurde dazu ausgeführt, die 1954 eingeführte Regelung habe "insbesondere bei bedürftigen Kriegsopfern ... häufig zu Härten" geführt. Bei Verfügungen nach § 68 AVG solle im nunmehr vorgesehenen Ausmaß "ähnlich wie bei der Verjährung von Renten im bürgerlichen Recht oder von rückständigen Leistungen nach dem Pensionsgesetz 1965" (gemeint: dessen § 40) eine Nachzahlung erfolgen können (1027 BlgNR XI. GP 10; vgl. zur Rechtslage zwischen diesen beiden Novellen auch den hg. Beschluss vom 11. April 1957, Slg. Nr. 4337/A).

Die Kenntnis dieser Entstehungsgeschichte ist zur Vermeidung unzutreffender Umkehrschlüsse aus der von der belangten Behörde erwähnten Regelung wesentlich. Sie ändert aber nichts daran, dass eine amtswegige Entscheidung gemäß § 68 Abs. 2 oder auch (unabhängig von der strittigen Frage der Rückwirkung der Nichtigerklärung als solcher) Abs. 4 AVG im Beschwerdefall - zufolge der Verweisung in § 16 Abs. 1 OFG - nicht zu einer Nachzahlung von Beträgen für die Zeit vor Mai 1994 an den Beschwerdeführer führen könnte.

2. Die Behörde erster Instanz und - ohne weitere Begründung auf den erstinstanzlichen Bescheid verweisend - die belangte Behörde haben es in ihrer Auseinandersetzung mit den Eingaben des Beschwerdeführers vom August und Oktober 2006 aber verabsäumt, im Einzelnen zu prüfen, mit welchen ursprünglichen Eingaben die Gewährung einer Opferrente an den Beschwerdeführer von diesem schon vor 1994 beantragt und inwieweit darüber rechtskräftig entschieden worden war.

In diesem Zusammenhang ist zunächst anzumerken, dass die - offenbar auf den Jahresangaben des Beschwerdeführers in seinen letzten Eingaben beruhende - Beschwerdebehauptung, der Beschwerdeführer habe im Jahr 1965 erstmals eine solche Rente beantragt und darüber sei rechtskräftig entschieden worden, nicht mit dem Akteninhalt übereinstimmt. Ein im Jahr 1965 vom Beschwerdeführer gestellter Antrag ist überhaupt nicht aktenkundig. Der damals noch unerledigte Teil seiner Anträge vom August 1963 bezog sich - wie in der Folge auch sein Antrag vom April 1977 - auf Ansprüche gemäß § 14b und c OFG. Eine Opferrente begehrte der Beschwerdeführer - vor 1994 - hingegen mit seinem "Wahrungsantrag" vom 1. September 1953 ("Rentenfürsorge"), der nur in Bezug auf die zugleich beantragte Ausstellung einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweises bescheidmäßig erledigt wurde, und mit seiner Eingabe vom 3. Februar 1986, die überhaupt nicht zu einer bescheidmäßigen Erledigung führte. Dass der Antrag auf "Rentenfürsorge" von demjenigen auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweises rechtlich zu trennen ist (wenngleich sein Erfolg die Ausstellung eines solchen Ausweises voraussetzt), ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. § 3 Abs. 1 und 3 OFG).

Wenn weiters in dem Bescheid vom 21. Juni 1995, mit dem dem Beschwerdeführer eine Rente zuerkannt wurde, diese Zuerkennung ab dem Beginn des Monats erfolgte, in dem der Beschwerdeführer den Antrag vom 12. Mai 1994 gestellt hatte, so bezog sich diese Erledigung erkennbar - wenngleich unter impliziter Ablehnung seiner vom Beschwerdeführer gewünschten Rückwirkung - nur auf diesen Antrag.

Einer näheren Auseinandersetzung mit Ansprüchen für die Zeit vor Mai 1994 stand schließlich auch nicht entgegen, dass dem Beschwerdeführer erst im April 1994 die zuvor nur einmal, nämlich mit dem "Wahrungsantrag" vom 1. September 1953, erfolglos beantragte Amtsbescheinigung ausgestellt worden war. Die Amtsbescheinigung war für den Rentenanspruch zwar konstitutiv in dem Sinn, dass eine Opferrente - bis zu der erst 2002 in Kraft getretenen Regelung des nunmehrigen § 11 Abs. 13 OFG - nur dem Inhaber einer Amtsbescheinigung zuerkannt werden konnte. Wegen der konstitutiven Wirkung der Amtsbescheinigung wurde auch stets die Auffassung vertreten, eine Inanspruchnahme der verschiedenen die Amtsbescheinigung voraussetzenden Begünstigungen nach dem Opferfürsorgegesetz sei erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung der Amtsbescheinigung möglich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1972, Slg. Nr. 8337/A, mit Hinweis u.a. auf arbeitsrechtliche Entscheidungen). Die Maßgeblichkeit dieses zuletzt erwähnten Grundsatzes für den in den unterschiedlichen Fassungen des Gesetzes, meist durch Verweisung auf das KOVG, mit dem Zeitpunkt der Antragstellung verknüpften Anfall der Opferrente

-

im Sinne eines Vorranges gegenüber diesen Regelungen - ist aus dem Umstand, dass die Rente "Inhabern einer Amtsbescheinigung" zusteht, aber nicht zwingend abzuleiten. Die für eine Unterhaltsrente vertretene gegenteilige Auffassung in den hg. Erkenntnissen vom 9. März 1966, Zl. 1481/64, und (denselben Fall betreffend) vom 13. September 1967, Zl. 399/67, wonach eine verzögerte - gar, wie im Fall dieser Erkenntnisse, erst im Zuge eines Säumnisbeschwerdeverfahrens erfolgte - Ausstellung der Amtsbescheinigung auch den Anfall der schon Jahre zuvor beantragten Rentenleistung nach dem Opferfürsorgegesetz hinausschiebe, widerspricht aus heutiger Sicht den Zielen dieses Gesetzes und wäre nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch für eine Unterhaltsrente nicht aufrechtzuerhalten.

              3.              Auf Grund der (wenngleich unter Angabe falscher Jahreszahlen) die früheren Anträge aktualisierenden Eingaben des Beschwerdeführers hätten die Behörden des Verwaltungsverfahrens daher ohne das Erfordernis eines vorherigen Vorgehens gemäß § 68 Abs. 2 oder Abs. 4 AVG zu prüfen gehabt, in Bezug auf welche Zeitabschnitte es eine Grundlage dafür gibt, dem Beschwerdeführer die ihm - nach der Auskunft der für Staatsbürgerschaftsangelegenheiten zuständigen Magistratsabteilung über seine durchgehend österreichische Staatsbürgerschaft - in der Vergangenheit zu Unrecht und ohne Bescheiderlassung darüber nicht zuerkannten Rentenleistungen nachträglich zuzusprechen. Dabei wäre u. a. zu beachten gewesen, dass das Opferfürsorgegesetz mit Rücksicht auf seinen Zweck, nämlich die vom Gesetzgeber beabsichtigte Förderung der Opfer des Kampfes für ein freies Österreich und der Opfer der politischen Verfolgung, im Zweifel zu Gunsten dieser Opfer auszulegen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. März 1950, Slg. Nr. 1297/A).

Indem die belangte Behörde die Eingaben des Beschwerdeführers

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der Behörde erster Instanz folgend - stattdessen in einen von vornherein unzulässigen Wiederaufnahmeantrag umdeutete, belastete sie ihre Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 13. Dezember 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007090187.X00

Im RIS seit

07.02.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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