TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/20 2006/21/0236

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Veröffentlicht am 20.12.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §44 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 2005 §75 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Matthias Göschke, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Eitelbergergasse 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 28. April 2006, Zl. Senat-FR-06-1051, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Juni 2003 nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Dabei brachte er vor, am 8. November 1980 geboren und daher volljährig zu sein. Später führte er dazu aus, er habe sein Geburtsdatum falsch angegeben. Dies sei einerseits deshalb erfolgt, weil in seinem - bei der Einreise verwendeten - gefälschten Reisepass eben dieses Datum aufgeschienen sei; andererseits hätte er sich als Erwachsener leichter im Bundesgebiet bewegen können.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte nach § 8 AsylG fest, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei.

Der Beschwerdeführer hat sich dem Asylverfahren - nach eigenem Vorbringen - noch im Jahr 2003 durch Flucht aus dem Sondertransitbereich des Flughafens Wien-Schwechat entzogen und ist weiter in die Bundesrepublik Deutschland gereist. Dort beantragte er am 18. Oktober 2004 neuerlich Asyl. Weiters lernte er den deutschen Staatsangehörigen K. kennen, der eine Adoption des Beschwerdeführers beabsichtigte. Im Adoptionsverfahren gab der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum mit 29. August 1988 an.

Am 7. März 2006 wurde der Beschwerdeführer im Zug einer "Dublin-Rückübernahme" von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich überstellt. Hier stellte er am 8. März 2006 neuerlich einen Asylantrag. Im hierüber geführten Verfahren wiederholte er, am 29. August 1988 geboren zu sein.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 10. März 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft an, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und um seine Abschiebung zu sichern.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. April 2006 gab die belangte Behörde (Unabhängiger Verwaltungssenat im Land Niederösterreich) einer vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG keine Folge und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

In ihrer Begründung bejahte sie das Vorliegen des Tatbestandes gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG, weil gegen den Beschwerdeführer bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden sei. Auch sein über Antrag vom 8. März 2006 eingeleitetes Asylverfahren sei rechtskräftig abgeschlossen. Der Beschwerdeführer verfüge schon nach eigenen Angaben "über kein gültiges Dokument, also auch kein Reisedokument", und sei vermögenslos. Der Umstand, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein Adoptionsverfahren anhängig sei, habe auf die Anhaltung keinen Einfluss. Der Beschwerdeführer habe - in Ermangelung einer Zuständigkeit Deutschlands zur Entscheidung über seinen Asylantrag - keine Möglichkeit, nach Deutschland auszureisen.

Die Anordnung der Schubhaft sei deshalb zu Recht erfolgt, weil der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme im Asylverfahren am 10. März 2006 selbst ausgeführt habe, er sei "im Jahr 2003 aus dem Sondertransitbereich des Flughafens Schwechat davongelaufen"; er habe "auf eine Gelegenheit gewartet und die Flucht ergriffen". Die Annahme, dass er sich bei Anwendung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG dem weiteren Verfahren entziehen könnte, sei auf Grund dieses früheren Verhaltens gerechtfertigt.

Zum "Vorbringen der Minderjährigkeit" sei auszuführen, dass diese nunmehrige Behauptung durch keinerlei Unterlagen bewiesen sei, der Beschwerdeführer zu seinem Alter bei seinen beiden Asylanträgen unterschiedliche Angaben gemacht habe und auch ein vorgelegtes Zertifikat einer - näher bezeichneten - indischen Schule (... "admitted into this school on April 1992") unter Zugrundelegung des Geburtsdatums 29. August 1988 nicht glaubhaft sei, weil dies bedeuten würde, dass er schon im Alter von drei Jahren und acht Monaten "die Schule besucht" hätte. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer minderjährig sei.

Insgesamt erweise sich somit die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft erforderlich.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde weist darauf hin, dass der belangten Behörde - neben anderen Unterlagen - ein Schreiben des Gesundheitsamtes der Stadt Kassel (Bundesrepublik Deutschland) vom 26. Juli 2004 vorgelegen ist, wonach "bei o.G. Kind" (= Beschwerdeführer) keine Bedenken gegen den Schulbesuch bestehen. Auch hat der deutsche Staatsangehörige K. in einem im Akt in Kopie erliegenden Schreiben an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Wien vom 26. März 2006 ausgeführt, als er den Beschwerdeführer (im März 2004) kennen gelernt habe, sei er ca. 165 cm groß (also kleiner als der 176 cm große K.) gewesen. Bei Verfassung des Schreibens "dürfte" er dagegen 185 cm groß sein. Das Einsetzen einer derart intensiven Wachstumsphase erst "mit 23 Jahren" sei auszuschließen.

Mit diesen Unterlagen hat sich die belangte Behörde in ihrer - oben wiedergegebenen - Beweiswürdigung, die auch ein Eingehen auf eine mögliche Zeitspanne zwischen Zulassung zum Schulbesuch in Indien und dessen tatsächlichem Beginn vermissen lässt, nicht auseinander gesetzt. Ihre die Feststellungen zum Alter des Beschwerdeführers tragenden Ausführungen können daher nicht als schlüssig angesehen werden.

Sollte nach mängelfreier Beweiswürdigung die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers hervorkommen, würde dies zur Verneinung einer wirksamen Zustellung des den Asylantrag vom 2. Juni 2003 abweisenden Bescheides und damit zur Verneinung des rechtskräftigen Abschlusses dieses Asylverfahrens führen. Das dann noch anhängige Asylverfahren - der am 8. März 2006 gestellte "Antrag" wäre dann als bloße Ergänzung zu werten - müsste gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 und § 44 Abs. 1 AsylG (1997) idF der AsylG-Novelle 2003 nach den Bestimmungen des AsylG (1997) idF vor der letztgenannten Novelle zu Ende geführt werden. Diesfalls käme die von der belangten Behörde ihrer Entscheidung u.a. zu Grunde gelegte und auf das AsylG 2005 Bezug nehmende Bestimmung des § 76 Abs. 2 FPG nicht zum Tragen (vgl. zum Ganzen zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0069, mwN). Der Verfahrensmangel ist somit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schubhaft jedenfalls relevant.

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. Dezember 2007

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteVerfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006210236.X00

Im RIS seit

04.02.2008

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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