TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/14 2006/05/0166

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Veröffentlicht am 14.12.2007
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Wr §134a Abs1 litb;
BauO Wr §69 Abs1 litm;
BauO Wr §69 Abs2;
BauO Wr §69;
BauO Wr §75 Abs1;
BauO Wr §75 Abs2;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des Mag. Gerhard Walzl in Wien, vertreten durch Dr. Georg Hahmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 25, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 25. April 2006, Zl. BOB - 468 bis 471/05, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Wiener Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgenossenschaft registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung in Wien, vertreten durch Dr. Tassilo Mayer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kohlmarkt 9), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 49 Grundbuch 01206 Hütteldorf mit den Grundstücken Nr. 101/1 und 101/2 Bahnhofstraße 5. Diese Liegenschaft befindet sich im Wohngebiet. Im Westen schließt an diese Liegenschaft die öffentliche Verkehrsfläche Bahnhofstraße. Entlang dieser ist die Baulinie festgelegt. 15 m östlich ist parallel zur Baulinie die Baufluchtlinie festgelegt. Für die Liegenschaft gilt Bauklasse II und geschlossene Bauweise mit einer maximalen Gebäudehöhe von 10,50 m. Folgende weitere Bebauungsbeschränkungen sind im Beschwerdefall beachtlich:

Der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude darf nicht höher als 4,50 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen.

Die Gehsteigoberkante an der Bahnhofstraße liegt bei 58,115 Wiener Null (+/- 0,00 für die Gebäudehöhenberechnung).

Im Süden schließt an die Liegenschaft der mitbeteiligten Partei das Grundstück Nr. 100/2 der Liegenschaft EZ 48 Grundbuch 01206 Hütteldorf des Beschwerdeführers.

Mit Eingabe vom 22. März 2005 beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses verbunden mit dem Ansuchen um Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von den Bebauungsvorschriften gemäß § 69 Abs. 1 Bauordnung für Wien hinsichtlich der Abweichung vom Gebot, dass der höchste Punkt des Daches nicht höher als 4,50 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen darf, durch Überschreitung um ca. 2,50 m und das Überschreiten der zulässigen Gebäudehöhe von 10,50 m um ca. 1,20 m an der Straßen- und an der Gartenfront und um ca. 4,30 m durch das Stiegenhaus an der Gartenfront.

Der Beschwerdeführer erhob Einwendungen im Sinne des § 134a Abs. 1 lit. a, lit. b, lit. d und lit. e Bauordnung für Wien.

Mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den

14. Bezirk vom 6. Juli 2005 wurden gemäß § 69 Abs. 1 lit. f und m der Bauordnung für Wien nachstehende Abweichungen von Bebauungsvorschriften für zulässig erklärt:

"Der Neubau darf die in der Bauklasse II festgesetzte Gebäudehöhe von 10,50 m an der Straßenfront um 1,15 m und an der Gartenfront um 1,61 m überschreiten.

Der höchste Punkt des Dachaufbaus darf 2,30 m über dem zulässigen Ausmaß von 4,50 m über der tatsächlichen Gebäudehöhe liegen."

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 5. August 2005 wurde die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen erteilt.

Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers forderte die belangte Behörde die mitbeteiligte Bauwerberin mit Schreiben vom 27. Oktober 2005 zur Änderung des Bauvorhabens mit dem Hinweis auf, dass auf Grund der bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen betreffend die maximale Höhe des Daches eine Überschreitung des höchsten Punktes des Daches um bis zu 2,30 m nicht als unwesentliche Abweichung zu werten sei.

In der Folge erstattete der beauftragte Amtssachverständige das Gutachten vom 29. November 2005:

"Nach Einsicht in die beiliegenden Plankopien wird mitgeteilt, dass die Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe tatsächlich plangemäß 1,15 m beträgt, da die Schnittführung im Schnitt A-A in der Garageneinfahrt erfolgt und diese um 23 cm tiefer liegt als das Gehsteigniveau in der Gebäudemitte. Bei Bildung des arithmetischen Mittels ergibt sich bei einer zulässigen Gebäudehöhe von 10,50 m daher eine Überschreitung von 1,15 m."

Nach Vorlage überarbeiteter Pläne durch die mitbeteiligte Partei am 13. Dezember 2005 beurteilte der bautechnische Amtssachverständige das Bauvorhaben in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2005 wie folgt:

"Nach Überprüfung der korrigierten Pläne wurde festgestellt, dass zwar das WC und die Dusche auf der Dachterrasse entfernt wurden, der höchste Punkt (First Aufzugsschacht) jetzt allerdings um 2,50 m statt um 2,30 m über der maximalen Überschreitung von 4,50 m liegt und auch die Decke des Stiegenhauses angehoben wurde (OK + 17,33 statt + 17,09). Diese Änderungen müssten den Parteien zur Kenntnis gebracht werden. Bei Einhaltung der im bewilligten Plan C2 eingetragenen Höhenkoten besteht kein Einwand gegen eine Genehmigung im Sinne des § 81 Abs. 6 BO, andernfalls wäre eine eindeutige Begründung für diese Änderungen erforderlich. Es wird noch bemerkt, dass im Schnitt A-A die Lichtkuppel des Stiegenhauses in der Ansicht fehlt."

Ergänzt wurde dieses Gutachten am 9. Februar 2006 wie folgt:

"Aus den Plänen ist eine Überschreitung der festgesetzten Gebäudehöhe an der Gartenfront nicht ablesbar. Zur Veranschaulichung werden zwei Arbeitskopien beigelegt. Die Gebäudehöhe wurde ab dem bestehenden Gebäude an der Gartenfront bis zum Schnittpunkt der Außenmauer mit der Dachoberfläche bzw. bis zur Erkeroberkante gerechnet. Durch Verringerung des oberen Abschlusses des Stiegenhauses von +11,75 auf +11,72 und durch Korrektur der Fassadenlänge auf exakt 27,65 m ergibt sich nun eine Überschreitung von 12,10 m -10,50 m = 1,60 m. Verglichen mit der straßenseitigen Überschreitung beträgt die Differenz daher 1,60 m -1,15 m = +0,45 m. Es wird noch bemerkt, dass die Gebäudehöhe des Stiegenhauses voll gerechnet wurde, da sie bei weitem das unbedingt notwendige Ausmaß überschreitet."

Da in diesem Gutachten offenbar ein Schreibfehler (statt 11,72 m sollte es 14,72 m heißen) vorlag und nach Ansicht der belangten Behörde die Einbeziehung des Stiegenhauses in die Berechnung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nachvollziehbar war, ergänzte der bautechnische Amtssachverständige sein Gutachten neuerlich am 22. Februar 2006 wie folgt:

"In Anwendung des § 81 Abs. 1 BO ergibt sich bei Übertragung der zulässigen Gebäudehöhe an der Straßenfront auf die Hoffront und durch die Ermittlung der mittleren Gebäudehöhe, wobei beim Stiegenhaus die zulässige Gebäudehöhe in Rechnung gestellt wurde, eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe an der Hoffront von 1,31 m. Bei nochmaliger Überprüfung des Ausmaßes des Stiegenhauses wird festgehalten, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des VwGH eine Überschreitung des notwendigen Ausmaßes nicht gegeben ist."

Die Beschwerdeführer äußerte sich zu diesen Ermittlungsergebnissen mit Schriftsatz vom 21. März 2006.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers auf Grund der im Zuge des Berufungsverfahrens vorgenommenen Projektsänderung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und der Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 14. Bezirk vom 6. Juli 2005 sowie der Baubewilligungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 5. August 2005 mit der "Maßgabe bestätigt, dass sich diese auf die zum Bestandteil des Berufungsbescheides erklärten Pläne beziehen und

1. im Spruch des Bescheides des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 14. Bezirk vom 6. Juli 2005 die Wortfolge 'gemäß § 69 Abs. 1 lit. f und m der BO' ersetzt wird durch 'gemäß § 69 Abs. 1 lit. m der BO', weiters der letzte Absatz des Spruches entfällt und der vorletzte Absatz des Spruches lautet wie folgt:

'Der Neubau darf die in der Bauklasse II festgesetzte Gebäudehöhe von 10,50 m an der Straßenfront um 1,15 m und an der Gartenfront um 1,31 m überschreiten.';

2. im Spruch des Baubewilligungsbescheides der Magistratsabteilung 37/14 vom 5. August 2005 sich der 1. Absatz des Spruches dieses Baubewilligungsbescheides auf die mit Bescheid vom 6. Juli 2005, Zl. BV 14-A 1436/05, in der Fassung des Berufungsbescheides der Bauoberbehörde für Wien vom 25. April 2006, Zl. BOB-468 bis 471/5, erteilte Bewilligung für eine Abweichung von Bebauungsvorschriften bezieht."

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass u.a. auf Grund der Einwendungen des Beschwerdeführers die mitbeteiligte Bauwerberin im Zuge des Berufungsverfahrens ihr Bauvorhaben insofern abgeändert habe, als die auf der Dachterrasse vorgesehenen Nassräume (WC und Dusche) entfernt worden seien. Gleichzeitig seien geringfügige Änderungen am Aufzugsschacht und am Stiegenhaus vorgenommen worden. Diese Änderungen des Bauvorhabens seien durch eine Abänderung des Einreichplanes auch planlich durchgeführt worden. Die relevanten Planausschnitte sowie die eingeholten Sachverständigenstellungnahmen seien dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden.

Die Gebäudehöhe sei im Beschwerdefall gemäß § 81 Abs. 1 Bauordnung für Wien zu berechnen gewesen. Zu beachten sei im Beschwerdefall, dass auf Grund des Bebauungsplanes der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude nicht höher als 4,50 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen dürfe. Den Einreichplänen sei zu entnehmen, dass der Abstand zwischen den Baulinien in der Bahnhofstraße 13,27 m betrage. Daraus folge gemäß § 75 Abs. 4 lit. a BO eine zulässige Gebäudehöhe an der Straßenfront für das eingereichte Bauvorhaben von 15,27 m. Auf Grund der bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen sei jedoch nur eine Gebäudehöhe von maximal 10,50 m zulässig. Die durchschnittliche Gebäudehöhe an der Straßenfront betrage 11,65 m und an der Hoffront 11,81 m; daraus errechne sich eine Überschreitung der laut Bebauungsplan zulässigen Höhe um 1,15 m bzw. um 1,31 m. Es sei daher für das gegenständliche Bauvorhaben eine Bewilligung einer unwesentlichen Abweichung von den Bebauungsvorschriften gemäß § 69 Abs. 1 lit. m Bauordnung für Wien erforderlich. Demnach könne das Überschreiten der gemäß § 5 Abs. 4 lit. h leg. cit. bestimmten sowie der bauklassenmäßigen Gebäudehöhen in allen Bauklassen dann bewilligt werden, wenn das Interesse an der Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht entgegenstehe. Grundvoraussetzung für eine solche Gewährung einer Ausnahmebewilligung nach § 69 Bauordnung für Wien sei, dass durch diese Ausnahmegewährung der Umfang einer unwesentlichen Abänderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes nicht überschritten werde. Eine wesentliche gegen § 69 Abs. 2 leg. cit. verstoßende Abweichung liege nur dann vor, wenn dieser Abweichung "eine dem geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan unterlaufende Tendenz" innewohne. Dies könne im vorliegenden Fall nicht behauptet werden. Die gegebene Überschreitung der höchstzulässigen Gebäudehöhe um 1,15 m bzw. um 1,31 m - dies entspreche einer Überschreitung um knapp 11 % bzw. um ca. 12,50 % - könne auf Grund des zahlenmäßig geringen Ausmaßes nur als unwesentlich im Sinne des § 69 Abs. 2 Bauordnung für Wien angesehen werden. Festzuhalten sei in diesem Zusammenhang, dass es sich bei diesen Werten um Mittelwerte handle, welche auf Grund der uneinheitlichen Höhenlage der Verkehrsfläche und auf Grund der unterschiedlich hohen obersten Schnittstellen der Außenwandfläche mit der Oberfläche des Daches (§ 81 Abs. 1 Bauordnung für Wien) berechnet worden seien. Die größte Überschreitung der Höhe liege jeweils im Bereich des straßenseitigen und des hofseitigen Erkers. Zur hofseitigen Überschreitung im Ausmaß von 1,31 m sei anzumerken, dass der Erker nicht im Bereich der Grundgrenze zum Beschwerdeführer situiert sei. Hinzuweisen sei auch darauf, dass § 81 Abs. 1 Bauordnung für Wien eine Überschreitung der Gebäudehöhe um höchstens 1,50 m zulasse, wenn diese Überschreitung innerhalb derselben Front flächenmäßig ausgeglichen werde. Diese Regelung zeige, dass Nachbarn mit Überschreitungen der zulässigen Gebäudehöhe rechnen müssten und solche auch hinnehmen müssten, selbst wenn diese in einem Bereich der Front ausgeglichen würden, wo dies keinen Einfluss mehr auf ihre Liegenschaft habe. Eine Beeinträchtigung der Bebaubarkeit der Liegenschaft des Beschwerdeführers durch das gegenständliche Bauvorhaben liege nicht vor, da das geplante Gebäude - entsprechend der geschlossenen Bauweise - an seine Liegenschaft unmittelbar angrenze und direkt an der gemeinsamen Liegenschaftsgrenze durch eine Feuermauer abgeschlossen werde.

Das örtliche Stadtbild werde durch das Bauvorhaben weder gestört noch beeinträchtigt. Da durch die Abweichung von den Bebauungsvorschriften auch keine Überschreitung der bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entstehenden Emissionen zu erwarten sei - das Gebäude diene Wohnzwecken - und weiters die beabsichtigte Flächennutzung sowie Aufschließung nicht grundlegend anders würden, lägen sämtliche in § 69 Bauordnung für Wien für die Gewährung der erforderlichen Ausnahmebewilligung nach § 69 Abs. 1 lit. m Bauordnung für Wien vorgesehenen Voraussetzungen vor. Eine Überschreitung des zulässigen höchsten Punktes des Daches, welcher gemäß den Bebauungsbestimmungen nicht höher als 4,50 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen dürfe, sei nach der Projektsänderung nicht mehr gegeben. Durch die Entfernung der Nassräume auf der Dachterrasse seien nunmehr alle Überschreitungen des nach § 81 Abs. 1 bis 5 Bauordnung für Wien normierten Gebäudeumrisses gemäß § 81 Abs. 6 leg. cit. zulässig, wonach der Gebäudeumriss u.a. durch Aufzugstriebräume und Stiegenhäuser im unbedingt notwendigen Ausmaß überschritten werden dürfe.

Auf Grund der Projektsänderung werde die Höhe des zulässigen Dachaufbaus nur mehr durch den Aufzugsschacht und das Stiegenhaus im unbedingt notwendigen Ausmaß sowie eine nicht raumbildende Pergola überschritten. Die in § 81 Abs. 6 Bauordnung für Wien normierte Wortfolge "im unbedingt notwendigen Ausmaß" bedeute nicht, dass die Überschreitung nur dann zulässig sei, wenn sie nicht durch eine andere Planung vermieden werden könne, sondern ein an der Funktion der Stiegenhäuser und Aufzugstriebwerksräume orientiertes Ausmaß. Dass es sich um ein allgemein zugängliches und zur Erschließung der Geschosse erforderliches Stiegenhaus bzw. um einen eben solchen Aufzugsschacht handle, sei aus den Plänen ersichtlich.

Die Überschreitung der Gebäudehöhe an der Straßenfront betrage 1,15 m, d.s. 11 %, und an der Hoffront 1,31 m, d.s. knapp 12,50 %. Die Berechnung der Länge der Hoffront sei unter Berücksichtigung der Ansichtsflächen der im Gebäude nach Außen abschließenden Wände (Umfassungswände) berechnet worden. Sie ergebe sich aus der Skizze, welche der Stellungnahme des bautechnischen Amtssachverständigen vom 22. Februar 2006 beigeschlossen gewesen sei und dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden sei. Die vom Beschwerdeführer angesprochenen Überhöhungen in der Mitte der Front resultierten aus der Anordnung des Stiegenhauses und seien daher bei der Berechnung der Gebäudehöhe gemäß § 81 Abs. 6 Bauordnung für Wien außer Betracht zu lassen. Der Behauptung des Beschwerdeführers, aus den Plänen ergebe sich eine mittlere Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe an der Hoffront von 2,47 m, dies entspreche 25,40 %, könne nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer ziehe seiner Berechnung über die Länge der Erker plus der Länge des Stiegenhauses eine Gebäudehöhe heran, welche offenkundig im Bereich der Traufe des Stiegenhauses bzw. im Bereich der Oberkante der Dachgauben angesetzt werde und im Gesetz keine Deckung finde.

Unzutreffend sei die Behauptung des Beschwerdeführers, der Zeitraum zwischen Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und der Verhandlung selbst sei zu kurz bemessen gewesen. Dem Beschwerdeführer sei die Ladung zur mündlichen Verhandlung am Freitag, dem 29. April 2005 zugestellt worden. Die Verhandlung habe am 13. Mai 2005 stattgefunden. Der Beschwerdeführer habe am 10. Mai 2005 gleichzeitig mit den Einwendungen gegen das Projekt einen Vertagungsantrag eingebracht, wonach das Projekt nicht vor September 2005 verhandelt werden solle, um ausreichend Vorbereitungszeit für die Parteien zu gewährleisten. Eine Vorbereitungszeit von 14 Tagen sei unter Berücksichtigung des Beschwerdefalles als ausreichend zu beurteilen, zumal es sich nicht um ein außergewöhnlich schwierig zu überblickendes Bauvorhaben handle. Hinsichtlich des erstmals in der Berufungsschrift erstatteten Vorbringens bezüglich der Gefährdung des Gebäudes des Beschwerdeführers, des Schallschutzes und der Verkehrsbelastung liege Präklusion vor.

Gemäß § 69 Abs. 3 Bauordnung für Wien gelte das Ansuchen um Baubewilligung zugleich als Antrag auf Bewilligung der für das Bauvorhaben erforderlichen unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften.

Die vom Beschwerdeführer angeführten stadtplanerischen Leitlinien und Konzepte fänden inhaltlich Eingang in die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne und würden durch diese konkretisiert. Auf diese könne bei Beurteilung der Beschwerdesache daher nicht Rücksicht genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligte Bauwerberin erstattete ebenfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des im Süden unmittelbar an das Baugrundstück der mitbeteiligten Partei grenzenden Grundstückes und war daher im beschwerdegegenständlichen Bauverfahren als Eigentümer einer benachbarten Liegenschaft Partei im Sinne des § 134 Abs. 3 dritter Satz Bauordnung für Wien.

Gemäß § 134a Abs. 1 leg. cit. werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

"...

b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;

..."

Der Beschwerdeführer erhob im Baubewilligungsverfahren fristgerecht Einwendungen im Sinne des § 134a Abs. 1 lit. b Bauordnung für Wien. Er führte aus, dass die mitbeteiligte Bauwerberin eine Überschreitung der gebietstypischen Höhenbeschränkung von 10,50 m und eine Überschreitung der gleichfalls gebietstypischen Begrenzung der Dachhöhe mit 4,50 m ohne ausreichende sachliche Rechtfertigung fordere. Das vom Flächenwidmungs- und Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild werde störend beeinflusst. Gestützt auf diese Einwendung führt der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof aus, dass die von der belangten Behörde für zulässig erachtete Gebäudehöhe des bewilligten Bauvorhabens keine unwesentliche Abweichung im Sinne des § 69 Bauordnung für Wien darstelle. Die Grenze für die Annahme einer unwesentlichen Abweichung sei bei 10 % anzusetzen, weil der Begriff "unwesentlich" sprachlich gleichbedeutend mit "unbedeutend" und "geringfügig" sei und es sich somit um Änderungen im Bagatellbereich handeln müsse.

Die belangte Behörde begründete die Rechtmäßigkeit der erteilten Baubewilligung mit der im Berufungsverfahren erfolgten - im Sinne des § 13 Abs. 8 AVG als zulässig zu beurteilenden - Projektsänderung und auf die dem Gesetz entsprechende unwesentliche Abweichung von den Bebauungsvorschriften gemäß § 69 Bauordnung für Wien.

Sofern eine Abweichung von Bebauungsvorschriften gemäß § 69 Bauordnung für Wien bewilligt wurde, kann der Nachbar in dieser Hinsicht in einem ihm allenfalls zustehenden subjektiven Recht nicht mehr verletzt sein. Es liegt allerdings dann eine Verletzung von Nachbarrechten vor, wenn die Ausnahme gemäß § 69 Bauordnung für Wien gewährt wird, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Voraussetzung dafür ist, dass der Nachbar im Bauverfahren jenes subjektiv-öffentliche Nachbarrecht, das ihm vor der Gewährung einer Abweichung gemäß § 69 Bauordnung für Wien zugestanden ist, rechtzeitig und wirksam im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht hat (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2003, Zl. 2001/05/1123).

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abweichungen von den Bebauungsvorschriften bezüglich der Gebäudehöhe haben folgenden Wortlaut:

"Inhalt der Bebauungspläne

§ 5. ...

(4) Über die Festsetzungen nach Abs. 2 und 3 hinaus können die Bebauungspläne zusätzlich enthalten:

...

h) Bestimmungen über die Gebäudehöhe, im Bauland bei Festsetzung einer Bauklasse nur bis zu deren Grenzen, ferner über die Höhe von sonstigen Baulichkeiten, sowie über die höchstens zulässige Zahl der Geschosse, die zur Gänze oder zu einem Teil über dem anschließenden Gelände liegen;

...

Unwesentliche Abweichungen von Bebauungsvorschriften

§ 69. (1) Für einzelne Bauvorhaben hat die Behörde nach Maßgabe des Abs. 2 über die Zulässigkeit folgender Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden:

(...)

m) das Überschreiten der gemäß § 5 Abs. 4 lit. h und gemäß § 77 Abs. 3 lit. c bestimmten sowie der bauklassenmäßigen Gebäudehöhen in allen Bauklassen, wenn das Interesse an der Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht entgegensteht;

(...)

(2) Durch Abweichungen nach Abs. 1 darf die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen ohne nachgewiesene Zustimmung des betroffenen Nachbarn nicht vermindert werden; an Emissionen darf nicht mehr zu erwarten sein, als bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entgegen steht. Im Übrigen darf, abgesehen von den unter Abs. 1 näher genannten Voraussetzungen, von den Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes nur unwesentlich abgewichen werden; es dürfen das vom Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild nicht störend beeinflusst und die beabsichtigte Flächennutzung sowie Aufschließung nicht grundlegend anders werden. Die Gründe, die für die Abweichung sprechen, sind mit den Gründen, die dagegen sprechen, abzuwägen. Insbesondere ist auf den konsensgemäßen Baubestand der betroffenen Liegenschaft und der Nachbarliegenschaften sowie auf den Umstand, dass die Ausnahmebewilligung nur für die Bestanddauer des Baus gilt, Bedacht zu nehmen. Vom Bauwerber geltend gemachte Verpflichtungen aus Bundes- oder anderen Landesgesetzen sind zu berücksichtigen, des Gleichen, ob die Abweichungen einer zeitgemäßen Ausstattung des konsensgemäßen Baubestandes oder des geplanten Baues dienlich ist.

(3) Die Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften ist nur auf Antrag zulässig; das Ansuchen um Baubewilligung gilt zugleich als Antrag auf Bewilligung der für das Bauvorhaben erforderlichen unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften.

(...)

Bauklasseneinteilung, zulässige Gebäudehöhe

§ 75. (1) Die Bauklasseneinteilung setzt die Gebäudehöhe für Wohngebiete und gemischte Baugebiete fest.

(2) Die Gebäudehöhe hat, soweit sich nach den Bestimmungen der Abs. 4 bis 6 und des § 81 sowie des Bebauungsplanes eine andere Gebäudehöhe ergibt, zu betragen

(...)

- in Bauklasse II mindestens 2,5 m, höchstens 12 m.

(...)"

Der Beschwerdeführer bestreitet das Fehlen der Voraussetzungen für die Annahme einer unwesentlichen Abweichung von Bebauungsvorschriften nur hinsichtlich des in § 69 Abs. 2 Bauordnung für Wien normierten Tatbestandsmerkmales "unwesentlich".

Zur Frage, ob die begehrte Abweichung als "wesentlich" anzusehen ist, ist auf die bei Moritz, Bauordnung für Wien3, 190 f wiedergegebenen Beispiele aus der hg. Judikatur zu verweisen und hervorzuheben, dass das Gesetz keine Prozentzahl als Maß der zulässigen Abweichungen nimmt (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 2006, Zl. 2004/05/0176).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 69 Abs. 2 Bauordnung für Wien klargestellt, dass eine wesentliche Abweichung von den Bebauungsvorschriften dann zu Recht behauptet werden kann, wenn der Abweichung eine dem derzeit geltenden Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan unterlaufende Tendenz innewohnt (vgl. hiezu das oa. hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2003, Zl. 2001/05/1123, m.w.N.). Davon ist im Beschwerdefall aus folgenden Erwägungen auszugehen:

In Abweichung der in der Bauklasse II gemäß § 75 Abs. 2 Bauordnung für Wien höchsten zulässigen Gebäudehöhe von 12 m sieht der hier anzuwendende Bebauungsplan eine Gebäudehöhe von maximal 10,5 m vor. Im Beschwerdefall ist die Gebäudehöhe für die an der Baufluchtlinie (Hoffassade) bestehende Gebäudefront - ebenso wie an der Baulinie - nach § 81 Abs. 1 Bauordnung für Wien zu ermitteln, weil auch diese Gebäudefront des an der Baulinie liegenden Gebäudes innerhalb der Gebäudetiefe von 15 m liegt. Die belangte Behörde hat für diese Gebäudefront die Gebäudehöhe (als mittlere Gebäudehöhe) mit 11,81 m ermittelt, woraus sich eine Überschreitung der im Bebauungsplan als zulässig festgelegten Gebäudehöhe von 1,31 m errechnet. Die niedrigste Gebäudehöhe an dieser Gebäudefront beträgt 11,15 m (an der nördlichen Grundgrenze). An der Grundgrenze zum Gebäude des Beschwerdeführers beträgt die Gebäudehöhe 11,705 m. Obwohl der Bebauungsplan die höchstzulässige Gebäudehöhe mit 10,5 m festlegt und die in der Bauklasse II gesetzlich erlaubte Gebäudehöhe damit um 1,5 m unterschreitet, wird durch das gegenständliche Bauvorhaben die gemäß § 5 Abs. 4 lit. h Bauordnung für Wien verordnete Gebäudehöhe hier über die gesamte Gebäudefront - jedenfalls an der Hoffassade -

merklich überschritten und nähert sich entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Bebauungsplanes der bauklassenmäßig höchstzulässigen Gebäudehöhe von 12 m an. Damit bleibt die in Abweichung der gesetzlichen Regelung zulässig getroffene Anordnung des Bebauungsplanes betreffend die höchstzulässige Gebäudehöhe nahezu zur Gänze unbeachtet.

Ausgehend davon kann daher im Beschwerdefall nicht von einer unwesentlichen Abweichung der Bebauungsvorschriften im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. m iVm § 69 Abs. 2 Bauordnung für Wien gesprochen werden, zumal auch eine derartige Überschreitung der vorgesehenen höchstzulässigen Gebäudehöhe unter Berücksichtigung des vorhandenen Gebäudes des Beschwerdeführers offenbar keinen positiven Beitrag zur einheitlichen Gestaltung des örtlichen Stadtbildes darstellt.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 14. Dezember 2007

Schlagworte

Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Gebäudehöhe BauRallg5/1/5 Baurecht Nachbar

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006050166.X00

Im RIS seit

24.01.2008

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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