Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §355;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juni 2006, Zl. MA 15-II-2-3003/2006, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens betreffend Rückforderung gemäß § 107 ASVG (mitbeteiligte Partei: A S in Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der vorliegenden Beschwerdesache liegt folgender Verfahrensablauf zu Grunde:
Die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt hat mit Bescheid vom 7. November 2001 den Anspruch des 1941 geborenen Beschwerdeführers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. November 2001 anerkannt.
Mit Bescheid vom 23. November 2004 hat die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt das Verfahren über den Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer - von Amts wegen - wieder aufgenommen und den Bescheid vom 7. November 2001 aufgehoben (Spruchpunkt 1.). Sie hat weiter festgestellt, dass die vorzeitige Alterspension gemäß § 253b ASVG nicht gebühre (Spruchpunkt 2.). Darüber hinaus wurde ausgesprochen, dass der vom 1. November 2001 bis zum 31. Oktober 2003 entstandene Überbezug an vorzeitiger Alterspension in der Höhe von EUR 46.837,91 zurückgefordert werde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Einspruch, dem die belangte Behörde mit Bescheid vom 20. Juni 2005 "soweit er die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 7.11.2001 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens über seinen Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer betrifft ... stattgegeben und festgestellt (hat), dass die Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Pensionsversicherungsanstalt nicht zu Recht erfolgt ist." In der Begründung hat die belangte Behörde unter anderem darauf hingewiesen, dass die Feststellung, dass die vorzeitige Alterspension nicht gebühre und der entstandene Überbezug rückgefordert werde, eine Leistungssache sei, über die im Verwaltungsverfahren nicht abzusprechen gewesen sei. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2005 hat der Mitbeteiligte an die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt den Antrag gestellt, das mit Bescheid vom 23. November 2004 "rechtskräftig abgeschlossene Leistungs- und Rückforderungsverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG iVm § 357 Abs. 1 ASVG" wieder aufzunehmen. Begründend wurde ausgeführt, dass die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 7. November 2001 abgeschlossenen Pensionsverfahrens die Voraussetzung für die Aufhebung auch der Feststellung, dass die Pension nicht gebühre sowie des Abspruches über die Rückforderung der Pensionszahlungen sei. Die belangte Behörde habe die Wiederaufnahme für unrechtmäßig erachtet. Das mit Bescheid vom 23. November 2004 rechtskräftig abgeschlossene Leistungs- und Rückforderungsverfahren sei daher wieder aufzunehmen.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2005 hat die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt diesen Antrag abgewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem dagegen erhobenen Einspruch Folge gegeben und festgestellt, "dass die Entscheidung der Pensionsversicherungsanstalt, womit der Antrag (des Mitbeteiligten) vom 14.7.2005 auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen wurde, nicht zu Recht erfolgt ist."
In der Begründung gab die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen wieder und führte in rechtlicher Hinsicht unter Hinweis auf § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG aus, dass es sich beim Spruchpunkt 1. des Bescheides der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 23. November 2004 um eine Vorfrage im Sinne der eben zitierten Bestimmung für den Spruchpunkt 2. dieses Bescheides handle, weshalb das vorliegende Verfahren wieder aufzunehmen gewesen sei. Es sei zwar richtig, dass die Rückforderung nach § 107 ASVG nicht unbedingt eine Wiederaufnahme des Pensionsverfahrens voraussetze, derartige Angelegenheiten seien aber den Leistungssachen zugeordnet, weshalb der Rechtszug im Rahmen der sukzessiven Kompetenz an die Sozialgerichte gehe. Ob die Rückforderung ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig sei, sei daher von den Sozialgerichten zu entscheiden. Stehe dem Rückforderungsanspruch jedoch der rechtskräftige und auch nicht durch Wiederaufnahme beseitigte Gewährungsbescheid entgegen, so wäre der Klage des Leistungswerbers gegen den Rückforderungsbescheid stattzugeben und der Versicherungsträger zu verurteilen, von der Rückforderung Abstand zu nehmen. Daraus folge aber, dass der Entscheidung über die Wiederaufnahme Vorfragewirkung für das Rückforderungsverfahren zukomme, weshalb die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme hinsichtlich der rechtskräftigen Entscheidung über die Rückforderung des Überbezuges an Pensionsleistung nicht zu Recht erfolgt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde die abweisende Wiederaufnahmeentscheidung der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt zu Recht abgeändert hat.
Gemäß § 357 Abs. 1 ASVG gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen und in Verwaltungssachen insbesondere die Bestimmungen der §§ 69 und 70 AVG über die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend. Bei der Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag durch einen Sozialversicherungsträger handelt es sich um eine Verwaltungssache im Sinne des § 335 ASVG. Der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, mit dem in einer Leistungssache die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt wird, ist im Verwaltungsweg durch Einspruch an den Landeshauptmann zu bekämpfen (vgl. das Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2003/08/0093, mwN).
Der Mitbeteiligte hat die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 23. November 2004 rechtskräftig abgeschlossenen Leistungs- und Rückforderungsverfahrens beantragt. Mit dem Ausdruck "Leistungsverfahren" hat der Mitbeteiligte nach der Begründung des Antrages auf die Feststellung, dass die vorzeitige Alterspension gemäß § 253b ASVG nicht gebühre (Spruchpunkt 2. des Bescheides vom 23. November 2004), Bezug genommen. Als Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG führte er den Umstand an, dass die belangte Behörde die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 7. November 2001 abgeschlossenen Pensionsverfahrens für rechtswidrig erklärt habe.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
Die belangte Behörde ist bei der Bewilligung der vorliegenden Wiederaufnahme des Leistungs- und Rückforderungsverfahrens (Bescheid der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt vom 23. November 2004) davon ausgegangen, dass die Aufhebung des Bescheides der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt betreffend die von Amts wegen verfügte Wiederaufnahme des dem Bescheid vom 7. November 2001 zu Grunde liegenden Verfahrens (Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juni 2005) insofern eine Vorfrage für das Leistungs- und Rückforderungsverfahren (Bescheid der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt vom 23. November 2004) bildet, als ohne Wiederaufnahme des Verfahrens, das zu dem die Pensionsleistung gewährenden Bescheid vom 7. November 2001 geführt hat, die im Bescheid der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt vom 23. November 2004 getroffene Feststellung, dass die vorzeitige Alterspension gemäß § 253b ASVG nicht gebühre (Spruchpunkt 2.), sowie der Ausspruch über die Rückzahlung der Pension nicht zulässig seien. Diese Aussprüche wären - nach offenkundiger Meinung der belangten Behörde - nur dann zulässig gewesen, wenn das Verfahren betreffend den die Pensionsleistung bewilligenden Bescheid vom 7. November 2001 wieder aufgenommen worden wäre.
Die Pensionsversicherungsanstalt hat mit Spruchpunkt 1 des Bescheids vom 23. November 2004 das Verfahren über den Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wieder aufgenommen und den Bescheid vom 7. November 2001 aufgehoben. Dieser Spruchpunkt wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 20. Juni 2005 insofern beseitigt, als der Landeshauptmann die Wiederaufnahme für unzulässig erklärt hat. Spruchpunkt 1. des damaligen erstinstanzlichen Bescheides der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt gehört daher nicht mehr dem Rechtsbestand an.
Die Spruchpunkte 2. (Abweisung des Pensionsantrags) und
3. (Rückforderung der Leistung) des Bescheides vom 23. November 2004 waren hingegen als Leistungssachen mittels Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien zu bekämpfen. Dem Arbeits- und Sozialgericht obliegt in diesem Rahmen auch allein die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit der (wieder) rechtskräftige Zuerkennungsbescheid vom 7. November 2001 einem Abspruch wie in den Spruchpunkten 2. und 3. entgegensteht oder ob dies nicht der Fall ist (die Verfügung der Wiederaufnahme im Spruchpunkt 1 dieses Bescheides also gleichsam überflüssig gewesen ist). Einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Spruchpunkt 2. und 3. bedurfte es hiezu nicht, wohl aber einer rechtzeitigen Bekämpfung der Spruchpunkte dieses Bescheides mittels Klage beim Arbeits- und Sozialgericht.
Eine Wiederaufnahme des Leistungsbescheides im Spruchpunkt 2. und 3. käme nur insoweit und nur unter der Voraussetzung in Betracht, als (erstens) dieser Bescheid, worin ausgesprochen wird, dass die vorzeitige Alterspension gemäß § 253 ASVG nicht gebühre bzw. die Leistung zurückgefordert werde mangels Anrufung des Gerichtes in Rechtskraft erwachsen ist und (zweitens) nach seiner Erlassung hinsichtlich der materiellen Sachverhaltsgrundlagen dieses Bescheides (wozu die Leistungsvoraussetzungen einer vorzeitigen Alterspension, nicht aber die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich des Bescheides vom 7. November 2001 gehört) ein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 69 AVG eingetreten ist oder ein Grund zur rückwirkenden Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG vorliegt. Insoweit wurden von der mitbeteiligten Partei Gründe aber nicht einmal behauptet.
Die belangte Behörde ist daher rechtsirrig davon ausgegangen, dass das Verfahren in den Spruchpunkten 2. und 3. des Bescheides vom 23. November 2004 im Grunde des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG wieder aufzunehmen ist. Der diesen Umstand verkennende Bescheid der belangten Behörde war mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Wegen der im Verfahren nach dem ASVG geltenden sachlichen Abgabenfreiheit war der Antrag auf Ersatz der Eingabegebühren (vgl. § 110 ASVG) abzuweisen.
Wien, am 20. Februar 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006080239.X00Im RIS seit
11.04.2008Zuletzt aktualisiert am
06.11.2008