TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/19 2007/08/0022

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Veröffentlicht am 19.12.2007
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §25 Abs1;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der NG in Wien, vertreten durch Dr. Ing. Andreas Pascher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zedlitzgasse 1/17, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 15. Jänner 2007, Zl. LGSW/Abt. 3- AlV/05661/2006-8895, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm die Rückforderung von Notstandshilfe gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ausgesprochen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit erstinstanzlichem Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Prandaugasse vom 27. September 2006 wurde gemäß § 38 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug der Notstandshilfe durch die Beschwerdeführerin für den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 30. September 2005 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und gemäß § 38 AlVG in Verbindung mit § 25 AlVG die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in der Höhe des Gesamtbetrages von EUR 3.818,76 verpflichtet. Begründend wurde ausgeführt, auf Grund des Einkommensteuerbescheides des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin für das Jahr 2005 habe sich ein anrechenbares Einkommen ergeben, das den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfe vom 1. Februar bis 30. September 2005 "einkürze".

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde über die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wie folgt entschieden:

"Über Ihre Berufung vom 16.10.2006 gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Prandaugasse vom 27.9.2006 betreffend Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe vom 1.2.2005 bis 30.9.2005 gemäß § 24 Abs. 2 und Rückforderung des unberechtigt Empfangenen in Höhe von insgesamt EUR 3.818,76 (richtig 5.716,04) gemäß § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (BGBl. Nr. 609/1977 - AlVG) in geltender Fassung hat die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien durch den gemäß § 56 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 58 AlVG zuständigen Ausschuss mit Beschluss entschieden:

Der Berufung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Im gegenständlichen Zeitraum ist kein Anspruch auf Notstandshilfe gegeben."

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe ab 21. Februar 2004 Notstandshilfe in der Höhe von EUR 23,62 täglich bezogen. Im Antrag vom 21. Februar 2004 habe sie S als Lebensgefährten angegeben. Eine Auflösung der Lebensgemeinschaft habe sie dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet. Auch im Leistungsantrag vom 6. März 2005 sei S als Lebensgefährte von der Beschwerdeführerin angegeben worden. Einkommens- und Umsatzerklärungen betreffend die selbstständige Erwerbstätigkeit des S seien von der Beschwerdeführerin regelmäßig erbracht worden. Auf Grund der in diesen Erklärungen angegebenen Beträge sei keine Anrechnung erfolgt. Die Notstandshilfe sei in voller Höhe ausbezahlt worden. Bezüglich des Berufungsvorbringens, dass Freigrenzen für drei Kinder zu berücksichtigen seien, werde festgehalten, dass bereits im erstinstanzlichen Bescheid Freigrenzen für drei Kinder gewährt worden seien. Der Einwand, dass bereits seit Mai 2004 keine Lebensgemeinschaft vorliege, aber seitens des Arbeitsmarktservice die Auskunft erteilt worden sei, dass Erklärungen abzugeben seien, da sonst keine Notstandshilfe ausbezahlt würde, sei unglaubwürdig. Jeder Leistungsbezieher sei verpflichtet, jede Änderung seiner wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse dem Arbeitsmarktservice bekannt zu geben. Die Beendigung einer Lebensgemeinschaft sei dem Arbeitsmarktservice zu melden. Hätte die Beschwerdeführerin eine Beendigung der Lebensgemeinschaft gemeldet, wären Erklärungen des S nicht notwendig gewesen und der Leistungsbezug wäre zur Auszahlung gekommen. Es erscheine äußerst unwahrscheinlich, dass trotz Beendigung einer Lebensgemeinschaft im Mai 2004 bei der nächsten Antragstellung nach fast einem Jahr im März 2005 diese Lebensgemeinschaft noch immer als bestehend angegeben worden sei. Ebenso erscheine es nicht glaubwürdig, dass die Beschwerdeführerin der Meinung gewesen sei, sie müsse trotz Beendigung der Lebensgemeinschaft monatliche Einkommenserklärungen betreffend S abgeben. Es erscheine insbesondere nicht glaubhaft, dass S, der den Beruf eines Rechtsanwaltes ausübe, monatliche Erklärungen betreffend sein Einkommen und seinen Umsatz abgebe, obwohl keine Lebensgemeinschaft mehr bestehe. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Einkommenssituation eines ehemaligen Lebensgefährten den Anspruch auf Notstandshilfe beeinflussen sollte. Da dies einem Rechtsanwalt jedenfalls klar sein müsse, sei davon auszugehen, dass die Erklärungen ausgefüllt worden seien, weil eine Lebensgemeinschaft vorgelegen sei. Das entsprechende anders lautende Vorbringen werde als Schutzbehauptung gewertet. Erst nach Erlassung des Rückforderungsbescheides sei der Einwand des Nichtvorliegens einer Lebensgemeinschaft erfolgt. S habe im Jahr 2005 laut Einkommensteuerbescheid ein Nettoeinkommen von EUR 36.340 gehabt. Es ergebe sich daher nachstehende Berechnung für das Jahr 2005:

"Einkommen

EUR

2.192,29

Freigrenze für Ihren Partner

EUR

447,00

Freigrenze für 1 Kind

EUR

223,50

Freigrenze für 1 Kind

EUR

223,50

Freigrenze für 1 Kind

EUR

223,50

Mehrkindzuschlag

EUR

50,00

Freigrenzenerhöhung

EUR

153,22

 

 

 

anrechenbares Einkommen

EUR

872,00 x 12 Monate/365 Tage

 

 

 

ergibt einen Anrechnungsbetrag von

EUR

28,67 täglich."

Der tägliche Notstandshilfeanspruch ohne Anrechnung würde EUR 23,62 betragen (inklusive zweier Familienzuschläge). Da die Anrechnung den Anspruch übersteige, sei kein Anspruch auf Notstandshilfe gegeben. Als Freigrenzenerhöhung bezüglich des geleisteten Unterhaltes für das Kind Lisa könne nur die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten Unterhalt (EUR 376,72) und der Freigrenze (EUR 223,50) gewährt werden. Der Leistungsbezug sei daher zu widerrufen gewesen. Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG könne die Leistung auch dann zurückgefordert werden, wenn sich auf Grund nachträglich vorgelegter Steuerbescheide ergebe, dass die Leistung nicht gebührte. Es ergebe sich folgende Rückforderung:

"Zeitraum

ausbezahlter Tagsatz

berichtigter Tagsatz

Differenz

Tage

Summe

1.2.2005-30.9.2005

EUR 23,62

EUR 0

EUR 23,62

242

EUR 5.716,04

 

 

 

insgesamt

EUR 5.716,04"

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt mit dem Begehren, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht hinsichtlich Sach- und Rechtslage jenem, der mit dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/08/0296, entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass es im vorliegenden Fall um den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 30. September 2005 geht, im Fall des zitierten hg. Erkenntnisses hingegen um den Zeitraum vom 21. Februar 2004 bis 31. Jänner 2005.

Auch im vorliegenden Fall legt die Beschwerdeführerin die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels der Unterlassung der Einvernahme der Beschwerdeführerin sowie von S nicht dar.

Im zitierten hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/08/0296, hat der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen dargelegt, dass eine verschuldensunabhängige Rückforderung auch bei nachträglicher Vorlage von Einkommens- und Umsatzsteuerbescheiden eines Ehepartners oder eines Lebensgefährten in Frage kommt. Dass der Rückforderungsanspruch nicht auf die Höhe des eigenen Einkommens der Beschwerdeführerin beschränkt ist, wurde vom Verwaltungsgerichtshof ebenfalls ausgeführt. Wie der Verwaltungsgerichtshof ferner ausgesprochen hat, kann es der belangten Behörde nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie angesichts dessen, dass die Lebensgemeinschaft von der Beschwerdeführerin noch in ihrem Antrag vom März 2005 als bestehend angegeben wurde, diese als auch weiterhin bestehend angesehen hat. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem zitierten hg. Erkenntnis wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

Der angefochtene Bescheid war jedoch im Rahmen des vorgebrachten Beschwerdepunktes hinsichtlich der Rückforderung aus folgenden Gründen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben:

Wenn die Behörde erster Instanz wie im vorliegenden Fall hinsichtlich eines bestimmten Zeitraumes eine zahlenmäßig bestimmte Rückforderung ausspricht, so steht es der Berufungsbehörde zwar im Rahmen der von ihr gemäß § 66 Abs. 4 AVG zu entscheidenden Sache zu, die diesbezügliche Berechnung zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2004, Zl. 2003/08/0237). Dies entbindet sie aber nicht davon, einen eindeutig bestimmbaren Bescheid hinsichtlich der Höhe des Rückforderungsbetrages zu erlassen.

Im vorliegenden Fall wurde zwar die Rückforderung in der Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides genau berechnet. Dem Spruch des in Beschwerde gezogenen Bescheides kann aber nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde tatsächlich eine diesbezügliche Änderung hat vornehmen wollen. Die Entscheidung lautet lediglich dahin, dass der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt wird. Es lässt sich aus dem Spruch nicht entnehmen, ob damit die erstinstanzliche Festsetzung von EUR 3.818,76 oder die im Vorspruch im Zusammenhang mit der deklarativen Darstellung des Gegenstandes des erstinstanzlichen Bescheides (daher nicht normativ) als "richtig" bezeichnete Summe von EUR 5.716,04 in Rechtskraft erwachsen sollte, zumal der angefochtene Bescheid (dessen ungeachtet) keine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides ausspricht.

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit mit ihm die Rückforderung der empfangenen Notstandshilfe ausgesprochen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EuGH hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren nur rechtliche oder "hoch-technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies aber auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.

Zur Lösung der Rechtsfragen ist im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, im vorliegenden Fall dem einzigen Tribunal im Sinne des Art. 6 EMRK, nicht geboten. Der vorliegende Fall wirft aber auch sonst keine Fragen auf, die im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung erfordern. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.

Wien, am 19. Dezember 2007

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007080022.X00

Im RIS seit

07.02.2008

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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