Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ZustG §1 Abs2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2006/19/0607 2006/19/0609 2006/19/0608Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden 1. des I, vertreten durch Mory & Schellhorn OEG, Rechtsanwaltsgemeinschaft in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, 2. der E, 3. der T, und 4. der B, alle vertreten durch Dr. Karl Wampl und Dr. Elisabeth Mühlberger, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Künstlerhausgasse 4, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenats (ad 1.) vom 24. August 2005, Zl. 243.713/0-VII/43/03 betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997, sowie (ad 2. bis 4.) vom 25. August 2005, Zlen. 243.712/0-VII/43/03, 243.714/0-VII/43/03 und 243.715/0- VII/43/03, betreffend §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Sie alle sind Staatsangehörige der Russischen Förderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Am 30. August 2003 gelangten sie in das Bundesgebiet, nachdem sie bereits in Polen und Tschechien Asylanträge gestellt hatten. Der Erstbeschwerdeführer stellte am selben Tag einen Asylantrag. Als Fluchtgrund gab er an, in Tschetschenien aufgrund ständiger Verfolgung nicht mehr leben zu können. Er habe im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft und danach als Polizist gearbeitet. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen stellten Asylerstreckungsanträge gemäß §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) in Bezug auf den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers mangels Glaubwürdigkeit der Verfolgungsbehauptung gemäß § 7 AsylG ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG für zulässig. Beweiswürdigend führte es zusammengefasst aus, der Erstbeschwerdeführer habe in seinen drei (in Polen, Tschechien und Österreich durchgeführten) Asylverfahren "stark abweichende Angaben" getätigt. Die Asylerstreckungsanträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen wies das Bundesasylamt mit Bescheiden vom selben Tag ab.
Gegen diese Entscheidungen erhoben die beschwerdeführenden Parteien Berufung. Der Erstbeschwerdeführer beantragte in seiner Berufung, in der er die Beweiswürdigung des Bundesasylamts bekämpfte, die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, an der weder der Erstbeschwerdeführer noch dessen Rechtsvertreter teilgenommen hatten, die Berufung ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in die Russische Föderation für zulässig. Die belangte Behörde ging - wie schon das Bundesasylamt - von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus. Im Verfahren sei auch nicht hervorgekommen, dass dem Erstbeschwerdeführer in Tschetschenien jedwede Lebensgrundlage entzogen sei. Beweiswürdigend wurde - über die Argumente des Bundesasylamts hinausgehend - ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen von einem zum anderen Asylverfahren im Hinblick auf seine Teilnahme am Tschetschenienkrieg, insbesondere aber auch zu seiner Tätigkeit als Polizist, gesteigert. Überdies habe er es trotz ausgewiesener Ladung unterlassen, die Widersprüche anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung aufzuklären, und sei damit der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Im Anschluss daran wurden auch die Berufungen der Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide gerichtete (mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2007 im Hinblick auf den Erstbeschwerdeführer ergänzte) Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
1. In der Beschwerde wird als Verfahrensmangel die Unterlassung der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers gerügt. Die belangte Behörde habe offenbar am 1. August 2005 versucht, die Ladung zur - in der Berufung beantragten - mündlichen Verhandlung den Rechtsvertretern der beschwerdeführenden Parteien mittels Telefax zuzustellen, dieses Telefaxschreiben sei jedoch in der Rechtsanwaltskanzlei niemals eingelangt. Der (der Beschwerde beigelegte) automatische Aktivitätsbericht des Telefaxempfängers der Rechtsanwaltskanzlei zeige für den Zeitpunkt der versuchten Telefaxsendung unter der Telefonnummer der belangten Behörde bei "Empfang" einen "Kommunikationsfehler mit der Identitätsnummer 791" an. Von derselben Telefonnummer sei auch am 25. August 2005 insgesamt fünfmal versucht worden, den nunmehr angefochtenen Bescheid zu faxen, was aufgrund desselben Kommunikationsfehlers nicht gelungen sei. Die Zustellung des angefochtenen Bescheides sei daraufhin - nach telefonischer Kontaktaufnahme des Sekretariats der Rechtsanwaltskanzlei mit dem Sekretariat des zuständigen Mitglieds der belangten Behörde - auf dem Postweg erfolgt. Anschließend wird näher begründet, warum die belangte Behörde bei ordnungsgemäßer Ladung des Erstbeschwerdeführers zur Berufungsverhandlung zu einem anderen, für ihn günstigen Bescheid gekommen wäre.
2. Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten hatten die Rechtsvertreter dem zuständigen Mitglied der belangten Behörde am 26. August 2005 (dem Tag der postalischen Zustellung des angefochtenen Bescheides) schriftlich mitgeteilt, dass die Ladung zur mündlichen Verhandlung in der Rechtsanwaltskanzlei niemals eingelangt sei. Ebenso wie bei dem Versuch, den angefochtenen Bescheid mittels Telefax zuzustellen, scheine zum Zeitpunkt der Übertragung der Ladung (1. August 2005, 13:25 Uhr) auf dem diesem Schreiben angeschlossenen Aktivitätsbericht des Faxgerätes der Rechtsanwaltskanzlei ein "Kommunikationsfehler 791" auf, der eine Übermittlung unmöglich mache.
Im Verwaltungsakt befindet sich ein Sendebericht, nach dem die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 1. August 2005 um 13:22 Uhr an die Kanzlei der Rechtsvertreter gefaxt wurde. Das Faxprotokoll der belangten Behörde zeigt als Ergebnis der gegenständlichen Übertragung "OK" an. In einem - im Zusammenhang mit dem vorliegenden Problem im Auftrag des entscheidenden Mitglieds der belangten Behörde verfassten - behördeninternen "Ersuchen um technische Abklärung" vom 29. August 2005 wird darauf hingewiesen, "dass immer wieder Beschwerden von Fax-Empfängern einlangen, dass die Übermittlungen vom UBAS Probleme aufwerfen". Beantwortet wurde dieses Ersuchen am 30. August 2005 dahingehend, dass im Hinblick auf die positive Faxbestätigung "eine weitere
technische Abklärung ... seitens des Bereiches Personal-
Verwaltung und Budget (Anm.: der belangten Behörde) nicht erforderlich" sei. Weitere Ermittlungen stellte die belangte Behörde nicht an. Sie bestritt anlässlich der (ohne Gegenschrift erfolgten) Aktenvorlage an den Verwaltungsgerichtshof auch nicht das Vorliegen des in der Beschwerde genannten "Kommunikationsfehlers 791", der eine Zustellung der Ladung des Erstbeschwerdeführers zur Berufungsverhandlung verhindert habe.
3. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2004/06/0170, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführte, war eine Zustellung durch Telefax bis 31. Dezember 2007 grundsätzlich zulässig (zur Zulässigkeit über dieses Datum hinaus s. nunmehr das Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 5/2008). Mit Telefax übermittelte Erledigungen gelten als zugestellt, sobald die Daten der übermittelten Sendungen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen (§ 1 Abs. 2 iVm § 26a Zustellgesetz idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004; vgl. § 40 Abs. 5 Zustellgesetz idF der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004).
Die belangte Behörde zog das Vorliegen des in der Beschwerde behaupteten "Kommunikationsfehlers 791", der eine Übermittlung der Ladung an den Erstbeschwerdeführer unmöglich gemacht habe, nicht in Zweifel. Sie vertrat nach dem Inhalt der Verwaltungsakten ohne weitere Ermittlungen vielmehr den Standpunkt, die positive Faxbestätigung sei jedenfalls Beweis für eine tatsächlich erfolgte Zustellung. In der Rechtsprechung wurde jedoch bereits erkannt, dass auch bei missglückter Datenübermittlung ein "OK-Vermerk" technisch möglich ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. September 1996, Zl. 96/14/0042, mit Hinweis auf das Urteil des deutschen BGH vom 7. Dezember 1994, NJW 1995, 665 ff).
Somit steht im vorliegenden Fall nicht fest, dass die Ladung in den elektronischen Verfügungsbereich der Rechtsvertreter des Erstbeschwerdeführers gelangt ist. Dieses Ergebnis wird durch ein dem Verwaltungsgerichtshof von den beschwerdeführenden Parteien am 28. Februar 2007 vorgelegtes Schreiben des technischen Service der Herstellerfirma des Telefaxgeräts bestätigt, wonach es nicht möglich sei, die Ursache des "Kommunikationsfehlers 791" zu ermitteln, da dieser in den technischen Unterlagen nicht verzeichnet sei; sie könnte sowohl beim Sender als auch beim Empfänger des Faxes liegen. Ist aber das Einlangen der Daten im elektronischen Verfügungsbereich der Rechtsvertreter nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar, so ist von der Behauptung des Erstbeschwerdeführers, die Ladung sei ihm nicht zugestellt worden, auszugehen (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2007/21/0019, 0051, mwN).
4. Dass die Durchführung einer Berufungsverhandlung erforderlich war, wird von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht bezweifelt (zur Verhandlungspflicht - die hier schon wegen der Ergänzung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung durch die belangte Behörde vorlag - vgl. grundsätzlich das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533). Es ist auch nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des in der Beschwerde gerügten Verfahrensfehlers, nämlich der Unterlassung der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers im Rahmen einer Berufungsverhandlung, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
5. Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Mit der Aufhebung dieses Bescheides ist das Verwaltungsverfahren über den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers mit Wirkung ex tunc wieder offen. Die Bescheide, mit denen die Asylerstreckungsanträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen abgewiesen wurden, sind insofern vor rechtskräftiger Entscheidung über den Hauptantrag ergangen und aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zlen. 2003/01/0186, 0289, 0290, mwN). Sie waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 24. Jänner 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006190606.X00Im RIS seit
25.03.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013