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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §240 Abs3;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):2005/15/0068 E 20. Februar 2008Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der E AG in W, vertreten durch Leitner + Leitner GmbH & Co KEG, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1030 Wien, Am Heumarkt 7/14, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 5. Jänner 2004, GZ. RV/1333-W/03, betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer für die Monate Juli bis Dezember 1999 sowie Jänner, März und Mai 2000, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Bei der beschwerdeführenden Partei handelt es sich um ein Kreditinstitut. Mit Bescheiden vom 26. Februar 2002 zog das Finanzamt die beschwerdeführende Partei zur Haftung für Nachzahlungen an Kapitalertragsteuer für die einzelnen Monate des Streitzeitraumes in Höhe von insgesamt rd. 9 Mio. S heran. Die dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos.
Im angefochtenen Bescheid wird ausgeführt, vom Finanzamt seien ab dem Jahr 2000 in Hinblick auf ungewöhnlich hohe Kapitalertragsteuergutschriften in den Kapitalertragsteueranmeldungen mehrerer Banken Prüfungen gemäß § 151 BAO veranlasst worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass diese hohen Gutschriften im Zusammenhang mit dem Verkauf von bestimmten Nullkuponanleihen (Zero-Bonds) gestanden seien. Dabei handle es sich um eine Anleiheform, die eine Nominalverzinsung von Null aufweise. Anstatt der jährlichen Zinszahlungen falle der gesamte Zahlungsstrom, bestehend aus Kapitaltilgung und Zinserträgen, am Ende der Laufzeit an. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Ausgabewert und dem im Wertpapier festgelegten Einlösungswert am Ende der Laufzeit der Nullkuponanleihe gehöre gemäß § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Von diesem Unterschiedsbetrag sei gemäß den §§ 95 ff EStG 1988 von der als kuponauszahlende Stelle agierenden Bank Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen. Werde eine Nullkuponanleihe vor dem Ende der Laufzeit veräußert, würden im Kaufpreis auch anteilige Kapitalerträge abgegolten. Von diesen Kapitalerträgen werde im Hinblick auf § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 ein Kapitalertragsteuerabzug beim Veräußerer vorgenommen, sofern die Voraussetzungen für eine Besteuerung in Österreich vorlägen. Für den Erwerber der Nullkuponanleihe stellten die vom Veräußerer verrechneten anteiligen Kapitalerträge einen vorweggenommenen Kapitalertrag dar. Dies ergebe sich daraus, dass der zur Kuponfälligkeit erhaltene volle Kapitalertrag durch die Bezahlung der bisher angefallenen Zinsen vorbelastet sei. Der Erwerber erhalte daher eine Kapitalertragsteuergutschrift. Da am Ende der Laufzeit der Nullkuponanleihe Kapitalertragsteuer für den gesamten Unterschiedsbetrag zwischen Ausgabepreis und Einlösungswert anfalle, solle durch diese Gutschrift erreicht werden, dass die Steuerbelastung nur den Kapitalerträgen jenes Zeitraumes entspreche, in dem ein Steuerpflichtiger die Nullkuponanleihe auch tatsächlich gehalten habe. Der Erwerber erhalte die Kapitalertragsteuergutschrift allerdings nach der Verwaltungspraxis auch dann, wenn der Veräußerer in Österreich nicht kapitalertragsteuerpflichtig sei und daher bei ihm kein Kapitalertragsteuerabzug erfolgt sei.
Im Zusammenhang mit der Erhöhung der Kapitalertragsteuer für Einlagen bei Banken und für Forderungswertpapiere ab 1. Jänner 1993 auf 22 % habe zur Abgrenzung der Zinsen für Zeiträume vor und nach dem 1. Jänner 1993 nach dem Erlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 12. Februar 1993, AÖF 1993/158, zur Ermittlung des Kapitalertragsteuerabzuges die Möglichkeit bestanden, die Berechnung des monatlichen Kapitalertrages in Form einer linearen Verteilung des Unterschiedsbetrages zwischen dem Ausgabewert und dem Einlösungswert auf die gesamte Laufzeit vorzunehmen. Bei kurzen Laufzeiten der Anleihe und geringen Zinssätzen seien dabei die Unterschiede zu einer exakten kalkulatorischen Berechnung nur gering. Bei hochverzinsten und langfristigen Nullkuponanleihen führe die lineare Verteilung der Zinsen auf die gesamte Laufzeit allerdings zu hohen Abweichungen im Vergleich zu einer kalkulatorischen Berechnung der einzubehaltenden und zu erstattenden Kapitalertragsteuer. Dadurch "hatten die Erwerber der Papiere nur mehr die (meist geringe) Differenz auf den Kaufpreis aufzuzahlen, bei einer der Wertpapiere, einer langfristigen Zlotyanleihe führt dies sogar dazu, dass der Erwerber des Papiers eine Gutschrift erhält, die höher ist als der Kaufpreis". Da die Papiere von den Banken im Ausland besorgt worden seien, sei es "aber andererseits in diesen Fällen zu keinem korrespondierenden Kapitalertragsteuerabzug" gekommen. Einige Banken dürften - so die belangte Behörde weiter im angefochtenen Bescheid - bei Verkäufen von Nullkuponanleihen, gestützt auf eine seitens des Bundesministeriums für Finanzen erteilte Anfragebeantwortung, wonach auch eine exakte Berechnung der zeitanteiligen Kapitalerträge möglich sei und die im Erlass dargestellte vereinfachende Abgrenzung hinter einer angestrebten genauen Berechnung zurückzutreten habe, die Stückzinsen finanzmathematisch berechnet haben. Dies sei von einigen Kunden dazu benutzt worden, den sich aus den beiden unterschiedlichen Berechnungsmethoden ergebenden Differenzbetrag zu lukrieren, indem sie Wertpapiere "bei einer linear abrechnenden Bank kauften, die Papiere aus dem Depot entnahmen und bei einer finanzmathematisch abrechnenden Bank wieder verkauften". Weiters seien wahrscheinlich Wertpapiere nach der Depotentnahme ins Ausland verbracht und dort steuerfrei verkauft worden, sodass dadurch die beim Kauf erhaltene Kapitalertragsteuergutschrift dem Kunden als endgültiger Vorteil verblieben sei.
Im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung sei bei der Beschwerdeführerin für die strittigen Voranmeldungszeiträume die Ermittlung der Kapitalertragsteuer bei hochverzinsten und langfristigen Nullkuponanleihen - abweichend von der linearen Ermittlung durch die Beschwerdeführerin - auf Grund einer kalkulatorischen Berechnungsmethode erfolgt.
In der Berufung und in einem ergänzenden Schreiben sei der Sachverhalt als solcher außer Streit gestellt worden. Die Beschwerdeführerin habe sich allerdings ihrer Ansicht nach in der Sache "gesetzes- und erlasskonform" verhalten. Auch hätte der Steuerausfall durch entsprechende Vorkehrungen seitens der Behörde vermieden werden können, weil nach § 95 Abs. 6 EStG 1988 die dem Erwerber gutgeschriebene Steuer die einbehaltene KESt nicht übersteigen dürfe, sodass es dem Fiskus oblegen wäre, dafür zu sorgen, dass die Kapitalertragsteuergutschrift tatsächlich mit dem von der Beschwerdeführerin ordnungsgemäß berechneten und abgeführten Betrag begrenzt werde. Die Beschwerdeführerin habe "aus dieser Konstruktion" auch keinerlei steuerlichen Nutzen gezogen.
Die Ansicht der Behörde, wonach die Abgrenzung der Stückzinsen finanzmathematisch (und nicht linear) erfolgen müsse, könne die Beschwerdeführerin nicht teilen. Die Vorgangsweise bei der Abgrenzung von Stückzinsen bei einem vorzeitigen Verkauf des Wertpapiers (einer Nullkuponanleihe) sei gesetzlich nicht geregelt. Die Möglichkeit einer linearen Abgrenzung sei erlassmäßig vom Bundesministerium für Finanzen auch eingeräumt gewesen. Dieses Wahlrecht zwischen einer linearen und finanzmathematischen Berechnung sei - "soweit ersichtlich" - durch die Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 2000, AÖF 2000/232 idF AÖF 2001/145, beseitigt worden, in denen nur mehr die finanzmathematische Berechnung vorgesehen sei. Diese Änderung der Erlasspraxis sei allerdings nur für die Zukunft, somit für die Veranlagung ab dem Jahr 2000, von Bedeutung. Die für die Beschwerdeführerin günstigere Anwendung der Erlasslage für die Vorjahre könne unter Hinweis auf die EStR 2000 - bei im Übrigen unveränderter Gesetzeslage - nicht verwehrt werden. Selbst wenn die Berechnung der Kapitalertragsteuer unrichtig gewesen sein sollte, wären die Voraussetzungen für eine direkte Inanspruchnahme der Anleger (Primärschuldner) nach § 95 Abs. 5 EStG 1988 erfüllt gewesen, sodass jedenfalls die Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Haftung als nicht gesetzeskonform erscheine. Gerügt werde auch die fehlende Begründung im Rahmen der Ermessensübung zur Erlassung der Haftungsbescheide.
Weiters könne entgegen der Ansicht des Finanzamtes eine Depotentnahme nicht als Veräußerungstatbestand im Sinne des § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 gesehen werden. Nur dann, wenn es anlässlich "der Beendigung der kuponauszahlenden Stelle im Inland zu einer entsprechenden Meldung darüber komme," und dies gleichzeitig mit einem Zufließen von anteiligen Kapitalerträgen verbunden sei, könne überhaupt eine Kapitalertragsteuerpflicht ausgelöst werden. Selbst wenn man der Meinung wäre, durch die Depotentnahme wäre ein Veräußerungstatbestand nach § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 verwirklicht, "würde mangels eines Zuflusses von Zinserträgen anlässlich der Depotentnahme keine KESt-Pflicht ausgelöst". Die zitierte Gesetzesbestimmung enthalte zwar eine Fiktion hinsichtlich eines Veräußerungstatbestandes, verweise aber zum Zufluss auf § 19 EStG 1988.
Unter "1. Lineare und/oder finanzmathematische Stückzinsenberechnung" wird im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides ausgeführt, "Verwaltungspraxis und Lehre" gingen davon aus, dass der Erwerber eines Forderungswertpapiers auf Grund der im Kaufpreis enthaltenen anteiligen Kapitalerträge eine Kapitalertragsteuergutschrift erhalte, wobei dies auch dann erfolge, wenn anlässlich des Erwerbsvorganges keine Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt werde. Es werde dies als ein Fall des § 95 Abs. 6 EStG 1988 angesehen.
Bemessungsgrundlage für den Kapitalertragsteuerabzug seien die erzielten Kapitalerträge. Werde ein endfälliges Wertpapier vor Ablauf der Laufzeit veräußert, seien die Zinsen für den Zeitraum des Wertpapierbesitzes kalkulatorisch zu ermitteln. Dass bei der Berechnung von Zinserträgen grundsätzlich finanzmathematische Methoden verwendet würden, sei allgemein bekannt und "dem Bankengeschäft - hier im Besonderen dem Wertpapiergeschäft - geradezu immanent". Wenn sich die Beschwerdeführerin zur kalkulatorischen Ermittlung der Zinsen im Wege einer linearen Verteilung auf die Laufzeit des Wertpapiers auf Erlassaussagen aus dem Jahr 1993 berufe, sei zu sagen, dass es sich dabei nur um eine im Zuge der Erhöhung der Kapitalertragsteuer von 10 % auf 22 % getroffene Maßnahme zur Vereinfachung der Abgrenzung der Zinserträge gehandelt habe. Zur Ermittlung der im Kaufpreis von Nullkuponanleihen enthaltenen Zinsen sei eine finanzmathematische Methode zweifellos geeignet. In vielen Fällen werde auch die lineare Methode zu einem Näherungswert führen, der dem Marktwert noch so weit entspreche, dass die Schätzung rechtmäßig bleibe. Würden damit "absolut realitätsfremde Ergebnisse" erzielt (so betrügen im Beschwerdefall die "nach der linearen Methode ermittelten KESt-Gutschriften ein Vielfaches der nach finanzmathematischen Kriterien ermittelten Beträge"), könne von einer Gleichwertigkeit der beiden Berechnungsmethoden keine Rede sein. Bleibe die im Erlass dargestellte vereinfachende Abgrenzung hinter der angestrebten genauen Berechnung zurück, sei auch nach Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen die Ermittlung nach der finanzmathematischen Methode vorzunehmen gewesen. Wenn die lineare Verteilungsmethode zu einem wirtschaftlich völlig realitätsfremden Resultat führe "und die Abrechnung des Erwerbes selbst einem fachlich nicht versierten Anleihe-Käufer unplausibel erscheinen musste", könne sich erst recht eine Bank mit "ihren einschlägigen Kenntnissen und Erfahrungen im Bank- und Wertpapiergeschäft nicht auf die Bindungswirkung von Richtlinienaussagen stützen". Das Vorgehen des Finanzamtes, im Beschwerdefall statt der linearen Berechnung von Stückzinsen eine finanzmathematische Berechnung vorzunehmen, verstoße damit auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Unter "2. Haftungsinanspruchnahme" wird seitens der belangten Behörde ausgeführt, dass die Bestimmung des § 95 Abs. 2 EStG 1988 eine spezielle Haftungsnorm sei und dem Finanzamt diesbezüglich kein Ermessen eingeräumt sei. Aber selbst wenn der Behörde für die Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Haftung ein Ermessen eingeräumt wäre, läge der von der Beschwerdeführerin behauptete Ermessensmissbrauch nicht vor. Die Heranziehung zur Haftung erscheine auch nicht unbillig, weil die Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen sei, die Kapitalertragsteuer richtig zu berechnen, sie, "auch wenn die Initiative wohl überwiegend von den Kunden ausgegangen ist", die unrichtige Gutschrift hätte verhindern können und ihr die besonderen Umstände bezüglich der gegenständlichen Wertpapiere hätten auffallen müssen bzw. auch aufgefallen seien. Auch in Hinblick auf die Einbringlichkeit sei die Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Haftung zweckmäßiger als die Heranziehung der Kunden der Beschwerdeführerin.
Unter "3. Steuerpflicht von Entnahmen aus dem Depot" hält die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid fest, strittig sei weiters, ob die Entnahme (von Nullkuponanleihen) aus dem Bankdepot als Veräußerung im Sinne des § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 anzusehen sei und als solche Kapitalertragsteuerpflicht begründe. Eine kuponauszahlende Stelle werde dadurch begründet, dass ein inländisches Kreditinstitut das Forderungswertpapier oder den Zinskupon verwahre und verwalte und dementsprechend die Kapitalerträge an den Investor auszahle oder gutschreibe. Demgemäß müsse die Entnahme des Wertpapiers aus dem Depot dieses Kreditinstitutes als Beendigung seiner Stellung als kuponauszahlende Stelle - bezogen auf das entnommene Wertpapier - angesehen werden. Zwar setze das Entstehen einer Kapitalertragsteuerpflicht nicht notwendig voraus, dass das Wertpapier auf einem inländischen Depot hinterlegt ist, weil der Begriff der kuponauszahlenden Stelle allein durch das Kriterium der Auszahlung von Kapitalerträgen charakterisiert sei (§ 95 Abs. 3 Z 2 EStG 1988), das Gesetz fingiere aber eine Veräußerung des Wertpapiers bei der Meldung von Umständen, die eine Änderung der Grundlagen für den Steuerabzug bewirkten. Die Entnahme eines (endfälligen) Wertpapiers aus dem Depot der (inländischen) Bank sei ein solcher Umstand. Denn mit der Beendigung der Depotführung sei das Kreditinstitut nicht mehr in der Lage, die Gutschrift bzw. Auszahlung von Kapitalerträgen aus diesem Wertpapier und die Einbehaltung der Kapitalertragsteuer wahrzunehmen. Der Weiterverbleib des Wertpapieres entziehe sich jeglicher Kontrolle. Dass es dem Inhaber unbenommen bleibe, die Anleihe am Ende der Laufzeit bei eben jenem Kreditinstitut einzulösen, aus dessen Depot diese zuvor entnommen worden sei, ändere nichts daran, dass dessen Status als kuponauszahlende Stelle mit der Entnahme geendet habe (und bei der Einlösung der Anleihe allenfalls neu begründet werde). Das Tatbestandsmerkmal der "Meldung" könne auch im Sinne eines bloßen "Kenntniserlangens" durch die depotführende Bank verstanden werden und sei bei der Entnahme von Wertpapieren aus dem Bankdepot naturgemäß erfüllt. Die Begründung der Abzugspflicht sei in Ausnahmefällen auch aus anderen Gründen als dem Widerruf der Befreiungserklärung denkbar, zumal nach dem Gesetzeszweck kein Zweifel an der Einbeziehung anderer Formen der Beendigung der Abzugspflicht in die Veräußerungsfiktion des § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 bestehe. Der Verweis in § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 auf die Zuflussgrundsätze des § 19 EStG 1988 sei so zu verstehen, dass im Falle der Veräußerung des Wertpapiers die (anteiligen) Kapitalerträge - für Zwecke des Kapitalertragsteuerabzuges - mit der Kaufpreiszahlung "als zugeflossen gelten; in den Fällen der vom Gesetz fingierten Veräußerung ist auch ein solcher Zahlungsfluss nicht erforderlich". Die aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Juli 1994, 91/14/0064, abgeleitete Meinung der Beschwerdeführerin, wonach die Kapitalertragsteuerpflicht für Kapitalerträge aus Nullkuponanleihen erst bei der Einlösung der Wertpapiere eintreten könne, würde nicht nur der Bestimmung des § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 jeglichen Anwendungsbereich nehmen; konsequent "weiter gedacht dürfte diese Rechtsansicht auch die im angefochtenen Bescheid erwähnten KESt-Gutschriften bei Erwerb der Anleihe nicht mehr zulassen, weil rückgängig gemachte (anteilige) Kapitalerträge beim Erwerb einer Anleihe nicht denkbar sind, wenn der gesamte Kapitalertrag (der Anteil des Veräußerers und jener des Erwerbers) erst mit der Einlösung anfällt. Im Ergebnis wäre daraus für die Bw. nichts gewonnen".
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen den angefochtenen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 28. Februar 2005, B 228/04, abgelehnt. Die vorliegende Beschwerde rüge die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen (Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2004, B 1575/03, VfSlg. 17.426).
In der über nachträglichen Antrag an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetretenen (ergänzten) Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihren Rechten dahingehend verletzt, "für die Kapitalertragsteuer betreffend die Jahre 1999 und 2000, und zwar insbesondere betreffend die auf die Depotentnahmen entfallende Kapitalertragsteuer, überhaupt nicht zur Haftung oder lediglich (aufgrund der bei der Ermessensübung vorzunehmenden Interessensabwägung), für einen geringeren Betrag zur Haftung in Anspruch genommen zu werden".
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen zählen nach § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 Zinsen und andere Erträgnisse aus sonstigen Kapitalforderungen aller Art, zum Beispiel aus Darlehen, Anleihen, Einlagen, Guthaben bei Kreditinstituten und aus Ergänzungskapital im Sinne des Bankwesengesetzes oder des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 (idF vor dem BGBl. I Nr. 71/2003) auch Unterschiedsbeträge zwischen dem Ausgabewert eines Wertpapiers und dem im Wertpapier festgelegten Einlösungswert, wenn diese 2 % des Wertpapiernominales übersteigen. Im Falle des vorzeitigen Rückkaufes tritt an die Stelle des Einlösungswertes der Rückkaufpreis.
Mit der Regelung des § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 ordnet das Gesetz allgemein einen von vornherein festgelegten Unterschiedsbetrag zwischen dem Ausgabekurs und dem Einlösekurs eines Wertpapiers dem Bereich der Fruchtziehung zu (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. November 2002, 99/14/0099, VwSlg. 7764/F).
Entsprechend der Anordnung des § 93 Abs. 1 EStG 1988 wird bei inländischen Kapitalerträgen (Abs. 2 leg. cit.) sowie bei im Inland bezogenen Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren (Abs. 3 leg. cit.) die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer).
Kapitalertragsteuerpflichtig sind nach § 93 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 auch Unterschiedsbeträge gemäß § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988.
§ 95 EStG 1988 (idF vor dem BGBl. I Nr. 71/2003) regelt die "Höhe und Einbehaltung der Kapitalertragsteuer".
Die Kapitalertragsteuer beträgt 25 % (§ 95 Abs. 1 EStG 1988).
Nach § 95 Abs. 2 EStG 1988 ist der Empfänger der Kapitalerträge der Schuldner der Kapitalertragsteuer. Die Kapitalertragsteuer ist durch Abzug einzubehalten. Der zum Abzug Verpflichtete (§ 95 Abs. 3 EStG 1988) haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.
Gemäß § 95 Abs. 3 EStG 1988 ist zum Abzug der Kapitalertragsteuer verpflichtet:
1. Bei inländischen Kapitalerträgen (§ 93 Abs. 2 EStG 1988) der Schuldner der Kapitalerträge.
2. Bei im Inland bezogenen Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren (§ 93 Abs. 3 EStG 1988) die kuponauszahlende Stelle. Kuponauszahlende Stelle ist
-
das Kreditinstitut, das an den Kuponinhaber Kapitalerträge im Zeitpunkt der Fälligkeit und anteilige Kapitalerträge anlässlich der Veräußerung des Wertpapiers auszahlt,
-
der inländische Emittent, der an den Kuponinhaber solche Kapitalerträge auszahlt.
3. Ein Dritter, der Kapitalerträge im Sinne des § 93 Abs. 4 gewährt.
Nach § 95 Abs. 4 EStG 1988 hat der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalertragsteuer im Zeitpunkt des Zufließens der Kapitalerträge abzuziehen. Die Kapitalerträge gelten für Zwecke der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer als zugeflossen:
1.
Bei Kapitalerträgen, deren Ausschüttung …
2.
Bei Einkünften aus der Beteiligung …
3.
Bei Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren im Zeitpunkt der Fälligkeit der Kapitalerträge und im Zeitpunkt des Zufließens (§ 19 EStG 1988) anteiliger Kapitalerträge anlässlich der Veräußerung des Wertpapiers oder des Wertpapierkupons. Die Meldung des Eintritts von Umständen, die die Abzugspflicht beenden oder begründen (insbesondere Befreiungserklärung oder Widerrufserklärung), oder die Zustellung eines Bescheides im Sinne des § 94 Z 5 letzter Satz EStG 1988 gilt als Veräußerung.
4. Bei anderen Kapitalerträgen, insbesondere bei Zinserträgen aus Geldeinlagen und sonstigen Forderungen bei Kreditinstituten, nach Maßgabe des § 19 EStG 1988. Bei Meldung des Eintritts von Umständen, die die Abzugspflicht beenden oder begründen (insbesondere Befreiungserklärungen oder Widerrufserklärung), oder bei der Zustellung eines Bescheides im Sinne des § 94 Z 5 letzter Satz EStG 1988 gilt der Zinsertrag, der auf den Zeitraum vom letzten Zufließen gemäß § 19 EStG 1988 bis zur Meldung oder Zustellung entfällt, als zugeflossen.
Gemäß § 95 Abs. 5 EStG 1988 ist dem Empfänger der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer ausnahmsweise vorzuschreiben, wenn
1. der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat oder
2. der Empfänger weiß, dass der Schuldner die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt.
Werden Kapitalerträge rückgängig gemacht, dann sind nach § 95 Abs. 6 EStG 1988 von dem zum Abzug Verpflichteten die entsprechenden Beträge an Kapitalertragsteuer gutzuschreiben. Die gutgeschriebene Kapitalertragsteuer darf die von den rückgängig gemachten Kapitalerträgen erhobene oder zu erhebende Kapitalertragsteuer nicht übersteigen.
Der zum Abzug Verpflichtete hat nach § 96 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 bei Kapitalerträgen gemäß § 93 Abs. 3 leg. cit. - also bei Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren - die in einem Kalendermonat einbehaltenen Steuerbeträge abzüglich gutgeschriebener Beträge unter der Bezeichnung "Kapitalertragsteuer" spätestens am 15. Tag nach Ablauf des folgenden Kalendermonates abzuführen.
Für das Regime der Kapitalertragsteuer ordnet § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 insofern eine so genannte Surrogatbesteuerung an, als für Zwecke der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer die Kapitalerträge bereits im Zeitpunkt des Zufließens (§ 19) anteiliger Kapitalerträge anlässlich der Veräußerung des Wertpapiers oder des Wertpapierkupons - in Form des Veräußerungspreises des Wertpapiers, in dem auch die Stückzinsen enthalten sind - als zugeflossen gelten (vgl. Fuchs, Abgrenzung Kapitalertrag und Substanz im Ertragsteuerrecht, in FS Doralt, Ertragsteuern in Wissenschaft und Praxis, Wien 2007, S. 84). Kuponauszahlende Stelle ist demnach nach § 95 Abs. 3 Z. 2 erster Teilstrich EStG 1988 auch das Kreditinstitut, das anteilige Kapitalerträge anlässlich der Veräußerung des Wertpapiers auszahlt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Erlässe des Bundesministeriums für Finanzen für den Verwaltungsgerichtshof keine maßgebende Rechtsquelle sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 2005, 2001/13/0062). Sie begründen weder objektive Rechte noch subjektive Ansprüche des Steuerpflichtigen (vgl. beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 2006, 2006/14/0002, und - ausdrücklich zu den ESt-Richtlinien - vom 28. Jänner 2003, 2002/14/0139, sowie vom 22. Februar 2007, 2002/14/0140).
Dem angefochtenen Bescheid liegt im Rahmen der Ausführungen zur linearen und/oder finanzmathematischen Stückzinsenberechnung die auf "Verwaltungspraxis und Lehre" gestützte Ansicht zu Grunde, dass der Erwerber eines Forderungswertpapiers wegen der im Kaufpreis enthaltenen Kapitalerträge eine Kapitalertragsteuergutschrift zu erhalten habe. Rechtlich wird diese Meinung auf § 95 Abs. 6 EStG 1988 gestützt und dafür die Konstruktion des "vorweg rückgängig gemachten" Kapitalertrages herangezogen.
Der - auch sprachlich unklare - Begriff eines "vorweg rückgängig gemachten" Kapitalertrages findet sich in § 95 Abs. 6 EStG 1988 nicht. Aus der Sicht des Erwerbers handelt es sich bei dem von ihm anlässlich des Erwerbs mit dem Kaufpreis abgegoltenen anteiligen Kapitalertrag des Veräußerers auch - von vornherein - um keinen Kapitalertrag, der rückgängig gemacht werden könnte. Der bis zum Veräußerungszeitpunkt angefallene Kapitalertrag ist nämlich als Entgelt für die zeitanteilige Nutzungsüberlassung dem Veräußerer zuzurechnen, der bei diesem - außerhalb des Ersatztatbestandes (Surrogatbesteuerung) für Zwecke der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer nach § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 - erst im Zeitpunkt des Zufließens im Sinne des § 19 EStG 1988 an den Erwerber (als Kapitalertrag des Veräußerers) zu erfassen wäre (vgl. z.B. Zorn, Aktuelle einkommensteuerliche Probleme im Bereich der Kapitalveranlagungen, ÖStZ 2003/245, S. 166). Der vom Erwerber (am Ende der Laufzeit) vereinnahmte (volle) Betrag an "Zinsen" ist demgemäß in einen Teil steuerneutraler Forderungseinziehung (Betrag der bei Erwerb an den Veräußerer bezahlten Stückzinsen) und in einen weiteren Teil steuerpflichtiger Einkünfte aus Kapitalvermögen des Erwerbers (Zinsertrag ab dem Erwerbszeitpunkt) aufzuteilen (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Tz 24 zu § 27, sowie Kirchmayr, Schuldverschreibungen - Grundsatzfragen der Abgrenzung von Zinsen und Stammrecht, in FS Doralt, aaO, S. 188). Ein am Ende der Laufzeit der Nullkuponanleihe gegebenenfalls von einer kuponauszahlenden Stelle vom gesamten Unterschiedsbetrag nach § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 vorgenommener Kapitalertragsteuerabzug wäre im Teilbetrag der steuerneutralen (und ohnedies bereits nach § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 mit auf Rechnung des Veräußerers einbehaltenen Kapitalertragsteuer belasteten) Forderungseinziehung damit objektiv zu Unrecht erfolgt, sodass die darauf entfallende Kapitalertragsteuer zurückgefordert werden könnte (vgl. § 240 Abs. 3 BAO). Zur Vermeidung einer "Überbesteuerung" ist damit die Heranziehung der Konstruktion eines "vorweg rückgängig gemachten Kapitalertrages" (vgl. dazu z.B. Quantschnigg/Schuch, aaO, Tz 9.2 zu § 95) nicht erforderlich und es ist auch sonst nicht erkennbar, auf welche rechtliche Basis die in Rede stehende Kapitalertragsteuergutschrift gestützt werden könnte.
Erweist sich damit die Erteilung einer Kapitalertragsteuergutschrift an den Erwerber zum Zeitpunkt der Anschaffung der Nullkuponanleihe als rechtlich nicht gedeckt, dann ist auch die von der belangten Behörde vertretene Meinung, die Belastung mit Kapitalertragsteuer anlässlich der Depotentnahme sei auch unter dem Aspekt der Rückverrechnung der (anlässlich des Erwerbs der Nullkuponanleihen) erteilten Gutschrift zu sehen (lt. Gegenschrift bilde der von der Beschwerdeführerin bekämpfte Kapitalertragsteuerabzug mit der beim Erwerb erteilten Gutschrift eine Einheit), nicht mehr stichhältig.
Zu Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass bereits der Wortlaut der Bestimmung des § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988, die von der "Meldung des Eintritts von Umständen" spricht, die die Abzugspflicht beenden oder begründen, mit dem rein faktischen Vorgang einer Depotentnahme nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist, wobei gerade für auferlegte Steuerabzugspflichten (der Mitwirkungspflicht Dritter an der Steuererhebung) klare gesetzliche Regelungen zu fordern sind. Wesentlich ist aber, dass sich durch eine Depotentnahme allein der Status des Wertpapiers in Bezug auf die Abzugspflicht (anders als bei einer Befreiungserklärung oder Widerrufserklärung oder auch bei einem Wechsel in der persönlichen Steuerpflicht) nicht ändert (vgl. Schönstein, KESt und Zero Bonds, SWK-H 14/2001, S 405 f, S. 573 f, und Marschner, Depotentnahmen sind nicht KEStpflichtig, ÖStZ 2002/381, S. 234 ff). Dass das Entstehen der Kapitalertragsteuerpflicht nicht notwendig die Hinterlegung auf einem inländischen Depot voraussetzt, räumt im Übrigen auch die belangte Behörde ein.
Die Beschwerdeführerin zeigt damit mit der von ihr geltend gemachten Rechtsverletzung, wonach in dem zur Vorschreibung gelangten Haftungsbetrag an Kapitalertragsteuer auch eine solche für Depotentnahmen enthalten sei, eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der angefochtene Bescheid war somit nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 19. Dezember 2007
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren ErlässeVerwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage RechtsquellenErlassEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005130075.X00Im RIS seit
21.01.2008Zuletzt aktualisiert am
17.05.2013