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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung einer Änderung des EStG 1988 betreffend den rückwirkenden Ausschluß der Übertragung stiller Reserven auf die Anschaffungskosten von Finanzanlagen wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz infolge Verletzung des VertrauensschutzesSpruch
Die Wortfolge "und von Finanzanlagen" in §12 Abs3 EStG 1988, BGBl. Nr. 400, in der Fassung BGBl. Nr. 797/1996, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2003 in Kraft.
Die aufgehobene Bestimmung ist für vor dem 31. Dezember 1996 getätigte Anschaffungen nicht mehr anzuwenden.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B1629/01 eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom 8. Oktober 2001 anhängig. Mit diesem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die steuerliche Anerkennung der Übertragung der - anläßlich einer Veräußerung von Beteiligungen, Aktien und festverzinslichen Wertpapieren im Jahr 1996 aufgedeckten - stillen Reserven auf die Anschaffungskosten von Bundesdarlehen mit einer Laufzeit von 15 Jahren versagt.
1.2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und von Finanzanlagen" in §12 Abs3 EStG 1988, BGBl. 400, idF BGBl. 797/1996, entstanden. Der Gerichtshof hat daher mit Beschluß vom 26. September 2002 von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der eben genannten Bestimmung eingeleitet.
2. Zur Rechtslage:
2.1. §12 Abs3 EStG 1988 in der Stammfassung (BGBl. 400) ließ die Übertragung stiller Reserven auf unkörperliche Wirtschaftsgüter dann zu, wenn auch die stillen Reserven aus der Veräußerung unkörperlicher Wirtschaftsgüter stammten. Mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. 201, wurde die Übertragung stiller Reserven im dritten Satz des §12 Abs3 EStG 1988 zusätzlich folgendermaßen eingeschränkt:
"Die Übertragung stiller Reserven auf die Anschaffungskosten von (Teil-)Betrieben, von Beteiligungen an Personengesellschaften, von Anteilen an Kapitalgesellschaften, von Anteilen an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, von stillen Beteiligungen und von Forderungswertpapieren sowie die Übertragung von stillen Reserven, die aus der Veräußerung von (Teil-)Betrieben oder von Beteiligungen an Personengesellschaften stammen, ist nicht zulässig."
Begründet wurde dies in den Erläuterungen damit, daß im Bereich des unkörperlichen Anlagevermögens die Förderung im wesentlichen auf den innovativen Bereich der Forschung und Entwicklung (Patente, Lizenzen) eingeschränkt und der Finanzanlagenbereich (auch zur Vermeidung unerwünschter Gestaltungen) ausgeschlossen werden soll (72 BlgNR, 20. GP, 262).
Gemäß der im Verfassungsrang erlassenen Bestimmung des §124a Z2 EStG 1988, idF BGBl. 201/1996, war §12 Abs3 leg.cit. in der Fassung des BGBl. 201/1996 erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1996 anzuwenden. §12 Abs8 leg.cit. sieht jedoch vor, daß die Übertragbarkeit jedenfalls für Neuinvestitionen bis zum 30. September 1996 erhalten bleibt, und zwar - nach den Erläuterungen - zur "Vermeidung eines nicht mehr beeinflussbaren Wegfalls der Übertragungsmöglichkeit" (72 BlgNR, 20. GP, 263).
2.2. Mit dem Abgabenänderungsgesetz 1996, BGBl. 797, wurde der dritte Satz des §12 Abs3 EStG 1988 neuerlich geändert und lautet nun folgendermaßen (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Die Übertragung stiller Reserven auf die Anschaffungskosten von (Teil-)Betrieben, von Beteiligungen an Personengesellschaften und von Finanzanlagen sowie die Übertragung stiller Reserven, die aus der Veräußerung von (Teil-)Betrieben oder von Beteiligungen an Personengesellschaften stammen, ist nicht zulässig."
In den Erläuterungen (497 BlgNR, 20. GP, 21) heißt es dazu:
"Die bisher von der Reservenübertragung ausgeschlossenen Anteilsrechte und Forderungswertpapiere sollen zur Schließung allfälliger Lücken und Vermeidung von Interpretationsproblemen durch den generellen Begriff 'Finanzanlagen' umschrieben werden. Als Finanzanlagen sind insbesondere die nach §224 Abs2 unter A. III. HGB ausgewiesenen Anlagegüter zu verstehen."
Damit fallen seit dem Abgabenänderungsgesetz 1996 (u.a.) auch Ausleihungen unter die Ausschlußbestimmung des §12 Abs3 EStG 1988.
Das Abgabenänderungsgesetz 1996 wurde am 30. Dezember 1996 im Bundesgesetzblatt kundgemacht und trat daher - mangels anderer Bestimmung - mit Ablauf dieses Tages, somit am 31. Dezember 1996, in Kraft.
3. Die Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlaßt hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluß wie folgt dar:
"3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung betont, daß der Gesetzgeber durch den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitssatz gehalten ist, dem Vertrauensschutz bei seinen Regelungen Beachtung zu schenken (z.B. VfSlg. 15.739/2000 mwN). Demnach führen gesetzliche Vorschriften, die (nachträglich) an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen und dadurch die Rechtsposition des Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht werden und nicht etwa besondere Umstände vorliegen, die eine solche Rückwirkung - beispielsweise um einen gleichheitswidrigen Zustand zu beseitigen - verlangen (vgl. VfSlg. 13.020/1992, 14.149/1995, 15.739/2000).
3.2. Durch die mit Ablauf des 30. Dezember 1996 in Kraft getretene Änderung des §12 Abs3 EStG 1988, die bereits für die Veranlagung 1996 anwendbar ist, wurde rückwirkend für das - praktisch schon abgelaufene - Kalenderjahr 1996 die Möglichkeit einer Übertragung von stillen Reserven auf Finanzanlagen schlechthin ausgeschlossen. Steuerpflichtige, die sich im Laufe dieses Kalenderjahres im Hinblick auf die Vorschrift des §12 Abs3 EStG 1988 dazu entschlossen hatten, (unkörperliche) Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu veräußern, konnten im Zeitpunkt dieser Disposition somit anscheinend davon ausgehen, daß sie allfällige stille Reserven steuerneutral auf die Anschaffungskosten bestimmter Finanzanlagen übertragen und damit die Besteuerung dieser Gewinne vorderhand vermeiden konnten. Durch die erwähnte Neuregelung ist diese Möglichkeit nachträglich beseitigt worden. Da es sich bei Finanzanlagen um nicht abnutzbare, typischerweise längerfristig dem Betrieb zur Verfügung stehende Wirtschaftsgüter handelt (im Beschwerdefall beträgt die Laufzeit des Bundesdarlehens 15 Jahre), der Steuerstundungseffekt somit in der Regel ein langfristiger sein und von der Übertragung regelmäßig auch nur bei ins Gewicht fallenden Veräußerungsgewinnen Gebrauch gemacht werden dürfte, geht der Gerichtshof vorläufig davon aus, daß die Steuerpflichtigen durch diesen Eingriff in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und diesem Eingriff erhebliches Gewicht beizumessen ist. Der Verfassungsgerichtshof zweifelt vorläufig auch nicht daran, daß die Möglichkeit der steuerneutralen Übertragung stiller Reserven auf Bundesdarlehen den Beschwerdeführer auch tatsächlich bei der Entscheidung, die entsprechenden Verkäufe und die Darlehenshingabe zu tätigen, wesentlich beeinflußt hat.
Da sich der Steuerpflichtige an der geltenden Rechtslage zu orientieren hat (vgl. VfSlg. 12.186/1989), erscheint es dem Gerichtshof vorläufig nicht einsichtig, daß dieses Vertrauen bereits durch die Veröffentlichung der Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 1996 im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages - wie im angefochtenen Bescheid sinngemäß geltend gemacht wird - erschüttert hätte werden können.
3.3. Daß besondere Umstände die Rückwirkung rechtfertigen könnten, ist dem Gerichtshof vorläufig nicht ersichtlich. Die Beseitigung der Übertragung stiller Reserven auf Finanzanlagen scheint insbesondere keineswegs erforderlich zu sein, um eine andernfalls gegebene Gleichheitswidrigkeit zu beseitigen, steht es doch dem Gesetzgeber offenbar frei, die als Begünstigung aufzufassende Übertragungsmöglichkeit entsprechend seinen rechtspolitischen Vorstellungen zu gestalten. Auch die Erläuterungen (497 BlgNR, 20. GP, 21) sprechen bloß davon, daß 'allfällige Lücken' geschlossen werden sollen, erwähnen aber nicht, daß diese Lücken im Hinblick auf den Gleichheitssatz bedenklich wären. Dem Gerichtshof erscheint auch §12 Abs3 EStG 1988, idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. 201, insofern klar, als (u.a.) Bundesdarlehen nicht unter die Ausschlußbestimmung fielen, so daß durch das Abgabenänderungsgesetz 1996 anscheinend nicht nur 'Interpretationsprobleme' vermieden wurden (497 BlgNR, 20. GP, 21), sondern die Rechtslage substantiell geändert wurde."
4. Die Bundesregierung nahm mit Beschluß vom 20. Dezember 2002 förmlich von der Erstattung einer Äußerung im Gesetzesprüfungsverfahren Abstand.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, daß die vorläufige Annahme des Gerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden, unzutreffend wäre. Da auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluß vorläufig getroffenen Annahme, daß die Wortfolge "und von Finanzanlagen" in §12 Abs3 EStG 1988, idF BGBl. 797/1996, gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz verstößt:
Nach der bis 30. Dezember 1996 geltenden Fassung des §12 Abs3 EStG 1988 konnten die Steuerpflichtigen davon ausgehen, durch Anschaffung bestimmter Finanzanlagen stille Reserven, die bei Veräußerung von (unkörperlichen) Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens aufgedeckt worden waren, vorläufig der Versteuerung entziehen zu können und damit einen in der Regel langfristigen Steuerstundungseffekt zu erreichen. Wenn der Gesetzgeber - ohne eine besondere Regelung für das Inkrafttreten zu treffen - mit einer am 30. Dezember 1996 im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Norm diese steuerneutrale Übertragung von stillen Reserven einschränkt, indem er nun generell die Übertragung auf Finanzanlagen ausschließt, so gilt diese Einschränkung nach den Grundsätzen des Steuerschuldrechts (vgl. auch §4 Abs2 BAO) bereits für die Veranlagung 1996 (Rief, Übertragung stiller Reserven auf Finanzanlagen: Verfassungswidrige Rückwirkung? RdW 1997, 95 f.; Herzog/Wiesner, Abgabenänderungsgesetz 1996 und EU-Abgabenänderungsgesetz, RdW 1996, 601; Doralt, EStG-Kommentar, §12, Tz 47; nach Zorn [in Hofstätter/Reichel, Einkommensteuer-Kommentar, §12, Tz 4.1] jedenfalls in den Fällen, in denen der Bilanzstichtag nach dem 30. Dezember 1996 liegt). Damit greift der Gesetzgeber aber insoweit rückwirkend in bereits verwirklichte Tatbestände (Veräußerungen bzw. Anschaffungen von Wirtschaftgütern des Anlagevermögens) ein, als die steuerlichen Konsequenzen von bereits getätigten Veräußerungs- und Anschaffungsvorgängen nachträglich zum Nachteil des Steuerpflichtigen verändert werden, wird ihm doch dadurch verwehrt, die aufgedeckten stillen Reserven durch die Übertragung auf bereits angeschaffte Wirtschaftsgüter vorderhand der Besteuerung zu entziehen.
Angesichts der Bedeutung dieser Steuerstundung ist jedenfalls nicht auszuschließen, daß bei Geltung (und Kenntnis) dieser Einschränkung die Steuerpflichtigen entweder die Veräußerung unterlassen oder an Stelle der Anschaffung von Finanzanlagen andere, zulässige Wege der Neutralisierung eingeschlagen hätten. Bei dieser Situation muß aber die fragliche legistische Maßnahme als Erschütterung eines berechtigten Vertrauens der Steuerpflichtigen in die geltende Rechtslage angesehen werden, zumal diese Rechtslage erst - mit besonderen Vorkehrungen für auftauchende Rückwirkungsprobleme - durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. 201, geschaffen worden war. Im Hinblick auf das Ausmaß des mit der Übertragungsmöglichkeit erzielbaren Steuerstundungseffektes bleibt der Gerichtshof auch bei seiner Auffassung, daß es sich dabei um einen Eingriff von erheblichem Gewicht handelt.
Das Prüfungsverfahren hat auch nicht ergeben, daß besondere Umstände vorlagen, die allenfalls eine solche Rückwirkung rechtfertigen könnten. Dem Gesetzgeber ging es vielmehr offenbar (lediglich) darum, eine unbeabsichtigte (aber nicht gleichheitswidrige) Lücke zu schließen und weitere Anlagegüter als Objekt einer Reservenübertragung auszuschließen. Derartige Motive rechtfertigen für sich allein aber keinen rückwirkenden Eingriff in bereits abgeschlossene Transaktionen.
3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen, weshalb die Wortfolge "und von Finanzanlagen" in §12 Abs3 EStG 1988, BGBl. 400, idF BGBl. 797/1996, als verfassungswidrig aufzuheben war. Damit steht der dritte Satz des §12 Abs3 EStG 1988 mit dem Wortlaut der Novelle BGBl. 201/1996 wieder in Wirksamkeit.
4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG. Sie soll - wenngleich die Bundesregierung keine Fristsetzung angeregt hat -, da die Einschränkung der Übertragungsmöglichkeit an sich (abgesehen von der Rückwirkung für das Jahr 1996) auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken stößt, allfällige legistische Vorkehrungen, die bis zum Jahr 1997 rückwirken können, ermöglichen.
5. Der Ausspruch, daß die verfassungswidrige Bestimmung für vor dem 31. Dezember 1996 getätigte Anschaffungen nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG. Damit wird erreicht, daß in den noch nicht rechtskräftig veranlagten Fällen Reservenübertragungen auf vom Abgabenänderungsgesetz 1996 zusätzlich betroffene Finanzanlagen zulässig sind, wenn die Anschaffung dieser Anlagegüter vor dem 31. Dezember 1996 stattfand, unabhängig davon, ob die steuerlichen Auswirkungen noch 1996 oder - wegen eines abweichenden Wirtschaftsjahres - erst 1997 eintreten.
6. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz und Abs6 zweiter Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Einkommensteuer, Gewinn, Rücklagen, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Rückwirkung, Vertrauensschutz, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G334.2002Dokumentnummer
JFT_09969687_02G00334_00