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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Keine verfassungsgesetzliche Grundlage der bloß einfachgesetzlichen Ermächtigung zur Berichtigung auch materieller Fehler bei der Kundmachung eines Gesetzes im Rahmen einer Druckfehlerberichtigung durch den Bundeskanzler; Verstoß gegen das Gebot der vollständigen Publikation eines Gesetzesbeschlusses im Bundesgesetzblatt; keine verfassungskonforme Auslegung im Wege der Versteinerung des Druckfehlerbegriffs oder einer systematischen Interpretation möglich; Widerspruch auch zum Rechtsstaatsprinzip; Gesetzwidrigkeit der Druckfehlerberichtigung hinsichtlich der Ambulanzgebühr im Hinblick auf die bereinigte Rechtslage nach Aufhebung der gesetzlichen Ermächtigung und Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Teils der gesetzlichen Regelung der Ambulanzgebühr wegen nicht ordnungsgemäßer KundmachungSpruch
§135a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung des Art1 Z2 des Bundesgesetzes, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden, BGBl. I Nr. 35/2001, war verfassungswidrig.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. §135a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001, lautete wie folgt:
"Behandlungsbeitrag - Ambulanz
§135a. (1) Für jede Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung nach diesem Abschnitt
1. in Krankenanstalten, die über Landsfonds finanziert werden,
2. in bettenführenden Vertragskrankenanstalten,
3. in bettenführenden eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge-(Gesunden-)Untersuchung handelt,
ist pro Ambulanzbesuch ein Behandlungsbeitrag zu zahlen. Liegt ein entsprechender Überweisungsschein vor, so beträgt der Behandlungsbeitrag 150 S, sonst 250 S. Der Behandlungsbeitrag darf pro Versicherten (Angehörigen) 1 000 S im Kalenderjahr nicht übersteigen. Der Behandlungsbeitrag ist jeweils für ein Quartal im Nachhinein, erstmalig spätestens am 1. Oktober 2001, einzuheben.
(2) Der Behandlungsbeitrag darf nicht eingehoben werden
1. für Kinder nach §123 Abs2 Z2 bis 6 und Abs4 sowie Kinder nach §260 ohne anderes Einkommen,
2. wenn in medizinischen Notfällen, wegen Lebensgefahr oder aus anderen Gründen unmittelbar eine stationäre Aufnahme erfolgt,
3. in Fällen, in denen ein Auftrag eines Sozialversicherungsträgers oder eines Gerichts im Zusammenhang mit einem Verfahren über Leistungssachen zur Einweisung in eine Ambulanz zwecks Befundung und Begutachtung (§22 Abs3 zweiter Halbsatz KAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 5/2001) vorliegt,
4. für Personen, die auf Grund der Richtlinien nach §31 Abs5 Z16 von der Rezeptgebühr befreit sind,
5. für Personen, die Leistungen infolge einer Schwangerschaft im Rahmen des Mutter-Kind-Passes oder Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft in Anspruch nehmen,
6. für Personen, die Teile des Körpers nach §120 Abs2 oder Blut(plasma) spenden,
7. bei Behandlung für Dialyse oder bei Strahlen- oder Chemotherapie in Ambulanzen,
8. wenn der (die) Versicherte (Angehörige) im Zusammenhang mit ein und demselben Behandlungsfall an Ambulanzen anderer Fachrichtungen weiterüberwiesen wird.
Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist oder sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist.
(3) Die Einhebung des Behandlungsbeitrages erfolgt durch die zuständigen Krankenversicherungsträger, denen auch die Feststellung jener Fälle obliegt, in denen nach Abs2 kein Behandlungsbeitrag eingehoben werden darf. Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten.
(4) Die mit der Einhebung des Behandlungsbeitrages verbundenen Verwaltungskosten der Krankenversicherungsträger dürfen je Kalenderjahr mit nicht mehr als 6,5% der Summe der in diesem Kalenderjahr vorgeschriebenen Behandlungsbeiträge verrechnet werden und sind bei der Rückführung des Verwaltungs- und Verrechnungsaufwandes nach §588 Abs14 außer Acht zu lassen."
1.2. Im Rahmen des Sozialversicherungs-Währungsumstellungs-Begleitgesetzes - SV-WUBG, BGBl. I Nr. 67/2001, wurden die in §135a ASVG enthaltenen Schilling-Beträge durch die entsprechenden Euro-Beträge ersetzt. Diese Änderung steht seit dem 1. Jänner 2002 in Kraft (§594 Abs1 ASVG).
1.3. Mit Z9 der Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt, BGBl. I Nr. 114/2002, ausgegeben am 6. August 2002, wurde ein der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 anhaftender Fehler berichtigt:
Die zunächst kundgemachte Version des §135a Abs3 ASVG hatte nämlich - in ihrem zweiten Satz - die Wortfolge "vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien (§31 Abs5 Z16b) bei Vorliegen einer besonderen" nicht enthalten. Mit der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 wurde der zweite Satz des §135a Abs3 ASVG in seiner dem Beschluß des Nationalrates vom 2. April 2001 entsprechenden Fassung zur Gänze neu kundgemacht; er lautet somit wie folgt:
"(3) ... Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien (§31 Abs5 Z16b) bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten."
1.4. Mit der Z24 des Bundesgesetzes, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (60. Novelle zum ASVG), BGBl. I Nr. 140/2002, ausgegeben am 20. August 2002, wurde der letzte Satz des §135a Abs2 ASVG neu gefaßt und lautet somit wie folgt:
"Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch
a) durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist, sofern der (die) Versicherte nach §91 StGB rechtskräftig verurteilt wurde, oder
b) sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist."
Diese Änderung steht seit dem 1. September 2002 in Kraft (vgl. §600 Abs1 Z1 ASVG).
2. Mit Art6 Z3a-3c des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 155/2002, ausgegeben am 4. Oktober 2002, wurden die Abs2 und 3 des §135a ASVG in mehreren Punkten abgeändert. §135a ASVG hat seitdem folgende Fassung (alle Änderungen sind hervorgehoben):
"Behandlungsbeitrag - Ambulanz
§135a. (1) Für jede Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung nach diesem Abschnitt
1. in Krankenanstalten, die über Landsfonds finanziert werden,
2. in bettenführenden Vertragskrankenanstalten,
3. in bettenführenden eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge-(Gesunden-)Untersuchung handelt,
ist pro Ambulanzbesuch ein Behandlungsbeitrag zu zahlen. Liegt ein entsprechender Überweisungsschein vor, so beträgt der Behandlungsbeitrag 10,90 €, sonst 18,17 €. Der Behandlungsbeitrag darf pro Versicherten (Angehörigen) 72,67 € im Kalenderjahr nicht übersteigen. Der Behandlungsbeitrag ist jeweils für ein Quartal im Nachhinein, erstmalig spätestens am 1. Oktober 2001, einzuheben.
(2) Der Behandlungsbeitrag darf nicht eingehoben werden
1. für Kinder nach §123 Abs2 Z2 bis 6 und Abs4 sowie Kinder nach §260 ohne anderes Einkommen,
2. wenn in medizinischen Notfällen, wegen Lebensgefahr oder aus anderen Gründen eine stationäre Aufnahme erfolgt oder wenn in diesem Zusammenhang eine anderweitige medizinische Versorgung im extramuralen Bereich nicht in Betracht kommt,
3. in Fällen, in denen ein Auftrag eines Sozialversicherungsträgers oder eines Gerichts im Zusammenhang mit einem Verfahren über Leistungssachen zur Einweisung in eine Ambulanz zwecks Befundung und Begutachtung (§22 Abs3 zweiter Halbsatz KAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 5/2001) vorliegt,
4. für Personen, die auf Grund der Richtlinien nach §31 Abs5 Z16 von der Rezeptgebühr befreit sind,
5. für Personen, die Leistungen infolge einer Schwangerschaft im Rahmen des Mutter-Kind-Passes oder Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft in Anspruch nehmen,
6. für Personen, die Teile des Körpers nach §120 Abs2 oder Blut(plasma) spenden,
7. bei Behandlung für Dialyse oder bei Strahlen- oder Chemotherapie in Ambulanzen,
8. wenn der (die) Versicherte (Angehörige) im Zusammenhang mit ein und demselben Behandlungsfall an Ambulanzen anderer Fachrichtungen weiterüberwiesen wird,
9. wenn Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden erforderlich sind, die außerhalb einer Krankenanstalt in angemessener Entfernung dem Patienten nicht in geeigneter Weise oder nur unzureichend zur Verfügung stehen.
Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch
a) durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist, sofern der (die) Versicherte nach §91 StGB rechtskräftig verurteilt wurde, oder
b) sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist.
(3) Die Einhebung des Behandlungsbeitrages erfolgt durch die zuständigen Krankenversicherungsträger, denen auch die Feststellung jener Fälle obliegt, in denen nach Abs2 kein Behandlungsbeitrag eingehoben werden darf. Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien (§31 Abs5 Z16b) bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten. Darüber hinaus kann der Versicherungsträger auf Antrag des (der) Versicherten in besonders berücksichtigungswürdigen Einzelfällen, insbesondere bei Behandlung vergleichbar (Abs2 Z7) schwerwiegender und therapieintensiver Krankheiten sowie in Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, von der Einhebung des Behandlungsbeitrages auf bestimmte Zeit absehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückerstatten.
(4) Die mit der Einhebung des Behandlungsbeitrages verbundenen Verwaltungskosten der Krankenversicherungsträger dürfen je Kalenderjahr mit nicht mehr als 6,5% der Summe der in diesem Kalenderjahr vorgeschriebenen Behandlungsbeiträge verrechnet werden und sind bei der Rückführung des Verwaltungs- und Verrechnungsaufwandes nach §588 Abs14 außer Acht zu lassen."
Mit dem eingangs bezeichneten Bundesgesetz wurden dem ASVG auch folgende "Schlussbestimmungen" angefügt, die - auszugsweise - wie folgt lauten:
"Schlussbestimmungen zum Bundesgesetz BGBl. I Nr. 155/2002
§603. (1) ...
(2) §135a Abs2 und 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 155/2002 tritt mit 1. Oktober 2002 in Kraft und ist auf alle anhängigen Fälle, weiters über Antrag des Versicherten auch auf Fälle, in denen der Behandlungsbeitrag-Ambulanz bereits entrichtet wurde, sowie auf Rückerstattungsanträge nach §135a Abs3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 155/2002 anzuwenden."
II. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B9/02, B224/02, B225/02 und B614/02 Beschwerden gemäß Art144 Abs1 B-VG gegen Bescheide anhängig, mit denen den beschwerdeführenden Parteien für die Inanspruchnahme einer Krankenhausambulanz im Jahr 2001 ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz vorgeschrieben worden ist. Aus Anlaß dieser Verfahren hat der Verfassungsgerichtshof am 29. Juni 2002 beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §135a ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 einzuleiten.
Bedenken waren beim Verfassungsgerichtshof dahin entstanden, daß ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz nicht nur in den einem Lenkungseffekt zur Vermeidung nicht erforderlicher Ambulanzbesuche zugänglichen Fällen einzuheben gewesen sei, sondern auch dann, wenn die betreffende medizinische Versorgung nicht (oder nicht in zumutbarer Erreichbarkeit für die Patienten) auch bei einem niedergelassenen Arzt verfügbar wäre, der Patient somit darauf angewiesen sei, eine Krankenhaus-Ambulanz in Anspruch zu nehmen. Insoweit schienen dem Verfassungsgerichtshof für die Inanspruchnahme von Ambulanzen bettenführender Krankenanstalten hinsichtlich ihrer Funktion, eine flächendeckende medizinische Versorgung zu gewährleisten, die bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.787/2000 dargelegten Erwägungen zu gelten, woran der Gerichtshof das Bedenken knüpfte, daß eine sachliche Rechtfertigung für eine Erschwerung der Inanspruchnahme einer medizinischen Versorgungsleistung durch die Einhebung eines speziellen Kostenbeitrages im Sinne des erwähnten Vorerkenntnisses nicht zu finden sein dürfte. Die Ausnahmebestimmungen des §135a Abs2 ASVG in der in den Anlaßfällen anscheinend anzuwendenden Fassung schienen dem Gerichtshof den Gesichtspunkt der notwendigen Inanspruchnahme einer Krankenhausambulanz (also zB die Fälle des §26 Z3 KAKuG) überhaupt nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus hegte der Gerichtshof Bedenken ob der Sachlichkeit der Abgrenzung einzelner Ausnahmen vom Behandlungsbeitrag-Ambulanz in §135a Abs2 ASVG.
1.2. Die Bundesregierung hat in diesem - zu G218-221/02 geführten - Gesetzesprüfungsverfahren eine schriftliche Äußerung zum Gegenstand erstattet, worin sie die Verfassungsmäßigkeit des §135a ASVG verteidigt.
2.1. Am 11. Oktober 2002 beschloß der Verfassungsgerichtshof, die Gesetzmäßigkeit der Z9 der Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt, BGBl. I Nr. 114/2002, sowie die Verfassungsmäßigkeit des dieser Kundmachung anscheinend zugrunde liegenden §2a Abs2 des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1996 (BGBlG), BGBl. Nr. 660/1996 idF des Art1 Z4 des Budgetbegleitgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 47/2001, von Amts wegen zu prüfen.
Diese Normenprüfungsverfahren sind zu G368-371/02, V81-84/02 geführt worden.
2.2. Am selben Tag beschloß der Verfassungsgerichtshof in den oben erwähnten Anlaßfällen, die Verfassungsmäßigkeit des §135a ASVG unter dem Gesichtspunkt des - weiteren - Bedenkens zu prüfen, daß die am 18. April 2001 kundgemachte Fassung des §135a ASVG nicht mit dem entsprechenden, vom Bundespräsidenten beurkundeten Beschluß des Nationalrates vom 2. April 2001 übereinstimmen und somit in verfassungswidriger Weise kundgemacht worden sein dürfte. In diesem Beschluß stellte der Verfassungsgerichtshof klar, daß dieses weitere Bedenken lediglich dann begründet wäre, wenn die Z9 der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 als gesetzwidrig aufgehoben werden würde.
Das Gesetzesprüfungsverfahren über dieses - weitere - Bedenken ist zu G364-367/02 geführt worden.
2.3. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G368-371/02, V81-84/02, hat der Verfassungsgerichtshof §2a Abs2 BGBlG als verfassungswidrig sowie die Z9 der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 als gesetzwidrig aufgehoben.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat die zu G218-221/02 sowie zu G364-367/02 geführten Gesetzesprüfungsverfahren in sinngemäßer Anwendung des §463 Abs1 iVm §404 Abs2 ZPO (§35 Abs1 VfGG) zu gemeinsamer Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:
A. Zur Zulässigkeit:
Es hat sich nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren spräche.
B. In der Sache:
1. Das zu V81-84/02 protokollierte Verordnungsprüfungsverfahren betreffend die Druckfehlerberichtigung zu §135a Abs3 ASVG hat zur Aufhebung der Z9 der Kundmachung BGBl. I Nr. 114/2002 geführt. Damit hat sich das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der ordnungsgemäßen Kundmachung des §135a ASVG als zutreffend erwiesen.
Der unter BGBl. I Nr. 35/2001 kundgemachte Wortlaut des §135a ASVG stimmt nämlich mit dem - vom Bundespräsidenten beurkundeten - Original des Gesetzesbeschlusses des Nationalrates vom 2. April 2001 nicht überein. Es liegt somit ein Verstoß gegen das - sich aus Art49 Abs1 B-VG ergebende - Gebot der vollständigen Publikation der Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates im Bundesgesetzblatt vor.
2. In den Fällen eines durch Auslassungen bewirkten Publikationsmangels hat der Verfassungsgerichtshof "die den nicht kundgemachten Satzteil gleichsam negativ umfassenden gesetzlichen Bestimmungen zur Gänze" (dh. die Norm, soweit sie von der Auslassung betroffen ist) als verfassungswidrig aufgehoben (vgl. VfSlg. 15.579/1999, S 113, sowie VfSlg. 16.152/2001, S 698).
2.1. Im hier vorliegenden Fall trifft dies im Ergebnis auf §135a ASVG insgesamt zu:
Der in erster Linie vom Kundmachungsmangel betroffene Abs3 zweiter Satz dieser Gesetzesstelle legt fest, in welchen Fällen die Krankenversicherungsträger von der Einhebung des Behandlungsbeitrags-Ambulanz zwingend Abstand zu nehmen haben; diese Norm steht daher (ähnlich den in §135a Abs2 ASVG geregelten Fällen) zur gesetzlichen Anordnung des §135a Abs1 ASVG, unter welchen Voraussetzungen ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz einzuheben ist, in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Die Regel des §135a Abs1 ASVG umschreibt gemeinsam mit Abs2 und dem zweiten Satz des Abs3 die Fälle, in denen ein Behandlungsbeitrag-Ambulanz einzuheben ist. Der nicht kundgemachte Satzteil des §135a Abs3 zweiter Satz ASVG wird von all diesen - den Anwendungsbereich des Behandlungsbeitrags-Ambulanz regelnden - Bestimmungen gleichsam negativ umfaßt, ds. §135a Abs1 und 2 sowie Abs3 zweiter Satz ASVG.
2.2. Mit diesen Bestimmungen stehen aber die danach verbleibenden Bestimmungen des §135a ASVG, nämlich Abs3 erster Satz und Abs4, in einem untrennbaren Zusammenhang, sodaß die festgestellte Verfassungswidrigkeit im Ergebnis §135a ASVG zur Gänze betrifft.
2.3. Hinzugefügt sei, daß ein Anwendungsfall des die Aufhebung des ganzen Gesetzes vorsehenden Art140 Abs3 B-VG nicht vorliegt, weil der festgestellte Publikationsmangel nur die bezogene Gesetzesstelle, nicht aber das gesamte in BGBl. I Nr. 35/2001 kundgemachte Gesetz erfaßt (vgl. zu einem vergleichbaren Fall VfSlg. 15.579/1999).
2.4. Bei diesem Ergebnis - sowie angesichts des Umstands, daß §135a ASVG in seiner in Prüfung gezogenen Fassung nicht mehr in Geltung steht (s. unten Pkt. 3) - hat sich ein Eingehen auf die übrigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erübrigt.
3. Da das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 155/2002 die Bestimmung des §135a ASVG in ihrer in Prüfung genommenen Fassung in wesentlichen Punkten geändert hat, hatte es gemäß Art140 Abs4 B-VG bei der Feststellung zu bleiben, daß §135a ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 verfassungswidrig war.
4. Der Verfassungsgerichtshof hatte in seinem Beschluß vom 29. Juni 2002 in Aussicht gestellt, die Anlaßfallwirkung eines allfälligen aufhebenden Erkenntnisses in Anwendung des Art140 Abs7 zweiter Satz, zweiter Halbsatz, B-VG zu erstrecken und auszusprechen, daß §135a ASVG in allen bei Beginn der Beratungen im Gesetzesprüfungsverfahren zu G218-221/02 bei einem Krankenversicherungsträger oder bei einem Landeshauptmann anhängigen Verfahren zur Festsetzung eines Behandlungsbeitrags-Ambulanz nicht mehr anzuwenden sei.
Da §135a ASVG mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 155/2002 - in der Absicht, den im hg. Beschluß vom 29. Juni 2002 dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes Rechnung zu tragen (s. auch VfGH 28. November 2002, G214/02) - insbesondere im Bereich der Ausnahmetatbestände abgeändert worden ist und die neue Fassung gemäß §603 Abs2 ASVG auch bereits anhängige Verfahren erfaßt, erweist sich ein derartiger Ausspruch nunmehr als entbehrlich.
5. Die Kundmachungspflicht des Bundeskanzlers ergibt sich aus Art140 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG sowie §65 iVm §64 Abs2 VfGG.
6. Dies konnte - hinsichtlich des Gesetzesprüfungsverfahrens zu G364-367/02 - ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).
Schlagworte
Auslegung historische, Auslegung systematische, Wiederverlautbarung, Versteinerungstheorie, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Gesetz Erlassung, Kundmachung, Berichtigung, Rechtsstaatsprinzip, Rückwirkung, Sozialversicherung, Krankenversicherung, Ambulanzgebühr, Verordnungsbegriff, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Verwerfungsumfang, Rückwirkung, Verhältnis Ausnahmeregelung - Regel, GewaltentrennungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G218.2002Dokumentnummer
JFT_09969687_02G00218_00