TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/19 2006/08/0327

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Veröffentlicht am 19.12.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ASVG §136 Abs5;
ASVG §31 Abs5 Z16;
BSVG §86 Abs5;
Richtlinien Befreiung Rezeptgebühr 1997 §3;
Richtlinien Befreiung Rezeptgebühr 1997 §4;
Richtlinien Befreiung Rezeptgebühr 1997 §5;
Richtlinien Befreiung Rezeptgebühr 2005 §3;
Richtlinien Befreiung Rezeptgebühr 2005 §4;
Richtlinien Befreiung Rezeptgebühr 2005 §5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Wohllebengasse 18/16, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg vom 18. Oktober 2006, Zl. 20305-V/14.473/5-2006, betreffend Befreiung von der Rezeptgebühr (mitbeteiligte Partei: A R in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde in Abänderung des Bescheides der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt dem Antrag des Mitbeteiligten auf Befreiung des Mitbeteiligten und seiner Ehefrau von der Rezeptgebühr ab dem 30. Jänner 2006 stattgegeben.

In der Begründung stellte die belangte Behörde den Gang des Verwaltungsverfahrens dar und ging von folgendem Sachverhalt aus:

"Der monatliche Bruttopensionsbezug des (Mitbeteiligten) im Jahr 2006 liegt in Höhe von EUR 904,19 (inkl. Ausgleichszulage von EUR 672,55), jedoch bei einem seitens der (beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt) berücksichtigten fiktiven Ausgedinge in Höhe von mtl. EUR 151,80. Die (beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt) hat somit ihrer weiteren Beurteilung für den (Mitbeteiligten) und dessen Ehegattin im Jahr 2006 einen monatlichen Ausgleichszulagenrichtsatz in Höhe von insg. brutto EUR 1.055,99 (inkl. einem fiktiven Ausgedinge von mtl. EUR 151,80) zu Grunde gelegt.

Vom (Mitbeteiligten) nicht bestritten ist für ihn und seine Gattin ein monatlicher Bedarf zur Entrichtung von Rezeptgebühren in Höhe von insg. EUR 13,80 zu verzeichnen.

Abgesehen von dem grundsätzlichen Vorbringen zu seinem bisherigen Lebensweg und den stetig steigenden Kosten zur Sicherung des eigenen und des Lebensunterhaltes seiner Gattin verwies der (Mitbeteiligte) auf folgende, in seinem Einzelfall laut eigener Ansicht aktuell besonders berücksichtigungswürdige Umstände:

-

Die bei der Berechnung des Ausgleichszulagenrichtsatzes berücksichtigten Ausgedingeleistung im angenommenen Gegenwert von EUR 151,80 monatlich stehen dem (Mitbeteiligten) und dessen Gattin auf Grund der näher geschilderten tatsächlichen Verhältnisse am und um den bewohnten Bergbauernhof nicht zur Verfügung.

-

Er und seine Gattin sind auf Grund der dargestellten Lebenssituation zwingend auf einen allradgetriebenen Personenkraftwagen angewiesen. Für das in seinem Besitz befindliche Fahrzeug habe er laufende Betriebs- und Erhaltungskosten aufzuwenden.

-

Sowohl er als auch seine Gattin müssen sich in naher Zukunft umfangreicherer (Anm.: und damit offenkundig gemeint vergleichsweise kostenintensiver) Zahnbehandlungen unterziehen.

Seitens der (beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt) wurden die soeben aufgelisteten Punkte nicht in Frage gestellt und ergeben sich aus den vorgelegten Akten keine gegenteiligen Ansatzpunkte. Die diesbezüglichen Sachverhaltselemente werden daher der ggst. Entscheidungsfindung als den Tatsachen entsprechend zu Grunde gelegt.

Festzustellen ist weiters, dass während der gesamten Verwaltungsverfahren bis dato seitens der (beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt) auf das individuelle, seine eigene und die seiner Gattin tatsächliche Lebenssituation betreffende Vorbringen des (Mitbeteiligten) nicht eingegangen wurde. Abgestellt wurde seitens der (beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt) im Ergebnis primär auf den festgestellten monatlichen Medikamentenbezug und das (Brutto)pensionseinkommen des(Mitbeteiligten).

Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Korrektheit der ggst. Rechenabläufe als solche seitens des Einspruchswerbers nicht in Frage gestellt wurden und auch aus den vorgelegten Akten keine Hinweise auf allfällige Rechenfehler ersichtlich sind."

In der Folge gab die belangte Behörde die von ihr als maßgebend erachteten Rechtsvorschriften wieder und führte zu den hier anzuwendenden Richtlinien über die Befreiung von der Rezeptgebühr gemäß § 31 Abs. 5 Z. 16 ASVG (RRZ 2005) aus, dass in den §§ 3, 4 und 5 RRZ 2005 jeweils die Möglichkeit zur Rezeptgebührenbefreiung geregelt sei. Bei der Prüfung gemäß § 5 Abs. 1 RRZ 2005 sei auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Es sei im vorliegenden Fall im Sinne des § 5 Abs. 2 RRZ von einer länger dauernden medikamentösen Behandlung und auch von jedenfalls angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen, wobei für diese Beurteilung auf den Bruttopensionsbezug von EUR 904,19 abzustellen sei. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass dieser Bezug von einer dem Mitbeteiligten und seiner Ehefrau tatsächlich zugute kommenden Ausgedingsleistung im finanziellen Gegenwert von EUR 151,80 monatlich ausgehe. Dabei handle es sich jedoch um eine "fiktive Ausgedingsleistung". Bei der Ermittlung der Höhe des Pensions- oder Ausgleichszulagenanspruchs gemäß § 5 RRZ 2005 fänden individuell zu berücksichtigende Umstände, welche sich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse unmittelbar auswirkten, keine Berücksichtigung. Dies gelte im Beschwerdefall für die unabwendbaren Kosten, die aus dem laufenden Betrieb und der Erhaltung des im Besitz des Mitbeteiligten befindlichen allradbetriebenen Personenkraftwagens entsprängen. Dem Mitbeteiligten würden in naher Zukunft aus einer sowohl bei ihm als auch bei seiner Ehefrau vorzunehmenden Zahnbehandlung weitere Kosten entstehen, die zwangsläufig eine weitere Verminderung des monatlich zur Verfügung stehenden Einkommens nach sich zögen. Allein gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung und ohne nähere ergänzende Ermittlungen durchführen zu müssen, könne daher vor dem Hintergrund eines Bruttoeinkommens in der Höhe von EUR 904,19 für zwei Personen davon ausgegangen werden, dass bereits alleine durch den zwingend notwendigen Betrieb und die Erhaltung seines Kraftfahrzeuges dem Mitbeteiligten laufende Kosten in einer Höhe entstünden, welche jedenfalls rechtlich zulässig eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 5 Satz 1 RRZ 2005 hervorriefen. Diese rechtliche Beurteilung werde durch die in naher Zukunft vorzunehmenden Zahnbehandlungen umso mehr untermauert. Demzufolge seien auch die zu entrichtenden Rezeptgebühren in der Höhe von EUR 13,80 monatlich dazu geeignet, den Grad der bereits gegebenen sozialen Schutzbedürftigkeit umso mehr zu erhöhen, weshalb die Befreiung von der Rezeptgebühr gemäß § 5 RRZ 2005 rechtliche Deckung finde und der Mitbeteiligte seinen diesbezüglichen Anspruch nunmehr erfolgreich habe durchsetzen können. Aus diesen Gründen sei auf die rechtlichen Erwägungen der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt, gestützt auf die Rechtsgrundlagen der §§ 3 und 4, nicht mehr einzugehen. Insbesondere wäre die rechtliche Korrektheit der Anwendung von Brutto- und Nettobeträgen sowie der zu Vergleichszwecken herangezogene Prozentanteil der einschlägigen Rechtssätze einer näheren Prüfung zu unterziehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 86 Abs. 5 BSVG hat der Versicherungsträger bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien von der Einhebung der Rezeptgebühr dann abzusehen, wenn durch die Satzung gemäß Abs. 3 (Herabsetzung der Rezeptgebühr) nichts anderes bestimmt wird.

Gemäß § 31 Abs. 5 Z. 16 ASVG hat der Hauptverband für die Befreiung von der Rezeptgebühr (Herabsetzung der Rezeptgebühr) sowie für die Befreiung vom Service-Entgelt bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des (der) Versicherten Richtlinien aufzustellen; in diesen Richtlinien ist der für die Befreiung (Herabsetzung) in Betracht kommende Personenkreis nach allgemeinen Gruppenmerkmalen zu umschreiben; darüber hinaus ist eine Befreiungs-(Herabsetzungs-)Möglichkeit im Einzelfall in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten sowie der Art und Dauer der Erkrankung vorzusehen.

Die nach dieser Bestimmung vom Hauptverband erlassenen Richtlinien für die Befreiung von der Rezeptgebühr, kundgemacht in der Amtlichen Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet, Nr. 113/2005, sehen in den §§ 3 und 4 bestimmte Befreiungstatbestände vor. Die hier maßgebenden Bestimmungen dieser Verordnung lauten:

"§ 3.(1) Die nachstehend angeführten Bezieher bestimmter Geldleistungen werden wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit von der Rezeptgebühr befreit, wenn die betreffende Geldleistung die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründet:

1. Bezieher einer Ausgleichszulage zu einer Pension aus der Pensionsversicherung,

...

(2) Wenn gemäß § 292 Abs. 8 ASVG (§ 159 Abs. 7 GSVG, § 140 Abs. 7 BSVG) ein Ausgedinge anzurechnen ist, gilt die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 als erfüllt, wenn die Summe aus

-

der Pension (einschließlich einer allfälligen Ausgleichszulage),

-

dem Nettoeinkommen gemäß § 292 ASVG (§ 149 GSVG, § 140 BSVG) - ausgenommen gemäß § 292 Abs. 8 ASVG (§ 149 Abs.7 GSVG, § 140 Abs. 7 BSVG) anzurechnenden Beträge

-

und

-

den mitzuberücksichtigenden Unterhaltsansprüchen in der Höhe des gebührenden bzw. tatsächlich geleisteten Unterhalts (§ 4 Abs. 4) 77 % des nach § 293 Abs. 1 ASVG (§ 150 Abs. 1 GSVG, § 141 Abs. 1 BSVG) in Betracht kommenden Richtsatzes nicht übersteigt.

...

§ 4.(1) Auf Antrag ist eine Befreiung von der Rezeptgebühr wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit auch zu bewilligen,

1. wenn ein Bezieher

-

einer Pension aus der Pensionsversicherung ausschließlich aus dem Grunde des § 293 Abs. 4 ASVG (§ 150 Abs. 4 GSVG, § 141 Abs. 4 BSVG) keinen Anspruch auf Ausgleichszulage hat

bzw.

-

wenn ein Bezieher eines Ruhe- oder Versorgungsgenusses ausschließlich aus dem Grunde des § 26 Abs. 6 zweiter Satz PG keinen Anspruch auf Ergänzungszulage hat;

              2.              wenn das Einkommen eines Versicherten, der weder eine Pension aus der Pensionsversicherung noch einen Ruhe- oder Versorgungsgenuss bezieht, den nach § 293 Abs. 1 lit. a ASVG (§ 150 Abs. 1 lit. a GSVG, § 141 Abs. 1 lit. a BSVG) in Betracht kommenden Richtsatz nicht übersteigt; ...

              3.              wenn ein Versicherter (Angehöriger, für den ein Leistungsanspruch besteht) an Krankheiten oder Gebrechen leidet, durch die ihm erfahrungsgemäß besondere Aufwendungen entstehen, sofern das Einkommen des Versicherten 115 % des nach Z 2 in Betracht kommenden Richtsatzes nicht übersteigt.

(2) Lebt in den Fällen des Abs. 1 Z 2 und 3 der Versicherte mit einer als Angehörige im Sinne des § 123 Abs. 8 lit. b ASVG (Lebensgefährte - § 56 Abs. 6 B-KUVG, § 83 Abs. 8 GSVG, § 78 Abs. 7 BSVG) geltenden Person im gemeinsamen Haushalt, ist der Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG (§ 150 Abs. 1 lit. a sublit. aa GSVG, § 141 Abs. 1 lit. a sublit. aa BSVG) bzw. der entsprechende Richtsatz der Ergänzungszulagenverordnung nach § 26 Abs. 5 Pensionsgesetz zugrunde zu legen.

(3) Bei Beziehern einer Pension aus der Pensionsversicherung ist, wenn gemäß § 292 Abs. 8 ASVG (§ 149 GSVG, § 140 BSVG) ein Ausgedinge anzurechnen ist oder anzurechnen wäre, eine Befreiung von der Rezeptgebühr im Sinne des Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 sowie Abs. 2 dann zu bewilligen, wenn das Einkommen 75 % des nach Abs. 1 Z 2 sowie Abs. 2 in Betracht kommenden Richtsatzes, in den Fällen des Abs. 1 Z 3 sowie Abs. 2 90 % dieses Richtsatzes nicht übersteigt.

(4) Als Einkommen gilt das Nettoeinkommen nach Maßgabe des § 292 ASVG (§ 149 GSVG, § 140 BSVG), ausgenommen gemäß § 292 Abs. 8 ASVG (§ 149 Abs. 7 GSVG, § 140 Abs. 7 BSVG) anzurechnende Beträge. Hiebei sind Unterhaltsansprüche in der Höhe des gebührenden Unterhalts zu berücksichtigen. Ist der tatsächlich geleistete Unterhalt höher als der gebührende, so ist der tatsächlich geleistete Unterhalt heranzuziehen....

...

§ 5.In anderen als den in den §§ 3 und 4 genannten Fällen ist eine Befreiung von der Rezeptgebühr zu bewilligen, wenn sich nach Prüfung der Umstände im Einzelfall herausstellt, dass eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit gegeben ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine länger dauernde medikamentöse Behandlung notwendig ist, die im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten eine nicht zumutbare Belastung mit Rezeptgebühren zur Folge hätte."

Nach der Rechtsprechung zu den - mit den hier anzuwendenden im Wesentlichen gleichlautenden - vom Hauptverband erlassenen Richtlinien für die Befreiung von der Rezeptgebühr, kundgemacht in der "Sozialen Sicherheit" Nr. 114/1996, S. 1065, umschreiben die Richtlinien entsprechend der gesetzlichen Anordnung im § 31 Abs. 5 Z. 16 ASVG zunächst den für die Befreiung von der Rezeptgebühr in Betracht kommenden Personenkreis nach allgemeinen Gruppenmerkmalen. Bei Erfüllung dieser allgemeinen Merkmale, wie sie in den §§ 3 und 4 der Richtlinien normiert sind, liegt besondere soziale Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 136 Abs. 5 ASVG (hier: § 86 Abs. 5 BSVG) unwiderleglich vor. Für die Befreiung in besonderen Fällen, welche auf Grund des § 31 Abs. 5 Z. 16 letzter Halbsatz ASVG in § 5 der Richtlinien vorgesehen ist, ist es erforderlich, dass eine der nach allgemeinen Kriterien umschriebenen besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit im Sinne der §§ 3 und 4 der Richtlinien vergleichbare Situation vorliegt, ohne dass die Tatbestandsmerkmale der §§ 3 und 4 der Richtlinie verwirklicht werden. Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn trotz eines den Richtsatz um mehr als 15 % übersteigenden Einkommens gerade auf Grund der wegen einer länger dauernden medikamentösen Behandlung zu entrichtenden Rezeptgebühren eine soziale Situation eintritt, die jener vergleichbar ist, die auch bei Personen besteht, die die allgemeinen Kriterien der §§ 3 und 4 der Richtlinien erfüllen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Februar 2006, Zl. 2005/08/0087, mwN).

Die belangte Behörde hat die Erteilung der Rezeptgebührenbefreiung ausdrücklich und ausschließlich nur auf § 5 RRZ 2005 gestützt; dies mit der Begründung, dass bei einem Bruttoeinkommen in der Höhe von EUR 904,19 für zwei Personen davon ausgegangen werden könne, dass bereits alleine durch den zwingend notwendigen Betrieb und die Erhaltung eines Kraftfahrzeuges in Verbindung mit der in naher Zukunft vorzunehmenden Zahnbehandlungen sowie bei Rezeptgebühren in Höhe von EUR 13,80 dem Mitbeteiligten laufende Kosten in einer Höhe entstünden, welche jedenfalls eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 5 Satz 1 RZZ 2005 hervorriefen. Offenbar ist sie bei ihrer Beurteilung - wie die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt im erstinstanzlichen Bescheid - davon ausgegangen, die Befreiungstatbestände der §§ 3 und 4 RRZ 2005 lägen nicht vor, andernfalls soziale Schutzbedürftigkeit jedenfalls anzunehmen gewesen wäre, sich eine Prüfung gemäß § 5 RZZ 2005 erübrigt hätte.

Damit ist die belangte Behörde nicht im Recht:

Der Wortlaut der Verordnungsermächtigung des § 31 Abs. 5 Z. 16 ASVG sieht - abgesehen von der darin angeordneten Umschreibung der für die Rezeptgebührenbefreiung in Betracht kommenden Personenkreise nach "allgemeinen Gruppenmerkmalen" - eine "darüber hinaus" vorgesehene Befreiungs- oder Herabsetzungsmöglichkeit "im Einzelfall" nur unter "Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie die Art und Dauer der Erkrankung" vor. Dieser Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung schließt es daher aus, den Begriff der "besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit" in § 136 Abs. 5 ASVG (bzw. hier: § 86 Abs. 5 BSVG) so zu verstehen, dass bei der Beurteilung dieses Kriteriums auch Ausgaben der allgemeinen Lebensführung zu berücksichtigen wären. Dies trifft wegen des Gebotes der gesetzeskonformen Interpretation von Verordnungen naturgemäß auch für die Auslegung des § 5 der Richtlinie über die Befreiung von der Rezeptgebühr zu. Ausgaben der allgemeinen Lebensführung - wie zB Leasingraten, Ausgaben für Gas, Strom und Miete sowie Bekleidung, aber auch Pensionsabzüge aufgrund laufender Exekutionen - sind daher bei der Beurteilung der besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 5 der genannten RL außer Betracht zu lassen (vgl. das Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2003/08/0044).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die belangte Behörde unzutreffend davon ausgegangen, dass die vom Mitbeteiligten behaupteten Mehraufwendungen für ein allradgetriebenes Fahrzeug bzw. für eine erst in der Zukunft durchzuführende Zahnbehandlung zu einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit führen könnten. Während die Kosten für ein Fahrzeug den Belastungen aus der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen sind, wären Kosten für eine Zahnbehandlung zwar grundsätzlich geeignet, bei der Beurteilung nach § 5 RRZ berücksichtigt zu werden; allerdings ist im vorliegenden Fall noch nicht einmal bekannt, ob und welche Kosten auf den Mitbeteiligten dabei zukommen. Die belangte Behörde hat keinen Sachverhalt festgestellt, nach dem das Einkommen des Mitbeteiligten im Zeitraum, für den eine Befreiung von der Rezeptgebühr beantragt worden ist, durch wesentliche Aufwendungen der in Betracht kommenden Art derart geschmälert würde, dass eine zu den Kriterien der §§ 3 und 4 RRZ 2005 vergleichbare Situation vorläge.

Die belangte Behörde hat dem Antrag des Mitbeteiligten, somit in Verkennung der Rechtslage stattgegeben, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 43 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 19. Dezember 2007

Schlagworte

Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006080327.X00

Im RIS seit

07.02.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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