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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §186;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 7, gegen den Bescheid der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 3. Jänner 2006, Zl. BMSG- 221386/0002-II/A/3/2005, betreffend Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 4 Abs. 1 BSVG (mitbeteiligte Partei: L E in S, vertreten durch die Ganzert Ganzert & Partner OEG, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Dr.-Koss-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte in dieser Rechtssache wird auf das Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2003/08/0125, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 7. Mai 2003 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Zur Aufhebung des Bescheides führte die unrichtige Rechtsansicht der belangten Behörde, als Kinder und Enkel im Sinne des § 24b Abs. 3 Z. 2 iVm § 78 Abs. 4 erster Satz BSVG würden auch Kinder und Enkel nach Vollendung des 18. Lebensjahres gelten. Dadurch - so die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage im damals angefochtenen Bescheid -, dass die am 25. Mai 1984 im 16. Lebensjahr adoptierte Tochter des Bruders des - auch dort - Mitbeteiligten am 15. Juni 1988, somit im 20. Lebensjahr, die Reifeprüfung abgelegt habe, habe der Mitbeteiligte und seine Ehegattin sich mindestens vier Jahre hindurch der Erziehung der Adoptivtochter gewidmet, weshalb er nach § 77 Abs. 5 BSVG iVm § 24b BSVG nicht von der Krankenversicherung ausgenommen bleibe. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung, dass als Kinder und Enkel auch Kinder und Enkel nach Vollendung des 18. Lebensjahres gelten würden (wenn und solange sie sich in der Schul- oder Berufsausbildung befinden, die ihre Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres), sich vom klaren Gesetzeswortlaut entferne, da diese Erweiterung des Angehörigenbegriffs auf Kinder nach Vollendung des 18. Lebensjahres erst im zweiten Satz des § 78 Abs. 4 BSVG enthalten sei. Im Hinblick auf die Adoption des Kindes am 25. Mai 1984 und die Vollendung des 18. Lebensjahres am 18. Juni 1986 hätte der Mitbeteiligte die Voraussetzung einer Erziehungstätigkeit durch mindestens vier Jahre im Sinne des § 24b Abs. 3 Z. 2 BSVG somit nur unter der Voraussetzung erfüllen können, dass schon vor dem Wahlkindverhältnis ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 78 Abs. 2 Z. 6 BSVG bestanden hätte. Dies habe die belangte Behörde bislang aber weder untersucht noch festgestellt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde in Stattgebung der Berufung des Mitbeteiligten neuerlich festgestellt, dass dieser ab 1. Jänner 2001 bis laufend nicht der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach § 4 Abs. 1 BSVG unterliege.
In der Begründung gab die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen wieder, verwies auf das genannte hg. Erkenntnis vom 7. September 2005 und gab folgende im ergänzten Verfahren eingeholte Stellungnahme der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt vom 1. Dezember 2005 wieder:
"Der Begründung der Bewilligung an Kindes Statt vom 23.10.1984 sei zu entnehmen, dass das Wahlkind seit Jahren - mit Billigung der leiblichen Eltern - von den Wahleltern wie ein leibliches Kind gehalten werde. Im Sinne des § 78 Abs. 2 Z 6 BSVG gelten als Angehörige die Pflegekinder, wenn sie vom Versicherten unentgeltlich gepflegt werden oder das Pflegeverhältnis auf einer behördlichen Bewilligung beruhe. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 78 Abs. 2 Z. 6 BSVG seien aber auch dann erfüllt, wenn die Person, deren Angehörigeneigenschaft im Sinne des § 78 Abs. 2 Z. 6 BSVG zu prüfen wäre, ein Pflegekind ist, dass vom Versicherten unentgeltlich verpflegt wird. Um ein Pflegeverhältnis im Sinne des §§ 186 und 186a ABGB begründen zu können, bedürfe es eines gerichtlich genehmigten Pflegschaftsvertrages, allenfalls vorliegende faktische Gegebenheiten seien nicht ausreichend. Nach Auffassung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern habe ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 78 Abs. 2 Z 6 BSVG nicht bestanden."
Nach Wiedergabe von einschlägigen Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde weiter aus, der Mitbeteiligte beziehe seit 1. März 2000 von der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Mit Adoptionsvertrag vom 25. Mai 1984 sei B.E., geboren am 18. Juni 1968, als Wahlkind vom Mitbeteiligten und seiner Ehefrau angenommen worden. B.E. sei das eheliche Kind des Bruders des Mitbeteiligten. Bereits Jahre vor der Adoption hätten sich der Mitbeteiligte und seine Ehefrau um B.E. wie um eine eigene Tochter gekümmert. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus den Versicherungs- und den Verwaltungsakten, insbesondere aus der Einsichtnahme in die Bewilligung der Adoption des Bezirksgerichtes Wels.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass gemäß § 78 Abs. 2 Z. 6 BSVG als Angehörige auch Pflegekinder gälten, wenn sie vom Versicherten unentgeltlich verpflegt würden oder das Pflegeverhältnis auf einer behördlichen Bewilligung beruhe. Der Mitbeteiligte und seine Ehefrau hätten sich bereits Jahre vor der Adoption um B.E. wie um ein eigenes Kind gekümmert. Der Mitbeteiligte habe sich der Erziehung von B.E. bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres zumindest über einen Zeitraum von vier Jahren gewidmet. § 24b Abs. 3 Z. 2 BSVG komme daher zur Anwendung und der Mitbeteiligte falle unter die Übergangsbestimmung des § 262 Abs. 3 BSVG, weshalb er weiterhin von der Krankenversicherung ausgenommen bleibe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Strittig ist im vorliegenden Fall, ob der Mitbeteiligte ab 1. Jänner 2001 als Pensionist in der Krankenversicherung nach dem BSVG pflichtversichert ist. Zu den Voraussetzungen einer solchen Pflichtversicherung ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die ausführliche Begründung des bereits mehrfach genannten Erkenntnisses vom 7. September 2005 zu verweisen. Daraus ist hervorzuheben, dass es im vorliegenden Fall entscheidend darauf ankommt, ob für den Mitbeteiligten (als mitversicherter Angehöriger) kein Zusatzbeitrag gemäß § 24b Abs. 3 BSVG zu leisten wäre. Das ist nach der Z. 2 leg. cit. dann der Fall, wenn und solange sich der Mitbeteiligte als Angehöriger der Erziehung eines oder mehrerer im gemeinsamen Haushalt lebender Kinder nach § 78 Abs. 4 erster Satz BSVG widmet oder durch mindestens vier Jahre hindurch der Kindererziehung gewidmet hat. Nach der zuletzt genannten Bestimmung gelten Kinder und Enkel (§ 78 Abs. 2 Z. 2 bis 6 BSVG) als Angehörige bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Als Angehörige wiederum gelten gemäß § 78 Abs. 2 BSVG unter anderem die ehelichen Kinder, die legitimierten Kinder und die Wahlkinder (Z. 2) sowie die Pflegekinder, wenn sie vom Versicherten unentgeltlich verpflegt werden oder das Pflegeverhältnis auf einer behördlichen Bewilligung beruht (Z. 6).
Im nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Feststellung, der Mitbeteiligte unterläge auf Grund der Bestimmung des § 277 Abs. 5 BSVG nicht der Krankenversicherung, anders als im ersten Rechtsgang nicht allein auf den Umstand gestützt, dass sich der Mitbeteiligte als Adoptivvater, somit ab dem Zeitpunkt der Adoption, um die Erziehung von B.E. gekümmert habe, sondern zudem darauf, dass B.E. "bereits Jahre vor der Adoption" sein Pflegekind und damit Angehörige nach § 78 Abs. 2 Z. 6 BSVG gewesen sei. Die Voraussetzung der vierjährigen Kindererziehungszeit des § 24b Abs. 3 Z. 2 BSVG sei auf diesem Wege erfüllt.
Diese Ansicht der belangten Behörde träfe dann zu, wenn B.E. bereits zwei Jahre vor ihrer Adoption Pflegekind des Mitbeteiligten gewesen wäre und sich der Mitbeteiligte bis zum 18. Lebensjahr von B.E. durch mindestens vier Jahre hindurch ihrer Erziehung gewidmet hätte.
Zur Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen hätte sich die belangte Behörde jedoch mit dem Begriff des Pflegeverhältnisses auseinander setzen und dazu Feststellungen treffen müssen.
Gemäß § 186 ABGB in der hier anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des Kindschaftsrecht-Änderungsgesetzes BGBl. Nr. 162/1989 lassen sich die Rechte und Verbindlichkeiten der Wahleltern und Wahlkinder auf Kinder, die nur in Pflege genommen werden, nicht anwenden. Diese Pflege steht jedermann frei. Wollen aber die Parteien hierüber einen Vertrag schließen, so muss er, insofern die Rechte des Pflegekindes geschmälert oder demselben besondere Verbindlichkeiten auferlegt werden sollen, gerichtlich bestätigt werden.
Ein Pflegeverhältnis kann vertraglich, auch konkludent, begründet werden. Ein Pflegeverhältnis setzt jedenfalls die Überlassung eines Kindes nicht nur für vorübergehende Dauer oder nur für einen Teil des Tages voraus (vgl. Pichler in Rummel2, Rz 2f zu § 186 AGBG).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund reicht es zur Annahme eines Pflegschaftsverhältnisses nicht aus, wenn man sich um ein Kind - sei es auch wie um das eigene - "kümmert", solange nicht feststeht, dass B.E. gemeinsam mit dem Mitbeteiligten und seiner Ehegattin im hier relevanten Zeitraum im gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Solche Feststellungen hat die belangte Behörde jedoch nicht getroffen; sie ist rechtsirrig auf Grund des von ihr festgestellten Sachverhaltes davon ausgegangen, dass der Tatbestand des § 78 Abs. 2 Z. 6 BSVG erfüllt sei.
Daher war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 19. Dezember 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006080038.X00Im RIS seit
07.02.2008Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008