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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §289;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Büsser, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der A M in I, vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 40, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom 23. April 2004, GZ. RV/0393-I/03, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 1998, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.171 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Finanzamtes vom 13. Jänner 1997 wurde die Einkommensteuer der Beschwerdeführerin für das Jahr 1995 wie folgt festgesetzt:
"Die Einkommensteuer
wird für das Jahr 1995 festgesetzt mit
- 884.335,00 S
Bisher war vorgeschrieben
0,00 S
Einkünfte aus selbständiger Arbeit
760.320 S
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
-5.675.666 S
Einkünfte aus Kapitalvermögen
4.388 S
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
254.054 S
Nichtausgleichsfähige Verluste
+910.873 S
Gesamtbetrag der Einkünfte
-3.746.031 S
Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988):
Hälfte der Aufwendungen für Personenversicherungen, Wohnraumschaffung und -sanierung, Genußscheine und junge Aktien (innerhalb des einh. Höchstbetrages)
-14.201 S
Kirchenbeitrag
-1.000 S
Verlustabzug
-2.377.259 S
Einkommen
0 S
Die Einkommensteuer beträgt:
Gem. § 33 EStG 1988
0,00 S
Kapitalertragsteuer
- 884.335,00 S
Festgesetzte Einkommensteuer
-884.335,00 S
Vorauszahlungen
0,00 S
Gutschrift
-884.335,00 S"
Auf Blatt 2 des Einkommensteuerbescheides 1995 findet sich folgende Begründung:
"Gemäß § 97 Abs. 1 und 2 EStG 1988 ist die Einkommensteuer für endbesteuerte Kapitalerträge mit dem Kapitalertragsteuerabzug abgegolten. In einer Kontrollrechnung wird die auf die endbesteuerten Kapitalerträge entfallende Tarifsteuer mit der Kapitalertragsteuer dieser Kapitalerträge verglichen. Sollte die Tarifsteuer geringer sein als die Kapitalertragsteuer, werden die endbesteuerten Kapitalerträge in das steuerpflichtige Einkommen einbezogen und die Kapitalertragsteuer angerechnet. Soweit dieser Kapitalertragsteuer keine auf andere Einkünfte entfallende Einkommensteuer gegenübersteht, ist die Kapitalertragsteuer zu erstatten. Vermittelt der Steuerpflichtige den Anspruch auf einen Alleinverdiener- oder Kinderabsetzbetrag, ist nur die den Alleinverdiener- oder Kinderabsetzbetrag übersteigende Kapitalertragsteuer zu erstatten."
Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1998 machte die Beschwerdeführerin als Sonderausgaben abzugsfähige Verluste aus Vorjahren in Höhe von insgesamt 7,318.819,55 S geltend. Darin enthalten war - wie einem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 28. Februar 2003 zu entnehmen ist - u.a. auch der im Einkommensteuerbescheid 1995 ausgewiesene Verlust in Höhe von
3,746.031 S, dessen Anerkennung den Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens bildet.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid setzte die belangte Behörde die Einkommensteuer für das Jahr 1998 fest, ohne den genannten Verlust aus dem Jahr 1995 zu berücksichtigen.
Bei der Beschwerdeführerin habe eine abgabenbehördliche Prüfung der Jahre 1997 bis 1999 stattgefunden. Dem darüber erstellten Prüfungsbericht vom 19. April 2001 sei im Punkt "Tz. 27 Verlustabzug für 1998" u.a. Folgendes zu entnehmen:
"Im Einkommensteuerbescheid 1995 vom 13.1.1997 sind die endbesteuerten Kapitaleinkünfte nicht betraglich ausgedruckt, doch wird in der Bescheidbegründung auf die Einbeziehung derselben in das steuerpflichtige und für die Berechnung der Einkommensteuer maßgebliche Einkommen hingewiesen und die Kapitalertragsteuer erklärungsgemäß in voller Höhe (884.335,--) angerechnet".
Wie vom Prüfer im Einzelnen dargestellt, ergebe sich unter Ansatz der von der Beschwerdeführerin erklärten endbesteuerten Kapitaleinkünfte in Höhe von 4,019.707 S ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte von 273.676 S.
In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde auf die Bestimmung des § 97 Abs. 3 EStG 1988 und auf die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage BGBl. Nr. 12/1993, worin festgehalten werde, dass endbesteuerte Kapitalerträge in sämtlichen Bestimmungen, die auf den Gesamtbetrag der Einkünfte oder auf das Einkommen Bezug nehmen, nicht mehr von Bedeutung seien. Endbesteuerte Kapitalerträge blieben daher grundsätzlich auch bei der allgemeinen Veranlagung nach § 39 Abs. 1 EStG 1988 außer Ansatz. Gemäß § 97 Abs. 4 erster Satz EStG 1988 sei die Kapitalertragsteuer jedoch auf Antrag auf die zu erhebende Einkommensteuer anzurechnen, wenn die nach dem Steuertarif zu erhebende Einkommensteuer geringer sei als die Kapitalertragsteuer. In diesem Fall seien die (endbesteuerten) Kapitalerträge in allen in Betracht kommenden Belangen der Einkunfts- und Einkommensermittlung zu berücksichtigen und habe eine solche Veranlagung grundsätzlich sämtliche Wirkungen einer "normalen" Veranlagung, weshalb in diesem Fall u.a. ein Verlustausgleich vorzunehmen sei.
Im Beschwerdefall stehe außer Streit, dass im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1995 über die auf die gesamten Kapitaleinkünfte in Höhe von 4,019.707 S entfallende Kapitalertragsteuer eine Gutschrift erteilt worden sei. Außer Streit stehe weiters, dass in diesem Bescheid die Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 4.388 S ausgewiesen seien und es sich dabei um die unter der Kennzahl 361 in der Einkommensteuererklärung eingetragenen steuerpflichtigen Kapitaleinkünfte handle, die keinem Steuerabzug unterlegen seien. Strittig sei lediglich, ob der Spruch des Einkommensteuerbescheides 1995 "völlig klar und unzweideutig" sei und er daher "keiner weiteren Interpretation" durch die Bescheidbegründung bedürfe, wie die Beschwerdeführerin in ihrem Vorlageantrag gemeint habe, oder ob dies nicht der Fall sei. Nach Ansicht der belangten Behörde sei der Spruch des Einkommensteuerbescheides 1995 "insoweit unklar", als über die gesamten erklärten Kapitalerträge eine Gutschrift erteilt worden sei, die endbesteuerungsfähigen Kapitalerträge jedoch nicht in den im Bescheid ausgewiesenen Einkünften aus Kapitalvermögen enthalten seien.
Da im Einkommensteuerbescheid 1995 einerseits die gesamte auf die endbesteuerten Kapitalerträge entfallende Kapitalertragsteuer erstattet worden sei, die endbesteuerten Kapitalerträge aber weder in den Einkünften aus Kapitalvermögen noch im Gesamtbetrag der Einkünfte enthalten seien, sei der Spruch des Bescheides "nicht aussagedeutlich genug" und dürfe "nicht isoliert betrachtet werden". Sei der Spruch des Bescheides wie im vorliegenden Fall unklar, könne zu seiner Deutung die Begründung des Bescheides herangezogen und dabei insbesondere auf den erkennbaren Willen des Bescheiderlassers Rücksicht genommen werden. Mit den Ausführungen in der Bescheidbegründung werde klargestellt, dass im konkreten Fall auch die endbesteuerten Kapitalerträge "in die Bemessungsgrundlage (Einkommen aber auch in die Einkünfte aus Kapitalvermögen und in den Gesamtbetrag der Einkünfte) miteingerechnet gehören", weil es durch den Bescheid zu einer gänzlichen Erstattung der Kapitalertragsteuer gekommen sei.
Zum Vorbringen des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin, wonach die Begründung zum Einkommensteuerbescheid 1995 nicht zugestellt worden sei, sei anzumerken, dass der Bescheid auf Blatt 1 einen Hinweis auf das folgende Blatt 2 enthalte. Habe Blatt 2 (Begründung und Rechtsmittelbelehrung) des Bescheides gefehlt, sei auf Grund dieses Hinweises für die Beschwerdeführerin offensichtlich gewesen, dass der Bescheid nicht zur Gänze zugestellt worden sei.
Nach § 93 Abs. 4 BAO werde die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt, wenn der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung oder keine Angabe über die Rechtsmittelfrist enthalte oder zu Unrecht ein Rechtsmittel für unzulässig erklärt worden sei. In einem solchen Fall werde die Rechtsmittelfrist mit der Behebung des den Bescheid anhaftenden Mangels in Gang gesetzt. Im Beschwerdefall sei die Begründung des Einkommensteuerbescheides 1995 (und damit auch die Rechtsmittelbelehrung zu diesem Bescheid) während der abgabenbehördlichen Prüfung ausgehändigt worden. Ab Aushändigung des Blattes 2 des Einkommensteuerbescheides 1995 durch den Prüfer wäre es der Beschwerdeführerin möglich gewesen, diesen Bescheid anzufechten. Insoweit gehe daher das Vorbringen des steuerlichen Vertreters ins Leere, wonach der Prüfer von der Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 1995 "vorsätzlich" Abstand genommen habe, weil im wiederaufgenommenen Verfahren der Antrag nach § 97 Abs. 4 EStG 1988 hätte zurückgenommen werden können.
Da der im Einkommensteuerbescheid 1995 ausgewiesene Gesamtbetrag der Einkünfte im konkreten Fall um die endbesteuerten Kapitalerträge in Höhe von "4,019.7070 ATS" zu erhöhen sei, verbleibe kein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte und stehe daher die Versagung des diesbezüglichen Verlustabzuges im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 1998 nicht in Widerspruch zum Einkommensteuerbescheid 1995.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch diesen Bescheid in ihrem Recht auf Verlustabzug verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 18 Abs. 6 EStG 1988 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung nach dem StruktAnpG 1996, BGBl. Nr. 201, sind als Sonderausgaben auch Verluste abzuziehen, die in einem vorangegangenen Jahr entstanden sind, wenn die Verluste durch ordnungsmäßige Buchführung ermittelt worden sind und soweit die Verluste nicht bereits bei der Veranlagung für die vorangegangenen Kalenderjahre berücksichtigt wurden.
Nach ständiger Rechsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Höhe eines Verlustes mit rechtskraftfähiger Wirkung im Einkommensteuerbescheid des Verlustjahres festgesetzt. Es wird damit im Sinne des § 92 Abs. 1 lit. b BAO eine abgabenrechtlich bedeutsame Tatsache festgestellt. Der Ausspruch eines Verlustes oder eines negativen Gesamtbetrages der Einkünfte im betreffenden Einkommensteuerbescheid wirkt auf ein späteres Verlustabzugsverfahren derart ein, dass der ursprüngliche Verlustausspruch für den nachfolgenden Verlustvortrag betragsmäßig verbindlich wird (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. April 1994, 93/13/0208, vom 20. November 1996, 94/13/0011, und vom 21. Jänner 2004, 2003/13/0093, sowie Hofstätter/Reichel, EStG 1988, § 18 Abs. 6 und 7, Tz. 4; Doralt/Renner, EStG10, § 18, Tz. 297ff; Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, § 18, Tz. 106).
Die belangte Behörde hat den im Einkommensteuerbescheid 1995 vom 13. Jänner 1997 ausgewiesenen negativen Gesamtbetrag der Einkünfte im Streitjahr 1998 mit der Begründung nicht zum Abzug zugelassen, dass der Spruch des Einkommensteuerbescheides unklar sei und einer Auslegung an Hand seiner Begründung bedürfe. Aus der Bescheidbegründung ginge hervor, dass die endbesteuerten Kapitalerträge in den Gesamtbetrag der Einkünfte "miteingerechnet gehören" und sich solcherart ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte ergäbe.
Zu Recht hält die Beschwerdeführerin dem entgegen, dass der Einkommensteuerbescheid 1995 in seinem Abspruch über die Höhe der von ihr im Jahr 1995 erzielten Einkünfte "klare Zahlenangaben" enthalte. Soweit die belangte Behörde meint, der Spruch des Bescheides sei "nicht aussagedeutlich genug", weil darin einerseits die gesamte auf die endbesteuerten Kapitalerträge entfallende Kapitalertragsteuer erstattet worden sei und andererseits die endbesteuerten Kapitalerträge weder in den Einkünften aus Kapitalvermögen noch im Gesamtbetrag der Einkünfte enthalten seien, zeigt sie damit lediglich die Rechtswidrigkeit eines klaren Bescheidspruches auf. Die Kenntnis der erklärten Kapitaleinkünfte vorausgesetzt, kann aus der eingangs wiedergegebenen Bescheidbegründung - wie die belangte Behörde unter Hinweis auf die Rechtslage insoweit zutreffend ausführt - auf die Unrichtigkeit des Bescheidspruches geschlossen werden. Die Abänderung eines fehlerhaften Bescheidspruches unter Heranziehung der Bescheidbegründung übersteigt aber die Grenzen der zulässigen Bescheidauslegung.
Im Übrigen ist im Beschwerdefall auch nicht ersichtlich, dass mit der Bescheidbegründung eine "Klarstellung" der von der Beschwerdeführerin im Jahr 1995 tatsächlich erzielten Einkünfte erfolgt sein sollte. Die nur die Gesetzeslage wiedergebende und in der Möglichkeitsform auf den im Beschwerdefall verwirklichten Tatbestand der niedrigeren Tarifbesteuerung hinweisende Bescheidbegründung enthält keinerlei konkreten Bezug auf die gegenständlich vorliegenden Verhältnisse. So ist der Bescheidbegründung weder eine Darstellung der durchzuführenden Kontrollrechnung zu entnehmen noch finden sich darin Angaben über die maßgeblichen Besteuerungsgrößen. Von welchen im Jahr 1995 erzielten Einkünften der Beschwerdeführerin tatsächlich auszugehen sei, ist der Bescheidbegründung nicht zu entnehmen und ließe sich nur unter Zuhilfenahme der Einkommensteuererklärung der Beschwerdeführerin feststellen.
Dass der erklärte Verlust aus Gewerbebetrieb im Beschwerdefall mit den endbesteuerten Kapitaleinkünften auszugleichen gewesen wäre und aus diesem Grund ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte im Einkommensteuerbescheid 1995 hätte ausgewiesen werden müssen, ändert nichts daran, dass im Einkommensteuerbescheid 1995 tatsächlich ein Verlustausspruch erfolgt ist. Die belangte Behörde hat dem Einkommensteuerbescheid 1995 damit einen anderen Inhalt unterstellt, als in seinem Spruch zum Ausdruck kam.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 20. Februar 2008
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006150026.X00Im RIS seit
18.03.2008Zuletzt aktualisiert am
27.01.2016