TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/7 2006/21/0377

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Veröffentlicht am 07.02.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/02 Familienrecht;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

EheG §38 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 7. Juli 2006, Zl. Fr-1868/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen aus dem Kosovo stammenden serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z. 1 (und Abs. 2 Z. 9) Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer, der sich seit 14. Juni 2002 in Österreich aufhalte und einen sich letztlich als unberechtigt erweisenden Asylantrag gestellt habe, habe am 18. November 2004 die österreichische Staatsangehörige W. lediglich zu dem Zweck geheiratet, um für Österreich einen Aufenthaltstitel sowie eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu erhalten.

Das Fehlen seiner Absicht, ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK zu führen, ergebe sich aus der klaren (inhaltlich detailliert dargestellten) Aussage der W. Entgegenstehende Ausführungen des Beschwerdeführers seien dadurch widerlegt. Auch die von ihm vorgelegten Hochzeitsfotos bewiesen lediglich die Tatsache der Eheschließung, jedoch nicht die Führung eines gemeinsamen Familienlebens. Es sei durchaus naheliegend, dass W. "in Anbetracht der geleisteten Anzahlung von EUR 2.000,-- und in Erwartung weiterer Zahlungen bei der Hochzeit einen freundlichen Gesichtsausdruck an den Tag leg(e)" und dem Beschwerdeführer den obligatorischen Hochzeitskuss gebe. Dem Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung werde nicht stattgegeben, weil die Abhaltung einer solchen dem Grundsatz der Verfahrensökonomie widerspräche. Die Einvernahme der weiteren (vom Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom 5. Juli 2005 und neuerlich in seiner an die belangte Behörde gerichteten Berufung vom 29. September 2005 ausdrücklich beantragten) Zeugen sei "auf Grund des ausreichend geklärten Sachverhaltes entbehrlich".

Es sei also der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt, der - so sind die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde zu verstehen - für die Prognosebeurteilung bei einem Aufenthaltsverbot gegen einen Familienangehörigen eines Österreichers gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG als Orientierungsmaßstab heranzuziehen sei. Danach legte die Behörde dar, dass das Verhalten des Beschwerdeführers die Annahme rechtfertige, sein Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen), zumal seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung noch nicht fünf Jahre vergangen seien.

In ihren weiteren Überlegungen ging die belangte Behörde angesichts des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 14. Juni 2002, während dessen er überwiegend (wenn auch nicht zuletzt) einer Beschäftigung nachgegangen sei, und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich auch sein Bruder in Österreich aufhalte, von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus. Allerdings gehe die Beziehung des Beschwerdeführer zu seinem Bruder nicht über das bei erwachsenen Seitenverwandten dieses Grades übliche Maß hinaus. Die Eltern und die übrigen Geschwister des Beschwerdeführers lebten im Kosovo. Auch sei dem Beschwerdeführer der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt nur durch die missbilligte Scheinehe ermöglicht worden. Die durch die Berufstätigkeit erreichte Integration müsse daher als geschmälert angesehen werden; die Integration eines Fremden in sein Gastland setze auch ein gewisses Maß an Rechtstreue voraus. Dem großen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung komme ein hoher Stellenwert zu, sodass das Aufenthaltsverbot iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei.

Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen nach § 66 Abs. 2 FPG könnten die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht als schwerwiegender beurteilt werden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Allfällige Privatinteressen an einem Weiterverbleib in Österreich hätten daher hinter die genannten öffentlichen Interessen zurückzutreten. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Umstand, dass er von Österreich aus seine im Kosovo lebenden Familienangehörigen unterstützen könnte, sei vom Schutzbereich des § 66 FPG ebenso wenig umfasst wie die mit der wirtschaftlichen Situation in seinem Heimatland für ihn und seine Familie verbundenen Nachteile.

Die dargestellten Überlegungen hätten auch für die Beurteilung des Ermessensspielraumes zu gelten. Für den Beschwerdeführer sprechende "günstige Parameter" seien nicht zu erblicken. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von fünf Jahren sei somit "dringend geboten und daher vertretbar".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 FPG entscheiden zwar - als im Verfassungsrang normierte Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektionen - über Berufungen gegen nach dem FPG ergangene Bescheide (u.a.) im Fall von begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern (UVS). Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG fällt unter den Begriff "begünstigter Drittstaatsangehöriger" - soweit fallbezogen relevant - der Verwandte eines Österreichers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Demnach setzt die Zuständigkeit des UVS in Bezug auf solche begünstigte Drittstaatsangehörige jedenfalls voraus, dass der österreichische Angehörige sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Nach der Aktenlage bestehen aber keine Anhaltspunkte, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers diese Voraussetzung erfüllen würde. Auch die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sie von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätte. Soweit die Beschwerde unter Gleichheitsgesichtspunkten eine Verfassungswidrigkeit zu erkennen glaubt bzw. eine verfassungskonforme Auslegung fordert, genügt es - im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden Zuständigkeitsfrage - einerseits auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a., und andererseits auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0119, zu verweisen. Am Maßstab dieser Entscheidungen und der dort vorgenommenen Auslegung der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG hat die belangte Behörde aber ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde zu Recht in Anspruch genommen (vgl. in diesem Sinne auch das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0179, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0106). In der Beschwerde angesprochene Fragen des Gemeinschaftsrechtes stellen sich aber in diesem Zusammenhang nicht.

Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn Letztere ihr (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben. Schon von daher kann dahinstehen, ob die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers dieses Recht in Anspruch genommen hat.

Gemäß § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde. So führen auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR XXII. GP 99) aus, dass dieses Aufenthaltsverbot Fremde betrifft, "die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen". Der Abschluss einer Aufenthaltsehe wurde daher von der belangten Behörde grundsätzlich rechtsrichtig als möglicher Tatbestand für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gewertet (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0352, mwN der Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Ebenso kommt es - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - nicht darauf an, ob die Ehe als nichtig erklärt wurde oder ob ein Aufhebungsgrund nach § 38 Abs. 1 EheG vorliegt (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2004/21/0268, mwN).

Allerdings bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer Schein- bzw. Aufenthaltsehe. Dazu rügt er als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass die belangte Behörde zu diesem Themenkreis weder ihn selbst (ergänzend) noch die von ihm namhaft gemachten Zeugen einvernommen habe, wodurch die Aussage seiner Ehefrau W., die ihn lediglich später verlassen habe, widerlegt worden wäre.

Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg: Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2005 die Einvernahme des (angeblichen) nunmehrigen Lebensgefährten der W. zum Nachweis des (jeweiligen) Zusammenlebens beantragt. Ursprünglich habe er mit W. in einer näher bezeichneten Wohnung eine Haushaltsgemeinschaft geführt, was die Vermieterin, die ebenfalls als Zeugin namhaft gemacht werde, bestätigen könne. Schließlich beantragte der Beschwerdeführer die Befragung weiterer Zeugen zum Nachweis dafür, dass die Heirat aus Liebe und ohne Entgelt erfolgt sei und die Ehegatten - wie in einer normalen Ehe - zusammen gewohnt und etwa Silvester gemeinsam gefeiert hätten. In der Berufungsschrift wurden diese Beweisanträge im Wesentlichen wiederholt.

Die belangte Behörde hat von der Befragung der genannten Zeugen mit der letztlich vorgreifenden bzw. unschlüssigen Beweiswürdigung abgesehen, dass der Sachverhalt bereits "ausreichend geklärt" sei. Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass allfällige Ausführungen dieser Zeugen zu den genannten inhaltlich ausreichend präzisierten Themen jedenfalls und von vornherein ungeeignet wären, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Die Unterlassung ihrer Vernehmung stellt daher einen relevanten Verfahrensmangel dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2006/21/0158, mwN).

Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 7. Februar 2008

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteVerfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006210377.X00

Im RIS seit

07.03.2008

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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