TE Vfgh Erkenntnis 2003/3/13 B1835/02

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Veröffentlicht am 13.03.2003
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §48 Abs1
Richtlinie 64/221/EWG Art1, Art3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes wegen strafgerichtlicher Verurteilungen über einen begünstigten Drittstaatsangehörigen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in Folge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm noch in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste mit einem Visum D (Visum für den längerfristigen Aufenthalt; gültig vom 21. Februar 1998 bis 21. Juni 1998) in das Bundesgebiet ein; in der Folge wurden ihm laufend befristete Niederlassungsbewilligungen, zuletzt gültig bis 20. November 2001, erteilt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers, mit der er seit 25. August 1995 verheiratet ist, und seine drei minderjährigen Kinder, die in Wien geboren wurden, sind österreichische Staatsbürger.

Die Bundespolizeidirektion Wien erließ mit Bescheid vom 2. Juli 2002 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer wegen strafgerichtlicher Verurteilungen; die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 4. November 2002 gemäß §48 Abs1 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75 (im Folgenden: FrG), abgewiesen. Die belangte Behörde führte unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 12. Mai 2000 wegen der Vergehen des versuchten Diebstahles und der Körperverletzung (seiner Ehefrau durch Versetzung von Schlägen) und weiters mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. Oktober 2001 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch sowie wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt worden sei. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer, weil er einer Person ein Kraftfahrzeug zum Lenken überlassen habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass diese nicht im Besitz einer erforderlichen Lenkerberechtigung war, eine Verwaltungsstrafe verhängt. Die belangte Behörde führte weiters aus:

"Der Berufungswerber ist nach wie vor mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und somit gemäß §47 Abs3 Z1 FrG 1997 als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des Fremdengesetzes anzusehen. Gemäß §48 Abs1 leg.cit. ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen solche Personen nur zulässig, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass die Bestimmungen des §36 Abs1 Z1 und Abs2 FrG 1997 bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, insofern von Bedeutung sind, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der im §36 Abs1 Z1 leg.cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des §36 Abs2 leg.cit. als 'Orientierungsmaßstab' zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das VwGH-Erk. vom 11.10.2001, Zahl 2001/18/0132).

Ausgehend von dieser Rechtslage ist festzuhalten, dass der Tatbestand des §36 Abs2 Z1 FrG 1997 in zweifacher Hinsicht vorliegt, da dem Berufungswerber nicht nur strafbare Handlungen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen (versuchter Diebstahl bzw. gewerbsmäßiger schwerer Diebstahl durch Einbruch), zur Last liegen, sondern bei der letztgenannten Verurteilung auch das in der genannten Gesetzesstelle normierte Strafausmaß beträchtlich überschritten wurde.

Auf Grund des oben dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Berufungswerbers kann somit kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen des §36 Abs1 und somit auch jene des §48 Abs1, erster Satz leg.cit. gegeben sind. In einem solchen Fall kann - wie dargelegt - auch gegen einen begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§37 und 38 und 48 Abs1, letzter Satz leg.cit. entgegenstehen.

Angesichts der Tatsache, dass der Berufungswerber mit seiner Ehegattin und den drei gemeinsamen Kindern, die allesamt die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, im gemeinsamen Haushalt lebt, verfügt er zweifelsohne über enge familiäre Bindungen, sodass von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinn des §37 Abs1 leg.cit. auszugehen ist. Ungeachtet dessen ist aber die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art8 Abs2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Vermögens und der körperlichen Integrität Dritter - dringend geboten. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Berufungswerbers ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilungen, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Gerade das der letztgenannten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten des Berufungswerbers verdeutlicht sehr augenfällig, dass er nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die zum Schutz fremden Vermögens aufgestellten strafrechtlichen Normen seines Gastlandes einzuhalten. Er hat in der Absicht, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, mehrfach Einbruchsdiebstähle verübt, einen besonders großen Schaden verursacht und zudem die Hilflosigkeit einer Frau ausgenützt, sohin aus besonders verwerflichen Motiven gehandelt. Aus der erstgenannten Verurteilung ergibt sich zudem, dass es sich bei dem Berufungswerber um einen aggressiven und gewaltbereiten Menschen handelt. Die von ihm ausgehende große Gefährdung öffentlicher Interessen wird dadurch besonders deutlich, dass er sich durch eine ausdrückliche Ermahnung und durch eine rechtskräftige Verurteilung nicht davon abhalten hat lassen, neuerlich, und noch dazu in qualifizierter Art und Weise, einschlägig straffällig zu werden. Vor allem der Umstand, dass besonders die letzten strafbaren Handlungen des Berufungswerbers von besonders hoher krimineller Energie gekennzeichnet waren, kann eine Verhaltensprognose für den Berufungswerber keinesfalls positiv ausfallen. Dies umso weniger, als der Berufungswerber auch augenscheinlich dargelegt hat, dass er keine Bedenken hat, sich über die maßgeblichen, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Straßenverkehr aufgestellten Normen hinwegzusetzen.

Im Rahmen der nach §37 Abs2 leg.cit. erforderlichen Interessenabwägung ist auf den etwas mehr als 4 1/2-jährigen rechtmäßigen inländischen Aufenthalt des Berufungswerbers Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukommt, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Berufungswerbers erheblich gemindert wird. Einer allfälligen Unterhaltsverpflichtung kann der Berufungswerber (wenngleich etwas eingeschränkt) auch vom Ausland aus nachkommen.

Diesen, zwar nach wie vor engen, in wesentlichen Punkten jedoch deutlich geschmälerten privaten und familiären Interessen des Berufungswerbers stehen die genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen, insbesondere jenes an der Verhinderung der Eigentumskriminalität, gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen gelangte die Berufungsbehörde zu der Auffassung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Berufungswerbers und seiner Familie keinesfalls schwerer wiegen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Im Hinblick darauf, dass der Berufungswerber erst seit dem 05.06.1998 im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen ist, steht der vorliegenden Maßnahme weder die Bestimmung des §38 leg.cit. noch jene des §48 Abs1, letzter Satz leg.cit. entgegen.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Berufungswerber zur Last liegenden Straftaten und der damit verbundenen Wiederholungsgefahr kann von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens Abstand genommen werden, zumal auch keine Gründe erkennbar sind, welche die Familienmitglieder hindern könnten, den Berufungswerber ins Ausland zu begleiten oder zumindest dort zu besuchen.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betrifft, so erscheint die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Ansicht der Berufungsbehörde gerechtfertigt. In Anbetracht der zahlreichen und viele Bereiche betreffenden Gesetzesverstöße des Berufungswerbers kann ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Berufungswerbers im Bundesgebiet, selbst unter Berücksichtigung der familiären und beruflichen Situation des Berufungswerbers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden."

II. 1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nach Art144 B-VG, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (Art8 EMRK, BVG BGBl. 390/1973) geltend macht und die Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt. In der Beschwerde wird im Besonderen ausgeführt, dass die belangte Behörde die Behauptung, die Familie könne dem Beschwerdeführer in die Türkei folgen, aufgestellt habe, ohne dafür die Situation der Familie erhoben, noch für diese Behauptung Beweise erbracht zu haben. Ein solcher Beweis wäre freilich auch nicht möglich gewesen, da die Ehefrau mit drei Jahren nach Österreich gekommen sei, ihr ganzes Leben hier verbracht und zu ihrem ehemaligen Heimatstaat keinerlei Beziehung mehr habe. Dies gelte umso mehr für die gemeinsamen Kinder, die alle österreichische Staatsbürger seien, in Österreich geboren wurden und hier aufgewachsen seien. In der Beschwerde wird auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Yildiz gegen Österreich und Gümüskaya gegen Österreich verwiesen und der belangten Behörde die Unterlassung einer Güterabwägung vorgeworfen. Der Beschwerdeführer führt dazu aus:

"Da sowohl ich selbst, wie auch meine Familie in Österreich aufhältig sind, greift der angefochtene Bescheid durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes für die Dauer von 10 Jahren in mein durch Art8 MRK geschütztes Recht auf Privat- und Familienleben ein und verletzt dieses. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist gem. §37 FrG 1997 nur zulässig, wenn dies aus den in Art8 Abs2 MRK normierten Gründen dringend geboten erscheint.

Den Fremdenpolizeibehörden, wie der belangten Behörde und der Behörde erster Instanz, ist vorzuwerfen, in ihrer ständigen Spruchpraxis gegenüber den Opfern, insbesondere den Kindern, eines Aufenthaltsverbotes völlig gleichgültig eingestellt zu sein. Meine Kinder sind 1 1/2, 3 1/2 und sechs Jahre alt, und ist meine Familie somit auf meine finanzielle wie persönliche Unterstützung angewiesen. Meine Ehegattin befindet sich in Karenz und bezieht derzeit Karenzgeld von ca. € 600,00. Meine Familie ist daher auf mein Einkommen angewiesen. Mit der Verhängung und Vollstreckung des Aufenthaltsverbotes würde meine österreichische Familie der Armut und letztlich dem Sozialhilfebezug überantwortet, weil ich in der Türkei, wenn ich überhaupt in der Lage wäre, eine Beschäftigung zu erlangen, nur ein Einkommen von maximal € 200,00 bis € 300,00, mit welchem eine wirtschaftliche Unterstützung meiner Familie gänzlich ausgeschlossen ist, erzielen könnte. Die Behörde erster Instanz lässt gänzlich außer Acht, daß die Verhängung des Aufenthaltsverbotes aus diesen Gründen das wirtschaftliche Wohl der Republik Österreich schädigt.

...

Da meine Ehegattin, wie auch unsere gemeinsamen Kinder österreichische Staatsbürger sind und ich seit 1998 in Österreich aufhältig bin, bin ich sowohl privat wie auch familiär fest in Österreich integriert. Mein Aufenthaltsverbot würde somit nicht nur meine familiäre und wirtschaftliche Existenz vernichten, sondern auch jene meiner Ehegattin und meiner Kinder. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde muss in meinem Fall sohin von einer festen Integration ausgegangen werden und ist auch die Ansicht, dass dieser Integration kein entscheidendes Gewicht zukommt, mangelhaft. Angesichts dieser festen Integration im Bundesgebiet kann nicht davon gesprochen werden, daß mein Aufenthaltsverbot aufgrund der in Art8 Abs2 MRK normierten Gründen dringend geboten ist. Die belangte Behörde übersieht, daß ein Aufenthaltsverbot nicht nur notwendig (wie dies Art8 MRK vorsieht) sondern dringend geboten sein muß3. Der Maßstab des §37 Abs1 FrG 1997 ist im Falle der Beeinträchtigung des Familienlebens strenger als Art8 Abs2 MRK.

Ein etwaiges Aufenthaltsverbot würde aber nicht nur in mein durch Art8 MRK geschütztes Privat- und Familienleben eingreifen und es verletzen, sondern auch in das meiner Ehegattin und in jenes meiner Kinder. Ich verweise auf die Tatsache, daß die Republik Österreich Signatarstaat der Kinderrechtskonvention (BGBl. 1993/7) ist. Art9 dieser Konvention verpflichtet Österreich, daß es dafür zu sorgen hat, daß ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, daß diese Trennung zum Wohle des Kindes notwendig ist. Diese Bestimmung[en] der Kinderrechtskonvention sind - da Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung - bei der Auslegung des Art8 MRK heranzuziehen.

3 vgl. §37 Abs1 FrG 1997"

In weiterer Folge behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung des BVG zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung und wirft der Behörde Willkür vor. Zum Gemeinschaftsrecht führt der Beschwerdeführer aus, dass er Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin und daher begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art1 Abs2 der Richtlinie 64/221/EWG sei. Nach Art3 Abs1 der genannten Richtlinie dürfe bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein. Nach ständiger Rechtsprechung und einhelliger Lehre müsse einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, um EU-rechtskonform zu sein, eine individuelle Rückfallsprognose zu Grunde liegen, die jedoch nie gestellt worden sei. Die belangte Behörde verweigere eine Auseinandersetzung mit der individuellen Persönlichkeit und der nicht gegebenen Rückfallgefahr und verhänge das Aufenthaltsverbot ausschließlich aus generalpräventiven Gründen.

2. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien legte als belangte Behörde die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift mit dem Begehren, die Beschwerde abzuweisen und führt aus:

"Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt, insbesondere die beiden angeführten Verurteilungen, blieben in der Beschwerde unbestritten. Der Beschwerdeführer meint jedoch, dass bei der letztgenannten Verurteilung das Gericht keine Wiederholungsgefahr angenommen und deshalb einen Teil der Freiheitsstrafe auf Bewährung ausgesetzt habe. Diesbezüglich ist zunächst auszuführen, dass der Umstand der vom Gericht ausgesprochenen teilbedingten Strafnachsicht keine Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers darstellt.

Abgesehen davon hatte die Behörde das Erfordernis des Aufenthaltsverbotes ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdengesetzes zu beurteilen, ohne dabei an Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht veranlassten, die Strafe zum Teil bedingt nachzusehen. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang rügt, die belangte Behörde habe sich 'geweigert', die seine Person betreffende Wiederholungsgefahr konkret zu prüfen, so ist ihm entgegenzuhalten, dass er unter anderem wegen gewerbsmäßiger Tatbegehung verurteilt worden war. Wie sich aus dem Urteil vom 09.10.2001 ergibt, hatte der Beschwerdeführer zahlreiche Einbruchsdiebstähle in der Absicht begangen, sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen.

Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme auf die zahlreichen und viele Bereiche betreffenden Gesetzesverstöße des Beschwerdeführers konnte die belangte Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des ausreichend geführten Ermittlungsverfahrens - ohne weitere Beweise (wie etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens) aufzunehmen - nach freier Beweiswürdigung die im §48 Abs1 FrG 1997 umschriebene Annahme als erwiesen annehmen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 13.11.2002 neuerlich vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von elf Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist, hat diese Prognose der Behörde geradezu bestätigt. Jedenfalls hat der Beschwerdeführer auch nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes sehr augenfällig dokumentiert, dass er nach wie vor keinerlei Bedenken hat, in fremdes Vermögen einzugreifen.

Von daher gesehen war auch eine Ermessensentscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers nicht möglich, zumal auch die Beschwerde in diesem Zusammenhang keine konkreten Umstände darlegt, die nicht bereits im Rahmen der nach §37 Abs2 leg.cit. vorzunehmenden Interessenabwägung Berücksichtigung gefunden hätten.

Dass der Beschwerdeführer auf Grund des Aufenthaltsverbotes nicht mehr gemeinsam mit seinen Angehörigen im Inland leben darf, muss angesichts der von ihm ausgehenden Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Kauf genommen werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auch gegen seine Ehegattin gewalttätig vorgegangen ist, sodass sich nicht nur die von ihm erzielte Integration auf Grund des strafbaren Gesamtverhaltens als vermindert erweist, sondern darüber hinaus auch die familiären Bindungen des Beschwerdeführers eine nicht unerhebliche Relativierung erfahren.

Der Vorwurf, die belangte Behörde habe willkürlich gehandelt, geht sohin ins Leere. Vielmehr wurde im Rahmen der Interessenabwägung nach §37 Abs2 leg.cit. auf sämtliche für den Beschwerdeführer sprechende Umstände Bedacht genommen. Was die belangte Behörde darüber hinaus zu berücksichtigen gehabt hätte, führt die Beschwerde nicht konkret aus. Der Beschwerdeführer lässt auch jegliche Begründung für seine Annahme vermissen, die Erlassung des vorliegenden Aufenthaltsverbotes würde das Recht auf Freizügigkeit seiner Ehegattin und seiner Kinder, die österreichische Staatsbürger sind, verletzen."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat den Strafakt 032 Hv 184/02 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beigeschafft und stellt ergänzend fest, dass der Beschwerdeführer - neben den bereits im angefochtenen Bescheid angeführten Verurteilungen - mit Urteil vom 13. Jänner 2003 neuerlich wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch zu 11 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

III. Die maßgebende Bestimmung des §48 Abs1 FrG 1997, BGBl. 75, lautet (die Novelle 2002 zum Fremdengesetz 1997, BGBl. I 126/2002, ist für den vorliegenden Fall nicht beachtlich):

"Sonderbestimmungen für den Entzug der

Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen

§48. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist nur zulässig, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsanghörige, die ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist nicht zulässig; für Ehegatten von EWR-Bürgern gilt dies nur, wenn sie mehr als die Hälfte der Zeit mit einem EWR-Bürger verheiratet waren."

IV. Die Beschwerde, deren meritorischer Erledigung Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, erweist sich jedoch als nicht gerechtfertigt.

1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 12.919/1991, 13.241/1992, 13.489/1993, 15.400/1999).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht bei der Interessenabwägung nach Art8 Abs2 EMRK jeweils auf die besonderen Umstände des Einzelfalles im Detail ein. Bei Beurteilung des öffentlichen Interesses waren vorwiegend die Gründe für die fremdenrechtliche Maßnahme entscheidend, bei einer strafrechtlichen Verurteilung auch die Schwere des Deliktes. Für das Gewicht des Eingriffes in das Privat- und Familienleben waren im Wesentlichen folgende Kriterien maßgebend:

Der Beginn, die Dauer und die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes sowie das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die Intensität der familiären Bindungen und die Konsequenzen ihrer Beeinträchtigung, die Nationalitäten der involvierten Personen, die Ausbildung im "Gastland", das Bemühen um die Erlangung der Staatsbürgerschaft des Aufenthaltsstaates sowie die Möglichkeit, das Familienleben anderswo zu führen, die auf Grund rechtlicher Hindernisse, aber auch infolge Unzumutbarkeit für die mitbetroffenen Familienmitglieder fehlen kann (vgl. ausführlich Wiederin in Korinek/Holoubek [Hrsg], Bundesverfassungsrecht, Art8 EMRK, Rz 99 [2002] und die dort wiedergegebene Judikatur des EGMR; vgl. ferner die Entscheidungen des EGMR 11.7.2002, 56811/00, Fall Amrollahi gegen Dänemark; 31.10.2002, 37295/97, Fall Yildiz gegen Österreich; 6.2.2003, 36757/97, Fall Jakupovic gegen Österreich).

Unter Berücksichtigung dessen liegt in der vorliegenden Beschwerdesache eine Verletzung des Art8 EMRK nicht vor, da der Beschwerdeführer erst seit 1998 in Österreich lebt, bereits im April 1999 seine erste Straftat begangen hat und seit dieser Zeit mehrfach wegen (Einbruchs-)Diebstahls und auch einmal wegen Körperverletzung seiner Ehefrau verurteilt worden ist. Wie aus dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. Oktober 2001 hervorgeht, hat der Beschwerdeführer auf Grund seiner angespannten finanziellen Situation (er verfügt über kein Einkommen und kein Vermögen) seinen Lebensunterhalt durch wiederholte Begehung von Einbruchsdiebstählen bestritten bzw. Mittel zu dessen Aufbesserung auf diese Art und Weise aufgebracht.

Dabei wird nicht übersehen, dass vom Aufenthaltsverbot nicht nur der Beschwerdeführer selbst, sondern auch die Ehefrau und die drei minderjährigen Kinder betroffen sind, die österreichische Staatsbürger sind und denen ein Leben in der Türkei wohl kaum zumutbar sein dürfte. Trotzdem ist der Interessenabwägung der belangten Behörde zuzustimmen, dass die fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten erscheint, zumal der Beschwerdeführer ausdrücklich bei der letzten Verlängerung der Niederlassungsbewilligung ermahnt wurde und auch die rechtskräftigen Verurteilungen ihn nicht davon abhalten ließen, neuerlich einschlägig straffällig zu werden.

2. In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass ein Bescheid das (nur österreichischen Staatsbürgern) verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitsrecht insbesondere dann verletzt, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür übt. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre reicht, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 8808/1980, 11.718/1988). Das Gleiche gilt nach der Judikatur des Gerichtshofes im Hinblick auf den Schutzumfang des durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander für dieses Fremden zustehende Recht (vgl. VfSlg. 14.650/1996 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Ein willkürliches Verhalten kann der belangten Behörde aber nicht vorgeworfen werden, da sie ein - aus verfassungsrechtlicher Sicht - ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, in dem sowohl die familiäre Seite als auch die strafrechtlichen Belange des Beschwerdeführers gewürdigt wurden. Ebenso wenig kann den Ausführungen in der Beschwerde gefolgt werden, dass auf die individuelle Persönlichkeit des Beschwerdeführers nicht Bedacht genommen worden sei, da die belangte Behörde sehr wohl eine Verhaltensprognose des Beschwerdeführers, die jedoch negativ ausgefallen ist und deren Richtigkeit durch die neuerliche Verurteilung bestätigt wurde, vorgenommen hat. Der Beschwerdeführer wurde sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (BVG BGBl. 390/1973) verletzt.

4. Die Beschwerde war sohin, da der angefochtene Bescheid weder auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruht noch eine Verletzung in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten stattgefunden hat, abzuweisen.

V. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1835.2002

Dokumentnummer

JFT_09969687_02B01835_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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