TE Vwgh Erkenntnis 2008/1/10 2005/01/0600

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Veröffentlicht am 10.01.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A S in S, geboren 1977, vertreten durch Mag. Christoph Danner, Rechtsanwalt in 4780 Schärding, Lamprechtstraße 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Mai 2005, Zl. 248.592/0- XII/36/04, betreffend Zurückweisung der Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.007,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Februar 2004 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Guinea-Bissau gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 6. März 2004 Berufung.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 23. Mai 2005 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei an der (damaligen) Meldeanschrift des Beschwerdeführers 1070 Wien, Zollergasse 15, mittels RSa verfügt worden; an dieser Anschrift sei der Beschwerdeführer als obdachlos (Kontaktstelle) gemeldet gewesen. Nach zwei erfolglosen Zustellversuchen sei der Bescheid des Bundesasylamtes ab 19. Februar 2004 beim Postamt 1070 Wien hinterlegt worden. Der Beschwerdeführer habe den hinterlegten Bescheid am 27. Februar 2004 behoben. In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die Zustelladresse die Kontaktstelle des Beschwerdeführers gewesen sei und diese gemäß § 19a Abs. 2 "ZustellG" (richtig: Meldegesetz 1991) als seine Abgabestelle gelte. Die Zustellung an dieser Anschrift sei zulässig gewesen. Da der Beschwerdeführer den erstinstanzlichen Bescheid während der Berufungsfrist behoben habe, sei davon auszugehen, dass er mit seiner Kontaktstelle "tatsächlich in Verbindung war". Ausgehend von einer wirksamen Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an der Kontaktstelle sei die Berufung verspätet erhoben worden. Nach dem Zustellschein sei am 19. Februar 2004 der erste Tag der Abholfrist gewesen; der Bescheid gelte gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG mit diesem Tag als zugestellt. Die vierzehntägige Berufungsfrist habe am 4. März 2004 geendet, die Berufung sei jedoch erst am 6. März 2004 "zur Post gegeben" (richtig: per Fax übermittelt) worden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - zu der die belangte Behörde nach Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift erstattete und in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte - hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde vor der Zurückweisung einer Berufung als verspätet entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist - wenn Umstände auf einen solchen hinweisen - oder dem Berufungswerber die Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt die Behörde dies, kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof geltend machen. Geht die Behörde somit von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dem Berufungswerber dies vorgehalten zu haben, hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. hiezu etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Oktober 1998, Zl. 95/18/1054, und vom 30. Jänner 2004, Zl. 2000/02/0218).

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die festgestellte Versäumung der Berufungsfrist nicht vorgehalten.

In der Beschwerde wird aber (u.a.) vorgebracht, aus dem Melderegister ergebe sich, dass der Beschwerdeführer an der Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 15, nur im Zeitraum 17. November 2003 bis 17. Februar 2004, gemeldet gewesen sei. Im Zeitpunkt der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides am 19. Februar 2004 habe der Beschwerdeführer keine Kontaktstelle (und damit auch keine Abgabestelle) in der Zollergasse gehabt. Die Zustellung sei daher erst am 27. Februar 2004 mit der Behebung des Bescheides am Postamt durch den Beschwerdeführer wirksam geworden.

Mit diesem Vorbringen macht der Beschwerdeführer geltend, dass er vor der postamtlichen Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides seine Kontaktstelle als Abgabestelle nicht aufrecht erhalten und dies der Meldebehörde auch mitgeteilt hat. Dieses Vorbringen als wahr unterstellt, wäre der zweite Zustellversuch an einer Adresse erfolgt, die keine Abgabestelle des Beschwerdeführers mehr war. Ausgehend davon hätte die anschließende Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides beim Postamt 1070 Wien auch keine Zustellwirkung entfalten können. Der belangten Behörde - die einen Verspätungsvorhalt unterließ - ist daher ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen, kann schon aufgrund dieses wiedergegebenen Beschwerdevorbringens doch nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.

Soweit die belangte Behörde zur Rechtfertigung der angenommenen Wirksamkeit der Zustellung in der Gegenschrift auf hg. Judikatur betreffend die Ortsabwesenheit eines Empfängers lediglich am Tag des zweiten Zustellversuches (bei Anwesenheit am Tag des ersten Zustellversuches) verweist, ist zu erwidern, dass ein solcher Fall - nach dem wiedergegebenen Beschwerdevorbringen - nicht behauptet wurde; der Beschwerdeführer hat nicht eine Ortsabwesenheit beim zweiten Zustellversuch behauptet, sondern die Aufgabe seiner Kontaktstelle (Abgabestelle) vorgebracht. Dass - wie die belangte Behörde vermutet - dies deshalb geschehen sein soll, um dadurch "die Wirksamkeit der Zustellung zu verhindern", ist nicht erheblich, würde doch eine derartige Aufgabe der Kontaktstelle nur bewirken, dass die zugunsten eines Obdachlosen geschaffene Einrichtung der Kontaktstelle nicht mehr als seine Abgabestelle für Zustellungen zur Verfügung steht und dem Obdachlosen daher - mit für ihn allenfalls verbundenen Schwierigkeiten (vgl. in dieser Hinsicht die Gesetzesmaterialien 424 BlgNR 21.GP, 25) - an einem anderen Ort (etwa durch Hinterlegung bei der Behörde bzw. nach § 8 ZustG) zugestellt werden müsste. Im Beschwerdefall ist zudem festzuhalten, dass der Beschwerdeführer diese Aufgabe der Kontaktstelle am Tag des ersten Zustellversuches (demnach gleichzeitig) der Meldebehörde mitteilte und ein Kausalzusammenhang zwischen diesen am selben Tag erfolgten Vorgängen nicht ohne Weiteres offenkundig (bzw. zwingend) ist.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 10. Jänner 2008

Schlagworte

Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt) Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2005010600.X00

Im RIS seit

14.02.2008

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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