TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/20 2007/08/0183

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Veröffentlicht am 20.02.2008
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2 idF 2003/I/071;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2 idF 2005/I/102;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z3;
AlVG 1977 §8;
AlVG 1977 §9;
AuslBG §4 Abs3 Z7 idF 2005/I/101;
B-VG Art140 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des I E in Wien, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 8. August 2007, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2007-1441, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 3. Mai 2007 einen Antrag auf Arbeitslosengeld, welcher mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle Schönbrunner Straße, vom 15. Mai 2007 abgewiesen wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und führte darin im Wesentlichen aus, dass er schon länger über eine Aufenthaltsbewilligung gemäß § 19 AsylG 1997 verfüge. Dem Berufungsschriftsatz beiliegend findet sich im Verwaltungsakt die Kopie einer "Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG" vom 24. Mai 2007, lautend auf den Beschwerdeführer.

In einer Stellungnahme vom 11. Juli 2007 brachte der Beschwerdeführer ergänzend im Wesentlichen vor, dass er nach seiner Einreise im Jahre 2003 in Österreich Asyl beantragt habe. Das Asylverfahren sei noch nicht abgeschlossen, gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. Dezember 2003 habe er Berufung erhoben, welche beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sei. Mit Bescheid vom 31. März 2007 habe die Bundespolizeidirektion Wien gegen ihn ein unbefristetes Rückkehrverbot verhängt. Ein Berufungsverfahren dagegen sei anhängig, das Rückkehrverbot daher nicht rechtskräftig. Da er Asylwerber sei, über dessen Antrag seit drei Monaten nicht rechtskräftig abgesprochen und dessen Asylverfahren nicht eingestellt worden sei, sei er gemäß § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG iVm § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG berechtigt, eine Beschäftigung aufzunehmen. Gemäß Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates dürfe außerdem einem Asylwerber das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt während eines Rechtsbehelfsverfahrens, bei dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung haben, nicht entzogen werden. Der Beschwerdeführer verwies weiters auf seine Verheiratung mit einer Österreicherin, auf das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten "Inländerdiskriminierung" und das Recht Fremder auf Gleichbehandlung nach dem BVG BGBl. Nr. 390/1973.

Die Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass das gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrverbot zur Folge habe, dass ihm das vorläufige Aufenthaltsrecht als Asylwerber entzogen worden sei und ihm bis zur Beendigung des Asylverfahrens nur faktischer Abschiebungsschutz zukomme. Auch die aufschiebende Wirkung im Berufungsverfahren über das Rückkehrverbot verschaffe ihm keine aufenthaltsrechtliche Position zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit. Er besitze auch keinen Aufenthaltstitel auf Grund anderer Bundesgesetze. Somit stehe er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, da ihm in Ermangelung eines Aufenthaltstitels keine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden könne. Es gebe keinen Hinweis, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte. Somit liege auch kein Fall der §§ 57 und 54 NAG vor, wonach ein allfällig erteilter Aufenthaltstitel nur deklarative Wirkung hätte. Außerdem habe der Beschwerdeführer seine Anwartschaft in der Haft erworben, nicht durch eine ordnungsgemäße Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt. Da er daher keinen Zugang zum Arbeitsmarkt gehabt habe, könnten auch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben, nach denen ein solcher nicht entzogen werden dürfte, nicht zum Tragen kommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 7 Abs. 3 AlVG idF BGBl. I Nr. 102/2005 lautet:

"(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,

1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,

2. die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben, und

3. die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 FrG erfüllt."

Gemäß § 75 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 des AsylG 2005 sind auf diese Verfahren anzuwenden.

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

Gemäß § 19 AsylG 1997 besteht grundsätzlich eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung während eines Asylverfahrens.

Gemäß § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG idF BGBl. I Nr. 101/2005 darf eine Beschäftigungsbewilligung nur erteilt werden, wenn der Ausländer über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG oder dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, verfügt, das die Ausübung einer Beschäftigung nicht ausschließt, oder über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005, oder wenn er einen Asylantrag eingebracht hat, über den seit drei Monaten nicht rechtskräftig abgesprochen wurde und das Verfahren nicht eingestellt wurde (§ 24 AsylG 2005), oder auf Grund einer Verordnung gemäß § 76 NAG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt.

§ 62 Abs. 1 FPG 2005 lautet:

"(1) Gegen einen Asylwerber kann ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.

die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.

anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Das Rückkehrverbot gilt als Entzug des Aufenthaltsrechtes.

§ 13 AsylG 2005 gilt."

Gemäß § 64 Abs. 1 AVG haben rechtzeitig eingebrachte Berufungen aufschiebende Wirkung. Diese kann nach § 64 FPG 2005 (vgl. auch § 64 Abs. 2 AVG) durch behördliche Entscheidung ausgeschlossen werden.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der fristgerecht erhobenen Berufung gegen das Rückkehrverbot aufschiebende Wirkung zukomme und daher der mit diesem verbundene Entzug des Aufenthaltsrechts nicht wirksam sei. Schon damit zeigt er die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Der Gesetzgeber hat durch die mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 71/2003 erfolgte Novellierung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes eine eindeutige Verknüpfung zwischen der Berechtigung zum Aufenthalt zum Zweck der Aufnahme und Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung und der Leistungsverpflichtung der Arbeitslosenversicherung vorgenommen. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 1. Oktober 2005, Zl. G 61/05, die vom Verwaltungsgerichtshof vorgebrachten Bedenken gegen die Neufassung dieser Bestimmung verworfen und ausgeführt, dass durch die Bestimmung des § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG idF BGBl. I Nr. 71/2003 das versicherte Risiko jedenfalls sachlich abgegrenzt sei. Durch die Neufassung des § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG durch die Novelle BGBl. I Nr. 102/2005 wurde die Verknüpfung zwischen der Aufenthaltsberechtigung zum Zweck der Aufnahme und Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung mit der Leistungsverpflichtung der Arbeitslosenversicherung nicht aufgegeben. Auch nach dieser Neufassung kommt es nicht auf die subjektive Absicht des Betroffenen an, im Inland eine Beschäftigung aufnehmen zu wollen, sondern darauf, dass seine Berechtigung zum Aufenthalt die Möglichkeit einer Beschäftigungsaufnahme in rechtlicher Hinsicht abdeckt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2006, Zl. 2006/08/0020).

Durch die aufschiebende Wirkung einer Berufung werden sämtliche Bescheidwirkungen sistiert (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 1219, bei E 3f. zu § 64 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

§ 62 Abs. 1 FPG 2005 normiert den Entzug des Aufenthaltsrechtes als Tatbestandswirkung der bescheidmäßigen Entscheidung über das Rückkehrverbot. Da diese aber zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig war und der rechtzeitig eingebrachten Berufung dagegen - mangels einer anderslautenden behördlichen Entscheidung -

gemäß § 64 Abs. 1 AVG aufschiebende Wirkung zukam, war der Entzug des Aufenthaltsrechtes noch nicht wirksam.

Somit hatte der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 3. Mai 2007 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Sinne des § 19 AsylG 1997. Über den Asylantrag war schon am Beginn dieses Zeitraumes seit drei Monaten nicht rechtskräftig abgesprochen worden, sodass nach § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG (unter den weiteren im AuslBG vorgesehenen Voraussetzungen) die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer in Frage kam.

§ 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG stellt nur auf die Aufenthaltsberechtigung ab, nicht aber auf die Erfüllung noch etwaiger anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die für den tatsächlichen konkreten Antritt einer Beschäftigung im Einzelfall eventuell noch nötig sein könnten. Ungeachtet des Erfordernisses einer Bewilligung nach dem AuslBG stand der Beschwerdeführer daher dem Arbeitsmarkt - vorbehaltlich des Ergebnisses einer Prüfung nach § 7 Abs. 3 Z. 1 und 3 sowie §§ 8, 9 und 12 AlVG - zur Verfügung.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. Februar 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007080183.X00

Im RIS seit

15.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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