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27/01 Rechtsanwälte;Norm
RAO 1868 §45 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des FT in St. G, vertreten durch Dr. Kurt Weinreich, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen den Bescheid des Plenums des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 12. April 2007, Zl. 298/07 (VZ 108/07), betreffend die Umbestellung eines Verfahrenshelfers, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Jänner 2007, VH 2006/15/0040, wurde dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe unter anderem durch Beigebung eines Rechtsanwaltes zwecks Einbringung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 15. November 2006, bewilligt. Die zuständige Abteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich bestellte mit Bescheid vom 25. Jänner 2007 Rechtsanwalt Dr. X zum Vertreter des Beschwerdeführers. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 26. Februar 2007 "Vorstellung/Berufung/Einspruch", worin er vorbrachte, er habe mit Dr. X nicht nur äußerst schlechte Erfahrungen in seiner "Pflichtvertretung" gemacht, es habe ihm auch Dr. X in einem näher bezeichneten Strafverfahren "erheblichen Schaden zugefügt" und habe sich geweigert, seine Vertretung auftragsgemäß wahrzunehmen. Er sei daher gezwungen gewesen, mit Eingabe vom 8. Februar 2007 beim Oberlandesgericht Wien gegen Dr. X "eine Amtshaftungs- /Schadenersatzklage einzubringen und ihn naturgemäß abzulehnen". Der Beschwerdeführer beantragte in diesem Zusammenhang unter anderem, ihm einen bestimmten Wiener Rechtsanwalt oder einen bestimmten anderen Rechtsanwalt in Niederösterreich beizugeben.
Diese Eingabe wurde von der Abteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer als Umbestellungsantrag angesehen und mit Bescheid vom 6. März 2007 abgewiesen, weil kein Grund des § 45 RAO für eine Umbestellung gegeben sei.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. März 2007 "Vorstellung/Berufung/Einspruch", worin er unter anderem auf sein (in Ablichtung beigelegtes) Schreiben vom 26. Februar 2007 und auch auf die "anhängige, laufende Klage vom 08. Februar 2007 an das OLG-Wien" gegen Dr. X verwies. Zusammengefasst brachte der Beschwerdeführer zum Ausdruck, Dr. X habe gegen seine Interessen gehandelt.
In den Verwaltungsakten befindet sich eine Stellungnahme von Dr. X an die Rechtsanwaltskammer vom 12. April 2007 (wozu er Stellung nehmen sollte, ist aus den Akten allerdings nicht ersichtlich), in der er seine Tätigkeiten auf Grund der hier zu Grunde liegenden Bestellung zur Bekämpfung des Bescheides des unabhängigen Finanzsenates darlegte (zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen in den Schriftsätzen des Beschwerdeführers wird darin nicht Stellung genommen).
Hierauf hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid 1. der Vorstellung gegen den Bescheid vom 6. März 2007 nicht Folge gegeben und 2. den (im Rechtsmittel enthaltenen) Antrag des Beschwerdeführers, bis zur Bestellung eines anderen Vertreters im Rahmen der bewilligten Verfahrenshilfe dem "Bescheid der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich" aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und die Bestellung des Dr. X als nichtig zu erkennen und aufzuheben, als unzulässig zurückgewiesen.
Nach Darstellung des Verfahrensganges und des Vorbringens des Beschwerdeführers heißt es begründend, das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinen Eingaben vom 26. Februar und 12. März 2007 sei nicht geeignet, die von ihm gewünschten Feststellungen zu treffen. Beweismittel zum Nachweis seines Vorbringens, dass Dr. X befangen sei, seien nicht angeführt worden. In der Vorstellung seien keine Gründe nachvollziehbar dargelegt worden, die die Feststellung einer gröblichen Vernachlässigung der Pflichten oder von offenkundigen Mängeln bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Verfahrenshelfers rechtfertigen könnten. Es könne daher nicht, wie vom Beschwerdeführer gewünscht, festgestellt werden, dass Dr. X in der gegenständlichen Rechtssache nicht unvoreingenommen, nicht objektiv und nicht ausschließlich die Interessen des Beschwerdeführers vertreten werde. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass Dr. X ohne Vorliegen einer rechtskräftigen Bestellung im genannten Strafverfahren tätig geworden sei, Beweisanträge wegen seiner Nichtbestellung nicht gestellt habe, rechtswidrigen Verfahrensverläufen zugestimmt, das Vorliegen zahlreicher Nichtigkeitsgründe zum Nachteil des Beschwerdeführers negiert und einer subjektiven willkürlichen, schädigenden und verleumderischen Verfahrensführung am LG St. Pölten Vorschub und Unterstützung geleistet habe. Es könne weiters nicht festgestellt werden, dass Dr. X dem Beschwerdeführer in jenem Strafverfahren Schaden zugefügt und sich geweigert habe, die Vertretung des Beschwerdeführers auftragsgemäß wahrzunehmen. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der nunmehr bestellte Verfahrenshelfer Dr. X aus sachfremden Motiven an der pflichtgemäßen (sachlichen) Ausübung seiner Tätigkeit gehindert sei.
Daraus ergebe sich Folgendes: Die Enthebung eines im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwaltes durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer sei nur aus den im § 45 Abs. 4 RAO angeführten Gründen zulässig. Die Befangenheit des Verfahrenshelfers sei ein solcher Grund, der eine Enthebung zulasse. Eine solche Befangenheit liege jedoch hier nicht vor. Die Partei, der die Verfahrenshilfe auch durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt worden sei, sei unter anderem verpflichtet, dem für sie bestellten Verfahrenshelfer alle für eine ordnungsgemäße Vertretung erforderlichen Informationen zu geben und die für die Stützung des eingenommenen Rechtsstandpunktes dienenden geeigneten Beweismittel bekannt zu geben. Verletze die Partei diese Verpflichtung oder untersage sie dem für sie bestellten Rechtsanwalt jede Vertretungstätigkeit, so habe sie die nachteiligen Folgen aus dieser Handlungsweise selbst zu tragen. Ein Rechtsanwalt dürfe nicht schrankenlos Aufträge der Partei durchführen, sondern sei dabei außer an die gesetzlichen Schranken auch an die Schranken gebunden, die ihm Ehre und Ansehen des Standes geböten. Selbst wenn eine Partei dies ausdrücklich wünsche, dürfe der Rechtsanwalt die ihm durch § 9 RAO gezogenen Schranken nicht überschreiten.
Es seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die den Verdacht begründen könnten, dass Dr. X die ihm im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof als Verfahrenshelfer auferlegten Verpflichtungen nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen könne. Der Umstand, dass er in einem vor einigen Jahren geführten Verfahren nach Auffassung des Beschwerdeführers nicht unvoreingenommen, nicht objektiv und nicht ausschließlich die Interessen des Beschwerdeführers vertreten habe, rechtfertige nicht, Dr. X im nunmehr zu führenden Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof als Verfahrenshelfer zu entheben.
Soweit der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 26. Februar 2007 und in seiner Vorstellung vom 12. März 2007 die Befangenheit des Dr. X und dessen unzureichende bzw. schadensverursachende Vertretungstätigkeit im genannten Strafverfahren behaupte, sei ihm zu erwidern, dass er durch konkrete Sachverhaltsbehauptungen hätte aufzeigen müssen, dass Dr. X aus psychologischen Motiven an der pflichtgemäßen sachlichen Ausübung seiner Tätigkeit als Verfahrenshelfer im gegenständlichen Verfahren gehindert sei. Die vom Beschwerdeführer aufgestellten, bereits wiedergegebenen Behauptungen über die Vorgangsweise des Dr. X könnten keine Befangenheit aufzeigen.
Die weiteren Begehren seien als unzulässig zurückzuweisen gewesen (betrifft den Punkt 2., wurde näher ausgeführt).
Gegen diesen Bescheid, inhaltlich nur gegen dessen Punkt 1., richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist die Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl. Nr. 96/1868, in der Fassung BGBl. I Nr. 93/2006 anzuwenden.
§ 45 Abs. 4 RAO lautet auszugsweise (soweit hier erheblich):
"(4) Kann der bestellte Rechtsanwalt die Vertretung oder Verteidigung aus einem der im § 10 Abs. 1 erster Satz zweiter Halbsatz oder zweiter Satz angeführten Gründe oder wegen Befangenheit nicht übernehmen oder weiterführen, so ist er auf seinen Antrag, auf Antrag der Partei oder von Amts wegen zu entheben und ein anderer Rechtsanwalt zu bestellen. (...)"
§ 10 Abs. 1 RAO lautet:
"(1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt tätig war. Ebenso darf er nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rat erteilen."
Dem Befangenheitsbegriff des § 45 Abs. 4 RAO liegt das Element der Hemmung des pflichtgemäßen (sachlichen) Handelns durch sachfremde Motive zu Grunde. Soweit hier erheblich, soll diese gesetzliche Regelung gewährleisten, dass der bestellte Rechtsanwalt an der Wahrnehmung seiner Pflichten gegenüber dem Vertretenen - insbesondere der Pflicht, die Rechte der Partei mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten - nicht durch sachfremde Motive gehemmt sei (siehe dazu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2005/06/0278, mwN.).
Allerdings ist im Beschwerdefall auch Folgendes zu bedenken:
Hier hat der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde (wie auch im angefochtenen Bescheid zutreffend wiedergegeben) unter anderem ausgeführt, Dr. X mit Klage (vom 8. Februar 2007) auf Schadenersatz belangt zu haben (wenngleich beim Oberlandesgericht Wien(?)). Eine solche Klagsführung (gegen den bestellten Verfahrenshelfer) könnte aber geeignet sein, einen Befangenheitsgrund darzustellen. Näheres dazu wurde von der belangten Behörde aber nicht erhoben, eine Äußerung von Dr. X hiezu liegt auch nicht vor.
Somit liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, weshalb der Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 31. Jänner 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007060237.X00Im RIS seit
06.03.2008Zuletzt aktualisiert am
01.10.2008