Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §355;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des B G in S, vertreten durch Dr. Heinrich Berger, Rechtsanwalt in 8600 Bruck an der Mur, Schillerstraße 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 6. Dezember 2006, Zl. FA 11A- 61-26m211/19-2006, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens (mitbeteiligte Partei: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65-67, 1201 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der mitbeteiligten Unfallversicherungsanstalt vom 11. Jänner 2005, mit welchem ausgesprochen worden war, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme eines Verfahrens im Zusammenhang mit seinem Unfall vom 13. Oktober 1992 abgewiesen wird, keine Folge gegeben. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe am 13. Oktober 1992 gegen 19.00 Uhr auf der M Straße einen Verkehrsunfall erlitten. Mit dem rechtskräftigen Bescheid der mitbeteiligten Unfallversicherungsanstalt vom 15. Juni 1993 sei der Anspruch auf Leistungen aus Anlass dieses Unfalles abgelehnt worden, da der Verkehrsunfall in keinem zeitlichen, örtlichen oder ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung des Beschwerdeführers als selbständiger Versicherungsmakler gestanden sei. Der Unfall habe sich auf der Heimfahrt nach einem rund fünfstündigen privaten Gasthausaufenthalt ereignet und sei somit nicht unter Versicherungsschutz gestanden. In verschiedenen Telefonaten ab dem 16. November 2004 und in einer schriftlichen Eingabe vom 30. November 2004 habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen vorgebracht, dass der erhebende Angestellte der mitbeteiligten Unfallversicherungsanstalt anlässlich der Befragung am 20. April 1993 den Beschwerdeführer missverstanden habe, als er niederschriftlich festgehalten habe, im Zeitraum seines Gasthausaufenthaltes am Unfalltag habe der Beschwerdeführer mit niemandem ein konkretes Gespräch geführt, das allenfalls im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Versicherungsmakler gestanden wäre. Niederschriftlich habe der Beschwerdeführer am 20. April 2005 unter anderem ausgeführt, dass er zur damaligen Zeit im M Hof beim Wirt L. für seine diversen Geschäftsabschlüsse einen "Abstellraum" zur Verfügung gestellt bekommen habe, für den er auch S 70,-- pro Tag bzw. im Falle von Abschlüssen bezahlt habe. Ferner habe der Beschwerdeführer E. als Zeugen angegeben. L. habe am 7. März 2006 niederschriftlich ausgesagt, dass er am Nachmittag des Unfalltages die meiste Zeit in der Küche gewesen sei. Soweit er sich erinnern könne, sei der Beschwerdeführer in der Kegelbahn gewesen. L. könne sich jedoch in keiner Weise erinnern, mit dem Beschwerdeführer über Versicherungsangelegenheiten gesprochen zu haben. Auch habe der Beschwerdeführer von ihm seinerzeit für diverse Geschäftsabschlüsse keinen Raum gemietet und, soweit er gehört habe bzw. er wisse, habe der Beschwerdeführer auch nicht mit seinen Eltern irgendeine Mietvereinbarung dieser Art abgeschlossen. E. habe am 7. März 2006 niederschriftlich angegeben, dass er am Nachmittag des 13. Oktober 1992 um 15.00 Uhr Dienstschluss gehabt und nach diversen Einkäufen sich im Gasthof M Hof aufgehalten habe. Er habe dort den Beschwerdeführer getroffen, habe jedoch keinen Termin mit ihm vereinbart gehabt. Schon Wochen zuvor habe ihn der Beschwerdeführer wegen diverser Versicherungen angesprochen, da er jedoch bereits pragmatisiert gewesen sei, habe er kein Interesse mehr an den Versicherungen gehabt. Soweit er sich erinnern könne, habe der Beschwerdeführer auch an diesem Nachmittag ca. eine Stunde mit ihm über diverse Versicherungen gesprochen, jedoch über nichts Konkretes. Der Beschwerdeführer sei eigentlich immer "besessen" von seiner Arbeit gewesen, zu konkreten Abschlüssen sei es jedoch nie gekommen. Zusammenfassend stellte die belangte Behörde fest, L. schließe dezidiert jede dienstliche Besprechung mit dem Beschwerdeführer aus, und es könne auch eine allfällige "Mietvereinbarung" nicht bestätigt werden. E. habe mit dem Beschwerdeführer weder einen Termin vereinbart noch irgendein Interesse an irgendwelchen Versicherungen gehabt, was er auch Wochen zuvor dem Beschwerdeführer deutlich kundgetan habe. Die Zeugenaussagen deckten sich mit der Aussage des Beschwerdeführers, die er am 20. April 1993 gegenüber der mitbeteiligten Unfallversicherungsanstalt gemacht habe, wobei er unter anderem angegeben habe, dass er im Zeitraum seines Gasthausaufenthaltes am Unfalltag mit niemandem ein konkretes Gespräch geführt habe, das allenfalls im Zusammenhang mit seiner Versicherungsmaklertätigkeit gestanden wäre. Weiters habe er an diesem Tag auch keinen Versicherungsabschluss getätigt. Die Befragung sei ca. sechs Monate nach dem Unfall des Beschwerdeführers erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt könne wohl nicht mehr von einer "Verwirrtheit" ausgegangen werden, wie sie der Beschwerdeführer in seinem Einspruch erwähne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 357 Abs. 1 ASVG gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern unter anderem die Bestimmungen der §§ 69 und 70 AVG über die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend. Bei der Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag durch einen Sozialversicherungsträger handelt es sich um eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG. Der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, mit dem in einer Leistungssache die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt wird, ist im Verwaltungsweg durch Einspruch an den Landeshauptmann zu bekämpfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2003/08/0093, mwN).
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er die Zeugen L. und E. namhaft gemacht habe zur Auskunft darüber, wie sich die Situation im Gasthof gestaltet habe. Dabei gehe es nicht darum, dass diese Zeugen über den konkreten Inhalt des Geschehens hätten befragt werden sollen, sondern es würde genügen, wenn feststünde, dass diese Zeugen Beobachtungen gemacht hätten und diese auch wiedergeben könnten. Indem die belangte Behörde diese Zeugen im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens soweit befragt habe, dass sie erforscht habe, wie der Beschwerdeführer seine Berufsausübung im Gasthaus durchgeführt habe, so liege eine Vorwegnahme einer Beweiswürdigung vor, zu der der Beschwerdeführer nicht nur gesondert hätte müssen Stellung nehmen können, sondern es hätte ihm auch ermöglicht werden müssen, für den Fall einer unrichtigen Beweiswürdigung Rechtsmittel zu ergreifen. Für die Stattgebung des Wiederaufnahmeantrages hätte es genügt, wenn die belangte Behörde festgestellt hätte, dass die Zeugen E. und L. im Gasthof zum entsprechenden Zeitpunkt anwesend gewesen seien und Beobachtungen bezüglich des Beschwerdeführers gemacht hätten.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Ein voraussichtlich im Hauptinhalt des Spruches anders lautender Bescheid im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG hätte sich im vorliegenden Zusammenhang nur ergeben können, wenn die Zeugenaussagen eine Tätigkeit des Beschwerdeführers in Ausübung seines Berufes als Versicherungsmakler betroffen hätten. Dass der Beschwerdeführer zum gegenständlichen Zeitpunkt im Gasthof war, ist unbestritten und stand bereits in dem nach Ansicht des Beschwerdeführers wieder aufzunehmenden Verfahren fest. Es kann somit aber nicht ausreichen, wenn die Zeugen zur fraglichen Zeit im Gasthof anwesend gewesen sind und irgendwelche Beobachtungen bezüglich des Beschwerdeführers gemacht haben.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen. Unter Beachtung der nämlichen Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, der Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, mit der Begründung entgegen zu treten, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre. Die belangte Behörde ist zwar gehalten, in der Begründung ihres Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammen zu fassen (§ 60 AVG), sie ist aber nicht verpflichtet, allen sonst noch denkbaren, schlüssig begründbaren Sachverhaltsvarianten im Einzelnen nachzugehen, wenn sie sich nur mit allen Umständen schlüssig und nachvollziehbar auseinander gesetzt hat, die für und wider die von ihr getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sprechen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2007, Zl. 2005/08/0212, mwN).
Ausgehend davon kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegen getreten werden, wenn sie zu dem Schluss gekommen ist, dass die Zeugenaussagen des L. und des E. nicht geeignet sind, voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeizuführen, zumal diese mit der Aussage des Beschwerdeführers vom 20. April 1993 im Einklang stehen.
Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, man hätte S. als Zeugen vernehmen müssen, der jene Erhebungen geführt habe, die Grundlage für den Bescheid im Jahr 1993 gewesen seien. Es wäre notwendig gewesen, S. die Darstellung des Beschwerdeführers vorzuhalten, wonach sich dieser anlässlich der Niederschrift vom 24. April 1993 in einer physisch und psychisch beeinträchtigten Situation befunden habe, die ihn außer Stande gesetzt habe, alle Beweismittel zur Festigung der Richtigkeit seines Vorbringens darzulegen bzw. die entsprechenden Beweisanträge zu stellen.
Zu diesem Vorbringen ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer nicht darlegt, welche konkreten Beweisanträge er ohne die behauptete Beeinträchtigung gestellt hätte. Soweit er sich mit diesem Vorbringen auf die Einvernahmen der Zeugen L. und E. beziehen sollte, die er seinerzeit allenfalls begehrt hätte, wurde bereits oben festgehalten, dass deren Aussagen, die nunmehr vorliegen, zu keinem anderen Bescheid geführt hätten. Der Beschwerdeführer zeigt somit jedoch die Relevanz des von ihm behaupteten Verfahrensmangels, der in der Unterlassung der zeugenschaftlichen Einvernahme des S. bestehen soll, insgesamt nicht auf.
Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, die bereits niederschriftlich am 20. April 1993 vernommene Zeugin K. wäre neuerlich zum Sachverhalt betreffend die Situation im Gasthaus zu befragen gewesen. Dies deshalb, um einerseits beweismäßig festzustellen, wie E. und L. zum fraglichen Zeitpunkt "mit dem Beschwerdeführer in Gesprächsverbindung" gestanden seien, und andererseits als konsequente Ergänzung einer Befragung der Zeugen L. und E.
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass K. etwas zum Inhalt seiner Gespräche zur fraglichen Zeit im Gasthaus hätte aussagen können. Allein der Umstand, "wie" der Beschwerdeführer mit E. und L. in Gesprächsverbindung gewesen ist, kann für das Ergebnis des Verfahrens keine Rolle spielen. Der Beschwerdeführer zeigt daher auch diesbezüglich die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf.
Des Weiteren bringt der Beschwerdeführer vor, dass der Vater von L. zu vernehmen gewesen wäre, da sich aus den Unterlagen ergebe, dass die Anmietung eines Raumes im Gasthaus für berufliche Zwecke des Beschwerdeführers nicht mit L., sondern mit dessen Vater zu Stande gekommen sei.
Dieses Beschwerdevorbringen ist schon deshalb nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen, da der Beschwerdeführer weder hinsichtlich der Tatsache der Anmietung eines Raumes noch hinsichtlich des Beweismittels einer Zeugenaussage des Vermieters behauptet, dass diese für ihn erst neu hervorgekommen sind. Er legt in keiner Weise dar, dass bzw. aus welchen Gründen ihm die Tatsache der Anmietung bzw. die Person des Vermieters, der darüber hätte Auskunft geben können, verborgen geblieben seien.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 69 Abs. 2 dritter Satz AVG nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden kann. Außerdem ist gemäß § 69 Abs. 3 AVG nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides eine Wiederaufnahme aus den Gründen des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG auch von Amts wegen nicht mehr möglich. Im vorliegenden Fall stammt der das nach Meinung des Beschwerdeführers wiederaufzunehmende Verfahren beendende Bescheid vom 15. Juni 1993. Eine Wiederaufnahme erscheint daher auch im Hinblick auf die genannten Regelungen des § 69 AVG ausgeschlossen.
Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 23. Jänner 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007080011.X00Im RIS seit
18.02.2008Zuletzt aktualisiert am
01.10.2008