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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Führerscheingesetzes betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung wegen drastischer Geschwindigkeitsüberschreitungen bzw wegen Überschreitens der "Promille-Grenzen" in der Fassung der Novelle 2002; keine Gleichheitswidrigkeit der Normierung einer fixen Entziehungsdauer ohne Wertungsspielraum der BehördeSpruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit auf Art140 B-VG gestützten Anträgen begehrt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (in der Folge: UVS), die Aufhebung folgender Gesetzesstellen wegen Verfassungswidrigkeit:
1.1. In dem zu G360/02 protokollierten Antrag:
"§26 Abs3 sowie die Wortgruppe '3 und' in §26 Abs7 Führerscheingesetz - FSG idF BGBl. I Nr. 81/2002
in eventu
die Wortfolge 'oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschritten' in §7 Abs3 Z4 Führerscheingesetz - FSG idF BGBl. I Nr. 81/2002"
1.2. In dem zu G372/02 protokollierten Antrag:
"in §26 Abs1 Führerscheingesetz FSG - BGBl. I Nr. 120/1997 idF BGBl. I Nr. 81/2002 im zweiten Halbsatz die Wortfolge 'für die Dauer von einem Monat'
in eventu
die Wortfolge 'bis 1b' in §7 Abs3 Z1 Führerscheingesetz - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 idF BGBl. I Nr. 81/2002"
2. Die Bundesregierung hat auf ihre im Verfahren zu G203/02, G233/02 ua. abgegebene Äußerung verwiesen, insbesondere auf deren Punkt F., wonach diese Äußerung "auch für alle laufenden sowie für alle künftigen sachverhaltsähnlichen, mit [dem Verfahren G203/02 ua.] verbundenen Verfahren zur Prüfung derselben Gesetzesbestimmung" gelte.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Anträge, die er in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden hat, erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 14. März 2003, G203/02 ua. über Anträge des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung näher bezeichneter Wortfolgen der §§7 und 26 Führerscheingesetz (in der Folge: FSG) BGBl. I Nr. 120/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 2/1998 beziehungsweise in der Fassung BGBl. I Nr. 94/1998 entschieden. Die Rechtskraft des in einem Verfahren nach Art140 B-VG gefällten Erkenntnisses setzt nicht nur Identität der Bedenken, sondern auch Identität der Norm voraus (VfSlg.14301/1995, mwN). Die angefochtenen Gesetzesstellen sind mit jenen, die im Erkenntnis vom 14. März 2003 behandelt wurden, schon deshalb nicht identisch, weil die §§7 und 26 FSG mit den vorliegenden Anträgen in jener Fassung angefochten werden, die sie durch die 5. Führerscheingesetznovelle, BGBl. I Nr. 81/2002, erhalten haben.
Der UVS hat die angefochtenen Bestimmungen bei der Entscheidung über die bei ihm anhängigen Berufungen anzuwenden; da dem Antrag auch sonst kein Prozeßhindernis entgegensteht, ist er zulässig.
2. In der Sache:
2.1.1. Der UVS erhebt verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Sachlichkeit der angefochtenen Bestimmung (Art7 B-VG).
In dem zu G360/02 protokollierten Antrag bringt er dazu vor, daß dem Gesetz die Vermutung zugrundeliege, daß mit Geschwindigkeitsüberschreitungen vielfach erhebliche Gefahren einhergehen. An bestimmten (etwa verkehrsleeren, gut ausgebauten und übersichtlichen) Straßenstellen treffe diese Vermutung jedoch nicht zu. Nach der Erfahrung des antragstellenden (Mitglieds des) UVS seien dies vor allem jene Straßenstellen, die von der Exekutive häufig für Geschwindigkeitsmessungen ausgewählt werden. Der "Tatunwert" einer auf einer solchen Straßenstelle begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung reduziere sich häufig auf den bloßen "Ungehorsamstatbestand". Eine darauf gestützte Entziehung der Lenkberechtigung bringe eine Ungleichbehandlung mit sich. Der Gesetzgeber habe eine "undifferenzierte Betrachtung des sich vielschichtig darstellenden Phänomens einer bestimmten Fahrgeschwindigkeit" angeordnet. Eine "konkrete Beurteilung des Einzelfalls" werde damit ex lege ausgeschlossen. Dies lasse erhebliche Zweifel entstehen, ob die angefochtenen Vorschriften mit dem den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz vereinbar seien.
Der UVS bringt weiters vor, daß gemäß §7 Abs1 und 3 FSG eine Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit nur dann zu erfolgen habe, wenn "auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen und ihrer Wertung ... angenommen werden muß, daß die betreffende Person wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird". Für die Wertung der in §7 Abs3 FSG angeführten Tatsachen seien gemäß §7 Abs5 FSG deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend. Daher sei es differenziert zu sehen, unter welchen Bedingungen der Fahrzeuglenker eine bestimmte Geschwindigkeit gewählt habe. Der Gesetzgeber habe durch die in §26 Abs3 FSG angeordnete Rechtsfolge der zweiwöchigen Entziehung eine "antizipierte Wertung" vorgenommen und eine "starre" administrative Rechtsfolge angeordnet, die in Konflikt mit dem Sachlichkeitsgebot stehe.
Das gleiche Bedenken hegt der UVS auch in dem zu G372/02 protokollierten Antrag betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung gem. §26 Abs1 FSG nach erstmaliger Begehung einer Verwaltungsübertretung gem. §99 Abs1b StVO 1960 (Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand). Auch diese Regelung erachtet der UVS als gleichheitswidrig, weil es unsachlich sei, daß "der Behörde kein auf den Einzelfall bezogener Wertungsspielraum mehr geöffnet" sei.
2.1.2. Dem Vorbringen ist zu entgegnen, daß der Verfassungsgerichtshof zur Vorgängerregelung der Bestimmung betreffend die befristete Entziehung der Lenkberechtigung wegen "exzessiver" Geschwindigkeitsüberschreitungen bereits im Erkenntnis VfSlg. 15431/1999 ausgesprochen hat, daß es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht bedenklich sei, wenn der Gesetzgeber aufgrund des beschriebenen Verhaltens eine fixe Entziehungsdauer anordnet und dadurch die eigenständige Wertung der Kraftfahrbehörde ausschließt. Er hat dazu näher ausgeführt:
"3. Soweit der Beschwerdeführer die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §66 Abs2 liti KFG 1967 als widersprüchlich zu §66 Abs1 leg. cit. erachtet, weil eine eigenständige Wertung durch die Kraftfahrbehörde wegen der vom Gesetzgeber selbst vorgenommenen Wertung nicht mehr erforderlich sei, ist dem folgendes entgegenzuhalten:
Der Verfassungsgerichtshof erachtet die vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger, mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1996, 96/11/0197, beginnender Rechtsprechung vertretene Auffassung, daß der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen Vorliegens einer bestimmten Tatsache im Sinne des §66 Abs2 liti KFG 1967 und der Bemessung der Entziehungszeit gemäß §73 Abs3 dritter Satz KFG 1967, idF BGBl. 1995/162, eine vom Gesetzgeber selbst getroffene Wertung eines derartigen strafbaren Verhaltens unter dem Gesichtpunkt seiner Relevanz für die Verkehrszuverlässigkeit des Lenkerberechtigten und der zur Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit zu setzenden Maßnahme zugrundeliegt, weshalb eine davon abweichende eigenständige Wertung im Sinne des §66 Abs3 KFG 1967 einer unter §66 Abs2 liti KFG 1967 fallenden Geschwindigkeitsüberschreitung durch die Kraftfahrbehörde grundsätzlich ausgeschlossen ist, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten für vertretbar.
...
Der Bestimmung des §66 Abs2 liti KFG 1967 liegt eine Wertung des Gesetzgebers zugrunde, nämlich daß exzessive Geschwindigkeitsüberschreitungen als verwerflich und gefährlich anzusehen sind. Der Gesetzgeber hat daher auch die Maßnahme der vorübergehenden Entziehung der Lenkerberechtigung an schwere - exzessive - Geschwindigkeitsüberschreitungen geknüpft, die zusätzlich - zum Schutz des Kfz-Lenkers - mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt worden sein müssen. Eine davon abweichende eigenständige Wertung durch die Kraftfahrbehörde widerspräche der Intention des Gesetzgebers, drastische Geschwindigkeitsüberschreitungen als eine der Hauptunfallursachen wirksam zu verhindern."
Diese Rechtsprechung ist sinngemäß auf die Entziehung der Lenkberechtigung wegen Lenkens eines Fahrzeuges in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand (bzw. wegen Überschreitung eines bestimmten Grads der Alkoholisierung oder wegen der Verweigerung der Kontrolle des Alkoholisierungsgrades) übertragbar. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich durch den nunmehrigen Antrag nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
2.2.1. Die Bedenken des UVS gründen sich weiters darauf, daß es aufgrund der in §26 Abs7 FSG vorgesehenen Verpflichtung der Behörde, vor Ausspruch der Entziehung der Lenkberechtigung den Abschluß des Strafverfahrens in erster Instanz abzuwarten, zu einem "Bruch mit dem System der Entziehung der Lenkberechtigung" und damit zu Unsachlichkeiten komme. Die Dauer des Verwaltungsstrafverfahrens sei nicht absehbar, was dazu führe, daß "eine fiktive zweiwöchige Unzuverlässigkeit" offenkundig nur mehr als Zusatzstrafe [angesehen werden könne]. Es sei nicht vertretbar, daß ein Mensch "innerhalb eines nicht determinierbaren Zeitraums von ein bis zwei Monaten [gemeint damit wohl: die Dauer des Strafverfahrens erster Instanz] just zwei Wochen nicht verkehrszuverlässig sein sollte".
2.2.2. Zu diesem Vorbringen ist der UVS auf das Erkenntnis vom 14. März 2003, G203/02 ua., zu verweisen, in dem der Verfassungsgerichtshof das vom Verwaltungsgerichtshof als gleichheitswidrig erachtete "Auseinanderklaffen" zwischen dem Zeitpunkt der Tatbegehung und dem Zeitpunkt der Entziehung als mit dem Gleichheitssatz vereinbar angesehen hat.
3. Die Anträge waren daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung, Rechtskraft, Straßenpolizei, Alkoholisierung, VfGH / Sachentscheidung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G360.2002Dokumentnummer
JFT_09969390_02G00360_00