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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §76 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 29. November 2006, Zl. UVS- 01/47/9324/2006/4, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, beantragte am 12. Juni 2001 die Gewährung von Asyl. Die Abweisung dieses Antrages erwuchs in Rechtskraft, nachdem der Beschwerdeführer - im zweiten Rechtsgang - am 30. Mai 2005 eine von ihm erhobene Berufung zurückgezogen hatte.
Am 30. November 2004 hatte der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsangehörige geheiratet und - hierauf gestützt - am 1. Juni 2005 die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau beantragt.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 10. Juni 2006 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung, eines Aufenthaltsverbotes und der Abschiebung. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe (was seine Ehefrau nachträglich in einer Niederschrift vom 14. Juni 2006 bestätigte) lediglich eine Aufenthaltsehe geschlossen.
Während der Anhaltung in Schubhaft, die am 10. Juli 2006 infolge einer durch Hungerstreik herbeigeführten Haftunfähigkeit endete, stellte der Beschwerdeführer am 14. Juni 2006 neuerlich einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2006 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer - begründet mit der erwähnten Aufenthaltsehe - gemäß § 62 Abs. 1 und 2 sowie § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot. Über eine dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde nach der Aktenlage bislang nicht entschieden.
Mit Bescheid vom 2. August 2006 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau abgewiesen. Auch eine dagegen erhobene Berufung ist nach der Aktenlage bislang nicht erledigt worden.
Mit Bescheid vom 9. August 2006 wies das Bundesasylamt den am 14. Juni 2006 gestellten zweiten Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer zugleich gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien aus. Auch über eine dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde bislang noch nicht entschieden.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 20. November 2006 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer "gemäß § 76 Abs. 2 FPG" die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nach § 46 FPG an.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. November 2006 wies die belangte Behörde (Unabhängiger Verwaltungssenat Wien) eine vom Beschwerdeführer am 21. November 2006 erhobene Schubhaftbeschwerde (darin hatte er im Wesentlichen geltend gemacht, er sei bis zuletzt legal als Küchenhilfe beschäftigt gewesen, habe "über ordentliche Wohnverhältnisse verfügt" und sei mit der genannten österreichischen Staatsbürgerin verheiratet geblieben, sodass insgesamt für die Verhängung von Schubhaft jeder aktuelle Anlass gefehlt habe) "gemäß § 76 Abs. 1 und § 83 FPG" als unbegründet ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, die vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 9. August 2006 gegen den Beschwerdeführer verfügte Ausweisung sei durchsetzbar, weil die aufschiebende Wirkung durch den unabhängigen Bundesasylsenat bis dato nicht zuerkannt worden sei. Dennoch sei der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Schon davor habe der Beschwerdeführer "durch die infolge eines Hungerstreikes bewirkte Entlassung aus der Schubhaft mit 10.7.2006 demonstriert, nicht ausreisen zu wollen". Sei ein Fremder nicht gewillt, seinen mit einer durchsetzbaren Ausweisung im Widerspruch stehenden Aufenthalt im Bundesgebiet zu beenden, so sei die Notwendigkeit der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung zu bejahen, zumal es für den Sicherungszweck nach § 76 Abs. 1 FPG genüge, dass die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig erscheine. Vor diesem Hintergrund erweise sich die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft gemäß § 76 Abs. 1 FPG als notwendig und verhältnismäßig, um seine Abschiebung nach Indien zu sichern, wobei in Ansehung seines bisherigen Verhaltens davon auszugehen sei, dass der Sicherungszweck durch gelindere Mittel infolge Ausreiseunwilligkeit nicht erreicht werden könnte.
Auf Grund der "durchsetzbaren Ausweisung (vgl. § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG)" gehe die vom Beschwerdeführer vertretene Ansicht, es müsste vor Verhängung der Schubhaft der Ausgang der auf Grund der Erhebung von Rechtsmitteln noch offenen Verfahren nach dem Asylgesetz, dem NAG betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels und dem FPG betreffend Erlassung eines Rückkehrverbotes abgewartet werden, ins Leere.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass unter einem Asylwerber gemäß § 2 Abs. 1 Z. 14 AsylG 2005 ein Fremder ab Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zu verstehen ist. Die Verhängung von Schubhaft kommt daher lediglich nach einem der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG in Betracht. Hier greift dessen Z. 1, wurde doch gegen den Beschwerdeführer, einen Asylwerber, bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. August 2006 eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 erlassen.
Sämtliche Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind jedoch final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, etwa in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN).
Die Erwägungen der belangten Behörde lassen mehrere Gesichtspunkte ungeprüft, die im Sinn der gebotenen Einzelfallprüfung entscheidungswesentlich gewesen wären:
Insbesondere hat der Beschwerdeführer - wozu die belangte Behörde keine Feststellungen trifft - geltend gemacht, selbst zuletzt noch aufrecht als Zeitungskolporteur (so seine Aussage vom 21. November 2006, Blatt 476 des vorgelegten Verwaltungsaktes) berufstätig gewesen zu sein und über eine Wohnung im Inland verfügt zu haben. Die Unrichtigkeit dieses Vorbringens indizierende Umstände können den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden. Während die Bundespolizeidirektion Wien in ihrem Schubhaftbescheid vom 10. Juni 2006 - im Gegensatz zu der vorangegangenen Anhaltemeldung, der ein Antreffen des Beschwerdeführers an seiner damaligen Wohnadresse zu Grunde gelegen war - noch von "unstetem Aufenthalt" oder "Unterstandslosigkeit" des Beschwerdeführers ausgeht, können der Aktenlage - insbesondere für die Zeit nach der Haftentlassung am 10. Juli 2006 - zwar einmal geänderte, aber ohne erkennbare Unterbrechung aufrecht erhaltene Wohnsitze (Blatt 122, 126, 211, 476 und 506 des vorgelegten Verwaltungsaktes) entnommen werden.
Sollten Berufstätigkeit (als Küchenhilfe oder Kolporteur) und ein kontinuierlich aufrecht erhaltener Wohnsitz im Bundesgebiet festgestellt werden können, was eine Integration in Österreich erkennen ließe, wären keine ausreichenden Gründe zu sehen, die ein Untertauchen des Beschwerdeführers befürchten ließen, sodass bei ihm die Verhängung der Schubhaft geboten gewesen wäre.
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Beschwerdeführers kann für sich allein - entgegen der von der belangten Behörde als zentrales Argument ihrer Begründung vertretenen Ansicht - die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen. Vielmehr ist erst dann, wenn die Zulässigkeit einer Abschiebung bereits feststeht, in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 31. August 2006, Zl. 2006/21/0087, und vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0311, mwN).
Auch die Notwendigkeit der Überwachung der Ausreise stellt eine Abschiebevoraussetzung dar, die von der zusätzlichen Frage der Notwendigkeit, diese durch die Verhängung von Schubhaft zu sichern, zu trennen ist.
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 20. Dezember 2007
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210359.X00Im RIS seit
04.02.2008Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009