TE Vfgh Beschluss 2003/3/12 B1789/02

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Veröffentlicht am 12.03.2003
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33
VfGG §87 Abs3

Leitsatz

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags; kein minderer Grad des Versehens; Zurückweisung eines nachträglichen Abtretungsantrags als verspätet

Spruch

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 2002, B1813/99-9, wurde die Behandlung der von der nunmehrigen antragstellenden Gesellschaft eingebrachten Beschwerde gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 27. September 1999, Z8 B-BRM-369/1/1999, abgelehnt; der Beschluss wurde dem Rechtsvertreter der Antragstellerin am 14. November 2002 zugestellt.

2. Die Antragstellerin begehrt nunmehr mit einem am 6. Dezember 2002 zur Post gegebenen, beim Verfassungsgerichtshof zu B1789/02 protokollierten Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der genannten Frist. Unter einem wird der Antrag auf Abtretung der Beschwerde (B1813/99) an den Verwaltungsgerichtshof gestellt.

2.1. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird im wesentlichen ausgeführt, die in der Kanzlei des Beschwerdeführervertreters mit der Führung des Fristenbuches betraute namentlich genannte Kanzleiangestellte habe bei sämtlichen Fristen, über deren Dauer sie nicht mit Sicherheit Bescheid wisse, den Auftrag, den Beschwerdeführervertreter auf diesen Umstand hinzuweisen, damit er die Fristenberechnung vornehmen könne.

Im vorliegenden Fall sei der Akt von einem in der Kanzlei angestellten Rechtsanwaltsanwärter bearbeitet worden, dem auch der Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 2002 vorgelegt worden sei. Nach Rücksprache mit der Kanzleiangestellten sollte die 14-tägige Frist gemäß §87 Abs3 VfGG im Fristenbuch eingetragen werden, sodass der 28. November 2002 als letzter Tag für einen Abtretungsantrag vorzumerken gewesen sei. Tatsächlich sei diese Eintragung durch die Kanzleiangestellte jedoch unterblieben. Die genannte Kanzleiangestellte sei seit 1997 in mehreren Anwaltskanzleien als Kanzleiassistentin beschäftigt gewesen, sodass ihr die Wichtigkeit von Fristen und das Führen von Fristenbüchern vertraut sei. Seit Juni 2002 sei sie in der Kanzlei des Beschwerdeführervertreters beschäftigt. Bis dato habe sie noch nie eine Frist übersehen oder es unterlassen, eine solche in das Fristenbuch einzutragen, sodass der Beschwerdeführervertreter auf ihre Verlässlichkeit vertrauen habe dürfen. Die Nichteintragung der Frist sei auf einen minderen Grad des Verschuldens zurückzuführen; die Fristversäumnis sei am 5. Dezember 2002 durch eine routinemäßige Aktenüberprüfung hervorgekommen, sodass der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig sei.

2.2. Dem Antrag liegt eine eidesstättige Erklärung der genannten Kanzleiangestellten und des in der Kanzlei beschäftigten Rechtsanwaltsanwärters mit folgendem Wortlaut bei:

"Eidesstättige Erklärung

Ich, [...], erkläre nachstehenden Sachverhalt an Eides statt:

Ich bin in der Kanzlei von Rechtsanwalt [...] damit betraut, die eingehenden gerichtlichen Poststücke zu sortieren und die sich daraus ergebenen Fristen, soweit sie mir bekannt sind, im Fristenbuch zu vermerken. Bei Unklarheiten habe ich Rücksprache mit [dem Beschwerdeführervertreter] oder dessen Konzipienten Mag. [...] zu halten. Beim Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2002 war mir nicht bewußt, ob eine Frist vorzumerken ist, sodass ich Rücksprache mit Mag. [...] gehalten habe. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen habe ich es unterlassen, die mir genannte 14-tägige Frist im Fristenbuch zu vermerken.

Ich bin seit 1997 ständig als Sekretärin bzw. Kanzleigehilfin in diversen Rechtsanwaltskanzleien tätig, die Bedeutung von Fristen ist mir bewusst. Ein solches Versehen ist mir bis dato nicht passiert.

Villach, am 05.12.2002

[...]

Ich bestätige die obigen Angaben von Frau [...] vollinhaltlich.

                                        Mag. [...]

                                        Rechtsanwaltsanwärter"

II.     Der Verfassungsgerichtshof hat über den - zulässigen -

Wiedereinsetzungsantrag erwogen:

1.1. Da das VfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. Nr. 135/1983, sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. z.B. VfSlg. 9817/1983, 11.706/1988, 14.157/1995).

1.2. Im vorliegenden Fall kann von einem minderen Grad des Versehens jedoch nicht gesprochen werden: Im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen und Terminen bedarf es eines Mindestmaßes an Sorgfalt sowie der Einrichtung einer möglichst effizienten Organisation, welche geeignet ist, Fristversäumungen zu verhindern (vgl. z.B. VfSlg. 14.929/1997). Wie sich aus dem oben dargestellten Antragsvorbringen ergibt, hat der Beschwerdeführervertreter der genannten Kanzleiangestellten zwar - offensichtlich im Wissen um dieses Erfordernis bei der noch nicht langjährig in der Kanzlei beschäftigten Bediensteten - die allgemeine Anweisung erteilt, bei allen jenen Fristen, über deren Dauer sie nicht mit Sicherheit Bescheid wisse, Rücksprache zu halten. Diese Anweisung wurde im vorliegenden Fall auch befolgt: der in der Kanzlei beschäftigte Rechtsanwaltsanwärter hat der Kanzleibediensteten auf deren Rückfrage hin die richtige Frist von zwei Wochen zur Einbringung eines Abtretungsantrages zur Eintragung in den Kalender genannt. Der Verfassungsgerichtshof sieht es jedoch nicht als minderen Grad des Versehens an, wenn der Beschwerdeführervertreter - Gegenteiliges wurde im Antrag jedenfalls nicht behauptet - in seiner Kanzlei keine Vorsorge dafür getroffen hat, dass die richtige Eintragung von Fristen überhaupt, und ganz besonders von einer Frist, hinsichtlich derer schon im Vorfeld bekanntermaßen Unklarheiten geherrscht haben, durch ein wie auch immer ausgestaltetes Kontrollsystem einer nochmaligen Überprüfung zugeführt wird.

Der Antrag war daher mangels der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung abzuweisen (§35 VfGG iVm §§146 ff ZPO).

III. Der unter einem eingebrachte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erweist sich demnach wegen Versäumung der ab Zustellung des Beschlusses über die Ablehnung der Beschwerdebehandlung an den Rechtsvertreter der antragstellenden Gesellschaft (14. November 2002) zu berechnenden zweiwöchigen Frist (§87 Abs3 VfGG) als verspätet und ist somit zurückzuweisen.

IV. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Fristen, VfGH / Abtretung, VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1789.2002

Dokumentnummer

JFT_09969688_02B01789_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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