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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der L, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 26. September 2006, Zl. Fr- 1284/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein bis 13. Mai 2010 befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung führte sie aus, die Beschwerdeführerin, die sich seit Ende 2003 in Österreich aufhalte, habe am 17. März 2004 den österreichischen Staatsangehörigen M. lediglich zu dem Zweck geheiratet, um für Österreich einen Aufenthaltstitel sowie eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu erhalten. Tatsächlich sei ihr eine Niederlassungsbewilligung mit einer Gültigkeit bis zum 5. Juli 2005 erteilt worden.
Das Fehlen einer Absicht, ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu führen, ergebe sich aus der klaren Aussage des M., der weiters dargelegt habe, die Ehe sei über Vermittlung des D. geschlossen worden, der ihm für ihr Eingehen Schulden in der Höhe von EUR 3.000,-- bis 4.000,-- erlassen, die Organisation der Eheschließung (Beschaffung erforderlicher Dokumente sowie eines Hochzeitsessens) übernommen und dem "Ehepaar" zum Schein eine von ihm angemietete Wohnung zur Verfügung gestellt und darin Einrichtung, Bilder und Wäsche deponiert hätte. Die gegenteilige Aussage der Beschwerdeführerin, die nicht einmal das Geburtsdatum des M. gewusst und angegeben habe, keine gemeinsame Sprache mit ihm zu sprechen (er spreche Deutsch und Englisch, sie dagegen nur Spanisch), sei dadurch widerlegt.
Es sei also der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt, der - so sind die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde zu verstehen - für die Prognosebeurteilung bei einem Aufenthaltsverbot gegen einen Familienangehörigen eines Österreichers gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG als Orientierungsmaßstab heranzuziehen sei. Danach legte die belangte Behörde dar, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin die Annahme rechtfertige, ihr Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen), zumal seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung noch nicht fünf Jahre vergangen seien.
In den weiteren Überlegungen ging die belangte Behörde angesichts des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet seit Ende 2003, einer hier ausgeübten Berufstätigkeit und einer (wenn auch nur wirtschaftlich motivierten) Wohngemeinschaft mit ihrer Schwester von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Eingriff in ihr Privat- und Familienleben aus. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass die Beschwerdeführerin lediglich auf Grund der missbilligten Scheinehe "keine Berechtigung nach dem AuslBG zur Ausübung einer Beschäftigung" benötigt habe. Die Integration sei demnach deutlich geschmälert, weil diese "auch ein gewisses Maß an Rechtstreue" verlange. Dem großen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung komme ein hoher Stellenwert zu, sodass das Aufenthaltsverbot im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen nach § 66 Abs. 2 FPG könnten die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin nicht als schwerwiegender beurteilt werden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Allfällige Privatinteressen an einem Weiterverbleib in Österreich hätten daher hinter die genannten öffentlichen Interessen zurückzutreten. Diese Überlegungen hätten auch für die Beurteilung des Ermessensspielraumes zu gelten. Für die Beschwerdeführerin sprechende "günstige Parameter" seien nicht zu erblicken. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes "für die Dauer von fünf Jahren (sei daher) dringend geboten und daher vertretbar".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 FPG entscheiden zwar - als im Verfassungsrang normierte Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektionen - über Berufungen gegen nach dem FPG ergangene Bescheide (u.a.) im Fall von begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern (UVS). Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG fällt unter den Begriff "begünstigter Drittstaatsangehöriger" - soweit fallbezogen relevant - der Verwandte eines Österreichers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Demnach setzt die Zuständigkeit des UVS in Bezug auf solche begünstigte Drittstaatsangehörige jedenfalls voraus, dass der österreichische Angehörige sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Nach der Aktenlage bestehen aber keine Anhaltspunkte, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers diese Voraussetzung erfüllen würde. Auch die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sie von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätte. Soweit die Beschwerde unter Gleichheitsgesichtspunkten eine Verfassungswidrigkeit zu erkennen glaubt bzw. eine verfassungskonforme Auslegung fordert, genügt es - im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden Zuständigkeitsfrage - einerseits auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a., und andererseits auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0119, zu verweisen. Am Maßstab dieser Entscheidungen und der dort vorgenommenen Auslegung der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG hat die belangte Behörde aber ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde zu Recht in Anspruch genommen (vgl. in diesem Sinne auch das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0179, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0106). In der Beschwerde angesprochene Fragen des Gemeinschaftsrechtes stellen sich aber in diesem Zusammenhang nicht.
Die Beschwerdeführerin ist als Ehefrau Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) eines Österreichers. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn Letztere ihr (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben. Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde. So führen auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR 22. GP 99) aus, dass dieses Aufenthaltsverbot Fremde betrifft, "die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen". Der Abschluss einer Aufenthaltsehe wurde daher von der belangten Behörde grundsätzlich rechtsrichtig als Grundlage des verhängten Aufenthaltsverbotes herangezogen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0352, mwN der Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Ebenso vermag der in der Beschwerde ins Treffen geführte Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin nach dem dargestellten Fehlverhalten keiner weiteren strafbaren Handlungen schuldig gemacht habe, an der Wertung der verpönten Scheinehe nichts zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 2004, Zl. 2004/21/0182).
Allerdings bestreitet die Beschwerdeführerin das Vorliegen einer Schein- bzw. Aufenthaltsehe. Dazu rügt sie als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass die belangte Behörde zu dieser Frage weder sie selbst (ergänzend) noch den von ihr in der Berufung namhaft gemachten Zeugen D. einvernommen habe, wodurch die Aussage ihres Ehemannes M., der sich zwischenzeitig von ihr getrennt habe, widerlegt worden wäre.
Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:
D. ist nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides - zudem ohne ersichtliche Motivation oder eigene Interessen - die zentrale Rolle bei der Veranlassung der Eheschließung vom 17. März 2004 zugekommen. Seine von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufungsschrift beantragte Einvernahme wäre daher grundsätzlich geeignet gewesen, die den Feststellungen zu Grunde gelegten Darstellungen des Zeugen M. zu diesen Vorgängen zu widerlegen.
Die belangte Behörde hat von der Befragung des Zeugen D. mit der - allerdings nur einen kleinen Teil des Beweisthemas abdeckenden - Begründung abgesehen, die Leistung eines Vermögensvorteils sei für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG nicht mehr relevant, sodass auf die Einvernahme des Zeugen D. "verzichtet" werde. Da auch nicht ersichtlich ist, dass allfällige Ausführungen dieses Zeugen - und erforderlichenfalls eine ergänzende Einvernahme der Beschwerdeführerin - von vornherein ungeeignet wären, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, stellt die Unterlassung der von der Beschwerdeführerin ausdrücklich beantragten Beweisaufnahmen einen relevanten Verfahrensmangel dar (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2006/21/0158, mwN).
Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 7. Februar 2008
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des BeweisantragesSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelBeweismittel ZeugenBegründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von BeweisenVerfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragBeweismittel ZeugenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006210342.X00Im RIS seit
07.03.2008Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009