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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art116 Abs1Leitsatz
Verletzung einer Gemeinde im Selbstverwaltungsrecht durch aufsichtsbehördliche Entscheidung in der Sache selbst infolge Aufhebung der Erfüllungsfrist eines baubehördlichen Beseitigungsauftrages und solcherart Neuerlassung des Beseitigungsauftrages; keine Geltendmachung des lediglich der Gemeinde zustehenden Selbstverwaltungsrechtes durch weitere BeschwerdeführerSpruch
Die beschwerdeführende Gemeinde ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Selbstverwaltung verletzt worden.
Der Bescheid wird daher aufgehoben.
Das Land Oberösterreich ist schuldig, der beschwerdeführenden Gemeinde zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung wird ein (rechtskräftiger) Beseitigungsauftrag des Bürgermeisters von St. Agatha, für den eine Erfüllungsfrist von 25 Jahren vorgesehen war, in Ausübung des Aufsichtsrechtes dahin geändert, dass die Frist von 25 Jahren behoben, im Übrigen der Beseitigungsauftrag für einen Zubau, der seit 1981 besteht, aber ausdrücklich aufrecht blieb. Die 25-jährige Erfüllungsfrist stelle eine erhebliche Gesetzwidrigkeit dar, die eine Aufhebung gemäß §103 Abs1 Oö. Gemeindeordnung 1990 (Oö. GemeindeO 1990) rechtfertige. Da der Beseitigungsauftrag als solcher aber selbständig gesetzmäßig sei, sei nicht der gesamte Baupolizeiauftrag, sondern lediglich jener Teil desselben aufzuheben gewesen, welcher diese Frist vorsah.
2. Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde der Gemeinde St. Agatha, in der sie die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Selbstverwaltung behauptet:
Nach dem Wortlaut des §103 Oö. GemeindeO 1990 sei die Aufsichtsbehörde nur berechtigt, den jeweils maßgeblichen Bescheid aufzuheben, nicht aber, den Bescheid inhaltlich abzuändern. Der Beseitigungsauftrag bilde aber mit der gemäß §49 Abs1 Oö. Bauordnung 1994 (Oö. BauO 1994) zu setzenden angemessenen Frist einen einheitlichen Spruchteil. Der Versuch der Aufsichtsbehörde, bloß die Frist von 25 Jahren aufzuheben, im Übrigen aber, also hinsichtlich der aufgetragenen baupolizeilichen Maßnahmen, den in Rede stehenden Bescheid bestehen zu lassen, stelle keine Aufhebung iSd §103 Oö. GemeindeO 1990, sondern eine unzulässige Entscheidung in der Sache selbst dar, wodurch die beschwerdeführende Gemeinde in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Selbstverwaltung verletzt worden sei. Darüber hinaus wäre es der Aufsichtsbehörde auch untersagt gewesen, den in Rede stehenden Bescheid im Umfang der baupolizeilich aufgetragenen Maßnahmen zu bestätigen. Schließlich habe die Aufsichtsbehörde im angefochtenen Bescheid die notwendige Interessenabwägung nicht richtig vorgenommen.
3. Die Oö. Landesregierung hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt:
Entgegen dem Beschwerdevorbringen weise der angefochtene Bescheid keinen reformatorischen, sondern in Ansehung des klaren Wortlautes des Bescheidspruches sehr wohl kassatorischen Charakter auf. Es handle sich bei der in Rede stehenden Bescheidaufhebung zwar um eine Teilaufhebung eines massiv rechtswidrigen Bestandteiles eines Bescheidspruches; derartige Teilaufhebungen stünden nach Ansicht der belangten Behörde im Einklang mit der Bestimmung des §103 Oö. GemeindeO 1990. Beim zweiten Satz des Spruches des angefochtenen Bescheides handle es sich daher nicht um eine Bestätigung des Beseitigungsauftrages hinsichtlich der baupolizeilichen Maßnahmen, sondern um eine bloße Abgrenzung des aufgehobenen Spruchteiles vom nach wie vor dem Rechtsbestand zugehörenden Spruchabschnitt.
Weiters rechtfertigt die Oö. Landesregierung ihre im angefochtenen Bescheid vorgenommene Interessenabwägung zur Begründung der Zulässigkeit ihres aufsichtsbehördlichen Einschreitens.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (Art119a Abs9 iVm Art144 B-VG) - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit seinem Erkenntnis VfSlg. 7.459/1974 die Auffassung, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht einer Gemeinde auf Selbstverwaltung (Art116 Abs1 B-VG) dann verletzt wird, wenn eine staatliche Behörde eine Maßnahme trifft, insbesondere einen Bescheid erlässt, womit das Recht der Gemeinde auf Besorgung einer bestimmten Angelegenheit im eigenen Wirkungsbereich schlechthin verneint wird. Dies ist nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 7.459/1974, 13.985/1994) etwa auch dann der Fall, wenn die Aufsichtsbehörde "einen Bescheid erläßt, mit dem nach Art einer Berufungsbehörde in der Verwaltungssache selbst entschieden wird". Eine Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung wird auch angenommen, "wenn die Aufsichtsbehörde ihr eigenes Ermessen an die Stelle des von der Gemeinde geübten Ermessens gesetzt hätte" (VfSlg. 8.411/1978). Zusammenfassend hat der Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 2. Oktober 2002, B1589/99, festgestellt:
"In Angelegenheiten, die zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehören, kommt der Aufsichtsbehörde nur eine Kontrolle, nicht aber eine Befugnis zur Entscheidung in der Sache selbst zu."
Abgesehen vom - nur in engen verfassungsrechtlichen (vgl. Art119a Abs7 zweiter Satz B-VG) bzw. einfachgesetzlichen (vgl. §104 Oö. GemeindeO 1990) Grenzen zulässigen - Aufsichtsmittel der Ersatzvornahme ist eine Gemeinde in ihrem Recht auf Selbstverwaltung betroffen, wenn eine staatliche Behörde einen Bescheid erlässt oder inhaltlich abändert, für den die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zuständig ist. (Fröhler/Oberndorfer, Allgemeine Bestimmungen des Gemeinderechts, in: dies., Das österreichische Gemeinderecht, 1987, 3.1., S. 17)
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ein rechtskräftiger, im eigenen Wirkungsbereich der beschwerdeführenden Gemeinde ergangener Bescheid, mit dem die Beseitigung bzw. bauliche Abänderung eines Zubaus binnen einer Frist von 25 Jahren nach Rechtskraft des Bescheides angeordnet worden war, inhaltlich von der Aufsichtsbehörde dahin abgeändert, dass die Paritionsfrist von 25 Jahren beseitigt und damit die Verpflichtung begründet wurde, dem Beseitigungsauftrag sofort, d.h. mit Rechtskraft des aufsichtsbehördlichen Bescheides, nachzukommen. Gleichgültig ob man dem zweiten Satz des Spruches des angefochtenen Bescheides den Charakter einer Bestätigung des Beseitigungsauftrages zumisst (wie dies die beschwerdeführende Gemeinde vertritt) oder eine bloße Abgrenzung des aufsichtsbehördlich aufgehobenen Spruchteiles des gemeindlichen Bescheides darin sieht (wie die Aufsichtsbehörde annimmt), so bedeutet jedenfalls die Aufhebung der Erfüllungsfrist für den Beseitigungsauftrag durch die Aufsichtsbehörde schon angesichts des einheitlichen Charakters des Beseitigungsauftrags und der ihm beigefügten Erfüllungsfrist die Neuerlassung des Beseitigungsauftrages mit sofortiger Wirkung: Durch die aufsichtsbehördliche Beseitigung der Erfüllungsfrist für den baupolizeilichen Auftrag wird in der Sache der ursprüngliche Auftrag mit der Rechtswirkung wiederholt, dass er sofort vollstreckbar ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², 1998, S. 974). Trotz seines Wortlauts beschränkt sich der Spruch des angefochtenen Bescheides auf keine bloß kassatorische Wirkung, wie dies §103 Oö. GemeindeO 1990 in Verbindung mit den verfassungsrechtlichen Grenzen des Aufsichtsrechts gemäß Art119a B-VG gebietet. Sondern er spricht nach Art einer Berufungsentscheidung in Abänderung des gemeindebehördlichen Bescheides die Verpflichtung aus, einem baupolizeilichen Abräumungsauftrag sofort nachzukommen. Angesichts dieser Rechtswirkung des aufsichtsbehördlichen Bescheides kann es dahingestellt bleiben, ob dadurch die Aufsichtsbehörde nicht auch ein der Gemeinde bei der Bestimmung der Leistungsfrist für die Erfüllung des Beseitigungsauftrages eingeräumtes Ermessen selbst in Anspruch nimmt und dessen Handhabung damit im Ergebnis der Gemeinde entzieht.
Der angefochtene Bescheid greift jedenfalls rechtswidriger Weise in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der beschwerdeführenden Gemeinde auf Selbstverwaltung ein, indem er eine aufsichtsbehördliche Entscheidung in der Sache an die Stelle der Entscheidung der dafür ausschließlich zuständigen Gemeindebehörden setzt.
Der Bescheid war daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Selbstverwaltung aufzuheben.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Baurecht, Baupolizei, Gemeinderecht, Aufsichtsrecht, Selbstverwaltungsrecht, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Kosten, VfGH / Legitimation, Auslegung eines BescheidesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B78.2002Dokumentnummer
JFT_09969696_02B00078_2_00